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Verkehrsunfall – Wahrung der doppelten Rückschaupflicht

OLG Hamm – Az.: I-7 U 106/20 – Urteil vom 08.07.2022

Auf die Berufung des Klägers wird das am 25.11.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg (Az.: I-2 O 534/17) unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger weitere 4.000,00 EUR Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.02.2018 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner zu 100 % verpflichtet sind, dem Kläger seine weiteren materiellen und zukünftige, derzeit nicht vorhersehbare immaterielle Schäden aus dem Verkehrsunfall am 00.00.2016 in A, B, C-Straße, D-Straße, Einmündung, E zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen der Kläger zu 28 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 72 %. Die Kosten des Rechtsstreits 2. Instanz tragen der Kläger zu 44 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 56 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 4.000,00 EUR nebst Zinsen im tenorierten Umfang aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG. Zudem ist der Feststellungsantrag nach einer Quote von 100 % zu Lasten der Beklagten begründet. Die weitergehende Berufung des Klägers ist hingegen unbegründet; insoweit verbleibt es bei der Klageabweisung durch das Landgericht.

1.

Der Unfall war für keinen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG. Den Beweis für die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens muss jeweils die Partei führen, die sich darauf beruft (vgl. OLG Hamm Urteil vom 3.12.2021 – I-7 U 33/20, NJW-RR 2022, 676, Rn. 3, beck-online). Auf eine Unabwendbarkeit beruft sich der Kläger ausdrücklich nicht. Auch für den Beklagten zu 1) stellt sich der Unfall nicht als unabwendbares Ereignis dar. Nach seinem eigenen Vortrag hat er den Kläger bereits vor dem Abbiegen bei einem Schulterblick wahrgenommen. Dass ein Idealfahrer in dieser Situation nicht in Anwendung äußerster Sorgfalt den Unfall durch Zurückstellen der Abbiegeabsicht vermieden hätte, ist von den Beklagten weder dargetan noch sonst ersichtlich.

2.

Die damit gem. §§ 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Verschuldensanteile ergibt, dass die Beklagten vollumfänglich für die Folgen des Verkehrsunfalls einzustehen haben.

Nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (vgl. BGH Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 231/17, NJW 2018, 3095 Rn. 10). Darüber hinaus ist die konkrete Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge von Bedeutung. Die Umstände, die die konkrete Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs erhöhen, insbesondere also dem anderen zum Verschulden gereichen, hat im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der Unfallgegner zu beweisen (vgl. Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 17 StVG [Stand: 01.12.2021] Rn. 78).

a)

Dem Beklagten zu 1) sind Verstöße gegen §§ 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 und Satz 4 StVO zur Last zu legen.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO muss, wer abbiegen will, dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Wer nach links abbiegen will, hat sein Fahrzeug bis zur Mitte, auf Fahrbahnen für eine Richtung möglichst weit links, einzuordnen, und zwar rechtzeitig (Satz 2). Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist auf den nachfolgenden Verkehr zu achten; vor dem Abbiegen ist es dann nicht nötig, wenn eine Gefährdung nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist (Satz 4).

Für einen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 9 Abs. 1 StVO spricht, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, ein Anscheinsbeweis. Soweit sich ein Unfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Linksabbiegevorgang ereignet, spricht nach aller Lebenserfahrung vieles dafür (Anscheinsbeweis), dass der Linksabbieger die ihm nach § 9 Abs. 1 StVO obliegenden Sorgfaltsanforderungen, insbesondere die doppelte Rückschaupflicht, nicht ausreichend beachtet hat (vgl. Senat Urt. v. 3.12.2021 – 7 U 33/20, NJW-RR 2022, 676 Rn. 10; Senat Hinweisbeschl. v. 4.5.2020 – 7 U 29/19, BeckRS 2020, 39618 Rn. 13; OLG Koblenz Urt. v. 8.6.2020 – 12 U 554/19, BeckRS 2020, 13974 Rn. 3; OLG Jena Urt. v. 28.10.2016 – 7 U 152/16, NJW-RR 2017, 605 Rn. 10).

Um ihrer Haftung zu entgehen, wäre es somit an den Beklagten gewesen, den Anscheinsbeweis zu erschüttern und darzulegen und zu beweisen, dass ein sogenannter atypischer Geschehensablauf vorlag (vgl. Senat Urt. v. 3.12.2021 – 7 U 33/20, BeckRS 2021, 44473 Rn. 10; OLG Koblenz Urt. v. 8.6.2020 – 12 U 554/19, BeckRS 2020, 13974 Rn. 3). Dies ist den Beklagten nicht gelungen.

Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass die Beklagten weder ein rechtzeitiges Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers noch ein Einordnen zur Mitte bewiesen haben. Der Senat ist an diese Feststellungen des Landgerichts gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden; denn Fehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts werden weder aufgezeigt noch sind sie ersichtlich.

Vielmehr hat der Beklagte zu 1) bereits nach seinen eigenen Angaben gegen die Pflicht zur zweiten Rückschau nach § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO verstoßen. Er hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung erster Instanz ausgeführt, er habe einen „doppelten Schulterblick“ vorgenommen und den Kläger gesehen. Dieser sei noch 20 bis 30 Meter entfernt gewesen. Dann habe er links geblinkt und noch ein entgegenkommendes Auto durchgelassen und sei dann abgebogen. Hieraus folgt, dass er gerade keine zweite Rückschau unmittelbar vor dem Abbiegen nach links vorgenommen hat. Eine solche war auch bereits deshalb nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz StVO entbehrlich, sondern gerade geboten, eben weil der Beklagte zu 1) das Fahrzeug des Klägers nach seinen eigenen Angaben zuvor bei einem Schulterblick in der Annäherung gesehen hatte.

b)

Demgegenüber ist ein Verkehrsverstoß des Klägers nicht nachgewiesen.

aa)

Der Kläger hat nicht gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen, wonach das Überholen unzulässig ist, wenn eine unklare Verkehrslage vorliegt.

Eine solche ist gegeben, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf. Das ist der Fall, wenn die Verkehrslage unübersichtlich bzw. ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht zu beurteilen ist. Hierbei kommt es nicht auf das Gefühl des Überholwilligen an (vgl. Senat Urt. v. 3.12.2021 – 7 U 33/20, BeckRS 2021, 44473 Rn. 14; OLG München Urt. v. 21.10.2020 – 10 U 893/20, NJOZ 2021, 684 Rn. 12).

Allein der Umstand, dass das vorausfahrende Fahrzeug seine Geschwindigkeit verringert und sich etwas zur Fahrbahnmitte einordnet, begründet noch keine unklare Verkehrslage, bei der ein Überholen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO unzulässig ist. Bei einer solchen Sachlage kommt es auf die konkrete Verkehrssituation und die Örtlichkeit an. Wenn diese geeignet sind, Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Vorausfahrenden aufkommen zu lassen, kommt eine unklare Verkehrslage in Betracht (Senat Urt. v. 3.12.2021 – 7 U 33/20, NJW-RR 2022, 676 Rn. 15; OLG München Urt. v. 21.10.2020 – 10 U 893/20, BeckRS 2020, 28371 Rn. 12).

Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob der Beklagte zu 1) – dem Vortrag des Klägers entsprechend – vor dem Abbiegevorgang kontinuierlich langsam fuhr oder aber ob er – den Angaben des Beklagten zu 1) entsprechend – in Annäherung an die Kreuzung seine Geschwindigkeit verlangsamte.

Das Landgericht hat zutreffend und damit für den Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend festgestellt, dass die Beklagten weder ein rechtzeitiges Blinkersetzen noch ein Einordnen seitens des Beklagten zu 1) zur Mitte bewiesen haben, so dass der Kläger seinen Überholvorgang nicht hätte einleiten dürfen bzw. hätte abbrechen müssen. Das Überholen war für den Kläger trotz geringer Geschwindigkeit des Eisverkaufsfahrzeugs des Beklagten zu 1) jedenfalls so lange zulässig, als der linke Fahrtrichtungsanzeiger an diesem Fahrzeug nicht betätigt worden ist (vgl. Senat Urt. v. 3.12.2021 – 7 U 33/20, BeckRS 2021, 44473 Rn. 16).

bb)

Es liegt auch kein Verstoß des Klägers gegen § 3 StVO wegen Überschreitung der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h vor.

Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass ein Geschwindigkeitsverstoß des Klägers nach den Ausführungen des Sachverständigen F durch die Beklagten nicht bewiesen sei. Der Senat ist auch an diese Feststellungen des Landgerichts gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Fehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts werden weder aufgezeigt noch sind sie ersichtlich.

cc)

Im Hinblick auf die bei motorisierten Zweirädern aufgrund ihrer Beschleunigungsfähigkeit und Instabilität grundsätzlich erhöhte Betriebsgefahr (vgl. OLG Hamm Urt. v. 30.5.2016 – 6 U 13/16, BeckRS 2016, 14528 Rn. 31) kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass diese unfallursächlich geworden ist. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit seitens des Klägers haben die Beklagten – wie ausgeführt – nicht bewiesen.

c)

Im Ergebnis sind zulasten der Beklagten Verstöße des Beklagten zu 1) gegen §§ 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 und Satz 4 StVO in die Abwägung einzustellen.

Auf Seiten des Klägers ist hingegen lediglich die einfache Betriebsgefahr in Ansatz zu bringen. Der Senat verneint eine Mithaftung des Klägers zu 25 %, da diesem – wie ausgeführt – ein Verschulden nicht nachgewiesen werden kann und die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Überholenden nach gefestigter Rechtsprechung des Senats regelmäßig hinter dem Verschulden desjenigen, der verkehrswidrig nach links abbiegt, vollständig zurücktritt (Senat Hinweisbeschl. v. 21.12.2021 – 7 U 41/21, BeckRS 2021, 54315 Rn. 14; Senat Urt. v. 3.12.2021 – I-7 U 33/20, NJW-RR 2022, 676 Rn. 18; ebenso: OLG Saarbrücken Beschl. v. 12.3.2015 – 4 U 187/13, BeckRS 2015, 8438 Rn. 43; OLG Jena Urt. v. 28.10.2016 – 7 U 152/16, NJW-RR 2017, 605 Rn. 17).

3.

Als Rechtsfolge kann der Kläger nach § 253 Abs. 2 BGB die Zahlung weiteren Schmerzensgeldes verlangen.

Der Senat ist der Auffassung, dass zum Ausgleich der Verletzungen und Beeinträchtigungen des Klägers ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 15.000,00 EUR – auf welches die vorgerichtliche Zahlung der Beklagten zu 2) von 917,23 EUR anzurechnen ist – angemessen, aber auch ausreichend ist. Unter Abzug des durch das Landgericht bereits zuerkannten Betrags von 10.082,77 EUR (11.000,00 EUR abzgl. 917,23 EUR) steht dem Kläger damit ein Anspruch auf Zahlung weiterer 4.000,00 EUR zu.

a)

Das Schmerzensgeld hat nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion, BGH Urt. v. 8.2.2022 – VI ZR 409/19, VersR 2022, 635 Rn. 11). Dabei steht regelmäßig der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund (BGH Urt. v. 8.2.2022 – VI ZR 409/19, VersR 2022, 635 Rn. 12).

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat der Tatrichter zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt (BGH Urt. v. 15.2.2022 – VI ZR 937/20, VuR 2022, 259 Rn. 13).

b)

Der Senat hat zunächst – wie das Landgericht – die unstreitigen Unfallfolgen zugrunde gelegt.

Diese bestehen darin, dass der Kläger eine mehrfragmentäre dislozierte Unterschenkelfraktur mit Kompartmentsyndrom und eine dislozierte Fraktur des linken Mittelfußknochens mit Fußkompartment erlitten hat. Es waren mehrere Eingriffe zur Reposition, zunächst mittels eines externen Fixateurs und Osteosynthese der Frakturen erforderlich. Der Kläger befand sich für einen Zeitraum von 6 Wochen zur stationären Behandlung im Krankenhaus G und war bis einschließlich zum 23.12.2016 arbeitsunfähig. Zudem befand er sich zur Rehabilitation vom 2.5.2017 bis zum 30.5.2017 in einer Rehabilitationsklinik und begab sich jedenfalls 36 mal in physiotherapeutische Behandlung. Darüber hinaus war er bis Mai 2017 nicht in der Lage, sportliche Aktivitäten auszuüben. Ein bereits zugesagtes Praktikum wurde im Hinblick auf seinen gesundheitlichen Zustand gekündigt.

c)

Darüber hinaus hat das Landgericht es auf Grundlage des schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen H als bewiesen angesehen, dass der Kläger unfallbedingt an einer leichten Form der sog. CRPS (chronic regional pain syndrome; unter bekannt als „Morbus Sudeck“) leidet, was mit vermehrter Schweißproduktion, Schwellneigung und intermittierenden Schmerzen einhergeht und auch Einschränkungen im Alltag bedeutet und den im Unfallzeitpunkt erst 17 Jahre alten Kläger als Dauerschaden voraussichtlich sein Leben lang belasten wird. Dass hingegen mit einer vorzeitigen Arthrose in der Fußwurzel und im Mittelfuß zu rechnen sei, hat das Landgericht nicht als nicht bewiesen erachtet. An diese Feststellungen des Landgerichts ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen werden durch den Kläger nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

d)

Der Senat hat über diese durch das Landgericht getroffenen Feststellungen hinaus zudem berücksichtigt, dass nach den nicht bestrittenen Angaben des Klägers aus dem Senatstermin vom 8.7.2022 er infolge des Unfalls erst mit einem Jahr Verzögerung mit seiner Berufsausbildung beginnen konnte. Zudem hat der Senat als praktische Auswirkung berücksichtigt, dass der Kläger von seiner beruflichen Tätigkeit, welche viel im Stehen erfolgt, während eines Arbeitstages zwei- bis dreimal eine Pause einlegen muss. Berücksichtigt hat der Senat darüber hinaus, dass sich bei Wetterumschwüngen die Haut an der Narbe zusammenzieht und der Kläger einen stumpfen Schmerz empfindet, was er – je nach Wetter – durch Kühlung oder Erwärmung mit sog. „Kühlpacks“ behandelt.

e)

Insgesamt hält der Senat in Würdigung und Wägung der vorstehend aufgezeigten erlittenen Verletzungen und daraus folgenden Beeinträchtigungen sowie der vollen Haftung der Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 für erforderlich, aber auch ausreichend, so dass dem Kläger über den durch das Landgericht bereits zuerkannten Betrag hinaus ein weitergehender Betrag von 4.000,00 EUR zuzusprechen war.

Dieses Schmerzensgeld steht auch im Einklang mit anderweitiger fallähnlicher obergerichtlicher Rechtsprechung und fügt sich in den Rahmen, der bei vergleichbaren Verletzungen zugesprochen wird.

So hat das OLG Brandenburg im Fall einer offenen Unterschenkelschaftfraktur mit beginnendem Kompartmentsyndrom, die eine stationäre Behandlung von 5 Wochen und 3 Operationen erforderlich machte und als Dauerschaden zu einer Beeinträchtigung des Gangbilds, Operationsnarben, einer Muskelminderung am Oberschenkel, einer Vergröberung der Umrisszeichnungen der Weichteile des Unterschenkels sowie einer endgradigen Bewegungseinschränkung im Kniegelenk und Sprunggelenk sowie zu einer Verkürzung des Unterschenkels um 1 cm und einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10% geführt hat ein Schmerzensgeld von 15.000,00 EUR als angemessen erachtet (Urt. v. 20.12.2007 – 12 U 141/07, BeckRS 2008, 7737).In dem dortigen Fall waren zwar die dem dortigen Kläger eingetretenen Dauerschäden deutlich gravierender als vorliegend, es wurde allerdings ein Mitverschulden des dortigen Klägers von 1/3 berücksichtigt.

Auf dieser Linie liegt auch die Entscheidung des OLG Brandenburg vom 23.7.2009 (12 U 29/09, NJW-RR 2010, 538). Dieses hat für eine nicht dislozierte Avulsionsfraktur der ventralen distalen Tibia links, mehrere Riss-/Quetschwunden, einen Bluterguss über den gesamten Unterschenkel, eine leicht herabgesetzte Empfindung von Sinnesreizen im Bereich des Fußrückens und einer stationären Behandlung von 7 Wochen ein Schmerzensgeld von 14.000,00 EUR zugesprochen. Es mussten im dortigen Fall eine chirurgische Versorgung der Wunden und eine Hauttransplantation erfolgen. Der dortige Kläger war 3 Monate und 3 Wochen arbeitsunfähig und es verblieben erhebliche Narben am Ober- und Unterschenkel. Als Mitverschulden wurde berücksichtigt, dass der dortige Kläger als Motorradfahrer keine Schutzkleidung an den Beinen getragen hatte.

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verzugszinsen nach §§ 280 Abs. 1, 286 BGB besteht, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, erst ab dem 7.2.2018 und nicht ab dem 23.08.2016.

4.

Der Feststellungsantrag ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist angesichts des Dauerschadens in Gestalt einer leichteren Form eines CRPS gegeben. Daraus resultiert die Möglichkeit einer Verschlechterung und damit eines Eintritts weiterer unfallbedingter materieller und derzeit nicht absehbarer immaterieller Schäden, was für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags ausreicht (vgl. BGH Beschl. v. 8.6.2021 – VI ZR 1272/20, BeckRS 2021, 18009 Rn. 8).

Der Feststellungsantrag ist zudem nach den vorstehenden Ausführungen nach einer Haftungsquote von 100 % zu Lasten der Beklagten begründet.

5.

Ein weitergehender Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten über den durch das Landgericht zuerkannten Betrag in Höhe von 958,19 EUR hinaus steht dem Kläger hingegen nicht zu. Er ist insoweit bereits nicht mehr aktivlegitimiert, weil in Folge vorgerichtlichen Ausgleichs durch den Rechtsschutzversicherer – wie es im Senatstermin eingeräumt wurde – der Anspruch gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf diesen übergegangen ist. Hierauf ist der Kläger im Senatstermin hingewiesen worden. Eine Modifikation des entsprechenden Klageantrags oder eine Erklärung zu einer etwaigen Vorgehensweise des Klägers im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft sind nicht erfolgt.

III.

Die Nebenentscheidung bezüglich der Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

IV.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

 

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