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Einstweiliger Rechtschutz gegen die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins

In dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (VG Berlin) mit dem Aktenzeichen 4 L 87/23 vom 26. April 2023 geht es um die Entziehung der Fahrerlaubnis eines Antragstellers, der aufgrund von Geschwindigkeitsübertretungen insgesamt acht Punkte im Fahreignungsregister in Flensburg angesammelt hatte. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aufforderung zur Abgabe seines Führerscheins wurde abgewiesen.

Das Gericht stellte fest, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig war, da der Antragsteller die zulässige Punktegrenze erreicht hatte und somit als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges galt. Trotz Einwände des Antragstellers, eine frühere Verwarnung hätte sein Verhalten möglicherweise geändert, blieb das Gericht bei seiner Entscheidung, betonte die Wichtigkeit der Verkehrssicherheit und lehnte eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage ab.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 L 87/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz des Antragstellers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis wurde abgelehnt.
  • Die Entziehung basierte auf der Ansammlung von acht Punkten im Fahreignungsregister, was die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen indiziert.
  • Trotz eines Widerspruchs und der Klage gegen die Entscheidung der Behörde blieb die Entziehung der Fahrerlaubnis bestehen.
  • Das Gericht betonte die Bedeutung der Verkehrssicherheit und des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmender.
  • Es wurde festgestellt, dass der Antragsteller durch sein wiederholtes Fehlverhalten im Straßenverkehr eine Gefahr darstellt und daher die Entziehung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist.
  • Eine frühere Verwarnung des Antragstellers hätte nach Einschätzung des Gerichts keine Verhaltensänderung bewirkt.
  • Die Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgte ohne Ermessensspielraum, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt waren.
  • Das Interesse der Allgemeinheit an der Verkehrssicherheit wiegt schwerer als das Mobilitätsinteresse des Antragstellers.

Führerscheinentzug: Wenn Punkte sammeln gefährlich wird

Im deutschen Verkehrsrechtssystem spielt das Punktesystem eine wichtige Rolle bei der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und der Beurteilung der Fahreignung. Erreicht ein Fahrer acht Punkte im Fahreignungsregister, droht der Entzug der Fahrerlaubnis. Dies kann weitreichende Folgen für die Betroffenen haben, sowohl beruflich als auch privat.

In diesem Zusammenhang ist der einstweilige Rechtsschutz gegen die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins ein wichtiges Instrument, um die Rechte der Betroffenen zu wahren. Dabei prüfen Gerichte, ob die Voraussetzungen für den Entzug rechtmäßig vorliegen und ob das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit das Interesse des Einzelnen an der Fortführung seiner Mobilität überwiegt.

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Der Weg durch das Punktesystem bis zum Führerscheinentzug

In einer bemerkenswerten Entwicklung im Verkehrsrecht musste sich das Verwaltungsgericht Berlin mit dem Fall eines Antragstellers auseinandersetzen, der gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis vorging. Der Fall beleuchtet die rechtlichen Feinheiten des deutschen Punktesystems im Fahreignungsregister und dessen Auswirkungen auf die Fahrerlaubnis. Der Antragsteller, seit dem 3. Mai 2016 Inhaber einer Fahrerlaubnis für die Klassen AM, B und L, sammelte zwischen Juli 2016 und Oktober 2021 durch sechs Geschwindigkeitsübertretungen insgesamt neun Punkte.

Das Fahreignungsregister und seine Konsequenzen

Das Fahreignungsregister in Flensburg spielt eine zentrale Rolle bei der Bewertung der Eignung von Fahrerlaubnisinhabern. Punkte werden für Verkehrsverstöße vergeben und können letztlich zum Entzug der Fahrerlaubnis führen, wenn bestimmte Grenzen überschritten werden. Im vorliegenden Fall wurde der Antragsteller zunächst ermahnt und später verwarnt, als er Punkte für Geschwindigkeitsübertretungen erhielt. Entscheidend für die rechtliche Auseinandersetzung war der Moment, als der Antragsteller mit der Ansammlung von acht Punkten konfrontiert wurde, was nach deutschem Recht die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges signalisiert.

Der rechtliche Streit um den Führerscheinentzug

Die Behörde informierte den Antragsteller darüber, dass ihm aufgrund der Überschreitung der Punktegrenze die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse. Nachdem ihm formell die Fahrerlaubnis entzogen und zur Abgabe des Führerscheins aufgefordert wurde, legte der Betroffene Widerspruch ein und suchte schließlich um vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Berlin. Sein Hauptargument bezog sich darauf, dass eine frühere Verwarnung möglicherweise sein Verhalten geändert hätte und die Ansammlung weiterer Punkte verhindert hätte.

Die Entscheidungsfindung des Gerichts

Das Gericht wies den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurück und betonte dabei die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung. Die Entscheidung stützte sich auf die klare Regelung im Straßenverkehrsgesetz, wonach eine Fahrerlaubnis zu entziehen ist, sobald acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister eingetragen sind. Das Gericht machte deutlich, dass die Rechtsgrundlage für die Entziehung keine Ermessensentscheidung zulässt, sondern eine gebundene Entscheidung darstellt, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind.

Schlüsselaspekte und rechtliche Erwägungen

In seiner Urteilsbegründung ging das Gericht auf mehrere wichtige Aspekte ein. Es wurde klargestellt, dass der Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Punkteansammlung führenden Ordnungswidrigkeit maßgeblich ist. Interessant ist hierbei die retrospektive Betrachtung, die es ermöglicht, auch Verstöße zu berücksichtigen, die erst nach einem neueren Verstoß registriert wurden. Des Weiteren wurde dem Argument des Antragstellers, eine frühere Verwarnung hätte sein Verhalten beeinflusst, keine Bedeutung beigemessen. Das Gericht stellte fest, dass bereits ergriffene Maßnahmen wie Ermahnungen und Verwarnungen keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Entziehung haben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Der Fall unterstreicht die strikte Anwendung des Punktesystems im deutschen Verkehrsrecht und die geringen Spielräume, die Betroffenen bei der Überschreitung der Punktegrenze bleiben.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was bedeutet einstweiliger Rechtschutz im Kontext der Fahrerlaubnisentziehung?

Einstweiliger Rechtschutz im Kontext der Fahrerlaubnisentziehung bedeutet, dass eine Person, deren Fahrerlaubnis entzogen wurde oder deren Entzug droht, gerichtlichen Schutz sucht, um die sofortige Vollziehung der Entziehung auszusetzen, bis in der Hauptsache entschieden wurde. Dies ist besonders relevant, wenn die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde und der Betroffene dagegen vorgehen möchte.

Das Verfahren für den einstweiligen Rechtschutz ist in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geregelt. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den streitigen Verwaltungsakt treffen. Das bedeutet, dass das Gericht anordnen kann, dass die Fahrerlaubnis vorläufig nicht entzogen wird, bis über die Rechtmäßigkeit der Entziehung in einem Hauptverfahren entschieden wurde.

Der einstweilige Rechtschutz ist somit ein wichtiges Instrument für Betroffene, um ihre Mobilität und unter Umständen ihre berufliche Existenz zu sichern, während das Hauptverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Insbesondere für Berufskraftfahrer und andere Personen, die auf ihren Führerschein angewiesen sind, kann der einstweilige Rechtschutz von großer Bedeutung sein.

Inwiefern beeinflusst das Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister die Fahrerlaubnis?

Das Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister, oft auch als „Punkte in Flensburg“ bezeichnet, hat gravierende Auswirkungen auf die Fahrerlaubnis einer Person. Sobald jemand acht Punkte erreicht, wird die Fahrerlaubnis entzogen. Dies bedeutet, dass die betroffene Person ihren Führerschein abgeben muss und nicht mehr berechtigt ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Der Führerscheinentzug erfolgt nicht automatisch, sondern muss durch einen Verwaltungsakt der zuständigen Behörde vollzogen werden.

Punkte und Fahrerlaubnisentzug

Das Fahreignungsregister beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg erfasst Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Für schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Straßenverkehr werden Punkte vergeben. Die Anzahl der Punkte richtet sich nach der Schwere des Verstoßes. Sobald im Fahreignungsregister acht Punkte erreicht sind, gilt die betroffene Person gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, und die Fahrerlaubnis wird entzogen.

Sperrfrist und Neuerteilung der Fahrerlaubnis

Nach dem Entzug der Fahrerlaubnis wird eine Sperrfrist verhängt, die mindestens sechs Monate beträgt. Während dieser Zeit darf der Betroffene keine neue Fahrerlaubnis erwerben. Nach Ablauf der Sperrfrist kann die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis beantragt werden, allerdings ist dies nicht automatisch garantiert. In vielen Fällen ist die Teilnahme an einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) erforderlich, um die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erneut nachzuweisen.

Vorwarnsystem und Fahreignungsseminar

Bevor es zum Entzug der Fahrerlaubnis kommt, sieht das System verschiedene Warnstufen vor. Bei Erreichen von vier bis fünf Punkten erfolgt eine schriftliche Ermahnung, und der Betroffene hat die Möglichkeit, durch die freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar einen Punkt abzubauen. Bei sechs bis sieben Punkten wird eine Verwarnung ausgesprochen. Diese Stufen dienen dazu, den Fahrer auf sein riskantes Verhalten aufmerksam zu machen und ihm die Möglichkeit zu geben, sein Fahrverhalten zu verbessern, bevor die Fahrerlaubnis entzogen wird.

Das Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister führt zum Entzug der Fahrerlaubnis und stellt eine erhebliche Einschränkung der Mobilität der betroffenen Person dar. Es ist wichtig, sich der Konsequenzen von Verkehrsverstößen bewusst zu sein und gegebenenfalls durch die Teilnahme an einem Fahreignungsseminar Punkte abzubauen, um den Führerscheinentzug zu vermeiden.


Das vorliegende Urteil

VG Berlin – Az.: 4 L 87/23 – Beschluss vom 26.04.2023

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main – Ordnungsamt – erteilte dem 6… geborenen Antragsteller am 3. Mai 2016 eine Fahrerlaubnis für die Klassen AM, B und L. Im Zeitraum vom 2. Juli 2016 bis 19. Oktober 2021 beging der Antragsteller sechs Geschwindigkeitsübertretungen, für welche insgesamt neun Punkte im Fahreignungsregister eingetragen wurden. Während der Probezeit absolvierte er ein Aufbauseminar für Fahranfänger. Für Einzelheiten wird auf die Aufstellung des Antragsgegners, Bl. 99 des Verwaltungsvorgangs, verwiesen. Mit Schreiben vom 22. März 2019 wurde der Antragsteller vom Landrat des Kreises Wesel – Fachdienst Straßenverkehr – ermahnt, mit Schreiben vom 10. August 2022 vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (im Folgenden: LABO) verwarnt. Ferner wies das LABO in der Verwarnung darauf hin, dass dem Antragsteller, sofern er durch weitere im Fahreignungsregister einzutragende Zuwiderhandlungen einen Stand von acht oder mehr Punkten erreichen sollte, die Fahrerlaubnis mit einer sechsmonatigen Sperrfrist für die Wiedererteilung entzogen würde. Unter dem 27. September 2022 teilte das LABO dem Antragsteller mit, dass zwar für die Verkehrsordnungswidrigkeit am 2. Juli 2016 (wegen Zeitablauf) ein Punkt getilgt werde, er nunmehr aber aufgrund der neuen Verkehrsordnungswidrigkeit am 19. Oktober 2021 mit acht Punkten im Fahreignungsregister belastet und die Behörde daher verpflichtet sei, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Sie gab ihm hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2022 entzog das LABO dem Antragsteller sodann die Fahrerlaubnis (Ziff. 1), forderte ihn zur Abgabe des Führerscheins binnen fünf Tagen auf (Ziff. 3) und setzte eine Gebühr in Höhe von 222,18 Euro fest (Ziff. 4). Außerdem wies es darauf hin, dass die Entziehung kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei und daher Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben (Ziff. 2). Zur Begründung führte es aus, mit Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister sei die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen eingetreten und die Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Ermessensspielraum anzuordnen.

Hiergegen erhob der Antragsteller am 4. November 2022 ohne weitere Begründung Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2023, zugestellt am 17. Februar 2023, wies die Behörde den Widerspruch zurück (Ziff. 1) und setzte Gebühren und Auslagen i.H.v. 222,21 Euro fest (Ziff 2.). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Antragsteller habe sich weder Ermahnung noch Verwarnung zur Warnung gereichen lassen und sein Verhalten geändert. Er stelle durch seine beharrlichen Verkehrsverstöße eine Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmende dar. Da er nunmehr acht Punkte im Fahreignungsregister angesammelt habe, sei ihm nach der zwingenden gesetzlichen Wertung die Fahrerlaubnis zu entziehen. Am 28. November 2022 gab der Vater des Antragstellers den Führerschein des Antragstellers in dessen Auftrag bei der Polizei Berlin ab.

Gegen Ausgangs- und Widerspruchsbescheid erhob der Antragsteller am 17. März 2023 Klage und verfolgt sein Begehren mit seinem zugleich erhobenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weiter. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass der siebte Punkt bereits am 30. November 2021 gespeichert, er jedoch erst am 12. August 2022 verwarnt worden sei. In Anbetracht der Häufigkeit der Verstöße wäre bereits eine Verwarnung nach dem sechsten Punkt erforderlich gewesen. Wäre er rechtzeitig verwarnt worden, hätte er keine weiteren Verkehrsordnungswidrigkeiten mehr begangen. Die Unterlassung der Verwarnung müsse auch eine Reduktion des Punktestandes zur Folge haben, da der Antragsteller nur so überhaupt Gelegenheit erhalte, die Veränderung seines Verhaltens unter Beweis stellen zu können. Auch könne er dann ein Fahreignungsseminar besuchen. Als angestellter Fußballer des Fußballvereins FC sei er auf seine Fahrerlaubnis angewiesen, um täglich zu seiner sechs Kilometer entfernten Trainingsstätte und alle zwei Wochen nach Berlin pendeln zu können. Als Person des öffentlichen Interesses sei ihm die Nutzung des öffentlichen Fern- und Nahverkehrs nicht zuzumuten. Daher stelle die Entziehung auch ein Eingriff in seine Berufsfreiheit aus Art. 12 des Grundgesetzes dar.

Er beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage (Q…) gegen den Bescheid des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 18. Oktober 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2022 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, den Führerschein herauszugeben, hilfsweise den Führerschein neu auszustellen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Er hält an seinen Bescheiden fest. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Der Antragsteller habe am 21. Juli 2021 eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen, welche erst am 30. November 2021 im Fahreignungsregister eingetragen worden sei. Da der Antragsteller bereits am 19. Oktober 2021 eine weitere Verkehrsordnungswidrigkeit begangen habe, hätte auch eine Verwarnung unmittelbar nach Eintragung der vorherigen Verkehrsordnungswidrigkeit keine Verhaltensänderung mehr bewirken können. Auch hätte der Antragsteller die Folgen seines Verhaltens bedenken müssen, sodass er sich nicht auf eine Unverhältnismäßigkeit der Entziehungsentscheidung berufen könne. Der Antragsteller habe bereits während der Probezeit ein Aufbauseminar absolvieren müssen und zwei Fahrverbote seien gegen ihn verhängt worden. All dies habe nicht zu einer Verhaltensänderung geführt; er sei gleichwohl weiterhin mit Geschwindigkeitsübertretungen aufgefallen. Daher sei es fernliegend, dass er sich von einer Verwarnung hätte beeindrucken lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

II.

Der Antrag des Antragstellers, über den im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) entscheidet, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist in Bezug auf Ziffer 1. des Bescheids vom 18. Oktober 2022 gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO zulässig, insbesondere nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft, weil nach § 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die hier ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung haben.

Er ist aber insoweit unbegründet. Die angegriffene Entziehung der Fahrerlaubnis erweist sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, so dass auch unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Interessen das Gericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung von einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung absieht.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach gilt ein Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges und die Fahrerlaubnisbehörde hat die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn die Summe der im Fahreignungsregister eingetragenen Punkte acht oder mehr Punkte beträgt. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Ermittlung des Punktestandes ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG der Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Danach ist die Entziehung der Fahrerlaubnis materiell rechtmäßig. Legt man die Regelungen in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 5 StVG zugrunde, hatte der Antragsteller am 19. Oktober 2021, dem Tag der letzten geahndeten Ordnungswidrigkeit, acht Punkte erreicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheids vom 18. Oktober 2022 verwiesen, die sich das Gericht zu eigen macht (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO in entsprechender Anwendung).

Der Berücksichtigung der Tat am 21. Juli 2021 steht nicht entgegen, dass diese erst am 30. November 2021 und damit nach der Tat am 19. Oktober 2021 (welche zum achten Punkt führte) im Fahreignungsregister eingetragen wurde. Gem. § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist für das Ergreifen der Maßnahmen nach Satz 1 auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Es ist demnach retrospektiv zu beurteilen, ob am Tattag acht Punkte einzutragen gewesen wären. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung gerade im Interesse der Verkehrssicherheit dem nach altem Recht möglichen Ausblenden von Taten und Punkten entgegenwirken (Buchardt, in: Münchner Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2016, § 4 Rn. 27). Daher genügt es, wenn wie hier am Tattag der nachfolgenden Verkehrsordnungswidrigkeit Rechtskraft bezüglich der vorherigen Tat eingetreten war (vgl. Dronkovic, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Auflage 2021, §4 StVG Rn. 15).

Der Berücksichtigung von acht Punkten steht ebenso nicht entgegen, dass bereits zum Zeitpunkt der Verwarnung am 10. August 2022 acht Punkte eingetragen waren. Für die Rechtmäßigkeit einer Entziehung gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG ist mithin (allein) entscheidend, dass der Behörde acht Punkte bekannt sind. Für die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids ist es unerheblich, wenn die Fahrerlaubnisbehörde auf der vorangegangenen Stufe versehentlich nur sieben statt tatsächlich bekannter acht Punkte mitgeteilt hat und ihr zwischen der Verwarnung und der Entziehung lediglich ein weiterer Punkt bekannt geworden ist. Die Verwarnung begründet beim Adressaten weder ein schutzwürdiges Vertrauen hinsichtlich des darin angegebenen Punktestands noch bindet sie die Fahrerlaubnisbehörde beim Erlass des Fahrerlaubnisentziehungsbescheids (vgl. auch zur Unterrichtung gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F.: BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2006 – BVerwG 3 B 49.06 – juris, Rn. 5). Der in der Verwarnung mitgeteilte Punktestand gibt auch nicht in jedem Fall den Punktestand wieder, der sich aus den zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Verwarnung begangenen Verkehrsverstößen tatsächlich ergibt. So können etwa – wie hier – Punkte, die sich zwar wegen der rechtskräftigen Ahndung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit bereits gem. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ergeben haben, aber mangels Mitteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt gem. § 4 Abs. 8 StVG noch nicht zur Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde gelangt sind, für die Verwarnung nicht berücksichtigt werden. Gleichwohl werden diese Punkte nach Kenntniserlangung durch die Fahrerlaubnisbehörde Anlass für die Fahrerlaubnisentziehung. Dass der Fahrerlaubnisinhaber also trotz der in § 4 Abs. 5 StVG der Fahrerlaubnisentziehung zwingend vorgeschalteten Maßnahmen nicht zwangsläufig zuverlässig über seinen Punktestand informiert ist, ist nach der Systematik der Vorschrift hinzunehmen (OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Januar 2018 – 4 Bs 94/17 – juris, Rn. 16). Eine solche Auslegung entspricht auch dem Zweck der Rechtsänderungen zum neuen Fahreignungs-Bewertungssystem. Der Gesetzgeber wollte sich für das ab 1. Mai 2014 geltende neue System mit den Erwägungen zur Punkteentstehung und zum Tattagprinzip bewusst vom vorherigen System absetzen (BT-Drs. 18/2775, S. 9). Es soll nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Vielmehr kommt es unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten und für das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, auf die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems an (BT-Drs. 18/2775, S. 9f.). Insbesondere bei Konstellationen, in denen in kurzer Zeit wiederholt und schwer gegen Verkehrsregeln verstoßen wurde, was ein besonderes Risiko für die Verkehrssicherheit bedeutet, soll nach Ansicht des Gesetzgebers in Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nicht über bestimmte Verkehrsverstöße hinweggesehen werden (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 10). Daher sperrt eine Maßnahme nicht die Verwertung von zunächst unberücksichtigt gebliebenen Verstößen bei der darauffolgenden Entziehung (vgl. VGH München, Beschluss vom 23. Mai 2016 – 11 CS 16.585, 11 CS 16.553 – juris, Rn. 16). Es kommt somit entgegen der Auffassung des Antragstellers gar nicht darauf an, ob die Verwarnung noch Anlass zur Verhaltensänderung geben konnte.

Die Fahrerlaubnisbehörde hat auch die stufenweisen Maßnahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG ordnungsgemäß durchgeführt. Danach ist bei einem Punktestand von vier oder fünf Punkten der Inhaber einer Fahrerlaubnis schriftlich zu ermahnen (Nr. 1), bei sechs oder sieben Punkten schriftlich zu verwarnen (Nr. 2) und bei acht oder mehr Punkten gilt er als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen (Nr. 3). Dabei darf eine Verwarnung oder Entziehung erst erfolgen, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe ergriffen worden ist (vgl. § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG).

Hier hat die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen vor der Entziehung ordnungsgemäß durchgeführt. Der Landrat des Kreises Wesel – Fachdienst Straßenverkehr – ermahnte ihn mit Schreiben vom 13. März 2019, nachdem er einen Punktestand von fünf Punkten erreicht hatte. Sodann verwarnte das LABO ihn mit Schreiben vom 10. August 2022. Rechtsfehler zu Ungunsten des Antragstellers bei der Ermittlung dieser Punktestände oder sonstige Fehler dieser beiden Schreiben sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine Rechtspflicht zur Verwarnung nach sechs Punkten besteht nicht. Vielmehr steht es nach dem Gesetzeswortlaut der Behörde frei, nach sechs oder sieben Punkten zu verwarnen.

Da es sich bei § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG um eine gebundene Entscheidung handelt, verbleibt für die vom Antragsteller begehrte Prüfung der Verhältnismäßigkeit kein Raum. Im Übrigen wäre auch nicht nachvollziehbar, wieso es einem angestellten Fußballspieler einer Mannschaft der vierten Liga nicht zumutbar sein soll, den öffentlichen Nah- und Fernverkehr zu nutzen. Für den täglichen Arbeitsweg von sechs Kilometern kann er als Profisportler auf das Fahrrad verwiesen werden. Diese Argumente des Antragstellers sind auch nicht geeignet ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses gegenüber dem Vollzugsinteresses zu begründen. In Anbetracht der Vielzahl von erheblichen gleichartigen Verkehrsverstößen gebietet das hohe Schutzgut der Verkehrssicherheit und der Schutz von Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmenden den einstweiligen Vollzug bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Da der Antragsteller sein Verhalten trotz der vielfältigen Sanktionen für seine Geschwindigkeitsübertretungen nicht geändert und er sich daher als ungeeignet zur Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr erwiesen hat, muss sein Interesse an einer Fortbewegung im eigenen Kraftfahrzeug hinter das Interesse der Allgemeinheit zurückzutreten.

Der Antrag ist in Bezug auf die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins in Ziffer 3. des Bescheids vom 18. Oktober 2022 unzulässig, da es dem Antragsteller an einem qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis mangelt. Zwar fehlt es in Bezug auf Ziffer 3. des Bescheids vom 18. Oktober 2022 an der Anordnung der sofortigen Vollziehung, da sich § 4 Abs. 9 StVG nach dem eindeutigen Wortlaut nicht auf die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins erstreckt (VG Berlin, Beschluss vom 22. November 2018 – VG 4 L 366.18 – juris, Rn. 19; VG Koblenz, Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 4 L 1078/20.KO – juris, Rn. 5; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 9. Oktober 2020 – 9 L 727/20 – juris, Rn. 5; gleiches gilt auch für § 47 Abs. 1 Satz 2 der Fahrerlaubnisverordnung: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007 – OVG 1 S 31.07 – juris, Rn. 5ff.), sodass der Klage insoweit aufschiebende Wirkung zukommt. Gleichwohl kann der Antragsteller kein schützenswertes Interesse an der Rückgabe seines Führerscheins geltend machen. Beim Führerschein handelt es sich gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 StVG lediglich um die amtliche Bescheinigung der Fahrerlaubnis. Der Antragsteller ist nicht mehr im Besitz der Fahrerlaubnis, er darf demnach gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 StVG keine Kraftfahrzeuge auf öffentlichen Straßen führen. Der Führerschein verkörpert daher eine unzutreffende Berechtigung des Antragstellers; er suggeriert ein Recht, welches dem Antragsteller nicht mehr zusteht. Am Besitz einer unzutreffenden Bescheinigung kann kein rechtlich schützenswertes Interesse bestehen. Aus den gleichen Erwägungen besteht auch kein Anspruch nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auf Rückgabe des Führerscheins.

Soweit sich der Antrag gegen die Gebühren- und Abgabenfestsetzungen in Ziffer 4. des Bescheids vom 18. Oktober 2022 und Ziffer 2. den Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2023 wendet, ist der Antrag unzulässig, da der Antragsteller keinen gem. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

 

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