Ein Auge für Verkehrsschilder und die Rolle der finanziellen Situation in Bußgeldfällen
In einem jüngsten Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm war eine Beschwerde gegen eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Fokus. Im besonderen Interesse standen hierbei zwei wesentliche Aspekte: Zum einen die allgemeine Erwartung, dass Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen wahrnehmen, und zum anderen die Frage, inwiefern die finanzielle Situation des Beschuldigten bei der Festsetzung eines Bußgeldes berücksichtigt werden muss.
Direkt zum Urteil Az: III-4 RBs 217/21 springen.
Übersicht
Die Verantwortung der Fahrer bei der Wahrnehmung von Verkehrsschildern
Gemäß dem Beschluss des OLG Hamm wird allgemein davon ausgegangen, dass Verkehrsteilnehmer korrekt platzierte Verkehrszeichen erkennen. In dem besprochenen Fall wurde das Verkehrszeichen, welches eine Geschwindigkeitsbegrenzung vorschrieb, von der Beschwerdeführerin übersehen. Dennoch wurde die Rechtsbeschwerde abgewiesen. Denn laut OLG Hamm muss die Möglichkeit, dass der Beschuldigte ein Verkehrszeichen übersehen hat, nur berücksichtigt werden, wenn er sich ausdrücklich darauf beruft oder wenn andere Anhaltspunkte dafür vorliegen. In diesem Fall gab es keine solchen Anhaltspunkte und die Geschwindigkeitsbegrenzung war klar und mehrfach ausgeschildert.
Bedeutung der finanziellen Verhältnisse bei der Festsetzung eines Bußgeldes
Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Beschlusses betrifft die Frage, ob die finanziellen Verhältnisse des Beschuldigten bei der Verhängung eines Bußgeldes über 250 Euro näher betrachtet werden müssen. Hier entschied das OLG Hamm, dass nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen entbehrlich sind, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird. Dies gilt auch dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die finanziellen Verhältnisse des Beschuldigten außergewöhnlich gut oder schlecht sind.
Schlussfolgerungen aus dem Beschluss
Dieser Beschluss verdeutlicht einmal mehr die Verantwortung der Verkehrsteilnehmer, ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen wahrzunehmen. Darüber hinaus unterstreicht er, dass die finanziellen Verhältnisse eines Beschuldigten in einem Bußgeldverfahren nur dann eine Rolle spielen, wenn das verhängte Bußgeld von der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelgeldbuße abweicht oder wenn die finanziellen Verhältnisse des Beschuldigten außergewöhnlich gut oder schlecht sind.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: III-4 RBs 217/21 – Beschluss vom 12.08.2021
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben hat (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO).
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt die Betroffene (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
Zusatz:
Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist anzumerken, dass die Gerichte den Regelfall, dass ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden, regelmäßig zugrunde legen dürfen. Die Möglichkeit, dass der Betroffene das die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Verkehrszeichen übersehen hat, brauchen sie nur dann in Rechnung zu stellen, wenn der Betroffene sich darauf beruft oder sich hierfür sonstige Anhaltspunkte ergeben (OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2018 – III-4 RBs 374/18 – juris m.w.N.). Letzteres ist hier nicht der Fall gewesen und die Begrenzung der Geschwindigkeit auf 100 km/h war nach den Urteilsfeststellungen ab knapp einem Kilometer vor der Messstelle an drei Stellen, jeweils beidseitig ausgeschildert worden. Auch der Grund für die Beschränkung, der Wegfall eines war nach den Urteilsfeststellungen „ebenfalls gut sichtbar ausgeschildert“.
Weiter ist anzumerken, dass auch bei Geldbußen über 250,–EUR nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen entbehrlich sind, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird und sich – wie im vorliegenden Fall – keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse außergewöhnlich gut oder schlecht sind. Dies gilt auch dann, wenn auf den für eine vorsätzliche Begehungsweise nach § 3 Abs. 4 a BKatV vorgesehenen Regelsatz erkannt wird. Denn die Bußgeldkatalogverordnung enthält gem. § 3 Abs. 4 a BKatV eine generelle Regelung für die Bemessung der Bußgelder im Falle vorsätzlichen Handelns; auch insoweit geht der Verordnungsgeber von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus (OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.10.2015 – 1 Ss (OWi) 156/15 – juris m. zahlr. w. N.). Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass das Amtsgericht bei Nichtanwesenheit der Betroffenen in der Hauptverhandlung durch erfolglose Befragung des Verteidigers eine weitere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse versucht hatte (vgl. insoweit: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v.11. 06.2019 – (2 B) 53 Ss-OWi 132/19 (95/19) -juris).