Abweichung wegen mehrerer Verkehrsordnungswidrigkeiten
VG Koblenz – Az.: 4 L 487/20.KO – Beschluss vom 18.06.2020
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers wird hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung und der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins wiederhergestellt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Bewilligung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Juni 2020 (Fahrerlaubnisentzug, Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins und Zwangsmittelandrohung) hat überwiegend Erfolg.
I.
Hinsichtlich der für sofort vollziehbar erklärten Fahrerlaubnisentziehung ist der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 8. Juni 2020 begründet.
Zur Entscheidung über die vorläufige Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren bedarf es einer gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Im Rahmen dieser vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung überwiegt hier das Interesse des Antragstellers, vorläufig im Besitz seiner Fahrerlaubnis zu bleiben, das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung. Denn die Fahrerlaubnisentziehung ist bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung Rechtmäßigkeitsbedenken ausgesetzt.
Rechtsgrundlage für eine Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Gemäß § 11 Abs. 8 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die fehlende Eignung eines Kraftfahrers schließen und diesem die Fahrerlaubnis entziehen, wenn er sich weigert, sich einer zu Recht von ihm geforderten medizinisch-psychologischen Begutachtung zu unterziehen oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorlegt. Denn wer seine Mitwirkung an der Aufklärung von Eignungsmängeln verweigert, lässt die von einem Verkehrsteilnehmer zu fordernde Einsicht vermissen, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Belangen vorgeht. Dabei setzt der Schluss von der verweigerten Beibringung des Gutachtens auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen voraus, dass die Anordnung der Untersuchung rechtmäßig erfolgte (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20/15 –, juris).
Diese Voraussetzung liegt nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht vor.
Die an den Antragsteller ergangene Aufforderung zur Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 5. Februar 2020 ist zu Unrecht auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gestützt. Danach ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln zulässig bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen des Fahrerlaubnisinhabers gegen verkehrsrechtliche Vorschriften.
Der Antragsteller hat zwar unstreitig wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen, so dass grundsätzlich die Voraussetzung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung gegeben wäre.
Die Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV steht aber in einem Spannungsverhältnis zu § 4 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz vor den Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern ausgehen, die in § 4 Abs. 5 StVG genannten Maßnahmen zu ergreifen.
Das Fahreignungs-Bewertungssystem beinhaltet wie bereits das vorherige Punktsystem die Bewertung von Verkehrszuwiderhandlungen (Straftaten und Ordnungswidrigkeiten) mit einer nach Art und Schwere der Verstöße festgelegten Punktzahl und das Ergreifen abgestufter Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde bei Erreichen oder Überschreiten bestimmter Punkteschwellen. Es bezweckt eine Vereinheitlichung der Behandlung von Mehrfachtätern und soll dem Betroffenen Gelegenheit geben, aufgetretene Mängel möglichst frühzeitig zu beseitigen. Das abgestufte und transparente System rechtfertigt die Annahme, dass Personen, die acht oder mehr Punkte erreicht haben, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sind. Aus dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergibt sich damit, dass der Gesetzgeber bewusst die weitere Straßenverkehrsteilnahme von Kraftfahrern mit einem nicht unerheblichen „Sündenregister“, weil mehrfach gegen Verkehrsvorschriften verstoßen wurde, in Kauf genommen hat (vgl. VG Neustadt a. d. Weinstraße, Beschluss vom 21. März 2017 – 3 L 293/17.NW –, juris sowie zum früheren Punktesystem: OVG RP, Beschluss vom 27. Mai 2009 – 10 B 10387/09.OVG – und BayVGH, Beschluss vom 2. Juni 2003 – 11 CS 03.743 –, beide juris).
Wenn sich aber die Notwendigkeit früherer oder anderer die Fahreignung betreffender Maßnahmen nach den Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG oder einer auf Grund § 6 Abs. 1 Nr. 1 StVG erlassenen Rechtsverordnung ergibt, ist das Fahreignungs-Bewertungssystem gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG nicht anzuwenden. Damit ist im öffentlichen Interesse sichergestellt, dass ungeeignete Kraftfahrer schon vor Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr wirksam ausgeschlossen werden können oder besondere Eignungszweifel durch weitergehende Maßnahmen, wie z. B. eine medizinisch-psychologische Untersuchung, sofort geklärt werden können (vgl. OVG RP, Beschluss vom 27. Mai 2009, a.a.O.; VG Neustadt a. d. Weinstraße, a.a.O.). Ein Verlassen des Fahreignungs-Bewertungssystems auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG muss auf eng begrenzte, besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt sein (vgl. VG Neustadt a. d. Weinstraße, a.a.O. und zum früheren Punktesystem OVG RP, Beschlüsse vom 27. Mai 2009, a.a.O. und vom 11. Februar 2011 – 10 B 11338/10.OVG, juris). Die Fahrerlaubnisbehörde muss hier Zurückhaltung üben und im Einzelnen unter Auswertung aller konkreten Umstände sehr präzise begründen, warum sie es aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall anderer „Punktesünder“ abheben muss, aufgrund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrsordnungswidrigkeiten für unerlässlich hält, die Fahreignungsbedenken sofort durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu klären, ohne dem Betroffenen die Chance zu belassen, zuvor das allerdings unter der Geltung des Fahreignungs-Bewertungssystems stark reduzierte Hilfsangebot des § 4 StVG wahrzunehmen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 4 Rn. 33 sowie OVG RP, Beschlüsse vom 27. Mai 2009, a.a.O. und vom 11. Februar 2011, a.a.O.). Dies ist insbesondere der Fall, wenn Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Kraftfahrer werde auch dann nicht zu verkehrsordnungsgemäßem Verhalten zurückfinden, wenn er die präventiven Maßnahmen nach dem Fahreignungsbewertungssystem durchlaufen hat (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 4 Rn. 33).
Solche besonderen und einzelfallbezogenen Gründe, die ein Abweichen von dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG im vorliegenden Fall rechtfertigen würden, hat der Antragsgegner in seiner Aufforderung zur medizinisch-psychologischen Begutachtung des Antragstellers nicht aufgezeigt. Dabei können grundsätzlich nur die Erwägungen berücksichtigt werden, welche die Fahrerlaubnisbehörde in der Aufforderung zur medizinisch-psychologischen Begutachtung dargelegt hat. Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung ist kein Verwaltungsakt, sie kann mithin nicht mit Rechtsmitteln eigenständig angefochten werden. Wegen des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre sind an ihre Begründung deshalb hohe Anforderungen zu stellen. §§ 39, 45 VwVfG finden, weil kein Verwaltungsakt vorliegt, keine Anwendung, sodass die Fahrerlaubnisbehörde die maßgeblichen Gründe auch nicht nachträglich geben kann, sondern allenfalls mit einer neuen Begründung eine neue Untersuchungsaufforderung erlassen kann (vgl. OVG RP, Beschluss vom 27. Mai 2009, a.a.O; Hentschel/König/Dauer, a.a.O.).
In der Begründung der Aufforderung zur Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 5. Februar 2020 hat der Antragsgegner zunächst die folgenden Verkehrsverstöße und von der Verkehrsbehörde ergriffenen Maßnahmen aufgelistet:
– am 15. September 2017: Überholung ohne Beachtung des Gegenverkehrs;
– am 17. September 2017: Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit außerorts um 36 km/h;
– am 8. Januar 2018: Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG;
– am 25. Dezember 2018: Führen eines Fahrzeugs unter Alkoholeinfluss (0,78 Promille); darüber hinaus sei bereits am 18. Juni 2017 bei einer Verkehrskontrolle ein Blutalkoholwert von 0,48 Promille gemessen worden;
– am 4. Juni 2019: Erteilung einer „gelbe Karte“ durch die Fahrerlaubnisbehörde;
– am 12. Februar 2019: Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 24 km/h;
– am 27. August 2019: erneute Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG
– am 15. Oktober 2019: Führen eines Kraftfahrzeuges, obwohl zu diesem Zeitpunkt ein Fahrverbot festgesetzt war.
Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat der Antragsgegner sodann folgendermaßen begründet:
„Einen solchen Ausnahmefall sehen wir vorliegend als gegeben an. Aus hiesiger Sicht lassen die dargelegten Sachverhalte den Schluss zu, dass Sie trotz Durchführung präventiver Maßnahmen unter anderem des Fahreignungs-Bewertungssystems nicht zu einem die Verkehrsordnung respektierenden Verhalten zurückfinden.
Das Fahreignungsregister weist in Ihrem Fall derzeit 5 Punkte auf; die Fahrt ohne Fahrerlaubnis vom 15.10.2019 findet derzeit noch keine Berücksichtigung. Die nächste Maßnahme im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems stellt eine Verwarnung dar. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Insbesondere da zwei der festgesetzten Punkte im Laufe der nächsten Monate getilgt werden.
Die mit dieser im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems zunächst zu ergreifenden Maßnahmen beabsichtige Verhaltensveränderung kann in Ihrem Fall nicht angenommen werden. So wurden bereits am 08.01.2018 und am 27.08.2019 Ermahnungen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG erlassen, welche nicht den gewünschten Effekt erzielten. Denn nach der zuletzt ergangenen Ermahnung vom 27.08.2019 und der Festsetzung eines Fahrverbots setzten Sie sich über dieses hinweg und Führen ein Fahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis im Straßenverkehr (strafbar gemäß § 21 StVG).
Auch sonstige Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde („Gelbe Karte“ vom 04.06.2019) mit dem Hinweis, dass weitere (negative) Auffälligkeiten fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen bis hin zur Entziehung der Fahrerlaubnis auf dem Verwaltungsrechtsweg auslösen können, führten nicht zu einer Verhaltensveränderung.
Daher sind (derzeit) die milderen Maßnahmen der Ermahnung und Verwarnung im vorliegenden Ausnahmefall sinnlos, weil sie Sie nicht zu einer Verbesserung im Sinne einer verkehrsordnungsgemäßen Fahrweise motivierten bzw. motivieren werden.
So ist es bei Betrachtung der vorstehenden Erwägungen und der zugrundeliegenden Sachverhalte lediglich dem Zufall zu verdanken, dass in der Vergangenheit nicht bereits hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer oder sonstiger Dritter geschädigt wurden.
Ihr Verhalten deutet auf eine beharrliche Missachtung der Rechtsordnung hin bzw. tun sich Anhaltspunkte dafür auf, dass es sich bei Ihnen um einen unverbesserlichen Verkehrssünder handelt, dem die erforderliche Einstellung zu einem ordnungsgemäßen Verhalten im Straßenverkehr fehlt, was das frühere Eingreifen zwecks Überprüfung Ihrer charakterlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfertigt.
Die Verkehrssicherheit und damit die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer gebietet, nach Abwägung der entscheidungsrelevanten Tatsachen, die Ergreifung der angeordneten Maßnahme.“
Diese Begründung vermag die Annahme eines deutlich vom Normalfall eines mit fünf Punkten im Verkehrszentralregister geführten Verkehrsteilnehmers abweichenden Ausnahmefalls bei summarischer Prüfung nicht zu rechtfertigen. Die dargelegten Umstände lassen nach jetzigem Erkenntnisstand nicht den Schluss zu, der Antragsteller werde auch nach dem Durchlaufen der präventiven Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nicht zu verkehrsordnungsgemäßem Verhalten zurückfinden.
Nach Aktenlage dürfte der Vorfall vom 15. Oktober 2019 (Fahren ohne Fahrerlaubnis) im Rahmen dieser Würdigung gemäß § 3 Abs. 3 StVG nicht berücksichtigungsfähig sein. Nach dieser Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand eines Strafverfahrens ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 des Strafgesetzbuches (StGB) in Betracht kommt während der Anhängigkeit eines Strafverfahrens in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Dies gilt auch bei einer Anordnung der Beibringung eines Gutachtens (vgl. Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 18.03.2020, § 11 Rn. 57). Die Voraussetzungen sind nach Aktenlage erfüllt. Ausweislich der Verwaltungsakte wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen der Straftat des § 21 StVG, bei der die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB grundsätzlich in Betracht kommt, eingeleitet und nicht eingestellt oder rechtskräftig zum Abschluss gebracht.
Art und Häufigkeit der demnach berücksichtigungsfähigen vier Ordnungswidrigkeiten (zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen außerorts, Überholen ohne Beachtung des Gegenverkehrs, Führen eines Fahrzeugs unter Alkoholeinfluss) rechtfertigen nicht die Annahme, bei dem Antragsteller handle es sich um einen unverbesserlichen Verkehrssünder, der beharrlich die Rechtsordnung missachte und nicht zu einem verkehrsordnungsmäßigen Verhalten zurückfinden werde. Dass der Antragsteller mehrfach nicht unerhebliche Verstöße gegen Verkehrsvorschriften begangen hat, reicht zur Begründung eines besonders gelagerten Einzelfalls, der das Abweichen vom Punktesystem rechtfertigt, nicht aus. Die Begehung mehrerer, auch nicht unerheblicher Verkehrsordnungswidrigkeiten ist schon regelmäßig Voraussetzung für das Erreichen eines Punktestands von fünf Punkten. Auch die Begehung weiterer Ordnungswidrigkeiten nach einer Ermahnung und die Erteilung einer „gelben Karte“ stellen im Rahmen des in § 4 StVG vorgesehenen gestuften Systems keine Besonderheit dar.
Sich aus dem konkreten Hergang der Ordnungswidrigkeiten ergebende Besonderheiten zeigt die Begründung nicht auf. Soweit der Antragsgegner darauf verweist, es sei lediglich dem Zufall zu verdanken, dass in der Vergangenheit hochrangige Rechtsgüter nicht geschädigt worden seien und durch die Zuwiderhandlungen, insbesondere die Fahrt vom 15. September 2019, bereits eine Gefahr für den Straßenverkehr heraufbeschworen worden sei, ergibt sich hieraus kein besonderer Hergang. Denn Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr weisen grundsätzlich ein Gefährdungspotential für andere Verkehrsteilnehmer auf.
II.
Hinsichtlich der in Ziffer II. des Bescheides vom 4. Juni 2020 geregelten Pflicht zur Abgabe des Führerscheins hat der Eilantrag ebenfalls Erfolg.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung bezieht sich auch auf die im Bescheid auf der Grundlage des § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV bestimmte Abgabepflicht. Die Regelung des Sofortvollzuges in § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV reicht unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Prinzips des Gesetzesvorbehaltes zum Ausschluss des Suspensiveffektes nach § 80 Abs. 1 VwGO nicht aus, da es sich bei § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV lediglich um eine Rechtsverordnung handelt und auch nach dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO („durch Bundesgesetz“) ein Gesetz im formellen Sinne erforderlich ist (s. zum Meinungsstand Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 47 FeV Rn. 9 m.w.N. und W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 80 Rn. 65). Auch hat sich Ziffer II. des angefochtenen Bescheids nicht durch die Befolgung der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins erledigt, sondern stellt den Rechtsgrund für die Einbehaltung des Dokuments dar (BayVGH, Beschluss vom 12. Februar 2014 – 11 CS 13.2281 –, juris).
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Wird die aufschiebende Wirkung der Entziehungsverfügung wiederhergestellt, entfällt die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins, so dass die Ablieferungsanordnung des Führerscheins nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV offensichtlich rechtswidrig ist.
III.
Hinsichtlich der ebenfalls im Bescheid vom 4. Juni 2020 geregelten Zwangsmittelandrohung ist der Antrag unzulässig.
Denn der Führerschein des Antragstellers gelangte am Tage des Eilantrags am 8. Juni 2020 zur Akte der Fahrerlaubnisbehörde (s. Bl. 133 der Verwaltungsakte). Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 5 des Bescheides erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde den angedrohten unmittelbaren Zwang ausführen wird. Daher fehlt dem Antragsteller für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der im Bescheid vom 4. Juni 2020 geregelten Zwangsmittelandrohung das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragsteller unterliegt nur zu einem geringen Teil, da der Eilrechtsschutz gegen die unselbständige Zwangsmittelandrohung nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts führt (vgl. hinsichtlich Zwangsmittelandrohung Ziffer 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2013, LKRZ 2014, 169).
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. mit den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.