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Bußgeldverfahren – Eintritt eines Verfahrenshindernisses vor Hauptverhandlungstermin

Ein Fall von Verjährung und Kostenübernahme in einem Bußgeldverfahren

In einem aufsehenerregenden Fall über den Eintritt eines Verfahrenshindernisses vor dem Termin der Hauptverhandlung in einem Bußgeldverfahren, stellte das Landgericht Magdeburg eine bemerkenswerte Entscheidung fest. Der Fall begann mit einem Bußgeldbescheid, der einer Betroffenen wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Mindestabstands auf der Straße ausgestellt wurde. Nach Einlegung von Einspruch durch die Betroffene nahm die Angelegenheit ihren Lauf. Allerdings kam es zu einer unerwarteten Wendung, als die Richterin feststellte, dass in dieser Sache Verjährung eingetreten ist, und den Hauptverhandlungstermin aufhob.

Direkt zum Urteil Az: 28 Qs 31/21 springen.

Einspruch und anschließende Verzögerungen

Der Bußgeldbescheid wurde von der Zentralen Bußgeldstelle Magdeburg ausgestellt, und die Angelegenheit wurde nach einem eingelegten Einspruch vor das Amtsgericht Bernburg gebracht. Während der Bearbeitung des Falls kam es zu mehreren Verschiebungen des Termins zur Hauptverhandlung, größtenteils auf Antrag des Verteidigers der Betroffenen.

Überraschender Eintritt der Verjährung

Im weiteren Verlauf der Angelegenheit wurde ein Gutachten zur Ordnungsmäßigkeit der Abstandsmessung angeordnet. Bevor dieses Gutachten jedoch zur Anwendung kam, wurde vom zuständigen Amtsgericht festgestellt, dass Verjährung eingetreten war, und der Termin zur Hauptverhandlung wurde aufgehoben.

Festlegung der Kostenübernahme

Obwohl das Verfahren aufgrund der Verjährung eingestellt wurde, hat das Gericht entschieden, dass die notwendigen Auslagen der Betroffenen von der Staatskasse übernommen werden müssen. Die Entscheidung beruht auf dem Grundsatz, dass in Fällen, in denen das Verfahren aufgrund der Verjährung eingestellt wird, die notwendigen Auslagen der Betroffenen nicht der Staatskasse auferlegt wurden.

Berufung und endgültige Entscheidung

Die Betroffene legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, woraufhin das Landgericht Magdeburg entschied, dass auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens von der Landeskasse getragen werden müssen. Die ursprüngliche Entscheidung des Amtsgerichts Bernburg wurde aufgehoben, und die notwendigen Auslagen der Betroffenen wurden letztendlich der Staatskasse auferlegt.


Das vorliegende Urteil

LG Magdeburg – Az.: 28 Qs 31/21 – Beschluss vom 06.10.2021

Auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen vom 23.08.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Bernburg vom 13.08.2021 (Az.: 5 OWi 7;37 Js 2192/20 (42/20) (richtigerweise 5 OWi 767 Js 2192/20 (42/20)) aufgehoben, soweit die notwendigen Auslagen der Betroffenen nicht der Staatskasse auferlegt worden sind.

Die notwendigen Auslagen der Betroffenen in dem zugrundeliegenden Verfahren, Az.: 5 OWi 767 Js 2192/20 (42/20), werden der Staatskasse auferlegt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der hier durch verursachten notwendigen Auslagen der Betroffenen, trägt die Landeskasse.

Gründe

Die Polizeiinspektion Zentrale Dienste – Zentrale Bußgeldstelle Magdeburg erlegte der Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 28.11.2019 (Az. 3898-387831-0) wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Mindestabstands eine Geldbuße in Höhe von 100,00 € nebst Gebühren und Auslagen in Höhe von zusammen 28,50 € auf.

Nachdem die Betroffene hiergegen durch Schriftsatz ihres Verteidigers vom 04.11.2019 Einspruch eingelegt hatte, legte die Bußgeldstelle die Sache über die Staatsanwaltschaft Magdeburg dem Amtsgericht Bernburg vor. Die dort zuständige Richterin am Amtsgericht beraumte zunächst einen Termin zur Hauptverhandlung auf den 23.09.2020, 09:30 Uhr, an, der von ihr nachfolgend mehrfach – zumeist auf Antrag des Verteidigers – verlegt wurde, zuletzt auf Dienstag, den 29.06.2021, 12:00 Uhr. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bernburg vom 06.08.2020 wurde zwischenzeitlich zudem die Einholung eines Gutachten: zur Ordnungsmäßigkeit der Abstandsmessung angeordnet, welches am 01.10.2020 erstellt wurde. Nachdem durch die zuständige Richterin am Amtsgericht am 29.06.2021 festgestellt wurde, dass in dieser Sache zwischenzeitlich Verjährung (§ 31 OWiG) eingetreten ist, wunde der Termin zur Hauptverhandlung am gleichen Tage aufgehoben.

Mit Beschluss vom 13.08.2021 (Az.: 5 OWi 767 Js 2192/20 (42/20)) stellte das Amtsgericht Bernburg das Verfahren nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Magdeburg gemäß 206a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG auf Kosten der Staatskasse ein, da Verjährung eingetreten ist. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen wurden der Staatskasse nicht auferlegt (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Eintritt der Verjährung aus § 31 Abs. 2 OWiG folge und sich die Kostenfolge aus der aufgrund des Gutachtens hohen Verurteilungswahrscheinlichkeit rechtfertige.

Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger der Betroffenen ausweislich des unterzeichneten Empfangsbekenntnisses am 23.08.2021 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 23.08.2021, beim Amtsgericht Bernburg eingegangen am gleichen Tage, legte die Betroffene sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernburg ein, soweit wegen der außergerichtlichen Kosten zum Nachteil der Betroffenen entschieden wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Heranziehung des eingeholten Gutachtens „übereilt und unnötigerweise“ gewesen sei. Zudem wurde mit den Anforderungen, welche das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung spätestens seit dem Beschluss; vom 29.10.2015 – 2 BvR 388/13 – und vom 26.05.2017 – 2 BvR 1821/16 – an die ausnahmsweise Abweichung vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO eröffnete Möglichkeit des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, stelle, argumentiert.

Mit weiterem Schriftsatz vom 29.09.2021 wurde zur weiteren Begründung der Beschwerde erneut zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Willkürverbot – BVerfG, Beschl. v. 26.05.2018 (2 BvR 1821/16) – Bezug genommen. Der Inhalt dieser Entscheidung wurde zum Gegenstand der Beschwerdebegründung gemacht. Weiter wurde ausgeführt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bernburg vom 13.08.2021 das Willkürverbot verletze. Im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 467 Abs. 1, 3 Satz 2 Nr. 2 StPO könne von einer ausnahmsweisen Überbürdung der eigenen Auslagen auf den Betroffenen nur dann abgesehen werden, wenn eine Verurteilung ausschließlich deshalb nicht erfolge, weil ein Verfahrenshindernis bestehe. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Davon abgesehen sei die Vorschrift restriktiv auszulegen. Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Auslagenentscheidung gäben zudem keinerlei Ermessenerwägungen wieder. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz des Betroffenen vom 29.09.2021 (BI. 203 f d. A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last, soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann das Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, es aber bei Hinwegdenken dieses Hindernisses mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH NStZ 1995, 406). Dabei handelt es sich allerdings um eine Ausnahmevorschrift, welche eng auszulegen ist (OLG Stuttgart BeckRS 2015, 00337; BeckOK StPO/Niesler, 40. Ed. 1.7.2021, StPO § 4:7 Rn. 11; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 10; MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl. 2019 StPO § 467 Rn. 20). Auf ein vorwerfbares Verhalten kommt es indes nicht an (OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2015, 294).

Eine solche Schuldspruchreife kann nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts indes nur nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Angeklagten eintreten (BVerfG NJW 1992, 1612 (1613)), so dass die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz l; Nr. 2 StPO nur Anwendung findet, wenn das Verfahrenshindernis nach dem letzten Wort des Angeklagten bekannt wird (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 10a; Hilger NStZ 2000, 332).

Nach insoweit anderer Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH NStZ 2000, 330 (331)) hat eine solche Schuldspruchreife auch dann eintreten, wenn nach weitgehend durchgeführter Hauptverhandlung ein erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden.

Die Kammer muss diesen Streit vorliegend allerdings nicht entscheiden, da gegen die Betroffene jedenfalls keine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bernburg stattgefunden hat. Das Verfahrenshindernis der Verjährung ist vorliegend bereits eingetreten, bevor eine Hauptverhandlung stattgefunden hat, sodass eine für die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO erforderliche Schuldspruchreife sowohl nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts als auch des Bundesgerichtshofes nicht vorliegt. Soweit Seitens des Amtsgerichts Bernburg im Rahmen des Beschlusses vom 13.08.2021 auf die hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit aufgrund des eingeholten Gutachtens abgestellt wurde und dass sich daraus die Kostenfolge zu Lasten der Betroffenen rechtfertige, teilt die Kammer diese Auffassung vorliegend nicht. Insoweit ist nicht ausgeschlossen, dass die Betroffen das eingeholte Gutachten im Rahmen der Hauptverhandlung – eventuell erfolgreich – angegriffen hätte. Jedenfalls eine für die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO erforderliche Schuldspruchreife lässt sich insoweit nicht herleiten.

In Anwendung des § 309 Abs. 2 StPO hatte die Kammer die notwendigen Auslagen der Betroffenen in dem zugrundeliegenden Verfahren, Az.: 5 OWi 767 Js 2192/20 (42/20), der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

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