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Rückgängigmachung der Fahrerlaubniserteilung

VG Schleswig – Az.: 3 B 90/22 – Beschluss vom 17.10.2022

Eigener Leitsatz:

In der Verwaltungsrechtssache hat die 3. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts am 17. Oktober 2022 beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 05.10.2022 gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 27.09.2022 verfügte Rücknahme der neu erteilten Fahrerlaubnis vom 12.07.2022 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner. Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 05.10.2022 gegen den Bescheides Antragsgegners vom 27.09.2022 über die Rücknahme der am 12.07.2022 neu erteilten Fahrerlaubnis wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet.

Rückgängigmachung der Fahrerlaubniserteilung
(Symbolfoto: John-Fs-Pic/Shutterstock.com)

Die Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ergeht aufgrund einer Interessenabwägung. In diese Abwägung ist die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs dann maßgeblich einzubeziehen, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offen-sichtlich ist. An der Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides besteht kein öffentliches Interesse. Ist der Bescheid hingegen offensichtlich rechtmäßig, ist ein Aussetzungsantrag regelmäßig abzulehnen. Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der gegenüber zu stellen sind zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren aber erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall, dass es zunächst bei der vorläufigen Vollziehung des Verwaltungsaktes bleibt, sein Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren dann jedoch Erfolg hat.

Die Aufhebung der Fahrerlaubnis durch den streitigen Bescheid des Antragsgegners vom 27.9.2022 ist nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig anzusehen.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid des Antragsgegners vom 27.9.2022, mit dem die dem Antragsteller am 12.7.2022 neu erteilte Fahrerlaubnis der Klassen B, AM, L, A1 und T auf der Grundlage von § 116 Abs. 1 LVwG zurückgenommen wurde. Dieser Bescheid wird damit begründet, der Antragsteller habe sich mit Bescheid vom 08.06.2021 nach Erreichen von 8 Punkten im Fahreignungsregister als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Auf einen Neuerteilungsantrag hin sei unter Berücksichtigung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit einer positiven Prognose eine neue Fahrerlaubnis erteilt worden, wobei dies in Unkenntnis von Verkehrsverstößen des Antragstellers vom 14.1.2022, 12.3.2022 und vom 18.3.2022 (Verkehrsordnungswidrigkeiten sowie jeweils Verdacht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis) geschehen sei. Die positive Prognose zur Wiedererlangung der Fahreignung sei dadurch widerlegt; es könne da-her derzeit nicht von einer Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden.

Dem hält der Antragsteller entgegen, die Berücksichtigung der in Rede stehenden straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren sei hier nach § 3 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Dies versuche der Antragsgegner dadurch zu umgehen, dass er dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nicht entziehe, sondern den Weg über § 116 LVwG gehe, ohne dass dessen Voraus-setzungen vorliegen würden.

Mit diesem Vorbringen hat der Antragsteller Erfolg.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der dem Antragsteller am 12.7.2022 erteilten Fahrerlaubnis auf der Grundlage von § 116 LVwG liegen nicht vor, weil diese Vorschrift über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte hier nicht anwendbar ist. Auch in einem Fall, in dem die Fahrerlaubnisbehörde annimmt, dass schon bei Erteilung der Fahrerlaubnis die Eignung oder Befähigung des Fahrerlaubnisbewerbers fehlten, beurteilt sich die Frage der Rückgängigmachung der Fahrerlaubniserteilung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG. Allgemeine verwaltungsrechtlichen Grundsätzen sind in einem solchen Fall dagegen nicht anwendbar; § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG als bundesgesetzliche Spezialnorm verdrängt in diesen Fällen die § 48 VwVfG entsprechenden Normen des jeweiligen Landesrechts (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46 der Auflage, § 3 StVG, Rn 42 ff. mit Recht-sprechungsnachweisen). So ist dies auch hier, da die Fahrerlaubnisbehörde die Rücknahme der Fahrerlaubnis mit einer mangelnden Eignung des Antragstellers bzw. mit Zweifeln an dessen Fahreignung begründet hat.

Die fehlerhafte Rücknahmeentscheidung des Antragsgegners kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Umdeutung in eine Fahrerlaubnisentziehungsentscheidung nach § 3 StVG nach § 115 a LVwG Bestand haben, da die Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnis-entziehung nach § 3 StVG hier nicht vorliegen.

Als Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis kommt in Fällen der vorliegenden Art § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV in Betracht. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ergibt sich aus § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ins-besondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen.

Vorliegend fehlt es an dem Nachweis einer mangelnden Fahreignung des Antragstellers. Soweit der Antragsgegner problematisiert, dass Verkehrszuwiderhandlungen des Antrag-stellers vom 14. Januar 2022, 12. März 2022 und 18. März 2022 bzw. ein entsprechender Verdacht im Neuerteilungsverfahren nicht bekannt geworden seien und deshalb weder im Rahmen der Begutachtung noch bei der Neuerteilung am 12.7.2022 berücksichtigt worden seien, ist dies zwar in der Tat bedauerlich, dies führt jedoch derzeit nicht zum Nachweis einer mangelnden Fahreignung des Antragstellers.

Zwar hatten sich für den Antragssteller aufgrund zahlreicher Verkehrszuwiderhandlungen 8 Punkte im Fahreignungsregister ergeben, sodass ihm – inzwischen bestandskräftig – mit Bescheid vom 08.06.2021 die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Nachdem der Antragsgegner dem Antragsteller am 12.07.2022 jedoch eine neue Fahrerlaubnis erteilt hat, ist eine Zäsur eingetreten. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG dürfen Punkte im Fahreignungsregister für vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis rechtskräftig gewordene Entscheidungen über Zuwider-handlungen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG nicht mehr berücksichtigt werden; diese Punkte werden gelöscht. Die zuvor aus der Eintragung von 8 Punkten im Fahreignungsregister folgende Schlussfolgerung, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen charakterlich ungeeignet war, ist nicht mehr aktuell. Dem Antragsteller obliegt nun nicht mehr der Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung, vielmehr ist es nun Sache der Fahrerlaubnisbehörde, eine fehlende Fahreignung des Antragstellers nachzuweisen.

Eine fehlende Fahreignung des Antragstellers ist vom Antraggegner aktuell nicht nachgewiesen worden, vielmehr sind nur Gründe für Zweifel an der Fahreignung dargelegt worden.

Was den Verdacht von Straftaten nach § 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) am 14.01.2022, am 12.03.2022 und am 18.03.2022 angeht, ist die Fahrerlaubnisbehörde der-zeit gemäß § 3 Abs. 3 StVG gehindert, diesen Sachverhalt in einem Entziehungsverfahren zu berücksichtigen. Diese Vorschrift regelt folgendes: Solange gegen den Inhaber der Fahr-erlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, darf die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegen-stand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, denn seit dem 13.07.2022 sind gegen den Antragsteller drei Strafverfahren wegen des Vorwurfs eingeleitet worden, ein Kraftfahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis im Straßenverkehr geführt zu haben (§ 21 StVG). Diese Strafverfahren (311 Js 17241/22) können nach § 69 StGB zur Entziehung der Fahr-erlaubnis führen. Wegen des hier geltenden gesetzlichen Vorrangs der Klärung der Frage der Fahreignung im Strafverfahren besteht insoweit derzeit ein Verfahrenshindernis für die Fahrerlaubnisbehörde.

Der Einwand des Antragsgegners, § 3 Abs. 3 StVG sei nicht anwendbar, weil der Antragsteller bei Einleitung des Strafverfahrens nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis gewesen sei, die ihm entzogen werden könne, trifft schon deshalb nicht zu, weil zum Zeitpunkt der Ein-leitung der Strafverfahren ab dem 13.7.2022 dem Antragsteller mit Bescheid vom 12.7.2022 bereits wirksam eine neue Fahrerlaubnis erteilt worden war, bezüglich derer erst mit Bescheid vom 27.9.2022 – also nach Einleitung der Strafverfahren – von der Fahrerlaubnisbehörde eine Rücknahme angeordnet worden ist.

Die Fahrerlaubnisbehörde dürfte zur Frage der Fahreignung allerdings berechtigt sein, die Verkehrszuwiderhandlung am 18.03.2022 insoweit zu berücksichtigen, als dem Antragsteller vorgeworfen wurde, als Führer eines Kraftfahrzeuges ein elektronisches Gerät bedient zu haben. Für dieses Ordnungswidrigkeitenverfahren dürfte nicht anzunehmen sein, dass der insoweit maßgebende Sachverhalt nach § 82 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz gemeinsam mit dem Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Strafverfahren verfolgt wird, mit der Folge, dass § 3 Abs. 3 StVG auch insoweit einer Berücksichtigung durch die Fahrerlaubnisbehörde entgegenstehen würde. Hierzu ist nämlich bereits der Bußgeldbescheid vom 16.06.2022 ergangen, der bereits am 5.7.2022 und damit vor Einleitung des Strafverfahrens rechtskräftig geworden ist und zur Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister geführt hat. Die Eintragung (nur) eines Punktes im Fahreignungsregister reicht jedoch nach den Regeln der Fahreignungsbewertung im Rahmen von § 4 StVG nicht einmal für den Erlass einer Ermahnung aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2

GKG i. V. m. Ziff. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05./01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen. Der danach für ein Hauptsacheverfahren bzgl. der Fahrerlaubnisklassen B,AM, L, A1 und T anzusetzende Wert von 10.000,- € ist für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 13.05.2020 – 5 MB 9/20 –, juris).

 

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