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Tatmehrheit bei Verkehrsverstößen gegen Verkehrsvorschriften während einer Fahrt

OLG Zweibrücken klärt Konkurrenzverhältnis bei Verkehrsverstößen

Das Urteil des OLG Zweibrücken (Az.: 1 ORbs 2 SsBs 29/23) hebt aufgrund der Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Der Entscheidung liegt zugrunde, dass das Amtsgericht möglicherweise eine natürliche Handlungseinheit fälschlicherweise verneint und damit eine tatmehrheitliche Begehungsweise angenommen hat, ohne ausreichende Feststellungen zum Konkurrenzverhältnis der begangenen Verkehrsverstöße zu treffen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 ORbs 2 SsBs 29/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  • Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Amtsgericht.
  • Die Feststellungen des Amtsgerichts unterstützen nicht ausreichend die Annahme einer tatmehrheitlichen Begehungsweise.
  • Natürliche Handlungseinheit möglicherweise fälschlicherweise durch das Amtsgericht verneint.
  • Konkrete Feststellungen zum zeitlichen und räumlichen Zusammenhang der Verkehrsverstöße fehlen.
  • Die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses ist für die rechtliche Bewertung zentral.
  • Weisungen der Polizei müssen hinsichtlich ihrer Absicht und der Reaktion des Betroffenen neu bewertet werden.
  • Die Einheitlichkeit des Fahrverhaltens und die Willensbildung des Betroffenen sind wichtige Indizien.
  • Im weiteren Verfahren muss das Amtsgericht klären, ob eine Tateinheit vorliegt und die Verstöße entsprechend bewerten.

Verkehrsverstöße während der Fahrt: Rechtliche Aspekte der Tatmehrheit

Im Straßenverkehr kommt es häufig zu Situationen, in denen mehrere Verkehrsverstöße begangen werden. Dies kann beispielsweise bei einer längeren Autofahrt der Fall sein, bei der der Fahrer oder die Fahrerin gegen verschiedene Vorschriften verstößt. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob eine Tatmehrheit vorliegt und welche rechtlichen Konsequenzen daraus resultieren.

Die Tatmehrheit ist ein strafrechtlicher Begriff, der besagt, dass mehrere Straftaten, die in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stehen, als eine einzige Tat gewertet werden. Dies hat zur Folge, dass die Strafe für die Tatmehrheit geringer ausfällt, als wenn die einzelnen Straftaten getrennt voneinander bestraft würden. Im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten gilt das Prinzip der Tatmehrheit ebenfalls, jedoch gibt es hier einige Besonderheiten zu beachten.

Wenn Sie Fragen zu Verkehrsverstößen während der Fahrt und der rechtlichen Bewertung von Tatmehrheit haben, zögern Sie nicht und fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.

Im Zentrum des Rechtsstreits steht ein komplexer Fall von Tatmehrheit bei Verkehrsverstößen, der vor dem OLG Zweibrücken verhandelt wurde. Der Betroffene wurde ursprünglich vom Amtsgericht Pirmasens zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt, nachdem er mehrere Verkehrsregeln missachtet hatte. Das Oberlandesgericht musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die vom Betroffenen begangenen Verkehrsverstöße als eine Tatmehrheit zu bewerten sind und wie die Konkurrenzverhältnisse dieser Verstöße rechtlich einzuordnen sind.

Verkehrsverstöße unter der Lupe

Der Fall nahm seinen Anfang, als der Betroffene am 28. November 2021 mehrere Verkehrsvorschriften missachtete. Er unterließ es, den Sicherheitsgurt während der Fahrt anzulegen, folgte nicht den Anhaltezeichen eines Polizeibeamten und versäumte es, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen. Diese Handlungen führten zu einem Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz, der eine Geldbuße in Höhe von 600 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat vorsah.

Rechtliche Bewertung der Verkehrsvorschriften

Die Herausforderung in diesem Fall lag in der rechtlichen Bewertung, ob die Handlungen des Betroffenen als einzelne Verstöße oder als eine Einheit zu betrachten sind. Das Amtsgericht Pirmasens vertrat die Auffassung, dass eine Tatmehrheit vorliege, sprich, der Betroffene für jeden Verstoß gesondert zu bestrafen sei. Diese Sichtweise wurde jedoch vom OLG Zweibrücken hinterfragt. Das Gericht stellte fest, dass die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den Verstößen möglicherweise nicht korrekt vorgenommen wurde. Insbesondere die Frage, ob eine natürliche Handlungseinheit vorliegt, war von entscheidender Bedeutung. Bei einer solchen Einheit müsste rechtlich von einem einheitlichen Geschehen ausgegangen werden, was zur Anwendung einer einzigen Geldbuße für alle Verstöße führen könnte.

Die Rolle der Polizei und die Reaktion des Betroffenen

Ein wesentlicher Aspekt des Falles war das Verhalten des Betroffenen gegenüber den Polizeibeamten und deren Einsatzmittel. Das Gericht musste bewerten, inwieweit die Weisungen der Polizei – insbesondere das Anhalten betreffend – vom Betroffenen missachtet wurden und wie diese Missachtung rechtlich zu bewerten ist. Die Feststellungen des ersten Urteils ließen Raum für Interpretationen, ob der Betroffene die Anweisungen bewusst ignorierte oder ob ein Missverständnis vorlag. Darüber hinaus war zu klären, welche Absichten die Polizeibeamten mit dem Einsatz von Blaulicht und Einsatzhorn verfolgten und ob der Betroffene die Situation korrekt einschätzen konnte.

Entscheidung des OLG Zweibrücken

Das OLG Zweibrücken entschied schließlich, dass das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen sei. Die Begründung basierte darauf, dass die festgestellten Handlungen des Betroffenen möglicherweise einen so engen zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufwiesen, dass sie bei natürlicher Betrachtung als ein einheitliches Geschehen erscheinen. Dies würde gegen eine Bewertung als Tatmehrheit sprechen und stattdessen für eine natürliche Handlungseinheit argumentieren. Die genaue Klärung dieser und weiterer Fragen wurde dem Amtsgericht überlassen, das nun mit zusätzlichen Anweisungen und Hinweisen das Verfahren neu aufrollen muss.

Das OLG Zweibrücken setzt mit seiner Entscheidung einen wichtigen Akzent in der Bewertung von Verkehrsverstößen und der Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses. Die Zurückverweisung des Falls unterstreicht die Notwendigkeit einer präzisen und umfassenden rechtlichen Prüfung in Fällen von Verkehrsvorschriften.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter Tatmehrheit im Verkehrsrecht?

Unter Tatmehrheit im Verkehrsrecht versteht man die Begehung mehrerer Verkehrsordnungswidrigkeiten durch eine Person, bei denen die einzelnen Handlungen zwar zur gleichen Zeit stattfinden, sich aber nicht überschneiden. Dies bedeutet, dass jede einzelne Ordnungswidrigkeit separat geahndet wird und somit für jeden Verstoß ein eigenes Bußgeld verhängt wird.

Die rechtliche Grundlage für die Tatmehrheit im Verkehrsrecht findet sich in § 20 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Wenn also ein Fahrer beispielsweise mehrfach die gleiche Geschwindigkeitsbegrenzung übertritt oder auf unterschiedlichen Straßen kontinuierlich zu schnell fährt, liegt Tatmehrheit vor. Auch das Strafrecht kennt ein ähnliches Konzept der Tatmehrheit, das in § 53 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt ist.

Im Falle von Tatmehrheit werden die Bußgelder und Punkte im Fahreignungsregister (Flensburg) für jeden Verstoß addiert. Sollten mehrere Fahrverbote vorgesehen sein, wird in der Regel nur das längste Fahrverbot verbüßt. Es ist jedoch zu beachten, dass die Feststellung von Tatmehrheit oder Tateinheit im Einzelfall auch prozessrechtliche Konsequenzen haben kann, weshalb es ratsam sein kann, sich bei einem Bußgeldbescheid, der auf Tatmehrheit beruht, an einen auf Verkehrsrecht spezialisierten Anwalt zu wenden.

Zusammenfassend ist Tatmehrheit im Verkehrsrecht also dann gegeben, wenn ein Verkehrsteilnehmer mehrere Verstöße begeht, die jeweils als eigenständige Handlungen betrachtet werden und somit separat geahndet werden müssen.


Das vorliegende Urteil

OLG Zweibrücken – Az.: 1 ORbs 2 SsBs 29/23 – Beschluss vom 14.11.2023

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 28.09.2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Polizeipräsidium Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle – hat mit dem zugrundeliegenden Bußgeldbescheid vom 11.02.2022 gegen den Betroffenen wegen am 28.11.2021 um 11:40 Uhr in … begangener tateinheitlich begangener Ordnungswidrigkeiten, namentlich dem Nichtanlegen des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt, dem Nichtbefolgen des Zeichens eines Polizeibeamten sowie dem Unterlassen, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, eine Geldbuße in Höhe von 600,- Euro und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 28.09.2022 gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen Unterlassens, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu verschaffen in Tatmehrheit mit Nichtbefolgens eines Zeichens eines Polizeibeamten (Haltegebot) in Tatmehrheit mit einem Verstoß gegen die Pflicht zur Anlegung des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt eine Geldbuße von 600,- Euro und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

Mit Beschluss vom 13.06.2023 hat der Einzelrichter dem Betroffenen Wiedereinsetzung in Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt. Seine Rechtsbeschwerde begründet der Betroffene mit der Sachrüge.

Mit weiterem Beschluss vom 14.11.2023 hat der Einzelrichter die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen, § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1) Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 28.11.2021 gegen 11:40 Uhr die L… zwischen … und … als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen …, ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben.

Die Polizeibeamten PK F. und PK G. gaben ihm mehrere Anhaltezeichen und schalteten auch das blaue Blinklicht und das Einsatzhorn ein, was der Betroffene zwar bemerkte, aber ignorierte. Er fuhr einfach weiter, wobei ein Überholen für die Beamten aufgrund des Streckenverlaufs zunächst nicht möglich war. Erst nachdem die Beamten das Fahrzeug überholt und ausgebremst hatten, hielt der Betroffene an.

2) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen tatmehrheitlich begangener Verstöße gegen die §§ 21a Abs. 1, 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 1, Abs. 3 StVO nicht.

a) Zutreffend geht das Gericht zunächst davon aus, dass Verkehrsteilnehmer ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Verwendung der Einsatzmittel freie Bahn zu schaffen haben; denn in der konkreten Verkehrssituation ist kein Verkehrsteilnehmer in der Lage, die Frage der Rechtmäßigkeit zu beurteilen, so dass er ohne Prüfung der Sachlage sofort und unbedingt freie Bahn zu gewähren hat (OLG Köln, Beschluss vom 13. Januar 1984 – 1 Ss 905/83 –, juris). Zutreffend geht das Gericht weiter davon aus, dass außer einem Verstoß gegen die §§ 38 Abs.1 Satz 2, 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO auch eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 36 Abs. 5, 49 Abs. 3 Nr.1 StVO in Betracht kommt; denn nach den Feststellungen liegt es nahe, dass die Polizeibeamten den Betroffenen anhalten und einer Verkehrskontrolle hinsichtlich des nicht beendeten Gurtverstoßes unterziehen wollten, so dass sich die Betätigung des Blaulichtes und des Einsatzhorns auch als eine Weisung der Zeugen an den Betroffenen zum Anhalten darstellen kann (OLG Köln a.a.O.; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, 27. Aufl. 2022, StVO § 36 Rn. 12 m.w.N.; BeckOK StVR/Ritter, 20. Ed. 15.7.2023, StVO § 36 Rn. 20a m.w.N.).

b) Das Amtsgericht hat im rechtlichen Ausgangspunkt weiter zwar richtig erkannt, dass es an die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses im Bußgeldbescheid nicht gebunden ist, sondern dieses eigenständig zu bewerten hat. Die insoweit lückenhaften Feststellungen ermöglichen dem Senat jedoch nicht die Prüfung, ob das Amtsgericht zu Recht von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise ausgegangen ist. Durch eine rechtsfehlerhafte Verneinung einer natürlichen Handlungseinheit kann der Betroffenen hier beschwert sein. Dies hätte zur Folge, dass nach § 19 Abs. 1 OWiG hinsichtlich des gesamten, dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Verkehrsgeschehens nur auf eine einzige Geldbuße zu erkennen gewesen wäre.

In der Regel wird es sich in Fällen, in denen der Fahrzeugführer während einer Fahrt nacheinander wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstößt, bei den einzelnen Verkehrsverstößen um jeweils selbstständige Handlungen handeln, und zwar selbst dann, wenn die Verkehrsordnungswidrigkeiten gleichartig sind (vgl. BeckOK OWiG/Sackreuther, 40. Ed. 01.10.2023, OWiG § 19 Rn. 11 m.w.N.). Eine einzige Tat im Sinne einer sog. natürlichen Handlungseinheit kann dann vorliegen, wenn die einzelnen Verkehrsverstöße einen derart engen zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufweisen, dass sich der gesamte Lebenssachverhalt bei natürlicher Betrachtung auch für einen unbeteiligten Dritten als ein zusammengehöriges Geschehen darstellt, dessen getrennte Betrachtung eine unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Verkehrsvorgangs darstellen würde (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 20.02.2003 – 1 Ss 23/03, juris Rn. 6). Ein wichtiges Kriterium für die Annahme eines solchermaßen einheitlichen Tatgeschehens sind dabei der zeitliche und örtliche Abstand zwischen den einzelnen Handlungen sowie die Frage, ob die Verkehrsverstöße in subjektiver Hinsicht auf der gleichen Willensbildung des Betroffenen beruhen (Gübner in Burhof, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Rn. 2754 m.w.N.).

Werden während eines (auch durch Unterlassen verwirklichten) Dauerdeliktes weitere Tatbestände verwirklicht, kann ebenfalls eine natürliche Handlungseinheit gegeben sein. Auch hier ist erforderlich, dass zwischen den Tatbeständen ein innerer Beziehungs- oder Bedingungszusammenhang besteht (Senat, Beschluss vom 8. August 2001 – 1 Ss 182/01 –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Februar 2010 – 2 SsBs 82/09 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Dezember 2006 – 4 Ss 596/06 –, juris; OLG Rostock, Entscheidung vom 27. August 2004 – 2 Ss (OWi) 19/03 I 37/03 –, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 24. November 2004 – 1 Ss 259/04 –, juris). Zur Abgrenzung gegenüber möglicherweise „nur gleichzeitigen“, „nur gelegentlich“ einer Dauertat begangenen Verstößen, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung gefordert, dass Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen in der konkreten Form notwendigen Teil vorliegen muss, dass das Dauerdelikt selbst einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zu dem jeweiligen anderen Verstoß bildet (vgl. (vgl. OLG Rostock a.a.O. Rn. 8 unter Verweis auf BGH VRS 52, 129 = BGHSt 27, 66 = NJW 1977, 442; BGH NStZ 1981, 401 m.w.N.). Die h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, bejaht bei einem Verstoß gegen die Gurtpflicht und einem zugleich begangenen Verstoß im Straßenverkehr Tateinheit, wenn das Führen des Kraftfahrzeuges notwendigerweise zugleich die Ausführungshandlung des weiteren Verkehrsverstoßes darstellt. Dies ist hier der Fall. Der Verstoß gegen die §§ 36 Abs. 1 und 38 Abs. 1 Satz 2 StVO ist vorliegend ohne das (Weiter-)Führen des Kraftfahrzeuges nicht möglich. Es liegt damit Teilidentität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen vor, die nach allgemeiner Meinung zur Annahme von Tateinheit führt (vgl. BGH, a.a.O., m.w. N.; OLG Rostock, a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.).

c) Gemessen an diesen Grundsätzen tragen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen die rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses nicht. Die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen legen zwar nahe, dass alle Verstöße in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang begangen wurden. Konkrete Feststellungen zur zeitlichen und räumlichen Verortung der von ihm abgeurteilten Verkehrsverstöße fehlen indes. Die weiteren getroffenen Feststellungen, der Betroffene sei trotz mehrerer Anhaltezeichen und eingeschaltetem Blinklicht und Einsatzhorn weitergefahren, obwohl er dies bemerkt hatte, legt die Annahme nahe, dass dem gesamten Fahrverhalten ein einheitlicher Willensentschluss zugrunde gelegen hat. Dieser Umstand stellt ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass dem gesamten vom Bußgeldbescheid erfassten Fahrverhalten ein einheitlicher, die festgestellten Handlungen verbindender Willensentschluss des Betroffenen, sich der Anhalteanordnung der Polizei bzw. deren Verkehrskontrolle hinsichtlich des nicht beendeten Gurtverstoßes (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, a.a.O.) zu widersetzen, zugrunde lag.

3) Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass der Tatrichter weitere Feststellungen treffen kann, welche die Annahme mehrerer Taten im materiell-rechtlichen Sinne begründen.

4) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass sowohl im Fall des § 36 StVO als auch in demjenigen des § 38 StVO der Betroffene als Adressat der von den Zeugen mittels der Einsatzmittel erteilten Aufforderung in Betracht kommt, dass diese Aufforderung aber im Rahmen des § 36 Abs. 5 StVO die Weisung zum Anhalten beinhaltet, während sie im Falle des § 38 StVO nur dahin geht, dem Wegerechtsfahrzeug freie Bahn zu verschaffen. Die Weisung zum Anhalten nach § 36 Abs. 5 StVO setzt weiterhin die Absicht des Polizeibeamten voraus, den Angewiesenen einer Verkehrskontrolle zu unterziehen. Die Aufforderung nach § 38 StVO muss den Zweck, Maßnahmen gegen den aufgeforderten Verkehrsteilnehmer möglich zu machen, nicht verfolgen. Die Aufforderung, freie Bahn zu schaffen, kann vielmehr auch ergehen, wenn sich der Einsatz des Wegerechtsfahrzeugs gegen Dritte richtet (OLG Köln a.a.O.).

Nach alledem wird das Amtsgericht in der neuen Hauptverhandlung klären müssen, welche Absicht die Polizeibeamten verfolgt haben, als sie das Einsatzhorn und das Blaulicht betätigten. Dabei kommt insbesondere in Betracht, dass die Zeugen den Betroffenen von vornherein mit den Einsatzmitteln zum Anhalten anweisen wollten oder, dass sie von dem Betroffenen zunächst freie Bahn fordern wollten, um die Möglichkeit zu erhalten, an ihm vorbeizufahren und ihn sodann zum Anhalten aufzufordern. Das Amtsgericht wird ferner feststellen müssen, wie der Betroffene die Einsatzmittel unter den zur Tatzeit herrschenden Umständen hat verstehen müssen.

Sollte das Amtsgericht wieder zu dem Ergebnis gelangen, dass die Taten bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander stehen, wird zu prüfen sein, ob der Gurtverstoß die Delikte zur Tateinheit verklammert (ablehnend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. März 1986 – 2 Ss (OWi) 531/85 – 215/85 III –, juris m.w.N.; KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 19 Rn. 40 m.w.N.; BeckOK OWiG/Sackreuther, 40. Ed. 1.10.2023, OWiG § 19 Rn. 27).

III.

Die Sache war deshalb an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG); Anlass, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts oder an ein anderes Amtsgericht zu verweisen bestand nicht.

 

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