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Rotlichtverstoß infolge Mitzieheffekts

Oberlandesgericht Thüringen, Az.: 1 Ss 227/05, Beschluss vom 23.08.2005

Das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 22.06.2005 wird im Ausspruch über die Rechtsfolgen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Prüfung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Jena zurückverwiesen.

Gründe

I. Durch Bußgeldbescheid des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes – Zentrale Bußgeldstelle – vom 07.03.2005 wurde gegen den Betroffenen wegen Missachtung des Rotlichtes einer Lichtzeichenanlage bei länger als eine Sekunde dauernder Rotphase eine Geldbuße von 125,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen am 15.03.2005 zugestellt. Hiergegen legte der Verteidiger des Betroffenen am 16.03.2005 Einspruch ein.

Rotlichtverstoß infolge Mitzieheffekts
Symbolfoto: yuniorperez/Bigstock

Am 22.06.2005 verurteilte das Amtsgericht Jena den Betroffenen wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichtes einer Lichtzeichenanlage bei länger als eine Sekunde dauernder Rotlichtphase zu einer Geldbuße von 125,00 € und ordnete ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer an, wobei es die Wirksamkeitsregel des § 25 Abs. 2a StVG zur Anwendung brachte.

Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 28.06.2005 beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch Rechtsbeschwerde ein. Die Zustellung des Urteils an den Betroffenen erfolgte am 25.06.2005. Mit Schriftsatz vom 13.07.2005 wurde die Rechtsbeschwerde begründet. Gerügt wird näher ausgeführt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 11.08.2005 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 22.06.2005 im Rechtsfolgenausspruch dahin abzuändern, dass die Geldbuße 50,00 € beträgt und das Fahrverbot entfällt.

Durch Beschluss vom 22.08.2005 ist die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Jena vom 22.06.2005 im Ausspruch über die Rechtsfolgen und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt: „Am 19.02.2005 befuhr der Betroffene gegen 10.05 Uhr den „Fürstengraben“ in Jena in Richtung „Am Heinrichsberg“ mit dem Fahrzeug der Marke Volkswagen, amtliches Kennzeichen J-… An der Lichtzeichenanlage am „Johannisplatz“ hielt der Betroffene mit seinem Fahrzeug. Hinter dem Fahrzeug des Betroffenen, das als erstes an der Haltelinie stand, hielt ein Funkstreifenwagen, in welchem sich die Zeugen S1 und S2 befanden. Der Betroffene stand bereits mehrere Sekunden mit seinem Fahrzeug an der auf Rotlicht geschalteten Lichtsignalanlage. Obwohl die Lichtsignalanlage für seine Fahrtrichtung weiterhin Rotlicht anzeigte, fuhr der Betroffene mit seinem Fahrzeug an und verließ den Einmündungsbereich am „Johannisplatz“. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich keine anderen Verkehrsteilnehmer im unmittelbaren Einmündungsbereich. (…)“

Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Betroffene dahingehend eingelassen, dass die Lichtsignalanlage seiner Ansicht nach für seine Fahrtrichtung grünes Licht angezeigt habe. Die Zeugen S1 und S2 haben ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe bekundet, dass der Betroffene losgefahren sei, als die Linksabbieger in Richtung Goethegalerie grünes Licht bekommen hätten.

1. Der Ausspruch über das Fahrverbot kann keinen Bestand haben.

Nach § 25 Abs. 1 StVG kann ein Fahrverbot verhängt werden, wenn der Betroffene die Ordnungswidrigkeit unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat.

a) Eine beharrliche Pflichtverletzung begeht nur, wer Verkehrsvorschriften aus mangelnder Rechtstreue verletzt (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 25 StVG Rn. 15). Hierfür findet sich in den Feststellungen des Amtsgerichts von vorneherein keinerlei Anhaltspunkt.

b) Grobe Pflichtverletzungen sind solche, die (objektiv) immer wieder Ursache schwerer Unfälle sind und (subjektiv) auf besonders grobem Leichtsinn, grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruhen (Hentschel a.a.O. Rn. 14).

Die in § 4 Abs. 1 BKatV und im Anhang zum Bußgeldkatalog (Anl. zu § 1 Abs. 1 BKatV) aufgeführten Tatbestände – hier der „qualifizierte“ Rotlichtverstoß nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 BKatV, Nr. 132.2 des Bußgeldkatalogs – indizieren als Regelbeispiele zwar eine grobe Pflichtverletzung, die zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf (BGHSt 38, 125, 134; BayObLG NZV 1994, 370). Auch wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben sind, ist der Tatrichter aber nicht der Prüfung enthoben, ob Umstände des konkreten Falles in objektiver oder subjektiver Hinsicht der Annahme eines Regelfalles entgegenstehen (BVerfG DAR 1996, 196).

Objektiv liegt eine grobe Pflichtwidrigkeit vor. Eine Minderung des Erfolgsunwertes ist nicht gegeben.

In Nr. 132.2 BKat kommt eine von den Gerichten zu beachtende Grundsatzentscheidung des Verordnungsgebers dahingehend zum Ausdruck, bestimmte Verhaltsformen als regelmäßig besonders gefährlich und deswegen als grundsätzlich verboten einzustufen. Es ist deshalb nicht zulässig, diesen Grundsatz dahingehend einzuschränken, dass Handlungen, die im konkreten Fall ungeeignet sind, das geschützte Rechtsgut in Gefahr zu bringen, von Nr. 132.2 BKat ausgenommen werden. Es war gerade das Anliegen des Verordnungsgebers, die abstrakte Gefährdung typisierend festzulegen und entsprechend zu ahnden. Ausnahmen können dementsprechend allenfalls zugelassen werden, wenn – dies ist hier indes nicht der Fall; insoweit reicht nicht, das sich nach den Feststellungen des Amtsgerichts im unmittelbaren Einmündungsbereich keine Verkehrsteilnehmer befanden – eine auch nur abstrakte Gefährdung völlig ausgeschlossen ist (BayObLG NZV 2003, 350, 351).

Da während des gesamten von Nr. 132.2 BKat erfassten Zeitraums von einer Sekunde nach Beginn der Rotlichtphase bis zu deren Ende mit Querverkehr zu rechnen ist, begründet das in einem späten Stadium der Rotlichtphase erfolgende Einfahren in den Einmündungs- oder Kreuzungsbereich mindestens eine ebenso hohe abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer wie die Missachtung des Rotlichtes einige oder wenige Sekunden nach Beginn der Rotlichtphase. Vor diesem Hintergrund hat der Verordnungsgeber – der Wortlaut der Nr. 132.2 BKat ist insoweit eindeutig – die Ahndung der Missachtung des Rotlichts auch nicht eingeschränkt (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1996, 117).

Unzureichend sind jedoch die Ausführungen des Amtsgerichts dazu, dass auch subjektiv eine grobe Pflichtwidrigkeit gegeben ist.

Ein auf leichter Fahrlässigkeit beruhendes Augenblicksversagen muss der Tatrichter zwar nur in Erwägung ziehen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder wenn der Betroffene dies im Verfahren einwendet (BGHSt 43, 241, 251). Dies war vorliegend aber gerade der Fall.

Auch wenn von einem Verkehrsteilnehmer in Bezug auf den durch eine Lichtzeichenanlage geschützten Bereich eine gesteigerte Aufmerksamkeit zu verlangen ist, schließt dies nicht a priori aus, dass auch ein qualifizierter Rotlichtverstoß auf einem bloß fahrlässigen Übersehen bzw. Verwechseln des Rotlichts infolge Augenblicksversehens beruhen kann. Einschlägig sind insoweit insbesondere die Fälle des sog. Mitzieheffekts, wenn also – wie hier – der Betroffene zunächst ordnungsgemäß vor der Lichtzeichenanlage hält, dann aber aufgrund eines Wahrnehmungsfehlers das für ihn weiter geltende Rotlicht missachtet, weil er sich durch das Losfahren anderer Fahrzeugführer vor oder neben sich mitziehen lässt (Deutscher NZV 2004, 173, 175).

Ob der Handlungsunwert in diesen Konstellationen gemindert ist, ist jedoch immer Frage des Einzelfalles. Dies kann nicht abstrakt-generell entschieden werden (OLG Frankfurt StraFo 2005, 126, 127). Maßgebend sind dabei insbesondere die Gegebenheiten und Sichtverhältnisse am Tatort. Hiermit hat sich das Amtsgericht jedoch nicht ausreichend auseinander gesetzt und insoweit auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen. Dies ist nunmehr nachzuholen.

2. Wegen der Wechselwirkung beider Sanktionen erfasst die Aufhebung des Fahrverbots auch die Geldbuße (OLG Hamm NJW 2004, 172, 173).

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Stuft das Gericht die Zuwiderhandlung als Regelfall nach der BKatV ein, so braucht es die Bemessung der Geldbuße bei Übernahme des Regelsatzes entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht näher zu begründen; erst bei einem Abweichen von den Regelsätzen sind die dafür maßgebenden Gründe im Urteil ausreichend darzulegen (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 17 Rn. 34).

b) Die Verhängung einer Geldbuße in Höhe der Regelgeldbuße begegnet hier auch dann keinen Bedenken, wenn sich nach erneuter Prüfung ergeben sollte, dass der „qualifizierte“ Rotlichtverstoß Folge eines Augenblicksversagen war.

Es läge kein atypischer Fall vor, der ein Abweichen von der Regelgeldbuße rechtfertigten würde. Wie bereits ausgeführt ist von § 4 Abs. 1 Nr. 4 BKatV, Nr. 132.2 des Bußgeldkatalogs nicht nur die Missachtung des Rotlichtes einige oder wenige Sekunden nach Beginn der Rotlichtphase erfasst. Das Lichtzeichen ist wegen der fortbestehenden, wenn nicht im Zeitverlauf sogar erhöhten abstrakten Gefahr für den Querverkehr bis zu deren Ende zu beachten.

Auf eine eventuelle Minderung des Handlungsunwertes infolge Augenblicksversagens kommt es dabei nicht an. Der Verordnungsgeber geht bei den Regelsätzen nur von fahrlässiger Begehung aus (§ 1 Abs. 2 BKatV). Gemeint ist damit einfache Fahrlässigkeit, keine grobe Fahrlässigkeit. Einfache Fahrlässigkeit ist indes auch bei einem Augenblicksversagen anzunehmen.

Nur dann, wenn zusätzlich zur Geldbuße ein Fahrverbot verhängt werden soll, reicht einfache Fahrlässigkeit nicht aus und eine objektiv wie subjektiv grobe Pflichtverletzung ist erforderlich (§ 4 Abs. 1 BKatV). Dies betrifft jedoch lediglich die Verhängung des Fahrverbotes. § 1 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 BKatV stehen nebeneinander und haben demgemäß unterschiedliche Voraussetzungen für die jeweilige Sanktion. § 4 Abs. 1 BKatV überlagert insoweit nicht § 1 Abs. 2 BKatV. Daraus, dass die Anforderungen für ein Fahrverbot höher sind, kann daher nicht geschlussfolgert werden, dass in den Fällen, in denen der Bußgeldkatalog eine Regelgeldbuße und ein Regelfahrverbot vorsieht, auch die Voraussetzungen für die Regelgeldbuße erhöht sind. Jedes andere Verständnis würde zu einer ungerechtfertigten doppelten Privilegierung des Betroffenen führen, für die zumal angesichts der Schwere des objektiven Pflichtenverstoßes – ebenso wie etwa in den Fällen der Geschwindigkeitsüberschreitung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV – keinerlei Veranlassung besteht. Umgekehrt führt das Vorliegen einer groben Pflichtwidrigkeit nicht dazu, von der Regelgeldbuße nach oben hin abzuweichen, da nach dem Willen des Verordnungsgeber die Abgeltung insoweit durch das Fahrverbot erfolgt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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