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Fahrerlaubnisentziehung – Verwirkung bei längerer Untätigkeit der Fahrerlaubnisbehörde

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.:  11 CS 19.199 – Beschluss vom 15.03.2019

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, AM, B, BE und L wegen Erreichens von acht Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem.

Mit Schreiben vom 25. November 2016 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Antragsgegnerin mit, der Antragsteller habe mit einer Ordnungswidrigkeit vom 16. Juli 2016, rechtskräftig geahndet am 9. November 2016, acht Punkte erreicht. Daraufhin hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller am 7. Februar 2017 zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers bat daraufhin um Akteneinsicht und Fristverlängerung, die bis 22. Februar 2017 gewährt wurde. Mit Schreiben vom 17. Februar 2017 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, es würden Aktenteile fehlen. Daraufhin übersandte die Antragsgegnerin am 1. März 2017 die fehlenden Aktenbestandteile und verlängerte die Frist bis 30. März 2017.

Am 26. April 2017 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Antragsgegnerin mit, es seien weitere drei Punkte im Fahreignungsregister eingetragen worden. Mit Schreiben vom 8. November 2017 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt mit, für den Antragsteller seien noch sieben Eintragungen gespeichert.

Einer Aktennotiz der Antragsgegnerin ist zu entnehmen, dass am 24. Januar 2018 ein Bediensteter mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers telefonierte und ihn um Stellungnahme bis 7. Februar 2018 bat. Mit der Stellungnahme vom 7. Februar 2018 machte der Prozessbevollmächtigte geltend, seit 1. März 2017 seien keine behördlichen Maßnahmen erfolgt. Das Recht zur Entziehung der Fahrerlaubnis sei daher verwirkt. Im Übrigen sei der Punktestand mittlerweile weit unter acht Punkte abgesunken und der Antragsteller sei wieder fahrgeeignet. Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 teilte die Antragsgegnerin mit, durch die letzte Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 26. April 2017 ergäben sich zehn Punkte und die Fahrerlaubnis müsse entzogen werden. Die Frist zur Stellungnahme werde bis 26. Februar 2018 verlängert. Am 26. Februar 2018 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, der beabsichtigten Entziehung liege eine Bewertung vom 9. November 2016 zugrunde. Seither sei eine lange Zeit verstrichen und es seien lediglich noch vier Punkte eingetragen.

Mit Schreiben vom 1. März 2018 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, alle Verkehrszuwiderhandlungen, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hätten, seien rechtskräftig im Fahreignungsregister eingetragen. Die Taten aus den Jahren 2012 und 2014 seien zwar teilweise getilgt, befänden sich aber weiterhin in der Überliegefrist und könnten daher weiter verwertet werden. Die Tat vom 28. Mai 2014 sei seit 15. Januar 2017 getilgt und befinde sich auch nicht mehr in der Überliegefrist. Sie könne daher nicht mehr berücksichtigt werden. Gleichwohl seien die Eintragungen insgesamt mit zehn Punkten zu bewerten.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2018 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die unverzügliche Vorlage des Führerscheins sowie die sofortige Vollziehung hinsichtlich der Vorlagepflicht an. Dem Antragsteller sei nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen, da er nach den Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts vom 25. November 2016, vom 26. April 2017 und vom 8. November 2017 acht Punkte im Fahreignungsregister erreicht habe.

Über die gegen den Bescheid vom 19. Juni 2018 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München nach Aktenlage noch nicht entschieden (Az. M 26 K 18.3278). Den Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Dezember 2018 abgelehnt. Die Klage werde voraussichtlich nicht erfolgreich sein, denn der Antragsteller sei fahrungeeignet. Die lange Zeit bis zum Entzug der Fahrerlaubnis führe nicht zu einer Verwirkung. Unabhängig davon, ob eine Verwirkung im Sicherheitsrecht überhaupt in Betracht komme, seien keine Umstände ersichtlich, die beim Antragsteller die Annahme hätten rechtfertigen können, die Antragsgegnerin werde von der Möglichkeit zur Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr Gebrauch machen. Die lange Zeitdauer sei auch verschiedenen Fristverlängerungsanträgen geschuldet gewesen. Der Antragsteller sei auch nicht wieder fahrgeeignet, denn mit dem Erreichen von acht Punkten stehe die Ungeeignetheit fest. Spätere Punktereduzierungen seien unbeachtlich, solange die Überliegefrist noch nicht abgelaufen sei. Der Bescheid genüge auch dem Bestimmtheitserfordernis, denn er entziehe klar und unzweideutig die Fahrerlaubnis. Auch die Begründung sei nicht zu beanstanden.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, der Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt, da nicht ersichtlich sei, auf welche Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts er sich stütze, die alle einen unterschiedlichen Inhalt hätten. Es sei nicht erkennbar, auf welcher konkreten Tatsachenbewertung die Entscheidung basiere. Aufgrund des langen Zeitablaufs sei das Recht zur Entziehung der Fahrerlaubnis auch verwirkt. Die Fristverlängerungen seien nur jeweils sehr kurz gewesen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei darüber hinaus unverhältnismäßig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben.

Mit der Zuwiderhandlung vom 16. Juli 2016, rechtskräftig geahndet am 9. November 2016, hatte der Antragsteller acht Punkte erreicht. Die beiden weiteren Verstöße vom 10. Dezember 2015, rechtskräftig geahndet am 22. März 2017 (2 Punkte) sowie vom 21. September 2016, rechtskräftig geahndet am 6. April 2017 (1 Punkt) haben den Punktestand des Antragstellers zum Tattag 21. September 2016 auf elf Punkte erhöht. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt er daher als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zwingend zu entziehen.

Soweit der Antragsteller vorträgt, das Recht zur Entziehung der Fahrerlaubnis sei verwirkt, da die Antragsgegnerin vom 1. März 2017 bis zum Bescheiderlass am 19. Juni 2018 nichts getan habe, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar trifft es zu, dass die Antragsgegnerin das Verfahren nicht mit dem gebotenen Nachdruck betrieben hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie hierdurch gehalten wäre, zum Schutz der Verkehrssicherheit gebotene fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen zu unterlassen. Es kann dahinstehen, ob eine Verwirkung im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2014 – 11 C 14.386 – juris Rn. 20). Voraussetzung für eine Verwirkung wäre jedenfalls, dass neben dem Verstreichen eines längeren Zeitraums weitere Umstände hinzukommen, die ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, die Behörde werde von ihrer Befugnis auch künftig keinen Gebrauch mehr machen (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2005 – DAR 2014, 281 Rn. 7). Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Antragsgegnerin hat nie zum Ausdruck gebracht, dass sie von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absehen könnte, sondern in den Schreiben vom 14. Februar und 1. März 2018 betont, dass sie an der Entziehung der Fahrerlaubnis festhält. Aus welchen Gründen sie nach Übersendung der vollständigen Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 25. November 2016 an den Prozessbevollmächtigten und Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis 30. März 2017 mit Schreiben vom 1. März 2017 bis zur Kontaktaufnahme mit dem Prozessbevollmächtigten am 24. Januar 2018 nicht tätig geworden ist, ist dabei unerheblich.

Der Bescheid ist auch hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Es wird dem Antragsteller damit unmissverständlich die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen. Ob der Verwaltungsakt nach Art. 39 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis überhaupt einer Begründung bedarf, da dem Antragsteller mit zahlreichen Schreiben die Sach- und Rechtslage ausführlich dargelegt worden ist und es sich bei der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG um eine gebundene Entscheidung handelt, auf die der Antragsteller schon mit der Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG vom 18. Januar 2016 hingewiesen worden ist, kann dahinstehen. Jedenfalls sind an die Begründung im vorliegenden Fall keine großen Anforderungen zu stellen. Die Ausführungen im Bescheid, der Antragsteller habe aufgrund der von ihm begangenen Verstöße acht Punkte erreicht und das Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen sowie der Hinweis auf die Unbeachtlichkeit später eingetretener Punktetilgungen genügen den Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG.

Die nachträgliche Tilgung von Punkten kann nach § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG auch keine Berücksichtigung finden. Nachdem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG beim Erreichen von acht Punkten zwingend zu verfügen ist, ist auch für Verhältnismäßigkeitserwägungen grundsätzlich kein Raum. Erst wenn Verstöße nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG im Fahreignungsregister gelöscht sind, können sie auch für Entziehungen der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – VRS 132, 71 Rn. 13 ff.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da die am 9. Juli 2007 unanfechtbar gewordene Entziehung der Fahrerlaubnis die Tilgung der vor dem 1. Mai 2014 eingetragenen Verstöße bis 9. Juli 2017 gehemmt hat.

Damit ist die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1. und 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, Anh. § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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