OLG Koblenz – Az.: 2 OWi 32 SsRs 354/21 – Beschluss vom 18.01.2022
In dem Bußgeldverfahren gegen wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung hier: Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der 2. Strafsenat – 2. Senat für Bußgeldsachen – des Oberlandesgerichts Koblenz am 18. Januar 2022 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 11. Oktober 2021 wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 11. Oktober 2021 aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler verurteilte den Betroffenen am 11. Oktober 2021 wegen einer am 4. Dezember 2019 als Führer eines Personenkraftwagens außerhalb geschlossener Ortschaften begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h zu einer Geldbuße von 240 Euro.
Gegen das am 12. Oktober 2021 zugestellte Urteil beantragte der Verteidiger des Betroffenen in dessen Namen mit Schriftsatz vom gleichen Tag, der auch an diesem Tag bei dem Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler einging, die Zulassung der Rechtsbeschwerde. Mit der am 11. November 2021 eingegangenen anwaltlichen Rechtsbeschwerdebegründung macht der Betroffene die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 21. Dezember 2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil zuzulassen und auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler zurückzuverweisen. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht.
1. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da es geboten ist, das angegriffene Urteil wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
Der Betroffene hat die Verfahrensrüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend begründet. Das rechtliche Gehör des Betroffenen wurde auch verletzt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu Folgendes ausgeführt:
„Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und dem Betroffenen nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Diesem Recht entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dementsprechend ist das rechtliche Gehör nur dann verletzt, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1992 – 2 BvR 700/91, NJW 1992, 2811).
Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die Annahme der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht die vor der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen und Anträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen und diese erwogen hat.
§ 74 Absatz 1 Satz 1 OWiG bestimmt, dass die Hauptverhandlung dann in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt wird, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. § 74 Absatz 1 Satz 2 OWiG bestimmt weiter, dass frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen sind. § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG soll sicherstellen, dass zum Ausgleich für die weitgehende Durchbrechung der auch im Bußgeldverfahren zu beachtenden Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsätze alle wesentlichen Erklärungen, die der Betroffene in irgendeinem Stadium des Verfahrens zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgegeben hat, im Falle des ihm gestatteten Fernbleibens von der Hauptverhandlung bei der Entscheidung berücksichtigt werden; es handelt sich hierbei um zwingendes Recht (OLG Celle, Beschluss vom 28.06.2016 – 2 Ss (OWi) 125/16, BeckRS 2016, 133188 m. w. N.).
Da das Amtsgericht ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls die Äußerungen und Anträge des Betroffenen nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht und diese weder in der Hauptverhandlung noch in den Urteilsgründen beschieden hat, hat es somit das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt.“
Dem schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an. Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht unter Berücksichtigung des Vortrags des Betroffenen zu einem anderen Urteil gelangt wäre.
Nach alledem war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, da es geboten ist, das erstinstanzliche Urteil wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Die Rechtsbeschwerde hat deshalb aus den genannten Gründen – jedenfalls vorläufig – Erfolg.
Die Sache war unter Aufhebung des angegriffenen Urteils zu erneuter Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Linz am Rhein zurückzuverweisen. Anlass, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen (§ 79 Abs. 6 Alt. 2 und 3 OWiG), bestand nicht.