AG Helmstedt – Az.: 15 OWi 912 Js 19328/16 – Urteil vom 11.08.2016
Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 28 km/h zu einer Geldbuße von 80,00 € verurteilt.
Es wird ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften: §§ 41 Abs. 1, 49 StVO, §§ 24, 25 StVG.
Gründe
Der Betroffene betreibt mit seiner Ehefrau einen Gebrauchtwagenhandel in I.. Er wohnt zusammen mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind in P.. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sind geregelt.
Mit Bußgeldbescheid vom 20.11.2013, rechtskräftig seit dem 03.11.2014, wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h eine Geldbuße in Höhe von 80,00 € festgesetzt.
Mit Bußgeldbescheid vom 12.12.2013, rechtskräftig seit dem 03.11.2014, wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h eine Geldbuße in Höhe von 80,00 € festgesetzt.
Mit Bußgeldbescheid vom 16.10.2014, rechtskräftig seit dem 22.09.2015, wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 37 km/h eine Geldbuße in Höhe von 135,00 € festgesetzt.
Mit Bußgeldbescheid vom 10.06.2015, rechtskräftig seit dem 27.10.2015, wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 44 km/h eine Geldbuße in Höhe von 340,00 € und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.
Am 27.11.2015 um 22:36 Uhr befuhr der Betroffene mit einem Personenkraftwagen die Bundesautobahn A2 in Fahrtrichtung Dortmund. In Höhe Kilometer 155,810 war zu diesem Zeitpunkt durch entsprechende Schaltung der 207 Meter davor befindlichen Schilderbrücke die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h begrenzt. Der Betroffene achtete nicht genügend auf diese Geschwindigkeitsbegrenzung und fuhr mit einer Geschwindigkeit von 128 km/h.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Betroffenen, der verlesenen Fahreignungsregisterauskunft vom 24.06.2016, dem in Augenschein genommenen Messfoto der Geschwindigkeitsmessanlage mit den verlesenen Dateneinblendungen, der Aufbauskizze vom Messort, dem Schaltprotokoll (Log-Datei), dem Schaltprotokoll der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr und dem erörterten Eichschein.
Der Betroffene hat sich dazu bekannt, das Fahrzeug geführt zu haben. Er meint allerdings, es sei ihm nicht möglich gewesen, dass Wechselverkehrszeichen zu bemerken. Er habe den Personenkraftwagen aus Wolfsburg kommend von der Bundesautobahn A 39 auf die Bundesautobahn A2 gelenkt. Es habe dichter Verkehr geherrscht. Auf der rechten Fahrspur der Bundesautobahn A2 seien zahlreiche Lastkraftwagen unterwegs gewesen. Er habe den Beschleunigungsstreifen bis kurz vor dessen Ende befahren. Er sei danach zügig von der rechten Fahrspur auf die mittlere Fahrspur gefahren, um den Zwischenraum zwischen zwei Lastkraftwagen zu verlassen; sodann habe er die Messstelle durchfahren.
An der genannten Stelle auf der Autobahn ist eine Geschwindigkeitsmessanlage vom Typ Traffipax TraffiStar S 330 mit Anbindung an die Wechselverkehrszeichenanlage installiert. Diese Anlage ist gültig geeicht. Ausweislich des Messfotos wurde das Fahrzeug des Betroffenen mit einer Geschwindigkeit von 132 km/h (abzüglich der Toleranz 128 km/h vorwerfbar) gemessen. Die entsprechende Einblendung im Messfoto weist auch aus, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch entsprechende Schaltung der Schilderbrücke auf 100 km/h begrenzt war. Die Anlage war gültig geeicht, wobei sich nach Auskunft des Eichamtes die Eichung auch auf die Anbindung der Messanlage an das Wechselverkehrszeichen bezieht. Schon aus diesem Grunde muss also von einer tatsächlich angezeigten Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h ausgegangen werden. Zusätzlich hat das Gericht jedoch das Schaltprotokoll der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr verwertet. Dieses Schaltprotokoll listet die Rückmeldungen der Schilderbrücke über die jeweiligen Schaltzustände und nicht etwa die von der Zentrale ausgesendeten Schaltbefehle auf. Danach war im Zeitraum vom 21:05 Uhr und 9 Sekunden bis 22:37 Uhr und 9 Sekunden an der entsprechenden Schilderbrücke eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h angezeigt.
Da somit die entsprechende Schaltung der Schilderbrücke sowohl durch das Messfoto als auch durch das Schaltprotokoll der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr übereinstimmend aufgezeichnet worden ist, bedarf es der im Hauptverhandlungstermin beantragten weiteren Beweiserhebung (Einholung eines Sachverständigengutachtens) nicht.
Die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens war zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich. Bei dem vorliegend verwendeten Messverfahren handelt es sich um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH und konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion der Geschwindigkeitsmessanlage bzw. eine Fehlmessung liegen nicht vor. Auf dem Messfoto ist zu erkennen, dass die Vorderräder des gemessenen Fahrzeugs den in Fahrtrichtung letzten Sensor überschritten haben; wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO iVm § 71 Abs. 1 OWiG ausdrücklich auf das Messfoto (Blatt 1 der Akte) verwiesen. Dem Gericht ist aus der Vielzahl anderer, dieselbe Messstelle betreffender Bußgeldverfahren und dort eingeholter Gutachten und Auskünfte bekannt geworden, dass die Geschwindigkeitsmessanlage mit einer festen Fotoverzögerungszeit arbeitet; das führt dazu, dass der Abstand zwischen den Vorderrädern des gemessenen Fahrzeugs und dem in Fahrtrichtung letzten Sensor umso größer ist, je höher die Geschwindigkeit des gemessenen Fahrzeugs ist. Das Fahrzeug wurde mit einer Geschwindigkeit von 132 km/h (abzüglich der Toleranz 128 km/h vorwerfbar) gemessen; der Abstand zwischen den Vorderrädern des gemessenen Fahrzeugs und dem in Fahrtrichtung letzten Sensor entspricht dem, was nach der Erfahrung zu erwarten ist. Soweit aufs Geratewohl bezweifelt wird, dass die Synchronität zwischen dem Wechselverkehrszeichen und der Geschwindigkeitsmessanlage nicht gewahrt ist, war die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich. Die Geschwindigkeitsmessanlage war gültig geeicht, wobei sich die Eichung auch auf die Anbindung an das Wechselverkehrszeichen bezieht; dies ergibt sich aus dem verlesenen Eichschein. Dem Gericht ist im Übrigen aus der Vielzahl anderer, dieselbe Messstelle betreffender Bußgeldverfahren und dort eingeholter Auskünfte bekannt geworden, dass zehnmal pro Sekunde der Ist-Anzeigezustand des Wechselverkehrszeichens an die Geschwindigkeitsmessanlage übertragen wird, um die Synchronität zwischen dem Wechselverkehrszeichen und der Geschwindigkeitsmessanlage sicherzustellen. Das durch den Beweisantrag die ordnungsgemäße Funktion der Geschwindigkeitsmessanlage lediglich aufs Geratewohl („ins Blaue hinein“) angezweifelt wird, genügt angesichts der nachgewiesenen gültigen Eichung der Geschwindigkeitsmessanlage, die sich auch auf die Anbindung an das Wechselverkehrszeichen bezieht, nicht, um weitere Beweiserhebungen nahezulegen.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 28 km/h begangen. Zu seinen Gunsten wird davon ausgegangen, dass er die entsprechende Schaltung der Schilderbrücke nicht bemerkt hat. Es ist daher von einem fahrlässigen Verstoß auszugehen.
Gegen den Betroffenen war ausgehend von der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) auf eine Geldbuße in Höhe von 80,00 € und ein Fahrverbot von einem Monat zu erkennen.
Die Geldbuße entspricht dem vorgesehenen Regelsatz. Es sind keine Gründe erkennbar geworden, die ein Abweichen hiervon rechtfertigen würden.
Dem Betroffenen war unter Beachtung von § 25 Abs. 1 StVG für die Dauer von einem Monat zu verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen, da gegen ihn wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG, die er unter beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt wurde. Der Vorwurf, beharrlich die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers verletzt zu haben, besteht darin, dass der Kraftfahrzeugführer durch die wiederholte Begehung von Verkehrsverstößen, die nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Begehung für sich allein betrachtet zwar nicht bereits zu den objektiv oder subjektiv groben Zuwiderhandlungen zählen, erkennen lässt, dass es ihm an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 05.08.1999 – 4 Ss OWi 794/99 -, Rn. 22, juris, mwN). Dieser Vorwurf ist dem Betroffenen zu machen. Mit Bußgeldbescheid vom 10.06.2015, rechtskräftig seit dem 27.10.2015, wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 44 km/h eine Geldbuße in Höhe von 340,00 € und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Der Betroffene hat demnach innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft des Bußgeldbescheids vom 10.06.2015 eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begangen, indem er – wie festgestellt – am 27.11.2015 eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 28 km/h begangen hat; allein dies könnte bereits die Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat rechtfertigen, denn nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV kommt ein Fahrverbot in der Regel in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht. Der Fahreignungsregisterauskunft sind allerdings – wie festgestellt – noch drei weitere Bußgeldentscheidungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen zu entnehmen, welche in den 13 Monaten vor der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsüberschreitung rechtskräftig geworden sind, nämlich die Bußgeldentscheidung vom 16.10.2014 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 37 km/h, die Bußgeldentscheidung vom 12.12.2013 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 28 km/h und die Bußgeldentscheidung vom 20.11.2013 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h. Die vier Vorahndungen und deren zeitliche Abfolge sprechen vor dem Hintergrund, dass – auch – die vorliegende Geschwindigkeitsüberschreitung die nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV geforderten 26 km/h erreicht hat, für die Erteilung eines über eine bloße Erhöhung des Bußgeldes hinaus erforderlichen Denkzettels und gegen den Wegfall des angezeigten Fahrverbotes. Nach Überzeugung des Gerichtes ist schon alleine nach dem Inhalt des Fahreignungsregisters mit einer weiteren Erhöhung der Geldbuße nicht zu erreichen, dass der Betroffene zukünftig die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften einhält, sodass vorliegend die Verhängung eines Fahrverbotes unabdingbar war.
Eine beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers kann zwar nicht angenommen werden, wenn der Verkehrsverstoß auf ein Augenblicksversagen zurückgeht, dass auch ein sorgfältiger und pflichtbewusster Kraftfahrzeugführer nicht immer vermeiden kann (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 15.03.1999 – 2 Ss (B) 5/99 -, juris); es ist aber nicht davon auszugehen, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf ein Augenblicksversagen des Betroffenen zurückgeht. Übersieht der Betroffene eine – auf Bundsautobahnen häufig übliche – sich über die Breite mehrerer Fahrspuren erstreckende hochgestellte Wechselverkehrszeichenanlage, welche flexibel die Geschwindigkeitsanzeige an die gegebenen Verkehrsverhältnisse anzupassen in der Lage ist, wird wegen der besonderen Auffälligkeit dieser Wechselverkehrszeichenanlage ein Augenblicksversagen in der Regel ausgeschlossen sein (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2005 – 3 Ss OWi 374/05 -, juris). Der Umstand, dass der Betroffene das Wechselverkehrszeichen nicht gesehen hat, zeugt davon, dass der Betroffene über eine längere Zeitspanne nicht auf Wechselverkehrszeichenanlage geachtet hat, weshalb von einer kurzfristigen Unaufmerksamkeit des Betroffenen im Sinne eines Augenblicksversagens nicht ausgegangen werden kann. Die genannte Wechselverkehrszeichenanlage und das genannte Wechselverkehrszeichen sind, wie dem Gericht aus eigener Ortskenntnis bekannt ist, bereits nach dem Auffahren auf den von dem Betroffenen befahrenen Beschleunigungsstreifen mit einem flüchtigen Blick nach vorne in Fahrtrichtung in einer Entfernung von etwa 400 Metern zu erkennen. Der Betroffene hätte demnach bei Beachtung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt während des von ihm beschriebenen Geschehens das genannte Wechselverkehrszeichen erkennen können und müssen; es widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Betroffene während des von ihm beschriebenen Geschehens nicht ein einziges Mal nach vorne in Fahrtrichtung geblickt hat. Sofern der Betroffene – entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung – während des von ihm beschriebenen Geschehens nicht ein einziges Mal nach vorne in Fahrtrichtung geblickt hat, beruht die Fehlleistung der übersehenen Geschwindigkeitsbegrenzung sogar auf grober Nachlässigkeit, denn von einem durchschnittlich sorgfältigem Kraftfahrzeugführer kann und muss verlangt werden, dass er während des von dem Betroffenen beschriebenen Geschehens bisweilen auch nach vorne in Fahrtrichtung blickt, um sich das Geschehen vor seinem Fahrzeug bewusst zu machen; ein Augenblicksversagen scheidet demnach auch aus, sofern der Betroffene während des von ihm beschriebenen Geschehens tatsächlich nicht ein einziges Mal nach vorne in Fahrtrichtung geblickt hat.
Es ist nichts erkennbar geworden, das es rechtfertigen würde, von der Verhängung des Fahrverbotes – auch gegen eine eventuelle Erhöhung der Geldbuße – abzusehen. Zu tatsächlich drohender Existenzgefährdung oder -vernichtung wurde nichts vorgetragen. Der Betroffene hat im Übrigen auch eingeräumt, dass das mit Bußgeldbescheid vom 10.06.2015 festgesetzte Fahrverbot, welches bereits vollstreckt wurde, den von ihm und seiner Ehefrau betriebenen Gebrauchtwagenhandel nicht gefährdet hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO.