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Fahrerlaubnisentziehung – Vorlage eines ärztlichen Gutachtens bei angeborenem Herzfehler

VG München – Az.: M 6 S 22.2619 – Beschluss vom 29.11.2022

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1989 geborene Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S.

Anlässlich eines Antrags auf Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung vom … Juli 2017 wurde der Fahrerlaubnisbehörde ein Herzfehler beim Antragsteller bekannt.

Das im folgenden angeordnete Gutachten der … GmBH vom … September 2017 mit Ergänzung vom … Oktober 2017 kam zum Ergebnis, dass der Antragsteller trotz einer möglichen Herzschwäche infolge eines korrigierten Herzfehlers in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden. Eine Nachuntersuchung sei aufgrund der Kürze der Stabilität in zwei Jahren erforderlich.

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2021 ordnete die Fahrerlaubnisbehörde die Vorlage eines (fach-)ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung innerhalb von drei Monaten an.

Am … März 2022 ging bei der Fahrerlaubnisbehörde das Gutachten der … GmBH vom … März 2022 ein. Dieses kam zum Ergebnis, dass der Antragsteller dauerhaft nicht in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 (inklusive Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung) gerecht zu werden. Auf das Gutachten wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Nach Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis mit Schreiben vom … März 2022 durch die Erlaubnisbehörde bestellte sich mit Schreiben vom … März 2022 der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers für das Verwaltungsverfahren und trug vor, dass eine lebenslängliche Entziehung der Fahrerlaubnis nicht in Betracht komme. Insbesondere sei die Therapietreue des Antragstellers dadurch gewährleistet, dass er jeweils morgens und abends durch die Weckfunktion seines Handys auf die Pflicht zur Einnahme des Medikaments Bisoprolol aufmerksam gemacht werde. Darüber hinaus legte der Bevollmächtigte ein Attest der behandelnden Hausärztin vom … März 2022 vor, aus welchem hervorgeht, dass es zu keinem Notarzteinsatz in der Praxis gekommen sei, der Patient regelmäßig und zuverlässig zu seinen Terminen erscheine und kardiopulmonal stabil sei.

Mit Bescheid vom 12. April 2022 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen sowie die Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung (Nr. 1) und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes (Nr. 3) auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung abzugeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4). Die Nrn. 5 und 6 enthalten die Kostenentscheidung. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) wurde im Wesentlichen auf das negative Ergebnis des ärztlichen Gutachtens gestützt.

Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am 13. Mai 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage unter Ausklammerung des Entzugs der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung erheben (M 6 K 22.2616) und stellte gleichzeitig einen Antrag im vorläufigen Rechtsschutz. Er beantragte,

die aufschiebende Wirkung der Klage wird, abgesehen vom Entzug und Erlöschen der Erlaubnis der Fahrgastbeförderung mit Mietwagen, Pkw, im Linien- und Taxiverkehr, einstweilen hergestellt.

Zur Begründung wurde angeführt, der Antragsteller habe sich stets verkehrstreu verhalten. Der lebenslängliche Entzug der Fahrerlaubnis sei nicht gerechtfertigt. Die Gutachterin habe eine juristische Bewertung vorgenommen. Hierzu sei diese nicht befugt. Die Fahrerlaubnisbehörde habe die Feststellungen und die Bewertung der Gutachterin ohne eigene Würdigung übernommen. Das Gutachten stütze sich auf zwei Erwägungen. Zum einen könne die Einnahme des Medikaments vergessen werden, zum anderen auf einen Vorfall im Juli 2021 bei dem der Antragsteller infolge eines Herzrasens vom Sitzen zum Liegen gekommen sei. Beide Punkte ließen sich unter dem Blickwinkel der Therapietreue durch die – über die Weckfunktion des Handys gesicherte – zuverlässige Einnahme des Medikaments ausräumen. Zudem wurde nochmals auf das Attest der behandelnden Hausärztin verwiesen und angemerkt, dass dem Antragsteller als milderes Mittel auch hätte auferlegt werden können, im Abstand von einem Jahr entsprechende Arztberichte zu seiner Herzleistung vorzulegen.

Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragte, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung verwies die Fahrerlaubnisbehörde auf die weiteren Feststellungen im Gutachten. Der Antragsteller habe nicht nur einmal im Juni 2021 seine Medikamente vergessen, sondern noch im Januar 2022 von wöchentlichen Herzrhythmusstörungen berichtet, insbesondere, wenn er seine Medikamente vergessen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits die Gutachtensanordnung vorgelegen. Eine Einstellungsänderung sei vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Der Antragsteller habe zudem die ärztlich empfohlene Dosiserhöhung des Bisoprolol und die Umstellung der Blutverdünnung abgelehnt. Die nachträglichen verbalen Beteuerungen des Antragstellers seien nicht ausreichend.

Auf telefonische Anfrage des Gerichts erläuterte die Gutachterin am … November 2022 den Hintergrund der Formulierungen „dauerhaft nicht in der Lage“ bzw. „dauerhaft nicht erfüllt“. Die gewählte Formulierung mit „dauerhaft“ betreffe rein die aktuelle Situation und bedeute nicht, dass sich das Ergebnis aufgrund zukünftiger medizinischer Maßnahmen nicht verändern könne. Ausgangspunkt einer Begutachtung sei die aktuelle Befundlage. Spontane oder bereits angelegte Verbesserungen/Heilungen seien beim Kunden zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht absehbar oder erwartbar gewesen. Vielmehr sei diesem „der Ernst der Lage“ nicht bewusst und er ergreife die notwendigen medizinischen Maßnahmen nicht. Ohne weitere Maßnahmen (Dosiserhöhung, Umstellung der Medikation auf subkutan zu applizierende Blutverdünner und/oder ggf. Transplantation je nach Fortentwicklung des Krankheitsbildes) sei dieser unter Zugrundelegung des Ist-Standes dauerhaft nicht in der Lage ein Fahrzeug zu führen. Wie sich zukünftig eine Umstellung der Medikation oder einer Transplantation auswirke, bleibe abzuwarten. Natürlich sei dann auch ein positives Gutachten möglich.

Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.

Mit Beschluss vom 10. November 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Mit Schriftsatz vom 22. November 2022 verwies der Bevollmächtigte des Antragstellers nochmals auf das Attest vom … März 2022 der behandelnden Ärztin. Das Gericht hätte vielmehr bei dieser nachfragen sollen. Die Gutachterin habe sich mit ihren Aussagen selbst disqualifiziert und widerlegt. Die „absurden Vorstellungen der fachfremden“ „Berufsanfängerin in Aushilfstätigkeit?“ seien „reine Fantasterei“.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 6 K 22.2616, Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.

Der nicht zwischen den einzelnen Nummern des Bescheids differenzierende Antrag ist zunächst gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachdienlich dahingehend auszulegen, dass er auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nummern 1 und 2 des Bescheids vom 12. April 2022 sowie auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der kraft Gesetzes (Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz) sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids gerichtet ist. Bezüglich der Kostenentscheidung liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO und damit ein Rechtsschutzbedürfnis nicht vor, sodass das Gericht im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers nicht von einer Einbeziehung ausgeht.

Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 13. Mai 2022 war nicht wiederherzustellen bzw. anzuordnen.

1. Einwendungen gegen die formellen Anforderungen an die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 3 VwGO) wurden weder vorgebracht noch sind solche ersichtlich. Die Fahrerlaubnisbehörde hat ausführlich dargelegt, warum sie im konkreten Einzelfall des Antragstellers im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor den Gefährdungen durch ungeeignete Kraftfahrer die sofortige Vollziehung anordnete. Im Übrigen ergibt sich im Bereich des Sicherheitsrechts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung bereits aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts maßgebend waren (vgl. etwa BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 CS 19.180 – juris Rn. 10 ff.).

2. Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt in den nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO vorgeschriebenen Fällen oder wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO anordnen.

Es trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung und hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem (von der Behörde geltend gemachten) Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der angegriffenen Entziehungsentscheidung ist derjenige der letzten Behördenentscheidung, hier also – aufgrund direkter Klageerhebung – die Bekanntgabe des Entziehungsbescheides.

Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, da sich die Entziehung der Fahrerlaubnis nach der gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides wiegt insoweit schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.

Die Fahrerlaubnisbehörde durfte zurecht von der Nichteignung des Antragstellers ausgehen. Zur Begründung verweist das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung, denen es im Ergebnis folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers auszuführen:

2.1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

2.2. Die Fahrerlaubnisbehörde konnte – auf das Gutachten aufbauend – berechtigt vom Vorliegen einer solchen Erkrankung beim Antragsteller ausgehen. Das zur Ausräumung von Zweifeln gemäß § 11 Abs. 2 FeV geforderte und schließlich auch vorgelegte Gutachten der … GmbH ist von der Fahrerlaubnisbehörde und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit sowie darauf zu prüfen, ob die Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten gemäß Anlage 4a zur FeV und damit auch die Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung beachtet worden sind. Nach den Grundsätzen für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten gemäß Anlage 4a zur FeV muss das Gutachten in allgemeinverständlicher Sprache verfasst, nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Das Gutachten muss in allen wesentlichen Punkten, insbesondere im Hinblick auf die gestellten Fragen (§ 11 Abs. 6 FeV), vollständig sein. Im Gutachten muss dargestellt und unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund.

2.3. Entgegen der Bewertung des Bevollmächtigten des Antragstellers hat das erkennende Gericht keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens. Die Vorgeschichte und die Voraussetzungen einer günstigen Beurteilung sowie die Untersuchungsbefunde und die Bewertung werden wiedergegeben. Nach summarischer Prüfung ist das Gutachten insgesamt verwertbar und kommt unter Zugrundelegung der korrekten Tatsachen und Bewertungsmaßstäbe und unter Beachtung der aufgezeigten Vorgaben des § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a zur FeV plausibel und nachvollziehbar zu dem Schluss, dass der Antragsteller aufgrund einer instabilen Herzleistungsschwäche im Sinne der Nummer 4.5.3 der Anlage 4 zur FeV nicht in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden.

2.4. In Abhängigkeit von der vorliegenden Erkrankung ist die Einschätzung der Fahreignung unter Berücksichtigung der Therapietreue des Fahrzeugführers stets individuell vorzunehmen (vgl. Begutachtungsleitlinien Kap. 3.4.1. zu Ziffer 4.1 Anlage 4 zur FeV). Das Gutachten stützt sich hinsichtlich der kardiologischen Befundlage im Wesentlichen auf den Arztbrief des Deutschen Herzzentrums in M… vom … Januar 2022. Die Bewertung der im Arztbrief getroffenen Diagnosen und Darstellung der klinischen und diagnostischen Untersuchung sowie der Anamnese ist nachvollziehbar. Entgegen der Darstellung des Bevollmächtigten des Antragstellers gab es nicht nur einen Vorfall einer vergessenen Medikamenteneinnahme im Juli 2021. Der Antragsteller gab in dem – dem Arztbrief zugrundeliegenden – Gespräch im Januar 2022 an, „mehrfach die Woche“ für kurze Zeit einen beschleunigten Herzschlag bemerkt zu haben, „vor allem wenn er die Einnahme von Bisoprolol vergesse[n]“ habe.

Gleichermaßen nachvollziehbar ist die weitere Beurteilung der Krankheitseinsicht und Therapietreue. Es wird ausgeführt, dass entgegen der ärztlichen Empfehlung des deutschen Herzzentrums in M… der Antragsteller trotz des Auftretens der Tachykardien eine Dosiserhöhung des Bisoprolols nicht umgesetzt hat. Zudem ist die empfohlene Umstellung der Medikation auf subkutan zu applizierende Blutverdünner nicht erfolgt. Unabhängig davon hat der Antragsteller darüber hinaus auch die empfohlene Lebersprechstunde hinsichtlich seiner Leberfibrose und der erhöhten, im Gutachten nochmals befundeten Leberwerte nicht aufgesucht. Die zusammenfassende Feststellung einer unzureichenden Krankheitseinsicht und Compliance aufgrund der Nichtbefolgung der Empfehlungen und die Einschätzung, dass die damit einhergehenden Phasen von Herzrasen das Auftreten von höhergradigen Herzrhythmusstörungen begünstigen und zu einem erhöhten Risiko einer kardialen Dekompensation führen, ist vor diesem Hintergrund schlüssig dargelegt und nicht zu beanstanden.

2.5. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des vorgelegten Attestes der behandelnden Hausärztin vom … März 2022 und dem nachträglichen Vorbringen des Antragstellers, mittels einer über die Weckfunktion des Handys „abgesicherten“ Medikamenteneinnahme eine höhere Compliance zu gewährleisten. Der Antragsteller möchte, im Wesentlichen hierauf gestützt, eine andere rechtliche Bewertung des bestehenden Gutachtens erwirken.

Dieser erst im Nachgang zum Gutachten angebrachte Vortrag gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde ist jedoch weder geeignet noch ausreichend, um Zweifel am Gutachten bzw. der Bewertung der Fahrerlaubnisbehörde hervorzurufen. Das in inhaltlicher Hinsicht aus einem Satz bestehende Attest lässt völlig offen, auf welcher Befundlage, Methodik und medizinischer Grundlage die Aussage zur Stabilität zustande kam und kann so nicht zu einer anderen Bewertung führen. Die geänderte Form der Medikamenteneinnahme hat der Antragsteller weder im maßgeblichen Begutachtungsgespräch vorgebracht, noch im Folgenden eine Ergänzung bzw. Nachbesserung des Gutachtens – auch nicht aus anderem Grund – gefordert. Des Weiteren ist nicht erkennbar oder medizinisch dargelegt, wie allein die auf diese Weise lediglich behauptete verlässlichere Einnahme des Bisoprolol ohne Dosiserhöhung und ohne Umstellung der Medikation auf subkutan zu applizierende Blutverdünner ausreichend sein soll, um zu einem anderen Ergebnis zu führen. Die medizinische Bewertung und Berücksichtigung dieses Vortrags und weitere ergriffene Maßnahmen des Antragstellers und deren Wirkung bleibt einer erneuten Begutachtung wohl in einem Hauptsacheverfahren zur Widererteilung vorbehalten.

Entgegen der Befürchtung des Bevollmächtigten des Antragstellers steht die Formulierung „dauerhaft“ nicht einer zukünftigen positiven Begutachtung entgegen und bedeutet keine „lebenslängliche“ Entziehung. Dies hat eine telefonische Nachfrage bei der Gutachterin auch ausdrücklich bestätigt hat. Ausgangspunkt für die Formulierung „dauerhaft“ war zutreffender Weise lediglich der zum Zeitpunkt des Gutachtens maßgebliche aktuelle Gesundheitszustand des Antragstellers.

2.6. Selbst wenn die Erfolgsaussichten als offen anzusehen wären, geht die zu treffende Ermessensentscheidung des Gerichts zulasten des Antragstellers aus. Zwar ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass mit der sofortigen Durchsetzung der Fahrerlaubnisentziehung ein ganz erheblicher und letztlich nicht wiedergutzumachender Verlust an persönlicher Mobilität für ihn verbunden ist und damit eine durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützte Rechtsposition tangiert wird. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die vorliegende ärztliche Einschätzung im Einzelnen zumindest beachtliche Zweifel daran weckt, dass der Antragsteller den hohen Anforderungen, die der motorisierte Straßenverkehr an die menschliche Leistungsfähigkeit stellt, aktuell noch hinreichend gewachsen ist. Der Antragsteller leidet an einem angeborenen Herzfehler, der seine allgemeine körperliche Belastungs- und Leistungsfähigkeit erheblich reduziert. Betrachtet man all dies zusammen und berücksichtigt zudem das unkalkulierbare Risiko, das von einem – wie hier möglicherweise – aus gesundheitlichen Gründen ungeeigneten Kraftfahrzeugführer für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer ausgeht, erscheint es in Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht verantwortbar, dem Antragsteller bis zur definitiven Klärung seiner Fahreignung vorerst die weitere Verkehrsteilnahme zu erlauben.

3. Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese Verpflichtung findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV.

4. Rechtliche Bedenken gegen die in Nr. 3 des Bescheids enthaltene Zwangsgeldandrohung wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich. Entsprechend war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen diese nicht anzuordnen.

Der Antrag war insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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