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Fahrtenbuchauflage – unzureichende Ermittlungen

VG München – Az.: M 23 K 18.5205 – Urteil vom 10.12.2018

I. Der Bescheid des Landratsamtes Berchtesgadener Land vom 19. September 2018 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Erteilung einer sechsmonatigen Fahrtenbuchauflage durch das Landratsamt Berchtesgadener Land (im Folgenden: Landratsamt).

Am 18. Juni 2018 um 13.58 Uhr befuhr eine unbekannte Person mit einem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug, amtliches Kennzeichen …, die Bundesautobahn A8, Abschnitt 1160, Kilometer 1,5, Gemeinde …, in Richtung … und überschritt hierbei außerhalb der geschlossenen Ortschaft die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h nach Abzug des Toleranzwertes um 22 km/h. Diese Person war ausweislich des gefertigten Radarfotos männlich, bärtig und trug eine Brille mit dunklem Rahmen.

Der Kläger gab auf das Anhörungsschreiben des Bayerischen Polizeiverwaltungsamts im Ordnungswidrigkeitenverfahren vom 28. Juni 2018 am 10. Juli 2018 an, dass er nicht die abgebildete Person sei, da er noch nie einen Bart getragen habe und eine randlose Brille besitze. Zur Tatzeit habe er sich in einer Besprechung befunden. Im Übrigen verweigerte der Kläger unter Hinweis auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 55 Abs. 1, 52 Abs. 1 StPO weitere Angaben.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2018 wandte sich das Bayerische Polizeiverwaltungsamt unter Übersendung des Beweisbildes an die Polizeiinspektion … mit der Bitte, den abgebildeten Fahrzeugführer zu ermitteln, zum Verfahren anzuhören und falls nötig ein Vergleichsbild zu fertigen.

Mit Schreiben vom 27. Juli 2018 leitete die Polizeiinspektion … den Vorgang an das Bayerische Polizeiverwaltungsamt zurück mit dem Vermerk, dass man die gesuchte Person nicht habe ermitteln können. Am 20. Juli 2018 sei man zur Wohnadresse des Klägers gefahren, habe dort aber nur die Ehefrau des Klägers angetroffen, die unter Hinweis auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht keine Angaben zu der auf dem Beweisbild gezeigten Person gemacht habe. Befragungen der Nachbarn hätten nur ergeben, dass sich das Tatfahrzeug gelegentlich am Wohnort des Klägers befände. Der Kläger könne aufgrund eines Abgleichs des Beweisfotos mit einem Bild bei der wohnortzuständigen Gemeinde als Fahrer definitiv ausgeschlossen werden.

Hierauf wurde das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Kläger mit Verfügung vom 13. August 2018 eingestellt. Ferner beantragte das Bayerische Polizeiverwaltungsamt beim Landratsamt am 16. August 2018 die Prüfung der Auferlegung einer Fahrtenbuchauflage.

Mittels Schreiben vom 20. August 2018 hörte das Landratsamt den Kläger zu der geplanten Anordnung einer Fahrtenbuchauflage an.

Am 19. September 2018 erließ das Landratsamt den streitgegenständlichen Bescheid, in dem es unter anderem anordnete, dass der Kläger für den Zeitraum vom 01. November 2018 bis zum 30. April 2018 für das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … ein Fahrtenbuch zu führen (1.), dieses dem Landratsamt oder der von diesem bestimmten Stelle oder sonst zuständigen Personen auf Verlangen jederzeit am vom Landratsamt festgelegten Ort zur Prüfung auszuhändigen und bis zum 31. Oktober 2019 aufzubewahren (3.) sowie bis spätestens 31. Mai 2019 beim Landratsamt zur Prüfung vorzulegen habe (4.). In das Fahrtenbuch sei für jede einzelne Fahrt vor Fahrtbeginn Name, Vorname, Anschrift des Fahrzeugführers oder der Fahrzeugführerin, amtliches Kennzeichen des Fahrzeugs, Datum und Uhrzeit des Beginns der Fahrt und nach Beendigung der Fahrt unverzüglich Datum und Uhrzeit mit Unterschrift einzutragen (5.). Hinsichtlich der Ziffern 1., 3. und 4. wurde Sofortvollzug angeordnet (6.) und für den Fall der Nichtbefolgung der Ziffer 4 ein Zwangsgeld in Höhe von 255,00 Euro angedroht (7.). Ferner wurden gegen den Kläger Kosten von insgesamt 175,20 Euro (165,00 Euro Gebühren und 10,20 Euro Auslagen) festgesetzt (9. und 10.).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass alle zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung des auf dem Beweisbild abgebildeten Fahrzeugführers ergriffen worden seien und weitergehende Ermittlungen angesichts der Weite des von § 52 Abs. 1 StPO erfassten Personenkreises und aufgrund der datenschutzrechtlichen Hindernisse bei der Einholung von Auskünften über Familienangehörige nicht angezeigt gewesen wären. Auch die Ausübung der Rechte nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 55 Abs. 1, 52 Abs. 1 StPO stünde einer Anordnung nach § 31a StVZO nicht entgegen. Im Übrigen sei die Anordnung der sechsmonatigen Fahrtenbuchauflage angesichts der Schwere des begangenen Verkehrsverstoßes (Ahndung mit einer Geldbuße von 70,00 Euro sowie einem Punkt im Verkehrszentralregister) und der damit verbundenen Gefahr künftiger gleichartiger Verstöße verhältnismäßig. Ein einmaliger Verstoß sei ausreichend. Ob den Fahrzeughalter für die Unmöglichkeit der Fahrzeugführerermittlung ein Verschulden treffe oder ob künftige Verstöße durch diesen selbst zu erwarten seien, sei irrelevant.

Mittels Schriftsatzes vom 16. Oktober 2018, eingegangen am 17. Oktober 2018, erhob der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München.

Zur Begründung weist er darauf hin, dass die Rechtsgrundlage des § 31a StVZO tatbestandlich nicht erfüllt sei. Die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers beruhe nur darauf, dass die Polizei die zumutbare Verfolgung und Kontrolle des Fahrzeugführers im Anschluss an die Tatbegehung unterlassen habe. Ferner sei § 31a StVZO dort teleologisch zu reduzieren, wo der Fahrzeughalter aus rechtlichen Gründen nicht zur Aufklärung beitragen müsse. Sofern dem Fahrzeughalter ein Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht zustehe, dürfe auch über § 31a StVZO nicht mittelbar Druck auf den Halter ausgeübt werden, einen nahen Angehörigen „hinzuhängen“. Im Übrigen sei die Fahrtenbuchauflage unverhältnismäßig. Sie sei zur Erreichung des Ziels der Vermeidung künftiger, unaufklärbarer Verkehrsverstöße weder geeignet noch erforderlich. Auch sei sie unangemessen, da die in Rede stehende Verkehrsordnungswidrigkeit gegenüber dem Betroffenen mit 70,00 Euro Geldbuße und einem Punkt im Verkehrszentralregister geahndet worden wäre, der Fahrzeughalter als Unschuldiger nun hingegen ein halbes Jahr ein Fahrtenbuch führen und eine Gebühr von 165,00 Euro entrichten müsse.

Der Kläger beantragte, den Bescheid des Landratsamts vom 19. September 2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragte durch Schriftsatz vom 6. November 2018, die Klage abzuweisen und verwies zur Begründung auf die Begründung des Bescheides.

Durch Beschluss vom 19. November 2018 wurde die Streitsache gemäß § 6 Abs. 1 VwGO auf den Einzelrichter übertragen.

Am 6. Februar 2018 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakten und beigezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 06. Dezember 2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet, da der Bescheid des Landratsamts vom 19. September 2018 rechtswidrig ist und den Kläger demzufolge in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die Zulassungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die am 18. Juni 2018 durch eine unbekannte Person mit dem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h stellt zwar wegen der Missachtung des entsprechenden Zeichens Nr. 274 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO nach §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG zweifelsohne eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Feststellung der Person, die das Fahrzeug zur Zeit der Begehung dieser Ordnungswidrigkeit führte, war aber nicht unmöglich.

Entgegen der Auffassung des Klägers steht der Annahme einer Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrzeugführers zwar nicht der Umstand entgegen, dass die Erfolglosigkeit des eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahrens auch darauf beruht, dass der Kläger als Fahrzeughalter von seinem Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 55 Abs. 1, 52 Abs. 1 StPO Gebrauch machte und den ihm bekannten Täter und nahen Angehörigen rechtlich zulässigerweise verschwieg. Auch wenn dadurch zumindest mittelbar ein gewisser Druck auf den Fahrzeughalter in Richtung eines Verzichts auf diese Rechte ausgeübt werden mag, ist es nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung zulässig, dem Fahrzeughalter auch in diesen Fällen eine Fahrtenbuchauflage zu erteilen (st. Rspr., vgl. BayVGH, Beschl. v. 28.01.2015, Az. 11 ZB 14.1129, juris, Rn. 24; Beschl. v. 01.02.2012, Az. 11 CS 11.2640, juris, Rn. 9; Beschl. v. 23.02.2009, Az. 11 CS 08.2948, juris, Rn. 13; BVerwG Beschl. v. 22.06.1995, Az. 11 B 7/95, Rn. 3; BVerfG, Beschl. v. 07.12.1981, Az. 2 BvR 1172/81, juris, Rn. 7). Die Verschonung des Fahrzeughalters als eine Art Fortsetzung seines Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechts ist abzulehnen, da dies dem präventiven Zweck des § 31a StVZO in Form des Schutzes der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs widerspräche, zumal der Kläger diesen Schutz auch für sich gegenüber anderen in Anspruch nimmt (BayVGH, Beschl. v. 28.01.2015, Az. 11 ZB 14.1129, juris, Rn. 24). Die Fahrtenbuchauflage ist in diesem Zusammenhang als Ergänzung der allgemeinen Kennzeichnungspflicht zu begreifen, mit der sichergestellt werden soll, dass bei künftigen Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften der verantwortliche Fahrzeugführer problemlos ermittelbar ist und so die mit weiteren Zuwiderhandlungen verbundene Gefahr durch die Ergreifung adäquater Maßnahmen abgewehrt werden kann (VG München, Urt. v. 11.04.2018, Az. M 23 K 18.447, S. 5, unveröffentlicht). Sie ist daher keine unzulässige Sanktion für die nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 55 Abs. 1, 52 Abs. 1 StPO rechtmäßige Verweigerung der Mitwirkung bei der Tätersuche, sondern ein zulässiger, geringfügiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Fahrzeugführers, der durch den legitimen Zweck der vorbeugenden Gefahrenabwehr im Interesse der Bewegungsfreiheit und körperlichen Unversehrtheit aller Bürger gerechtfertigt ist (BVerfG a. a. O.).

Die Feststellung des Fahrzeugführers wäre aber durchaus möglich gewesen, da die Polizeibehörden es unterlassen haben, alle notwendigen Bemühungen zur Ermittlung des Täters der Ordnungswidrigkeit zu entfalten. Die Feststellung des Fahrzeugführers ist erst dann als unmöglich einzustufen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der als sachgerecht und rationell einzustufenden und damit zumutbaren Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes, der zur Verfügung stehenden Mittel und den Erfolgsaussichten ihres Einsatzes sowie der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab (BayVGH, Beschl. v. 23.02.2009, Az. 11 CS 08.2948, juris, Rn. 11 m. w. N.). In zeitlicher Hinsicht muss die ermittelnde Polizeibehörde den Fahrzeughalter zudem unverzüglich nach Tatbegehung über die begangene Zuwiderhandlung informieren und ihm eine Anhörungsfrist setzen, die vorbehaltlich besonderer Umstände zwei Wochen nicht überschreiten darf (BVerwG, Beschl. v. 14.05.1997, Az. 3 B 28/97, juris, Rn. 3 m.w. N.). Andererseits werden der Zumutbarkeit von Ermittlungsmaßnahmen auch durch die Verjährungsfristen Grenzen gesetzt, da die Aufklärung einer Verkehrsordnungswidrigkeit nur einen Sinn hat, wenn sie so rechtzeitig erfolgen kann, dass der Täter vor Ablauf der Verjährungsfrist bekannt ist und die Tat mit Erfolg geahndet werden kann (BVerwG, Urt. v. 17.12.1982, Az. 7 C 3/80, BayVBl 1983, 310).

Hiervon ausgehend ist es entgegen der Auffassung der Klageseite fernliegend, dass die Polizei unmittelbar im Anschluss an die Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit den entsprechenden Fahrzeugführer hätte stellen und einer Identitätsfeststellung unterziehen müssen. Anders als vom Kläger vorgetragen ist ein derartiges Vorgehen zweifelsohne kein rationeller und damit zumutbarer Einsatz der nur begrenzt verfügbaren personellen Ressourcen der Polizeibehörden. Dies würde bedeuten, dass die Polizeibehörden in jedem Einzelfall einer Geschwindigkeitsüberschreitung den Fahrzeugführer kontrollieren müssten. Exemplarisch auf die am 18. Juni 2018 für 3 Stunden und 35 Minuten durchgeführte Geschwindigkeitsmessung bezogen würde dies angesichts der Feststellung von 26 Geschwindigkeitsüberschreitungen etwa bedeuten, dass die eingesetzten Polizeibeamten im Durchschnitt alle 8,3 Minuten einen Fahrzeugführer zu verfolgen, zum Anhalten auffordern und einer Identitätsfeststellung zu unterziehen gehabt hätten, um sodann wieder an den Ort der Geschwindigkeitsmessung für weitere Kontrollen zurückzukehren. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wäre eine lückenlose Kontrolle also nicht einmal mit einem eingesetzten Polizeifahrzeug zu bewerkstelligen gewesen. Umgekehrt wäre aber das notwendige Personal bereits bei Einsatz eines Fahrzeugs von einem auf drei Polizeibeamte angestiegen, da ein Polizeibeamter die Geschwindigkeitsmessung durchführte und eine Fahrzeugkontrolle schon aus Gründen der Eigensicherung regelmäßig durch mindestens zwei Polizeibeamte zu erfolgen hat. Auch eine regelmäßige Einrichtung eines späteren Kontrollpunktes und das Herauswinken aller ordnungswidrig fahrenden Fahrzeuge geht an der Realität vorbei.

Nach der erfolgten Anhörung des Klägers bzw. Fahrzeughalters haben die Polizeibehörden bis zum Ablauf der Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG jedoch dennoch nicht alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung des gesuchten Fahrzeugführers getroffen. Die Polizeibehörden fuhren zunächst am 20. Juli 2018 zur Wohnadresse des Klägers und befragten dort dessen Ehefrau, die als Täterin angesichts der erkennbar männlichen Gestalt auf dem Beweisbild von vornherein ausschied und die sich wie der Kläger selbst auf ein Aussage- und Zeugnisverweigerungsrecht berief. Die Polizei beschränkte sich auf Nachfragen in der Nachbarschaft und auf einen Abgleich des Beweisbildes mit einem Foto des Klägers bei der wohnortzuständigen Gemeinde. Diesbezüglich trifft es zwar zu, dass es den Behörden regelmäßig nicht zuzumuten ist, bei Verweigerung des Fahrzeughalters zur Mitwirkung an der Aufklärung wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen durchzuführen (vgl. exemplarisch VG München, Urt. v. 11.04.2018, Az. M 23 K 18.447, S. 7). Vielmehr können sich in dieser Situation die notwendigen Nachforschungen im Regelfall auf den Fahrzeughalter selbst und die in seinem Haushalt wohnenden Personen beschränken.

Hiervon ist im vorliegenden und schlechterdings zu verallgemeinernden Einzelfall jedoch eine Ausnahme zu machen, weil sich der Kreis der Tatverdächtigen im konkreten Fall aufgrund eindeutiger Hinweise auf wenige Personen beschränkte und bezüglich dieser erfolgsversprechende sowie den Umständen nach zumutbare Ermittlungsansätze durchaus existierten. Hier konnte schon aufgrund des durch den Kläger übersendeten Fotos sowie spätestens mithilfe des Vergleichsbildes bei der wohnortzuständigen Gemeinde eine Täterschaft des Fahrzeughalters selbst ausgeschlossen werden. Auch die Ehefrau des Klägers schied von vornherein als Täterin aus. Berücksichtigt man weiter, dass sich der Kläger auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 55 Abs. 1, 52 Abs. 1 StPO berufen hat, kommen nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO als Täter nur noch mit dem Kläger in gerader Linie verwandte oder verschwägerte oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandte oder bis zum zweiten Grad verschwägerte, männliche Personen in Betracht. Berücksichtigt man schließlich, dass sich auch die Ehefrau des Klägers auf ein Aussage- und Zeugnisverweigerungsrecht berief und der Täter damit höchstwahrscheinlich auch mit dieser in der beschriebenen Weise verwandt oder verschwägert sein muss, umfasst der tatverdächtige Personenkreis nur noch Brüder der Eheleute sowie mit dem Kläger oder dessen Ehefrau in gerader Linie verwandte männliche Personen. Da die auf dem im gerichtlichen Verfahren eingesehen Beweisbild abgebildete Person offenkundig große Ähnlichkeiten mit dem Kläger aufweist und erkennbar deutlich jünger als der 65-jährige Kläger ist, hätte die Vermutung auf der Hand liegen müssen, dass es sich um einen Sohn des Klägers handelt. Jedenfalls war der tatsächlich tatverdächtige Personenkreis entgegen der Auffassung der Beklagten aufgrund der dargelegten Überlegungen deutlich enger als der des § 52 Abs. 1 StPO. Insofern wäre es zumutbar und sogar naheliegend gewesen, zumindest in Bezug auf etwaige Söhne des Klägers weitere Ermittlungsschritte zu versuchen. Ohne größeren Personal- und Sachaufwand wäre es etwa, in dem ohnehin durch die Polizeiinspektion … eingesehenen Melderegister des Marktes T… nachzuforschen, ob unter der Adresse des Klägers, der dort bereits seit … wohnt, früher weitere männliche Personen jüngeren Alters gemeldet waren und deren Weg- bzw. Umzugsdaten zu eruieren. Auch datenschutzrechtliche Hindernisse standen einem solchen oder vergleichbaren Vorgehen nicht entgegen. Insbesondere ist die Einholung von Auskünften bei anderen Behörden durch die Verfolgungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren vorbehaltlich speziellerer Regelungen von §§ 46 Abs. 2 OWiG, 161 Abs. 1 Satz 1 StPO gedeckt. Insofern hätte die Polizei – ergebnisoffen – zumindest weitere Ermittlungsbemühungen in Bezug auf den genannten Personenkreis entfalten müssen, zumal die Verjährungsfrist für die Ordnungswidrigkeit (gemäß § 26 Abs. 3 StVG drei Monate) am 20. Juli 2018 und damit zum Zeitpunkt, als alle für obige Erwägungen relevanten Umstände den Behörden bekannt wurden, noch (lange) nicht abgelaufen war. Insofern hätte es sich der Polizei aufdrängen müssen, die Ermittlungstätigkeit in dem beschriebenen zumutbaren Aufwand und Umfang fortzusetzen und das Ordnungswidrigkeitenverfahren hätte demzufolge nicht bereits über einen Monat vor Ablauf der Verjährungsfrist eingestellt werden dürfen.

Ziffer 1 des Bescheides ist daher rechtswidrig und aufzuheben. Gleiches gilt in der Folge für die Anordnungen in Ziffern 2 bis 5 und 7 bis 10 des Bescheides. Der Klage war demzufolge stattzugeben.

Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1, 2 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 2 400,00 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 46.11 Streitwertkatalog).

 

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