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Geschwindigkeitsüberschreitung –  ungeklärte Fragen zu möglichen Messgerätefehlern

AG Groß-Gerau – Az.: 30 OWi – 1439 Js 51481/10 – Urteil vom 05.03.2012

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.

Gründe

Der jetzt 40-jährige Betroffene befuhr am Vormittag des 24.03.2010 mit dem PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … die Tangente Bundesautobahn A 671 zur Bundesautobahn A 60 in Fahrtrichtung aus Wiesbaden kommend in Richtung Frankfurt am Main.

Auf Höhe des Netzknoten 020 C 0,2 führte an diesem Tage in der Einsatzzeit von 7:30 Uhr – 12:00 Uhr der Verwaltungsangestellte S. unter Verwendung des durch das Physikalisch-Technische Bundesamt in Braunschweig zugelassenen Messgerätes des Typs ESO 3.0 eine Geschwindigkeitsmessung des in Fahrtrichtung Frankfurt auf der Tangente Bundesautobahn A 671 abfließenden Verkehrs durch. In diesem Bereich ist eine zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 der StVO von 80 Km/h angeordnet. Die Messstelle war ca. 300 Meter hinter dem Zeichen 274 der StVO aufgestellt, wobei es sich hierbei um ein Wiederholungsschild zur Erstanordnung handelte, die sich, wie aus Parallelverfahren gerichtsbekannt in einer Entfernung von ca. 800 Meter befindet. Das Geschwindigkeitsmessgerät war ausweislich des Eichscheines vom 04.03.2010 durch die hessische Eichdirektion in Darmstadt am 03.03.2010 bis Ende 2010 geeicht worden. Verwendet wurde die Softwareversion 1.002.

Gegen 10:04 Uhr am 24.03.2010 wurde das Fahrzeug des Betroffenen von dem Messgerät erfasst, dieses ermittelte, abzüglich zur Toleranz eine Geschwindigkeit von 125 Km/h, damit eine Überschreitung von 45 Km/h. Des Weiteren wurde das Lichtbild Bl. 1 d. A. gefertigt, wobei der Betroffene einräumte, die als Fahrer abgebildete Person zu sein. Gleichzeitig bezweifelt er jedoch die Korrektheit der Geschwindigkeitsmessung. Er wendete ein, dass die Messdokumentation lückenhaft sei, es sei nicht ersichtlich, ob der Sensorkopf parallel zum Fahrbahnniveau ausgerichtet gewesen sei. Erhebliche Gradneigungen bis zu 3 Grad und darüber könnten nicht ausgeschlossen werden. Dies könne zu einer Verkürzung der Messstrecke führen. Auch müsste der Sensorkopf auf nicht nachgebenden Untergrund aufgestellt worden sein, um ein Einsinken und eine damit verbundene unmerkliche Gradabweichung des Stativs zu verhindern. Des Weiteren sei weder der Standort des Sensorkopfs noch die Kameraposition eingemessen und dokumentiert, so dass ein Bezug zwischen Standort und dem Messbild sich nicht herstellen lasse. Ob das Fahrzeug des Betroffenen oder ein vorausfahrendes oder nachfahrendes Fahrzeug gemessen wurde, bleibe offen. Die Höhe des Sensorkopfes sei nicht bekannt. Die Fotolinie sei auf der Fahrbahn nicht dokumentiert.

Darüber hinaus sei die eingesetzte Software veraltet und die Gültigkeitsdauer der Eichung mit 7 Monaten auffällig kurz.

Der Sachverständige Dipl.-Ing. Dr. P. er stellte in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 05.09.2011 zu dem Messprinzip des eingesetzten Messsystems zunächst folgendes fest:

Die hier gegenständliche Messung wurde ausweislich der vorliegenden Unterlagen mit der Geschwindigkeitsmeßanlage des Herstellers eso, Typ ES 3.0, durchgeführt. Das ES 3.0 arbeitet nach dem Prinzip der „Weg-Zeit-Messung“. Die Geschwindigkeit wird dabei aus der Gleichung

v= s/t

bestimmt.

Die Geschwindigkeit v ergibt sich dabei aus der Meßbasis s und der Zeit t, in der das zu messende Fahrzeug die Meßbasis durchfährt. Die Länge der Meßbasis ist durch die Sensoren des Sensorkopfes festgelegt.

Insgesamt besteht die Meßbasis aus fünf Sensoren, die ein sogenanntes Helligkeitsprofil des zu messenden Fahrzeuges erfassen. Hierbei sind drei Sensoren parallel zueinander ausgerichtet und zwei Sensoren um jeweils ca. 0,4° in Richtung des mittleren Sensors schräg gestellt.

Aus den drei parallelen Sensoren werden der zeitliche Versatz und anschließend die Geschwindigkeit errechnet. Durch die zwei schräg gestellten Sensoren erfolgt eine Abstandsmessung des zu messenden Fahrzeuges zum Sensor hin. Da eine doppelte Abstandsmessung erfolgt, ist diese auch entsprechend eichfähig. Die Abstandsmessung dient dabei zur Ermittlung, auf welcher Fahrspur sich das gemessene Fahrzeug befindet.

Nachdem die Helligkeitsprofile einer Messung erstellt wurden, wird geräteintern eine sogenannte Korrelationsrechnung durchgeführt. Hier wird der genaue Zeitversatz der Helligkeitsprofile bestimmt. Anschließend wird die Geschwindigkeit aus dem Zeitversatz und der Länge der Meßbasis bestimmt.

Wird der im Meßgerät eingestellte Geschwindigkeitsgrenzwert überschritten, so wird in dem Moment ein Meßfoto erstellt, bei dem das gemessene Fahrzeug 3 m am mittleren Sensor vorbeigefahren ist. Anschließend werden die Daten zu einem Rechner übertragen. Dort werden sowohl die Fotodaten als auch die bei der Messung entstandenen Daten in einer Datei zusammengefaßt, verschlüsselt, signiert und gespeichert.

Das Meßfoto wird darüber hinaus auf einem Touchscreen-Monitor dargestellt. Somit kann direkt eine Kontrolle der Meßbilder erfolgen. Auf dem Meßfoto selbst werden dann in der oberen Datenzeile folgende Daten eingeblendet:

beginnend oben links:

– Bezeichnung des Gerätes

– Gerätenummer

– Bezeichnung der Kamera

– Kameranummer

– Meßstelle

– Zeuge

– Datum

– Zeit

– Geschwindigkeit

– Abstand der Meßbasis zum gemessenen Fahrzeug

– eingestellter Geschwindigkeitsgrenzwert

– Abstand der Meßbasis zum Fahrbahnrand

Ein aufmerksamer Meßbetrieb ist bei der gegenständlichen Meßanlage nicht vorgeschrieben.

Die Fotolinie ist entsprechend auf einem Foto zu dokumentieren.

Das gegenständliche Meßverfahren besitzt eine Bauartzulassung mit der Zulassungsnummer 18.11.06.04 und ist seit dem 05.12.2006 zur innerstaatlichen Eichung zugelassen.

Zwischenzeitlich wurde zu dem gegenständlichen Meßverfahren ES 3.0 bekannt, daß hier bei Vergleichsmessungen Differenzen zwischen den vom Meßgerät ermittelten Abständen zwischen Sensor und Fahrzeug und den tatsächlichen Werten vorlagen. Diese Differenzen sollen sogar höher als 1 m (Toleranz des Abstandswertes laut Bedienungsanleitung Bl. 44) gewesen sein.

Mit Schreiben vom 13.10.2009 wurde durch das Amtsgericht Saarbrücken eine Stellungnahme der eso GmbH vom 05.10.2009 zur Verfügung gestellt. Hiernach sollen Ungenauigkeiten der Abstandsmessung keinen Einfluß auf die Geschwindigkeitsmessung haben. Abstandsungenauigkeiten wurden jedoch seitens der eso GmbH eingeräumt, wonach durch die DEKRA bei versetzt parallel mit gleicher Geschwindigkeit fahrenden Fahrzeugen Abweichungen der Abstandsmessungen auftraten. Des weiteren wurde eine Stellungnahme der PTB vom 15.05.2009 beigefügt. Hiernach soll zwar der Abstandswert vom Geschwindigkeitsmeßwert abhängig sein, aber nicht umgekehrt.

Im Hinblick auf die zur Verfügung gestellten Stellungnahmen wäre somit sachverständigerseits derzeit davon auszugehen, daß zwar Abstandsabweichungen bei der gegenständlichen Anlage auftreten können, diese jedoch keinen Einfluß auf die Bildung des Geschwindigkeitsmeßwertes haben sollen.

Das Ergebnis zum schriftlichen Sachverständigengutachten wurde wie folg zusammengefasst:

1. Die gegenständliche Geschwindigkeitsmessung wurde ausweislich der vorliegenden Unterlagen mit dem Geschwindigkeitsmeßgerät eso ES 3.0 durchgeführt.

2. Laut Mitteilung durch das Polizeipräsidium Südhessen wäre davon auszugehen, daß das gegenständliche Meßgerät zum Meßzeitpunkt bereits mit der modifizierten Softwareversion 1.002 ausgestattet gewesen war.

3. Das gegenständliche Meßgerät besitzt eine PTB-Zulassung und war laut der Kopie des Eichscheins zum Überwachungszeitpunkt ordnungsgemäß geeicht

4. Diesseits wurden sämtliche zur Verfügung gestellten Meßfotos des gegenständlichen Meßeinsatzes überprüft Hierbei konnten diesseits in Bezug auf die seitlichen Abstandsangaben keine unplausiblen Positionen der aufgenommenen Fahrzeuge im Hinblick auf den Toleranzbereich des gegenständlichen Meßgerätes festgestellt werden.

5. Die Fotolinie wurde diesseits anhand eines auf der rechten Fahrbahnrandmarkierung abgestellten Pylonen und mit Hilfe der Vorderradaufstandspunkte von aufgenommenen Fahrzeugen rekonstruiert. Anschließend wurde die Fotolinie in die Meßfotos projiziert Bei der Durchsicht der Meßfotos im Hinblick auf die Position der aufgenommenen Fahrzeuge zur Fotolinie konnte diesseits zunächst festgestellt werden, daß die Kameraposition relativ flach gewählt wurde, so daß nur eine grobe Überprüfung der Positionen der aufgenommenen Fahrzeuge zur Fotolinie erfolgen konnte. Extreme Abweichungen der aufgenommenen Fahrzeuge zur Fotolinie (mehr als 3 m) konnten diesseits jedoch nicht festgestellt werden. Eindeutige Zuordnungsfehler konnten somit diesseits bei der gegenständlichen Meßserie im Sinne der Bedienungsanleitung nicht festgestellt werden.

6. Aus sachverständiger Sicht ist darauf hinzuweisen, daß in der Fachzeitschrift „Verkehrsunfall & Fahrzeugtechnik“ vom Juni 2011 durch die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dipl.-Ing. Roland Bladt und Dipl.-Ing. Stephan Wietschorke ein Meßfehler zu dem Meßgerät ES 1.0 (vergleichbares Meßgerät bzw. Vorgängermodell des Meßgerätes ES 3.0) beschrieben wurde. Bei dem beschriebenen Meßfehler handelt es sich um einen sog. Abtastmeßfehler. Laut Angaben der Sachverständigen soll die Fehlmessung insbesondere aufgrund der speziellen Form der Fahrzeugfront und der Gegebenheiten an der Meßörtlichkeit im Zusammenhang mit der Geräteeinstellung des Meßgerätes aufgetreten sein.

Im Hinblick auf die Durchsicht der Meßfotos der gegenständlichen Meßserie und die Inaugenscheinnahme der Meßörtlichkeit konnten diesseits soweit keine Hinweise auf mögliche Abtastfehlmessungen festgestellt werden.

Da letztendlich der im Datenfenster eingeblendete Geschwindigkeitswert nicht verifiziert werden kann und aus sachverständiger Sicht auch die genaue Meßwertbildung nicht bekannt ist, können derzeit im Hinblick auf den veröffentlichten Artikel grundsätzlich auch bei der Messung des Fahrzeuges des Betroffenen Abtastfehlmessungen nicht ausgeschlossen werden. Zwar ergeben sich anhand der vorliegenden Unterlagen soweit keine Hinweise auf Abtastfehlmessungen; jedoch können diese derzeit, wie bereits dargelegt, nicht mit 100%-iger Sicherheit ausgeschlossen werden. Im Sinne der Bedienungsanleitung wurde, wie bereits dargelegt, die gegenständliche Messung ordnungsgemäß durchgeführt. Im Hinblick auf die Verifizierung des Meßwertes bedarf die gegenständliche Messung jedoch einer weitergehenden rechtlichen Würdigung.

7. Des weiteren ist aus sachverständiger Sicht darauf hinzuweisen, daß zwischenzeitlich zu dem gegenständlichen Meßsystem eine neue Softwareversion (1.003) durch die PTB zugelassen wurde. Bei der neuen Softwareversion soll eine verbesserte Signalauswertung vorliegen. Weitere Informationen zu der neuen Softwareversion sind diesseits derzeit noch nicht bekannt.

Inwiefern vor diesen Hintergründen bei der gegenständlichen Messung des Fahrzeuges des Betroffenen insgesamt noch von einer ordnungsgemäßen Messung auszugehen ist, bedarf im wesentlichen einer weitergehenden rechtlichen Würdigung bzw. weiteren detaillierten Angaben des Herstellers.

Im Rahmen der mündlichen Erläuterung des schriftlichen Sachverständigengutachtens im Termin am 05.03.2012 erklärte der Sachverständige, Dipl.-Ing. Dr. P. hierzu, dass das eingesetzte Messgerät ESO 3.0 nach dem Prinzip einer Lichtschranke funktioniert, wobei die Geschwindigkeit nach dem Weg-Zeit-Prinzip ermittelt wird. Hierbei werden Helligkeitsprofile der Fahrzeuge verglichen, in dem unterschiedliche Punkte der Fahrzeuge abgetastet werden. Wie die Helligkeitsprofile im Einzelnen im Gerät ermittelt und verarbeitet werden und wie eine Fehlerkontrolle hierbei erfolgt, ist nicht bekannt. Es seinen lediglich Rückschlüsse anhand von äußeren Merkmalen, wie der Einhaltung der Fotolinie möglich, die jedoch mit der Feststellung der Geschwindigkeit nichts zu tun habe und lediglich der Zuordnung diene. Letztlich seien aus der Praxis Fälle bekannt, in denen es in der Dämmerung Probleme bei der Erfassung von Fahrzeugen mit Farben wie silbermetallicen oder dunklen Fahrzeugen gegeben habe. Darüber hinaus seien auch Fälle bekannt, bei denen erst das Rücklicht von Fahrzeugen Lichtbilder ausgelöst hätte. Der genaue Umfang der Tests durch das Physikalisch-Technische Bundesamt sei nicht bekannt, es sei lediglich bekannt, dass diese Tests an mehreren Tagen an vielen tausenden von Fahrzeugen durchgeführt worden seien, wobei wesentlich geringere Abweichungen als in der Praxis toleriert wurden.

Der sachverständige Zeuge L. R. gab hierzu an, dass der Firma ESO GmbH keine Fehler bekannt seien die dazu führen würden, dass falsche Messwerte zustande kommen würden. Grundsätzlich seien sämtliche erforderlichen Informationen über die Messwertbildung und die Fehlerkontrolle beim Physikalisch-Technischen Bundesamt hinterlegt. Dieses stünde gegebenenfalls auch im Falle von Zweifeln für eine Oberbegutachtung bereit. Grundsätzlich arbeitet das Gerät ESO 3.0 mit 5 optischen Sensoren, die ähnlich einer Lichtschranke Helligkeitsprofile erfassen würden. Die Geschwindigkeit würde dann nach dem Weg-Zeit-Prinzip ermittelt werden. Das Gerät sei auch dazu in der Lage Schatten und hellere und dunklere Stellen an den Fahrzeugen zu differenzieren, darüber hinaus sei es dazu in der Lage drehende Räder an den Fahrzeugen zu erkennen. Auch hier prüfe das Gerät inwieweit verwertbare Signale zu erfassen seien, gegebenenfalls komme es auch hier zu einer Annullierung. Wie die Erfassung zu diesen genannten Punkten im Einzelnen erfolge sei der Zeuge nicht befugt zu erläutern. Die entsprechenden Unterlagen seien jedoch beim Physikalisch-Technischen Bundesamt hinterlegt. Grundsätzlich arbeitet das Gerät passiv und erfasse die Triggersignale, wobei diese relativ viele Informationen über Konturen, Helligkeit, Farben und ähnliches beinhalten könnten. Dies führe jedoch zum Beispiel dazu, dass beim Einsatz nachts auch nur mit einem Signal der Scheinwerfer gemessen werden könne.

Grundsätzlich gebe es verschiedene Helligkeitsdifferenzen und nur bei bestimmten Qualitätsanforderungen komme es zu einer gültigen Messung. Auch hier seien Angaben im Einzelnen nicht möglich. Grundsätzlich kann der Sensorkopf von der Höhe her frei wählbar aufgestellt werden. Der Neigungswinkel könne mit dem bloßen Auge eingestellt werden, hierbei seien 3 Prozent immer noch gut genug. Vorgeschrieben ist jedoch eine Einstellung mit der Wasserwaage. Bei ordnungsgemäßer Aufstellung des Gerätes und funktionsweise könne jedoch bereits ein einziges Signal für eine Messung ausreichend sein, grundsätzlich sei nicht anzugeben wie viele Triggersignale für das Auslösen einer Messung erforderlich seien, da generell zahllose alternativen denkbar seien, wegen der Zahlreichen denkbaren Informationsvarianten.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einsichtnahme in die bei der Akte befindlichen Lichtbilder Bl. 1 d. A., der Verlesung des Messprotokolls Bl. 2 d. A., des Eichens Bl. 5, 6 d. A. sowie aufgrund des schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. P. vom 05.09.2011 Bl. 62 – 86 d. A. und dessen mündliche Erläuterung im Termins zur mündlichen Verhandlung vom 05.03.2012, sowie der uneidlichen Vernehmung des sachverständigen Zeugen Lorenz Rauch im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.03.2012.

Danach steht fest, dass bei der Geschwindigkeitsmessung am 24.03.2010 ein Geschwindigkeitsmessgerät der Firma ESO der Version ES 3.0 mit der Softwareversion 1.002 mit einer innerstaatlichen Bauartzulassung des Physikalisch-Technischen Bundesamtes in Braunschweig eingesetzt worden ist, hierbei handelt es sich unzweifelhaft um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren. Bei der Verwendung eines solchen Messverfahrens ist grundsätzlich die Feststellung der Beachtung der Formalien der Bedienungsanleitung ausreichend für eine ordnungsgemäße Geschwindigkeitsmessung jedenfalls und nur dann, wenn keine konkreten Einwendungen gegen die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung im Einzelfall erhoben werden, in diesen Fällen ist die Bezugnahme auf die Erfüllung der formalen Voraussetzung gemäß der Bedienungsanleitung und deren Angabe zur Feststellung der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung ausreichend. Wenn jedoch konkrete Einwendungen gegen die Richtigkeit einer Geschwindigkeitsmessung, auch im Falle eines Einsatzes eines standardisierten Messverfahrens, im Einzelfall erhoben werden und eine Beweiserhebung erfolgt, so ist eine umfassende Kontrolle des gesamten Messvorganges in seinen Einzelheiten in aller Regel auch durch eine Sachverständigenbegutachtung durchzuführen (vgl. BGH NJW 1993 S. 3081 ff., S. 3083).

Im vorliegenden Falle hat der Betroffene konkrete Einwendungen gegen die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung im Einzelfall erhoben und ein entsprechender Beweisbeschluss zur Überprüfung der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung unter Beachtung der Einwendungen des Betroffenen durch Anordnung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens erging. In diesem Falle kann eine bloße Berufung auf die Grundsätze des standardisieren Messverfahrens und die Erfüllung dessen Voraussetzungen nicht mehr ausreichend sein. Alleine der Hinweis darauf, dass das Fahrzeug sich in der Fotoposition befunden habe und die übrigen formalen Voraussetzungen wie ordnungsgemäßes Messprotokoll und ordnungsgemäße Eichung können in einen ausreichenden Hinweis auf eine zutreffende Messung nicht erfüllen, zumal diese Fotoposition selbst mit der Ermittlung der Geschwindigkeit keinerlei Zusammenhang hat, da sie lediglich der Zuordnung der Fahrzeuge dient, insofern kann der Auffassung des Amtsgerichts Saarbrücken (AZ. 22 OWi 367/11; 22 OWi 61 Js 188/11) nicht gefolgt werden. Vielmehr ist seine Berufung auf den Gedanken des Betriebsgeheimnisses im Rahmen der strafrechtlichen Beweisaufnahme grundsätzlich nicht zulässig, da der Markenschutz nicht im Rahmen der Beweisaufnahme nach strafprozessualen Grundsätzen zu gewährleisten ist, sondern vielmehr im Rahmen des Patentschutzes und im Rahmen des Zivilprozesses. Darüber hinaus kann ein vermeintlicher Markenschutz nicht zur Verkürzung der Rechte des Betroffenen im Strafprozess führen, da dies eine unzulässige Beeinträchtigung der Grundrechte gleichkommt. Darüber hinaus wäre die Anordnung einer Beweisaufnahme über die Geschwindigkeitsmessung durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachten und die Begrenzung der laufenden Beweisaufnahme der Beurteilung der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch den Sachverständigen nach dem Grundsatz des standardisierten Messverfahrens nicht vereinbar mit den Regeln einer strafprozessualen Beweisaufnahme.

Im konkreten Einzelfall ist nach Abschluss des schriftlichen Sachverständigengutachtens festzustellen, dass zwar das theoretische Grundprinzip der Geschwindigkeitsmessung bekannt ist, jedoch eine Feststellung und Überprüfung einer Geschwindigkeitsmessung im Einzelfalle nicht möglich ist. Die konkrete Überprüfung im Einzelfall ist nach Angaben des Sachverständigen lediglich anhand von äußere Merkmalen möglich die keinerlei Bezug zur konkreten Ermittlung der Geschwindigkeit haben, wie die Einhaltung der Fotolinie. Wie die einzelnen Triggersignale, d. h. die Hell-Dunkel oder Dunkel-Helländerungen im Messgerät verarbeitet werden und wie mögliche Fehler ausgeschlossen oder annulliert werden, ist nicht bekannt.

Des Weiteren sei auch denkbar, dass bei vertikalen Höhenänderungen von gemessenen Fahrzeugen und einem Messbereich an einer schrägen Fläche der Fahrzeugfront Fehlmessungen entstehen könnten, ebenso das unterschiedliche Bereiche an der schrägen Fläche beim durchfahren der Sensoren zu Triggersignalen führen könnten. Nach einer schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen Dr. P. scheint nicht klar zu sein, ob nicht nur Triggersignale der Geschwindigkeitssensoren oder einzelne Kontrastwechsel für die Ermittlung der Geschwindigkeit herangezogen werden, sondern darüber hinaus auch eine möglichst hohe Anzahl von Minimal- und Maximalwerten in den ermittelten Helligkeitskurven. Letzteres würde zur Erhöhung der Messsicherheit führen. Der sachverständige Zeuge hat hierzu lediglich dargelegt, dass zahlreiche Grundinformationen vorhanden sind und dass Fehlmessung der Firma ESO GmbH nicht bekannt seien. Des Weiteren hat er dargelegt, dass das Gerät dazu in der Lage sei sämtliche unterschiedlichen Helligkeits- und Kontraststufen sowie zahlreiche weitere Informationen wie Farben und Formen zu verarbeiten, schließlich sei es auch dazu in der Lage Räder zu erkennen. Wie diese Signale im Einzelnen jedoch verarbeitet werden und wie mögliche Fehler ausgeschlossen werden, bzw. Toleranzen berücksichtigt werden konnte er nicht angeben, zu diesen Angaben sei er nicht befugt. Entsprechende Unterlagen seien beim Physikalisch-Technischen Bundesamt hinterlegt. Das Physikalisch-Technische Bundesamt in Braunschweig sei auch dazu in der Lage entsprechende Obergutachten zu erstellen. Darüber hinaus hat der Zeuge jedoch auch bestätigt, dass nicht nur mehrere Signale eine Messung auslösen können, sondern auch gegebenenfalls ein einzelnes Triggersignal. Auch insofern waren ihm keine weiteren Angaben möglich.

Im Ergebnis war nach dem Beweisbeschluss vom 11.05.2011 nicht ermittelbar, wie die am 24.03.2010 gemessene Geschwindigkeit des Betroffenen mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ESO 3.0 im Einzelnen ermittelt worden ist. Für den Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. P. war eine Überprüfung des Messwertes lediglich aufgrund äußerer Umstände, die mit der Geschwindigkeitsmessung selbst nicht im Zusammenhang stehen möglich, der sachverständige Zeuge L. R. sah sich ebenfalls lediglich dazu in der Lage, das Grundprinzip des Geschwindigkeitsmessgerätes mitzuteilen. Danach bleibt es bei der Feststellung dass eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass möglicherweise eine richtige Geschwindigkeitsmessung erfolgt sein könnte, es ist jedoch weder überprüfbar wie im Einzelnen der Messwert der Geschwindigkeit ermittelt wird und wie im Einzelnen Fehlermessungen ausgeschlossen werden. Eine Bezugnahme auf ein standardisiertes Messverfahren unter Beachtung der Formalien ist grundsätzlich nur im Hinblick auf eine Vereinfachung des Verfahrensgangs unter Berücksichtigung der Massenverfahren zulässig (vgl. hierzu BGH S. 3083). Diese Situation liegt jedoch dann nicht mehr vor, wenn bereits ein Beweisbeschluss erlassen worden ist und eine Beweisaufnahme erfolgt, in diesem Falle hat eine vollständige Überprüfung des Sachverhaltes zu erfolgen. Im vorliegenden Falle wurden jedoch der Markenschutz und das Interesse der Geheimhaltung der Herstellerfirma des Geschwindigkeitsmessgerätes an dem Grundprinzip der Messwertbildung im Rahmen der Beweisaufnahme in den Vordergrund gestellt. Wenn gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen die zur Überprüfung des Messwertes erforderlichen Angaben nicht gemacht werden, so liegen im Einzelfall konkrete Bedenken gegen die Verwendbarkeit des Messwertes vor (anders als in OLG Frankfurt DAR 2010 Seite 216). Der Marken- und Patentrechtschutz des Herstellers des Geschwindigkeitsmessgerätes ist in den entsprechenden Rechtswegen hinreichend geschützt, daher können hier Unterstellungen zulasten des Betroffenen des strafprozessualen Verfahrens nicht erfolgen. Auskünfte hätten gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen erteilt werden können, sind jedoch nicht zwingend. Da damit jedoch weder der konkrete Vorgang der Ermittlung des Geschwindigkeitswertes, noch der konkrete Vorgang möglicher Toleranzwertbildung oder Annullierungen bekannt ist, sind rechtliche Zweifel nicht auszuschließen.

Das Gericht muss sich bei einem bereits bestellten Sachverständigen nicht auf ein Obergutachten des Physikalischen-Technischen Bundesamts verweisen lassen. Demzufolge war der Betroffene nach dem Grundsatz in dubio pro reo frei zu sprechen.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.

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