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Gurtpflicht-Ausnahme bei Schrittgeschwindigkeit: Wann ohne Gurt fahren?

Ein Autofahrer wurde trotz anfänglichem Gurtverstoß im Kreisverkehr von der Polizei angehalten und berief sich auf die Gurtpflicht-Ausnahme bei Schrittgeschwindigkeit. Was zunächst nach einer klaren Ordnungswidrigkeit aussah, nahm durch eine überraschende Zeugenaussage eine unerwartete Wendung.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 19 OWi – 89 Js 968/16 – 92/16 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Amtsgericht Lüdinghausen
  • Datum: 30.05.2016
  • Aktenzeichen: 19 OWi – 89 Js 968/16 – 92/16
  • Verfahren: Ordnungswidrigkeitenverfahren
  • Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht

  • Das Problem: Ein Autofahrer fuhr ohne angelegten Sicherheitsgurt in einem Kreisverkehr. Die Polizei beobachtete ihn dabei. Der Fahrer gab an, nur sehr langsam gefahren zu sein. Er wollte direkt nach dem Kreisverkehr parken.
  • Die Rechtsfrage: Gilt die Gurtpflicht auch, wenn ein Fahrer sehr langsam fährt und unmittelbar danach anhalten will?
  • Die Antwort: Nein, der Autofahrer wurde freigesprochen. Das Gericht konnte nicht sicher feststellen, dass er schneller als Schrittgeschwindigkeit fuhr. Für Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit gilt die Gurtpflicht nicht.
  • Die Bedeutung: Wer sehr langsam fährt, zum Beispiel um sofort zu parken, muss unter Umständen keinen Sicherheitsgurt tragen. Entscheidend ist die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit in der konkreten Situation.

Der Fall vor Gericht


Warum wurde der Fahrer trotz eines klaren Gurtverstoßes angeklagt?

Ein Polizist beobachtet einen Autofahrer ohne Gurt im Kreisverkehr. Die Entfernung: nur wenige Meter. Der Sachverhalt: glasklar. Im Gerichtssaal wird der Beamte als Zeuge geladen, um den Verstoß zu bestätigen. Seine Aussage sollte den Deckel auf das Verfahren machen. Stattdessen lieferte er der Verteidigung unbeabsichtigt den Schlüssel zum Sieg. Ein einziges, beiläufig erwähntes Wort aus dem Mund des Belastungszeugen pulverisierte den Vorwurf der Anklage.

—Polizist kontrolliert Autofahrer wegen Gurtverstoß. Freispruch bei Schrittgeschwindigkeit ist möglich.
Zeugenaussage über mögliche Schrittgeschwindigkeit führte zur Freisprechung wegen Ausnahmeregelung der Gurtpflicht. | Symbolbild: KI-generiertes BildZeugenaussage über mögliche Schrittgeschwindigkeit führte zur Freisprechung wegen Ausnahmeregelung der Gurtpflicht. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall selbst schien zunächst eine simple Routine zu sein. Ein Mann kaufte sich etwas zu essen, stieg in sein Auto und fuhr von einem Firmenparkplatz los. Sein Ziel war eine Apotheke, die nur wenige Meter entfernt auf der anderen Seite eines Kreisverkehrs lag. Für diese kurze Strecke legte er den Gurt nicht an. Ein Beamter, der an diesem Tag Gurt- und Handyverstöße überwachte, entdeckte den Fahrer sofort.

Für die Verfolgungsbehörde war die Sache eindeutig. Der Mann hatte ein Auto im öffentlichen Straßenverkehr geführt, ohne den vorgeschriebenen Sicherheitsgurt anzulegen. Das war ein klarer Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Der Fahrer bestritt die Tatsache auch gar nicht. Er gab zu, beim Einfahren in den Kreisverkehr unangeschnallt gewesen zu sein. Damit schien das Bußgeldverfahren eine reine Formsache.

Worauf stützte der Autofahrer seine überraschende Verteidigung?

Die Verteidigung des Fahrers baute auf einer wenig bekannten, aber mächtigen Ausnahme in der Gurtpflicht auf. Er argumentierte nicht, er sei angeschnallt gewesen. Sein Argument war, er habe es gar nicht sein müssen. Der Grund: seine extrem niedrige Geschwindigkeit. Er sei auf dem Weg von einem Parkplatz zum nächsten gewesen und habe den Kreisverkehr nur im Kriechtempo durchquert.

Im Klartext berief er sich auf den § 21a der Straßenverkehrsordnung. Dieser Paragraph schreibt zwar die Gurtpflicht vor, enthält aber eine wichtige Ausnahme. Bei Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit, wie zum Beispiel beim Rückwärtsfahren oder auf Parkplätzen, entfällt die Pflicht, sich anzuschnallen. Die Logik dahinter ist simpel: Bei so geringem Tempo ist das Schutzpotenzial eines Gurtes minimal, der Zwang zum ständigen An- und Ablegen bei Parkmanövern aber unpraktisch.

Der Fahrer behauptete, seine Fahrt sei genau solch ein Fall gewesen. Eine extrem kurze Strecke von Geschäft zu Geschäft, ausgeführt in minimalem Tempo. Er befand sich sozusagen im „Haus-zu-Haus-Verkehr“, auch wenn dieser über eine öffentliche Straße führte. Seine gesamte Verteidigung hing an dieser einen Behauptung: Er fuhr nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit.

Wie konnte die Aussage des Polizisten den Fall entscheiden?

Der Wendepunkt des Verfahrens war die Befragung des Polizeibeamten. Als Hauptzeuge der Anklage sollte er den Verstoß zweifelsfrei belegen. Er schilderte, wie er den Fahrer aus fünf bis sieben Metern Entfernung im Kreisverkehr ohne Gurt gesehen hatte. Das bestätigte den Vorwurf. Doch dann fragte das Gericht nach der Geschwindigkeit des Fahrzeugs.

Der Beamte beschrieb die Fahrweise als „langsam“. Und dann fügte er von sich aus hinzu, es sei möglicherweise sogar nur Schrittgeschwindigkeit gewesen. Dieser Zusatz war Gold wert für die Verteidigung. Der Zeuge der Anklage selbst säte den entscheidenden Zweifel. Er war sich nicht sicher, ob der Fahrer nicht doch langsam genug für die gesetzliche Ausnahme war.

Für das Gericht war das der Knackpunkt. Nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ konnte es nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass der Fahrer tatsächlich nur Schrittgeschwindigkeit fuhr. Wenn aber die Möglichkeit besteht, dass die Ausnahme greift, kann keine Verurteilung erfolgen. Die Aussage, die den Fahrer belasten sollte, entlastete ihn am Ende vollständig. Sie öffnete die Tür für die Anwendung der Ausnahmeregelung.

Warum spielte es keine Rolle, dass die Fahrt im fließenden Verkehr stattfand?

Die Anklage versuchte, die Argumentation zu entkräften. Sie brachte vor, dass ein Kreisverkehr zum fließenden Verkehr gehöre. Dort werde üblicherweise deutlich schneller gefahren. Die Ausnahmeregelung sei für Parkplätze gedacht, nicht für öffentliche Kreuzungsbereiche. Dieser Einwand klang logisch, verfehlte aber den Kern des Gesetzes.

Das Gericht stellte klar: Das Gesetz knüpft die Ausnahme nicht an den Ort, sondern allein an die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit. Es ist irrelevant, ob an dieser Stelle normalerweise 50 km/h erlaubt sind oder ob andere Autos schneller fahren. Entscheidend ist einzig und allein, wie schnell der konkrete Fahrer in der konkreten Situation unterwegs war.

Da der Zeuge die Möglichkeit der Schrittgeschwindigkeit in den Raum gestellt hatte, war die Bedingung für die Ausnahme potenziell erfüllt. Ob dies auf einer Landstraße, in einer Spielstraße oder – wie hier – in einem Kreisverkehr geschieht, ändert nichts an der Rechtslage. Die Geschwindigkeit zementierte den Tatbestand der Ausnahme, nicht die Art der Straße. Der Vorwurf war damit vom Tisch. Der Mann wurde auf Kosten der Staatskasse freigesprochen.

Die Urteilslogik

Die Gurtpflicht entfällt, wenn Fahrzeuge im Straßenverkehr lediglich Schrittgeschwindigkeit fahren – unabhängig vom Fahrbereich.

  • Geschwindigkeit zählt, nicht der Ort: Die Gurtpflicht hängt einzig von der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit ab; der Fahrbereich, sei es ein Kreisverkehr oder ein Parkplatz, spielt dabei keine Rolle.
  • Zweifel führen zum Freispruch: Wenn selbst ein Belastungszeuge Unsicherheiten bei zentralen Tatbestandsmerkmalen äußert, profitieren Beschuldigte nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“.
  • Schrittgeschwindigkeit gilt überall: Die Ausnahme von der Gurtpflicht greift, sobald ein Fahrzeug dieses minimale Tempo einhält, auch im fließenden öffentlichen Verkehr.

Gerichte betonen die strikte Anwendung von Ausnahmeregelungen und den Grundsatz, dass Zweifel stets den Angeklagten begünstigen.


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Experten Kommentar

Die Gurtpflicht ist klar, aber dieses Urteil zeigt: Es kommt nicht nur darauf an, wo man fährt, sondern wie. Selbst ein kurzer Weg unangeschnallt im Kreisverkehr kann freigesprochen werden, wenn das Tempo nachweislich nur Schrittgeschwindigkeit war. Hier zählt nicht die Art der Straße, sondern allein die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit. Das ist ein wichtiger Hinweis für jeden, der sich fragt, wann diese Ausnahme wirklich greift.


Nächtliche Stadtstraße mit Autos und roter Ampel als Illustration zu FAQs im Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitsrecht.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was genau gilt als Schrittgeschwindigkeit im Straßenverkehr?

Obwohl das Gesetz keine exakte Kilometerzahl nennt, wird Schrittgeschwindigkeit gerichtlich typischerweise mit 5 bis 10 km/h gleichgesetzt. Diese extrem langsame Fahrweise ist entscheidend für Ausnahmen der Gurtpflicht, insbesondere bei kurzen Rangierfahrten oder extrem langsamen Bewegungen im Verkehr. Der Fokus liegt stets auf der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit, nicht auf dem Ort.

Die Straßenverkehrsordnung definiert Schrittgeschwindigkeit nicht mit einer festen Zahl. Juristen nennen das einen unbestimmten Rechtsbegriff. Deswegen mussten Gerichte in unzähligen Fällen präzisieren, was darunter zu verstehen ist. Aus dieser Praxis hat sich der Richtwert von etwa 5 bis 10 km/h etabliert. Es geht dabei um eine Geschwindigkeit, die in etwa der eines schnell gehenden Fußgängers entspricht.

Diese Ausnahme greift bei bestimmten Manövern. Denken Sie an Rückwärtsfahren, Parkvorgänge oder sehr kurze Wege im sogenannten „Haus-zu-Haus-Verkehr“. Hier wäre der Schutz eines angelegten Gurtes minimal. Gleichzeitig wäre das ständige An- und Ablegen unpraktisch. Das ist der Grund für diese Regelung in § 21a StVO. Wichtig ist: Es kommt allein auf die tatsächliche Geschwindigkeit an. Der Ort der Fahrt spielt keine Rolle – ob Parkplatz, Spielstraße oder, wie unser Fall zeigt, sogar ein Kreisverkehr.

Ein passender Vergleich ist ein Rangierbahnhof. Dort bewegen sich Züge auch mit extrem geringer Geschwindigkeit, um genau positioniert zu werden. Die Aufmerksamkeit gilt der exakten Bewegung, nicht der schnellen Fahrt.

Überlegen Sie anhand der gerichtlichen Richtwerte von 5-10 km/h, ob Ihre gefahrene Geschwindigkeit wirklich in diesen Bereich fiel. Notieren Sie sich sofort alle Details der Fahrt. Das betrifft die genaue Strecke, die Uhrzeit, etwaige Zeugen oder Ihre Beobachtungen der Umgebung. Jedes Detail kann wichtig sein.


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Wie kann ich meine Schrittgeschwindigkeit im Falle eines Gurtverstoßes beweisen?

Der effektivste Weg, Ihre Schrittgeschwindigkeit bei einem Gurtverstoß zu beweisen, ist die detaillierte Aussage eines unabhängigen Zeugen. Diese Person muss Ihre Geschwindigkeit als sehr gering einschätzen können. Sogar amtliche Zeugen, wie Polizisten, können mit ihren Zweifeln an Ihrer Geschwindigkeit ein Verfahren entscheidend beeinflussen, indem sie dem Gericht Raum für einen Freispruch lassen.

Juristen nennen das eine Frage der Beweiswürdigung. Da es meist keine technischen Messungen für Schrittgeschwindigkeit gibt, kommt es entscheidend auf die Plausibilität Ihrer Darstellung und die Glaubwürdigkeit der Zeugen an. Sie sollten daher alle Umstände dokumentieren, die eine extrem niedrige Geschwindigkeit plausibel machen. Dazu gehören eine sehr kurze Fahrstrecke, enge Manöver oder hohes Verkehrsaufkommen in der Situation. Ihre eigene subjektive Behauptung, „sehr langsam“ gefahren zu sein, reicht ohne weitere Untermauerung in der Regel nicht aus.

Denken Sie an die Situation, wenn ein Polizist selbst angibt, dass Ihre Geschwindigkeit möglicherweise nur Schrittgeschwindigkeit war. Dieser beiläufige Zweifel des Belastungszeugen kann ein Verfahren drehen, da das Gericht im Zweifel für den Angeklagten entscheiden muss. Entscheidend ist nicht der Ort der Fahrt, sondern allein die tatsächlich gefahrene, extrem geringe Geschwindigkeit.

Identifizieren Sie umgehend alle potenziellen Zeugen, wie Mitfahrer, Passanten, Anwohner oder Mitarbeiter, die Ihre Fahrt beobachtet haben könnten. Kontaktieren Sie diese Personen, um ihre Wahrnehmung Ihrer Geschwindigkeit schriftlich festzuhalten. So sichern Sie Ihre Beweislage erheblich.


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Kann ich gegen ein Bußgeld wegen fehlendem Gurt erfolgreich Widerspruch einlegen?

Ja, ein Widerspruch gegen ein Bußgeld wegen fehlendem Gurt kann erfolgreich sein, wenn Sie plausible Gründe für die Anwendung der Ausnahmeregelung der Schrittgeschwindigkeit nach § 21a StVO vorbringen können. Entscheidend ist, plausible Gründe vorzubringen, die begründete Zweifel an der Gurtpflicht unter den gegebenen Umständen aufkommen lassen, selbst im fließenden Verkehr. Die tatsächliche Geschwindigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg, nicht der Ort.

Juristen nennen das Prinzip der Gurtpflichtausnahme die Fahrt mit Schrittgeschwindigkeit. Dieses Privileg ist in § 21a der Straßenverkehrs-Ordnung klar geregelt. Es bedeutet, dass Sie nicht zwingend angeschnallt sein müssen, wenn Sie Ihr Fahrzeug extrem langsam bewegen. Der Haken: Es gibt keine fest definierte Kilometerzahl. Gerichte orientieren sich meist an Werten zwischen 5 und 10 km/h. Der Grund: Bei solch geringem Tempo ist das Verletzungsrisiko durch einen Aufprall minimal, während das ständige An- und Ablegen des Gurtes etwa bei Rangierfahrten oder auf kurzen Wegen extrem unpraktisch wäre. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass der Ort der Fahrt keine Rolle spielt. Ob auf einem Parkplatz, in einer Spielstraße oder sogar in einem Kreisverkehr – allein die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit zählt.

Denken Sie an die Situation, wenn Sie eine Tasse Kaffee über einen vollen Flur tragen: Sie gehen automatisch langsam und vorsichtig, um nichts zu verschütten. Genau dieses „Kriechtempo“, bei dem die Gefahr gering ist, ist die juristische Schrittgeschwindigkeit.

Reichen Sie innerhalb der gesetzten Frist, meist zwei Wochen, schriftlich Widerspruch ein. Erklären Sie kurz, dass Sie sich auf die Ausnahmeregelung des § 21a StVO bezüglich der Schrittgeschwindigkeit berufen und kündigen Sie an, die genauen Umstände Ihrer Fahrt detailliert darzulegen. Sammeln Sie alle Beweise, die Ihre niedrige Geschwindigkeit untermauern.


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Was passiert, wenn die Polizei meine Schrittgeschwindigkeit nicht bestätigt?

Wenn die Polizei Ihre Schrittgeschwindigkeit im Rahmen eines Gurtverstoßes nicht bestätigt, ist die Verteidigung erheblich erschwert. Der wichtigste amtliche Zeuge fehlt in diesem Fall. Dann wird es entscheidend, ob Sie selbst oder andere unabhängige Zeugen die niedrige Geschwindigkeit glaubhaft belegen können. Ziel ist es, begründete Zweifel beim Gericht zu erzeugen, um einem Bußgeld zu entgehen.

Ohne die direkte Bestätigung eines Polizeibeamten müssen Sie die Fahrt mit Schrittgeschwindigkeit primär durch Ihre eigene detaillierte Schilderung untermauern. Ergänzend sind unabhängige Zeugenaussagen von grossem Wert. Es geht darum, die spezifischen Umstände Ihrer Fahrt so präzise wie möglich darzustellen. Zeigen Sie auf, warum nur ein extrem langsames Tempo objektiv möglich oder sinnvoll war.

Ein entscheidender Schritt ist die Beantragung von Akteneinsicht. Prüfen Sie genau die Formulierung der polizeilichen Aussage. Vielleicht hat der Beamte die Geschwindigkeit lediglich als „nicht sehr schnell“ oder „langsam“ beschrieben. Solche Formulierungen bieten Raum für Interpretation, selbst wenn er das Wort „Schrittgeschwindigkeit“ nicht explizit verwendete. Juristen wissen: Das kann den Unterschied machen, denn das Gericht muss im Zweifel für den Angeklagten entscheiden.

Denken Sie an ein Puzzle: Fehlt das zentrale Teil (die Polizeiaussage), müssen Sie die Lücke mit vielen kleinen, passenden Randstücken füllen. Jedes Detail, jede unabhängige Beobachtung ist wichtig. Es geht darum, ein klares Bild der extrem geringen Geschwindigkeit zu malen, auch wenn das Hauptindiz fehlt.

Fordern Sie umgehend Akteneinsicht an. Dies ist Ihr Recht. Überprüfen Sie akribisch, was genau im Polizeibericht steht. Suchen Sie parallel dazu nach jedem unabhängigen Zeugen, der Ihre niedrige Geschwindigkeit bestätigen könnte. Ein Nachbar, ein Passant oder ein Mitfahrer könnte Ihre Rettung sein. Jeder glaubwürdige Zweifel kann den Unterschied machen.


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Welche anderen Fahrer sind generell von der Gurtpflicht ausgenommen?

Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf die zentrale Ausnahme der Gurtpflicht für Fahrer bei Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit. Diese Regelung nach § 21a StVO erlaubt es, bei Rangierfahrten, beim Rückwärtsfahren oder auf Parkplätzen auf den Gurt zu verzichten. Der Schutz wäre hierbei minimal, das ständige An- und Ablegen aber extrem unpraktisch.

Juristen nennen das eine situationsbezogene Ausnahme. Hier geht es nicht um eine bestimmte Personengruppe, sondern um die Art der Fahrt. Der Fokus liegt allein auf der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit. Sobald Sie Ihr Fahrzeug mit extrem geringem Tempo bewegen, kann diese Vorschrift greifen. Dies umfasst beispielsweise das Rangieren auf Parkplätzen oder das Fahren sehr kurzer Strecken im sogenannten „Haus-zu-Haus-Verkehr“, wo Sie häufig aussteigen müssen.

Die Rechtsgrundlage hierfür ist § 21a der Straßenverkehrsordnung. Dieser Paragraph regelt die allgemeine Gurtpflicht, enthält aber ausdrücklich bestimmte Ausnahmen. Für eine erfolgreiche Berufung auf diese Ausnahme ist es entscheidend, dass Ihre Geschwindigkeit objektiv als Schrittgeschwindigkeit einzustufen war. Gerichte definieren dies üblicherweise als etwa 5 bis 10 km/h. Der Ort der Fahrt – ob Parkplatz oder öffentlicher Kreisverkehr – ist dabei nebensächlich. Wichtig ist nur die gefahrene Geschwindigkeit.

Denken Sie an die Situation eines Paketboten. Er muss ständig anhalten, aussteigen, ein Paket liefern und wieder einsteigen. Wäre er dazu verpflichtet, sich jedes Mal an- und abzuschnallen, würde seine Arbeit extrem ineffizient. Die Ausnahme der Gurtpflicht bei Schrittgeschwindigkeit löst genau dieses Dilemma und erlaubt ein praktisches Arbeiten unter minimalem Risiko.

Mein Rat lautet: Betrachten Sie bei einem Gurtverstoß, ob Ihre Geschwindigkeit wirklich im Bereich von 5 bis 10 km/h lag. Das ist der entscheidende Faktor. Suchen Sie zudem gezielt nach weiteren Ausnahmen, die über die hier behandelte Schrittgeschwindigkeit hinausgehen, wenn Ihre Situation dies erfordert. Die Straßenverkehrsordnung enthält für sehr spezifische Fälle weitere Befreiungen, die Sie gegebenenfalls überprüfen sollten.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar Rubrik: Bewegte Stadtstraße als Illustration zur Erklärung von Fachbegriffen zu Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitsrecht.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Akteneinsicht

Akteneinsicht bedeutet, dass Sie als Betroffener oder Ihr Anwalt das Recht haben, alle Dokumente und Beweismittel einzusehen, die in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren über Sie gesammelt wurden. Dieses Recht ist essenziell, um eine effektive Verteidigung aufzubauen und die gegen Sie erhobenen Vorwürfe zu prüfen. Der Gesetzgeber gewährleistet damit Transparenz und Waffengleichheit im Verfahren.

Beispiel: Die Verteidigung des Fahrers forderte Akteneinsicht, um die genauen Formulierungen der Zeugenaussage des Polizeibeamten zur Schrittgeschwindigkeit zu überprüfen.

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Beweiswürdigung

Bei der Beweiswürdigung bewertet das Gericht sämtliche vorgelegten Beweismittel – seien es Zeugenaussagen, Dokumente oder Sachverständigengutachten – und entscheidet, ob diese für die Feststellung eines Sachverhalts ausreichen. Es ist die zentrale Aufgabe des Richters, die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Beweiskraft der Indizien zu beurteilen, um zu einem fundierten Überzeugungsergebnis zu gelangen.

Beispiel: Bei der Beweiswürdigung legte das Gericht besonders viel Wert auf die Aussage des Polizisten zur Geschwindigkeit des Fahrers.

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Bußgeldverfahren

Ein Bußgeldverfahren ist ein behördliches oder gerichtliches Verfahren, das wegen geringfügiger Rechtsverstöße, Juristen nennen sie Ordnungswidrigkeiten, eingeleitet wird und in der Regel mit einem Bußgeld oder Verwarnungsgeld endet. Dieses Verfahren ist weniger formal als ein Strafverfahren und dient dazu, Verhaltensweisen zu ahnden, die zwar ordnungswidrig, aber nicht schwerwiegend genug für eine strafrechtliche Verfolgung sind.

Beispiel: Das anfänglich simple Bußgeldverfahren wegen des Gurtverstoßes nahm eine unerwartete Wendung, als der Polizist die Schrittgeschwindigkeit in den Raum stellte.

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Im Zweifel für den Angeklagten (in dubio pro reo)

Der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ – Juristen nennen das in dubio pro reo – besagt, dass ein Angeklagter nicht verurteilt werden darf, wenn das Gericht nach der Beweisaufnahme noch vernünftige Zweifel an seiner Schuld hat. Diese fundamentale Regel schützt vor Fehlurteilen und stellt sicher, dass niemand ohne zweifelsfreien Nachweis seiner Schuld bestraft wird. Der Rechtsstaat garantiert damit ein hohes Maß an Rechtssicherheit.

Beispiel: Nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ sprach das Gericht den Fahrer frei, da es nicht ausschließen konnte, dass er tatsächlich nur Schrittgeschwindigkeit fuhr.

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Schrittgeschwindigkeit

Schrittgeschwindigkeit bezeichnet im rechtlichen Kontext eine extrem niedrige Fahrgeschwindigkeit, die Gerichte typischerweise im Bereich von 5 bis 10 km/h ansiedeln und die der eines zügig gehenden Fußgängers entspricht. Diese juristische Einordnung ist entscheidend, da sie oft Ausnahmen von Verkehrspflichten, wie der Gurtpflicht, begründet, weil der Schutz bei solch geringem Tempo minimal ist und das ständige An- und Ablegen unpraktisch wäre. Stellen Sie sich einen Paketboten vor, der ständig anhalten und aussteigen muss; für ihn wäre das ständige An- und Abschnallen extrem ineffizient.

Beispiel: Der Fahrer argumentierte erfolgreich, dass er im Kreisverkehr nur Schrittgeschwindigkeit fuhr und somit von der Gurtpflicht ausgenommen war.

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Unbestimmter Rechtsbegriff

Ein unbestimmter Rechtsbegriff ist eine Formulierung in einem Gesetzestext, die nicht exakt definiert ist und von der Rechtsprechung – also den Gerichten – im Einzelfall konkretisiert werden muss, um angewendet werden zu können. Juristen verwenden solche Begriffe bewusst, um dem Gesetz eine gewisse Flexibilität zu geben und es an die vielfältigen Realitäten des Lebens anpassen zu können, ohne jede Eventualität vorab regeln zu müssen.

Beispiel: Die „Schrittgeschwindigkeit“ ist ein klassischer unbestimmter Rechtsbegriff, dessen genaue Auslegung Gerichte in zahlreichen Urteilen festlegen mussten.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


Um die Gurtpflicht und Ausnahmen sowie relevante Grundsätze im Strafverfahren zu verstehen, sind die folgenden Gesetze und Grundsätze zentral:

  1. § 21a Abs. 1 und 2 StVO: Diese Vorschriften regeln die Gurtpflicht und Ausnahmen, wie zum Beispiel bei Fahrten in Schrittgeschwindigkeit. Im vorliegenden Fall nutzte der Fahrer diese Ausnahme erfolgreich, um seine Handlung zu begründen.
  2. Grundsatz „In dubio pro reo“: Dieser Grundsatz besagt, dass ein Angeklagter nicht verurteilt werden darf, wenn das Gericht nicht völlig von seiner Schuld überzeugt ist und ernsthafte Zweifel bestehen. Im Fall des Fahrers führten Zweifel an der Geschwindigkeit zu seiner Freisprechung.
  3. Beweislast der Anklage: Im Straf- und Bußgeldverfahren muss die Anklage die Schuld des Beschuldigten zweifelsfrei beweisen. In diesem Fall konnte die Anklage ihre Behauptung nicht beweisen, weil der Zeuge selbst Zweifel an der Geschwindigkeit äußerte.
  4. Maßgeblichkeit der tatsächlichen Geschwindigkeit: Für die Gurtpflicht-Ausnahme bei Schrittgeschwindigkeit kommt es nur auf die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit an, nicht auf den Ort oder die dort üblichen Geschwindigkeiten. Im Fall des Fahrers wurde die Freisprechung ermöglicht, weil das Gericht auf die tatsächliche Geschwindigkeit abstellte.

Da keine spezifischen Links zu den Paragraphen der StVO auf offiziellen Quellen wie gesetze-im-internet.de erstellt werden können, wird der Text wie folgt überarbeitet:

Die Gurtpflicht und Ausnahmen (§ 21a Abs. 1 und 2 StVO) sehen vor, dass man während der Fahrt einen Sicherheitsgurt tragen muss, jedoch gibt es Ausnahmen, wie bei Fahrten in Schrittgeschwindigkeit. Der Fahrer wurde angeklagt, weil er ohne Gurt fuhr, verteidigte sich aber erfolgreich mit der Ausnahme für Fahrten in Schrittgeschwindigkeit.

Der Grundsatz „In dubio pro reo“ besagt, dass ein Angeklagter nicht verurteilt werden darf, wenn das Gericht nicht völlig von seiner Schuld überzeugt ist und ernsthafte Zweifel bestehen. Im Fall des Fahrers führten Zweifel an der Geschwindigkeit zu seiner Freisprechung.

Die Beweislast der Anklage liegt im Straf- und Bußgeldverfahren bei der Anklage, die die Schuld des Beschuldigten zweifelsfrei beweisen muss. In diesem Fall konnte die Anklage ihre Behauptung nicht beweisen, weil der Zeuge selbst Zweifel an der Geschwindigkeit äußerte.

Die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Geschwindigkeit für die Gurtpflicht-Ausnahme bei Schrittgeschwindigkeit kommt nur auf die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit an, nicht auf den Ort oder die dort üblichen Geschwindigkeiten. Im Fall des Fahrers wurde die Freisprechung ermöglicht, weil das Gericht auf die tatsächliche Geschwindigkeit abstellte.


Das vorliegende Urteil


AG Lüdinghausen – Az.: 19 OWi – 89 Js 968/16 – 92/16 – Urteil vom 30.05.2016


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

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