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Verbotswidriges Befahren einer Fußgängerzone

AG Stuttgart – Az.: 18 OWi 65 Js 122813/20 – Urteil vom 18.01.2021

Der Betroffene wird wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Benutzens des Fußgängerbereichs als Radfahrer, obwohl dieser für Radfahrer gesperrt ist zu der Geldbuße von 35,00 € verurteilt.

Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.

Angewandte Vorschriften:

§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, § 49 StVO, § 24 StVG, 141.4 BKat

Gründe

I. persönliche Verhältnisse

Der Betroffene ist im Jahr […] in […] geboren und lebt weiterhin in […].

Die Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 10.12.2020 enthält für ihn 4 Eintragungen, die noch nicht tilgungsreif sind:

1) Im Jahr 2012 wurde ihm die Fahrerlaubnis sofort vollziehbar entzogen.

2) Die unter Ziff. 1) genannte Entziehung der Fahrerlaubnis ist seit 2014 unanfechtbar.

3) Im Jahr 2018 wurde gegen ihn eine Geldbuße i.H.v. 100 € verhängt, da er als Radfahrer das Rotlicht der Lichtzeichenanlage missachtete, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde andauerte.

4) Im Jahr 2019 wurde gegen ihn eine Geldbuße i.H.v. 80 € verhängt, da er als Radfahrer das Dauerlichtzeichen „rote gekreuzte Schrägbalken“ missachtete.

Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine der beiden letzten Eintragungen wegen fehlerhafter Zustellung nicht rechtskräftig und damit nicht berücksichtigungsfähig ist.

II. festgestellter Sachverhalt

Der Betroffene befuhr am 18.08.2020 um 10:15 Uhr die […] Straße in […] mit seinem Fahrrad, obwohl die […] Straße ein Fußgängerbereich ist, der für Radfahrer durch Zeichen 242.1 und 242.2 gesperrt ist.

Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen und dem Betroffenen zumutbaren Sorgfalt hätte er erkennen können und müssen, dass die […] Straße ein Fußgängerbereich und für Radfahrer durch Zeichen 242.1 und 242.2 gesperrt ist.

Der Betroffene befuhr zuvor mit seinem Fahrrad den […] und den […] auf Radwegen, die durch die Zeichen 237 bzw. 240 gekennzeichnet sind. Sodann fuhr er von der nord-östlichen Ecke auf den […] Platz ein und überquerte diesen zur süd-westlichen Ecke. Von dort bog er nach links in die […] Straße ein. Er fuhr ein kurzes Stück auf der […] Straße und bog schließlich vor dem […] nach rechts von der […] Straße ab. Dort wurde er von den Polizeibeamten […] und […] einer Kontrolle unterzogen.

Spätestens am […] Platz endet der für den Radverkehr zugelassene Weg. Auf der Strecke, die der Betroffene befuhr, fuhr er an keinem Zeichen 242.1 vorbei. Er wusste jedoch, dass die […] Straße ein Fußgängerbereich ist, der durch Zeichen 242.1 und 242.2 für Radfahrer gesperrt ist.

III. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Person beruhen auf den glaubhaften Angaben des Betroffenen sowie auf dem verlesenen Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 10.12.2020.

Der Betroffene führte insbesondere zum Fahreignungsregister aus, dass ihm eine der beiden letzten Entscheidungen aus dem Fahreignungsregister nicht ordnungsgemäß zugestellt worden wäre und damit noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Diesbezüglich habe er sich bereits an die Staatsanwaltschaft gewendet. Welche der beiden Verstöße dies betrifft, konnte oder wollte er nicht sagen. Das Gericht geht trotzdem zu seinen Gunsten davon aus, dass nur eine der beiden letzten Voreintragungen wirksam besteht.

Verbotswidriges Befahren einer Fußgängerzone
(Symbolfoto: dreamansions/Shutterstock.com)

Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen auf den weitgehend glaubhaften Angaben des Betroffenen, auf der Vernehmung des Zeugen […] sowie auf den vom Betroffenen übergebenen Lichtbildern (Anlage 1 zum Protokoll), die in Augenschein genommen und erörtert wurden und auf die gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG verwiesen wird.

Der Betroffene gab zu, dass er mit seinem Fahrrad auf der […] Straße fuhr. Er gab auch glaubhaft an, dass er zuvor den oben beschriebenen Weg fuhr und dabei kein Zeichen 242.1 passierte. Auch gab er glaubhaft an zu wissen, dass die gesamte […] Straße eine sog. Fußgängerzone ist. Er ist jedoch der Ansicht, dass er den beschriebenen Weg – auch auf der […] Straße – mit dem Fahrrad fahren dürfe, da er an keinem Zeichen 242.1 vorbeigekommen war, sodass die sog. Fußgängerzone für ihn nicht gelten könne.

Die (fehlende) Beschilderung auf dem Fahrweg des Betroffenen ergibt sich zudem aus den glaubhaften Angaben des Betroffenen sowie aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern.

Dass der Betroffene mit seinem Fahrrad die […] Straße befuhr, wird zudem bestätigt durch die Aussage des Zeugen […], die glaubhaft, sachlich und ohne Belastungstendenzen war. Der Zeuge gab zudem an, dass es sich bei der […] Straße um eine sog. Fußgängerzone handelt und dass die Zeichen 242.1 und 242.2 gut sichtbar am Anfang und Ende der […] Straße sowie mehrfach auf der […] Straße aufgestellt sind.

IV. rechtliche Würdigung

Der Betroffene benutzte daher fahrlässig als Radfahrer den Fußgängerbereich, obwohl dieser für ihn durch Zeichen 242.1, 242.2 gesperrt war, § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, § 49 StVO, § 24 StVG.

Hierbei spielt es keine Rolle, dass der Betroffene selbst an keinem Zeichen 242.1 vorbeifuhr. Objektiv ist die […] Straße auf ihrer gesamten Länge durch die Zeichen 242.1 und 242.2 für den Radverkehr gesperrt, unabhängig davon, an welcher Stelle man auf die […] Straße einfährt. In subjektiver Hinsicht war dem Betroffenen bewusst, dass es sich bei der gesamten […] Straße um eine sog. Fußgängerzone handelt. Er kann sich daher nicht darauf berufen, dass an seiner Fahrstrecke kein entsprechendes Zeichen angebracht war. Da der Betroffene jedoch davon ausging, dass das Verbot aufgrund seines Fahrwegs für ihn nicht gelte, ist das Gericht zu seinen Gunsten von einer fahrlässigen Begehungsweise ausgegangen.

V. Bemessung der Geldbuße

Bei der Bemessung der Geldbuße ist das Gericht zunächst von Nr. 141.1 BKat (n.F.) in der ab 28.04.2020 geltenden Fassung ausgegangen, der eine Regelgeldbuße von 25 € vorsieht.

1. Anwendbarkeit des Bußgeldkatalogs n.F.

Die neue Fassung des Bußgeldkatalogs ist anwendbar, da die Neufassung nur bezüglich der neu verhängten Fahrverbote (teil-)nichtig ist. Insoweit liegt ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG vor, weil die Vierundfünfzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 (BGBl. 2020, Teil I, S. 814; im Folgenden: StVRÄndVO) in ihrer Eingangsformel die diesbezügliche Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG nicht zitiert. Die für den vorliegenden Fall relevante Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StVG bezüglich der Erhöhung der Regelgeldbuße ist jedoch genannt.

Ist ein Teil einer Verordnung nichtig, so bleiben die anderen Teile hiervon unberührt, wenn diese auch unabhängig von den nichtigen Teilen bestehen können und Sinn ergeben (a)). Dies ist bei der StVRÄndVO der Fall (b)).

a) allgemein: bloße Teilnichtigkeit bei Teilbarkeit

Zum Teil wird unter Verweis auf das Urteil des BVerfG vom 06.07.1999 – 2 BvF 3-90 angenommen, dass die Nichtigkeit eines Teils einer Verordnung stets die Nichtigkeit der gesamten Verordnung nach sich zieht (konkret im Bezug auf die StVRÄndVO: Fromm DAR 2020, 527 (528)). Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden, zumal das BVerfG in der genannten Entscheidung einen solchen allgemeinen Rechtssatz nicht aufstellt (vgl. Will NZV 2020, 601 (606 ff.) m.w.N.).

Eine Gesamtnichtigkeit wird zum Teil auch damit begründet, dass die Bürger einschätzen können müssen, an welche Regelungen sie sich halten müssen und an welche nicht. Bezogen auf die hier problematische StVRÄndVO verfängt dieses Argument schon deshalb nicht, weil es im Bußgeldkatalog nicht darum geht, was die Bürger dürfen und was nicht, sondern lediglich um die Rechtsfolge. Da die Regelgeldbuße nur geringfügig von 15 € auf 25 € erhöht wurde, schließt das Gericht aus, dass die Erhöhung eine solch abschreckende Funktion entfaltet, dass der Betroffene sein Verhalten hierdurch ändert, zumal in beiden Fällen kein Punkt in das Fahreignungsregister eingetragen wird.

Vielmehr ist lediglich der Teil einer Rechtsverordnung nichtig, der von dem Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG betroffen ist (z.B. OVG Magdeburg, Urteil vom 14.04.2005 – 4/2 K 597/04, Rn. 31 ff. – juris; ausführlich Wienbracke NJW 2020, 3351 m.w.N. und Will NZV 2020, 601 (606 f.) m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Rechtsverordnung in dem Sinne teilbar ist, dass der nicht vom Verstoß gegen das Zitiergebot betroffene Teil auch ohne den nichtigen Teil der Rechtsverordnung bestehen kann. Dies ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz (vgl. Wienbracke NJW 2020, 3351, Rn. 22 m.w.N.), der auch bei der Regelung des Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG anerkannt ist (BVerfG, Urteil vom 16.02.2000 – 1 BvR 420/97, Rn. 55 – juris). Gleiches muss für Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG gelten, der dem Satz 1 systematisch und inhaltlich nachgelagert ist (Wienbracke NJW 2020, 3351, Rn. 10 ff. m.w.N.). Sinn und Zweck des Zitiergebots (v.a. Selbstkontrolle der Regierung und Kontrolle durch den Normadressaten; hierzu: BVerfG vom 06.07.1999 – 2 BvF 3-90) sind für die nicht vom Verstoß betroffenen Teile gewahrt, sodass diese nicht von der Nichtigkeit umfasst werden (Will NZV 2020, 601 (608)). Zudem kann es keinen Unterschied machen, ob die verschiedenen Regelungen in verschiedenen Verordnungen geändert werden (dann wäre unstreitig nur die betroffene Regelung nichtig) oder ob sie durch die gleiche Verordnung geändert werden (Wienbracke NJW 2020, 3351, Rn. 23, 29 m.w.N.).

b) konkret: Teilbarkeit und Teilnichtigkeit des Bußgeldkatalogs n.F.

Bezogen auf die StVRÄndVO sind die dort enthaltenen Regelungen zum Fahrverbot einerseits und zu den erhöhten Geldbußen andererseits teilbar.

Die Gegenansicht (Fromm DAR 2020, 527 (528)) verweist zwar zu Recht darauf, dass eine „Wechselwirkung zwischen dem Fahrverbot mit der Höhe der Geldbuße“ besteht; dies gilt aber nur, soweit für denselben Tatbestand sowohl ein Fahrverbot als auch eine Geldbuße vorgesehen ist. Nur dann kann eine solche Wechselwirkung bestehen. Auch die von Fromm (DAR 2020, 527 (528, Fn. 7)) zitierte Rechtsprechung bezieht sich nur auf Fälle, in denen es gleichzeitig um ein Fahrverbot und eine Geldbuße geht. So muss zum Beispiel die Geldbuße spürbar erhöht werden, wenn aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen wird. Es ist jedoch nicht ersichtlich, in welcher Wechselwirkung die Erhöhung einer Regelgeldbuße (hier Nr. 141.4 BKat) mit der Einführung neuer Regelfahrverbote in anderen Nummern des Bußgeldkatalogs stehen soll.

Es kann zudem ausgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber von einer Erhöhung der Geldbußen abgesehen hätte, wenn er nicht auch neue Regelfahrverbote eingeführt hätte bzw. wenn er gewusst hätte, dass deren Einführung aufgrund eines Formfehlers unwirksam ist. Das erklärte Ziel der Neufassung, insbesondere Radfahrer und Fußgänger besser zu schützen, kann auch ohne neue Regelfahrverbote durch eine Erhöhung der Regelgeldbußen erreicht werden (ähnlich Will NZV 2020, 601 (609)).

Die generelle Teilbarkeit ergibt sich auch daraus, dass nur bei zwei Nummern des Bußgeldkatalogs (Nr. 39.1 und Nr. 41) sowohl die Regelgeldbuße erhöht als auch ein Fahrverbot eingeführt wurde. Bei allen anderen Nummern wurde lediglich eins von beiden angepasst. Dies zeigt, dass beide Regelungen unabhängig voneinander existieren können. Im konkreten Fall der Nr. 141.4 BKat ist kein Regelfahrverbot vorgesehen, mit dem eine Wechselwirkung oder ein enger Zusammenhang bestehen kann. Die Erhöhung der Regelgeldbuße kann daher von den (nichtigen) neu eingeführten Regelfahrverboten getrennt werden. Mithin ist die StVRÄndVO insoweit wirksam und es gilt die Regelgeldbuße von 25 € (ausführlich zum Ganzen: Will NZV 2020, 601 (605 ff., 609); im Ergebnis ebenso, aber ohne nähere Begründung: Ipsen NVwZ 2020, 1326 (1328)).

Dem steht die bisher zur StVRÄndVO ergangene Rechtsprechung (OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.01.2021 – 1 Rb 15 Ss 1159/20; OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.2020 – 4 RBs 345/20; BayObLG, Beschluss vom 11.11.2020 – 201 ObOWi 1043/20; OLG Oldenburg, Beschluss vom 08.10.2020 – 2 Ss (OWi) 230/20) nicht entgegen. Die genannten Beschlüsse betreffen nur Fälle, in denen die Regelgeldbuße durch die StVRÄndVO nicht geändert wurde. Ob die erhöhten Regelgeldbußen nach der StVRÄndVO wirksam sind und angewendet werden können, ist bisher nicht entschieden. Soweit ersichtlich hat lediglich das OLG Braunschweig (Beschluss vom 04.12.2020 – 1 Ss (OWi) 173/20, Rn. 14 – juris) als obiter dictum erwähnt, dass es der Auffassung zuneige, die (wie hier) lediglich von einer Teilnichtigkeit ausgeht.

2. Höhe der Geldbuße im konkreten Fall

Aufgrund der Voreintragungen des Betroffenen im Fahreignungsregister wurde die Geldbuße moderat um 10 € auf nunmehr 35 € erhöht.

Dabei wurde einerseits berücksichtigt, dass die Voreintragungen bereits längere Zeit zurückliegen und nicht einschlägig sind. Andererseits wurde berücksichtigt, dass die eine rechtskräftig festgestellte Ordnungswidrigkeit (Ziff. 3 oder 4) ebenfalls als Radfahrer begangen wurde.

VI. Kosten

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 465 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

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