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Bußgeldverfahren – Erstattungsfähigkeit Privatgutachtenkosten

LG Stade – Az.: 101 Qs 2510 Js 47343/18 (2/21) – Beschluss vom 21.07.2021

Auf die sofortige Beschwerde vom 11.07.2021 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts G. vom 06.07.2021 (…) dahingehend abgeändert, dass auf den Kostenfestsetzungsantrag vom 02.05.2021 ein Betrag in Höhe von EUR 1.485,43 gegen die Landeskasse festgesetzt wird.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die teilweise Zurückweisung seines Kostenfestsetzungsantrags vom 04.04.2021, bei Gericht eingegangen am 02.05.2021, durch Beschluss des Amtsgerichts G. vom 06.07.2021 (…).

Mit Bußgeldbescheid vom 09.08.2018 verhängte der Landkreis C. gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße i.H.v. EUR 70,00. Ihm wurde vorgeworfen, i.S.d. §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, § 49 StVO, 24 StVG, 11.1.4 BKat ordnungswidrig gehandelt zu haben, indem er die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften nach Toleranzabzug um 20 km/h überschritten habe. Die zugrundeliegende Geschwindigkeitsmessung wurde mit dem Lasermessgerät LEIVTEC XV3 vorgenommen.

Unter dem 15.08.2018 legte der Verteidiger des Beschwerdeführers fristgerecht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Bereits mit Verteidiger-Schreiben vom 25.06.2018 hatte er beim Landkreis C. Akteneinsicht sowie die Beiziehung und Einsichtnahme in diverse Unterlagen den Messvorgang betreffend (u.A. Originalfotos der Messung sowie den Eichschein, das Wartungsprotokoll, die Bedienungsanleitung und Test-bzw. Kalibrierungsfotos des Messgeräts) beantragt. Zudem beantragte er – nach Akteneingang beim Amtsgericht G. und Anberaumung eines Termins zur Hauptverhandlung – unter dem 20.07.2019 die Herausgabe der zur Überprüfung des Messgeräts erforderlichen Roh-Messdaten und kündigte die Stellung eines Beweisantrags in der Hauptverhandlung zur Frage der Fehlerhaftigkeit des Messgeräts an.

Die Roh-Messdaten konnten dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung gestellt werden.

Mit Verteidiger-Schriftsatz vom 26.11.2019 rügte der Beschwerdeführer die Verletzung rechtlichen Gehörs, da bei dem vom Landkreis eingesetzten Messgerät die Messsicherheit nicht gewährleistet sei. Hierfür verwies er ergänzend auf ein beigefügtes Privatgutachten der VUT Sachverständigen GmbH & Ko. KG vom 18.11.2019, das im Auftrag des Beschwerdeführers gefertigt wurde. In dem Gutachten sind diverse Mängel des Messgeräts festgestellt. So sei die Zulassungsprüfung nicht korrekt durchgeführt worden. Im Hinblick auf die Eichung lägen die Konformitätsbescheinigung und -Erklärung nicht vor. Das Messprotokoll enthalte keine Angaben zum Zustand der USB-Schnittstelle und die Authentizität der Falldatei sei nicht belegt. Zudem sei eine Prüfung der Messwertbildung mittels Rohmessdaten nicht mehr möglich, da die Messdaten nach einem Software-Update gelöscht worden seien. Auch könnten die Messsicherheit und -Beständigkeit nicht sachverständig beurteilt werden. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die dem Beschwerdeführer übersandten und nunmehr sachverständig ausgewerteten Beweismittel nicht geeignet seien, ihm den vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß ausreichend zu belegen.

Sodann erteilte das Amtsgericht G. unter dem 11.12.2019 (Bl. 91 f. d.A.) zur Vorbereitung der Hauptverhandlung den gerichtlichen Hinweis, dass es das vorliegende Messverfahren mit dem Lasermessgerät LEIVTEC XV3 als standardisiertes Verfahren, das im Rahmen einer etwaigen Beweisaufnahme verwertbar sei, erachte.

Zu einer Hauptverhandlung in der Sache kam es nach diversen Terminsverlegungen aufgrund anderweitiger Termine und Erkrankungen des Verteidigers sowie mehrfachen Dezernatswechseln auf Richterseite nicht. Schließlich wurde das Verfahren mit Beschluss des Amtsgerichts G. vom 06.07.2020 (Az.: …) gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG auf Kosten der Staatskasse wegen absoluter Verjährung gemäß § 33 Abs. 3 S. 2 OWiG eingestellt.

Der Verteidiger des Beschwerdeführers beantragte mit Schriftsatz vom 04.04.2021, bei Gericht eingegangen am 02.05.2021, die Kostenfestsetzung in dem Verfahren, wobei unter Beifügung der entsprechenden Rechnung u.A. die für die Erstellung des Privatgutachtens der V. Sachverständigen GmbH & Ko. KG vom 18.11.2019 entstandenen Kosten i.H.v. EUR 949,83 geltend gemacht wurden.

Die zuständige Rechtspflegerin holte daraufhin eine Stellungnahme bei dem Bezirksrevisor beim Landgericht S. ein. Dieser äußerte sich unter dem 01.06.2021 dahingehend, dass die Auslagen für die Erstellung des Privatgutachtens nicht erstattungsfähig seien. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 01.06.2021 Bezug genommen.

Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.07.2021 hat das Amtsgericht G. auf den Kostenfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers notwendige Auslagen i.H.v. lediglich EUR 535,60 gegen die Landeskasse festgesetzt. Im Übrigen – insbesondere im Hinblick auf die geltend gemachten privaten Sachverständigenkosten – wies das Amtsgericht den Antrag zurück. Zur Begründung wurde entsprechend der Stellungnahme des Bezirksrevisors ausgeführt, dass Kosten eines Privatgutachtens grundsätzlich nicht erstattungsfähig seien, da die Möglichkeit bestanden habe, im Verfahren entsprechende Beweisanträge zu stellen.

Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde vom 11.07.2021, mit welcher der Beschwerdeführer nach wie vor beantragt, die entstandenen Kosten des privaten Sachverständigengutachtens als erstattungsfähig anzuerkennen und entsprechend festzusetzen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Im vorliegenden Fall sind die entstandenen Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens als notwendige Auslagen im Sinne der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464a Abs. 2 StPO anzusehen und somit festzusetzen.

1.

Im Ausgangspunkt zutreffend geht die angefochtene Entscheidung davon aus, dass die Aufwendungen des Beschwerdeführers für eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen nur in Ausnahmefällen notwendig und damit erstattungsfähig sind (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 464a Rn. 16; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464a Rn. 7 m.w.N.). Dies folgt daraus, dass die Ermittlungsbehörden von Amts wegen zu ermitteln und die Beweise auch zugunsten des Beschuldigten zu erheben haben. Die Interessen des Betroffenen sind im Grundsatz ausreichend durch das Prinzip der allseitigen Aufklärung, des Rechts zur Stellung von Beweisanträgen und den Zweifelssatz geschützt (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

Allerdings sind Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens ausnahmsweise dann als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464a Rn. 7 m.w.N.; LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise darüber hinaus angenommen, dass die Erstattungsfähigkeit gegeben sei, wenn sich die Einholung eines Gutachtens zwar nicht ex ante betrachtet als notwendig dargestellt, aber ex post tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen ausgewirkt hat (LG Dresden, Beschl. v. 07.10.2009 – 5 Qs 50/07, NStZ-RR 2010, 61; OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

2.

Bei der hier zu beurteilenden Sachlage ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens jedenfalls ex ante betrachtet aus Sicht des Beschwerdeführers notwendig gewesen.

Insofern ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei den Fragen, wie ein Messsystem zur Geschwindigkeitsüberwachung überhaupt funktioniert, wie es einzurichten ist und ob darauf fußend tatsächlich eine ordnungsgemäße Messung stattgefunden hat, um schwierig zu beurteilende technische Sachverhalte handelt.

Hinzu kommt, dass die Gründe, auf denen die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für private Sachverständigengutachten beruhen, nämlich, dass der Betroffene darauf vertrauen kann, dass von Amts wegen alle erforderlichen Ermittlungen erfolgen und er im Übrigen das Recht und die Pflicht hat, Beweisanträge zu stellen, in Fällen wie dem vorliegenden nur eingeschränkt zur Geltung kommen (LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). Im Bußgeldverfahren sind nämlich dann, wenn ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen ist, die Anforderungen an die Darlegung einer Fehlmessung, die eine weitere Beweiserhebung durch das Gericht nach sich ziehen würde, erhöht. Hier müssen von Seiten der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen. Insofern ist die Amtsermittlungspflicht eingeschränkt (Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 77 Rn. 48 m.w.N.).

Bei dem hier zum Einsatz gekommenen Messsystem LEIVTEC XV3 handelte es sich jedenfalls zum Zeitpunkt des anhängigen Verfahrens Ende 2019 noch um ein standardisiertes Messverfahren. Dies ergibt sich schon aus dem Hinweis des Gerichts vom 11.12.2019 (Bl. 91 f. d.A.). Erst nach dem Beschluss des OLG C. vom 18.06.2021 (Az.: …) dürfte dies derzeit nicht mehr anzunehmen sein.

Somit musste der Beschwerdeführer jedenfalls zum Zeitpunkt seines Einspruchs davon ausgehen, dass keine Beweiserhebung zur Ordnungsgemäßheit der Messung erfolgen würde, wenn er keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler vorbringt. Da nicht ersichtlich ist, dass solche vor Beauftragung des Gutachtens vorgelegen hätten, waren aus der maßgeblichen ex ante Sicht des Beschwerdeführers ohne die Einholung seines privaten Gutachtens seine Verteidigungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt.

Tatsächlich hat er auch durch das Gutachten erstmals Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung an die Hand bekommen. Darauf, ob das Gutachten darüber hinaus auch tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Beschwerdeführers gewirkt hat, kommt es somit nicht mehr an.

3.

Danach sind zusätzlich zum bisher festgesetzten Betrag von EUR 535,60 weitere belegte Sachverständigenkosten i.H.v. EUR 949,83, mithin insgesamt EUR 1.485,43, festzusetzen.

Dass die (privaten) Gutachterkosten der Höhe nach nicht angemessen und/oder erforderlich gewesen wären, ist weder geltend gemacht noch im Übrigen ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO i.V.m. § 46 OWiG.

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