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Bußgeldverfahren – Eigenmächtige Entfernung des Betroffenen aus Hauptverhandlung

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 85/19 – 162 Ss 138/18 – Beschluss vom 19.03.2019

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. September 2018 wird verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 24. April 2018 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (sog. qualifizierter Rotlichtverstoß) eine Geldbuße von 230 Euro verhängt und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt.

Auf den rechtzeitigen Einspruch des anwaltlich vertretenen Betroffenen hat das Amtsgericht Tiergarten mit Verfügung vom 14. August 2018 einen Termin zur Hauptverhandlung für den 18. September 2018 anberaumt und hierzu den – vom persönlichen Erscheinen nicht entbundenen – Betroffenen und dessen Verteidiger ordnungsgemäß geladen.

Am Terminstag erschienen nach Aufruf der Sache um 10.15 Uhr weder der Betroffene noch sein Verteidiger. Als der Betroffene schließlich um 10.25 Uhr erschien, erklärte dieser lediglich, er wolle nicht ohne seinen Verteidiger verhandeln und verließ daraufhin wieder – trotz gerichtlichen Hinweises auf seine Anwesenheitspflicht – die Hauptverhandlung.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Gericht nach einer weiteren Wartezeit und Entlassung des Zeugen um 10.34 Uhr den Einspruch verworfen und hierzu in den Gründen Folgendes ausführt:

„Der Betroffenen hat gegen den in der Urteilsformal bezeichneten Bußgeldbescheid zwar rechtzeitig Einspruch erhoben, ist aber in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung ungeachtet der durch die Zustellungsurkunde vom 21.08.2018 (Blatt 91) nachgewiesenen Ladung, ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben, obwohl der Betroffene von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war und er auch persönlich hierauf hingewiesen worden war.

Der erhobene Einspruch war daher nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen.“

Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren: Das Gericht habe gegen seine prozessuale Fürsorgepflicht verstoßen. Es hätte in der Kanzlei des Verteidigers nachfragen müssen, worauf das Nichterscheinen des Verteidigers zurückzuführen sei. Das Gericht hätte dann erfahren, dass durch die Angestellte des Verteidigers eine falsche Terminsstunde notiert worden war. Die Verhandlung hätte daher zumindest unterbrochen werden müssen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Zuschrift vom 5. März 2019 beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuweisen. Sie meint, das Amtsgericht wäre angesichts der Erklärung des Betroffenen, nicht ohne Verteidiger verhandeln zu wollen, gehalten gewesen, diese im Sinne eines Aussetzungs- oder Unterbrechungsbegehrens zu prüfen und die hieraus folgende Abwägungsentscheidung im Urteil für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar darzulegen.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ist nicht zu beanstanden; die vom Betroffenen erhobene Verfahrensrüge der Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG greift – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – nicht durch.

Die Verfahrensrüge entspricht zwar den Darlegungsanforderungen der § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG ist jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen zu Recht verworfen. Denn Anknüpfungspunkt der Verwerfung des Einspruchs ohne sachliche Prüfung ist die Verletzung der Anwesenheitspflicht des Betroffenen.

Nach § 73 Abs. 1 OWiG ist der Betroffene – anders als nach § 73 Abs. 1 OWiG a.F. – zum Erscheinen und zur Anwesenheit in der gesamten Hauptverhandlung verpflichtet. Dieser Pflicht genügte der Betroffene nicht – wie im vorliegenden Fall – durch seine anfängliche Anwesenheit und anschließende eigenmächtige Entfernung aus der Hauptverhandlung (Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 74 Rn. 30). In einem solchen Fall steht – zumal die Richterin den Betroffenen auf seine Anwesenheitspflicht mündlich hingewiesen hat – das vorzeitige Entfernen des Betroffenen aus der Hauptverhandlung einem Nichterscheinen zur Hauptverhandlung gleich (Senat NStZ-RR 2015, 55 m.w.N.; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rn. 30; Senge a.a.O.).

Entgegen den Ausführungen der Rechtsbeschwerde ist der Betroffene auch nicht dadurch entschuldigt, weil sein Verteidiger zur Hauptverhandlung nicht erschienen ist.

Eine Entschuldigung ist nämlich nur dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Betroffenen unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann. Entscheidend ist dabei nicht, ob sich der Betroffenen genügend entschuldigt hat, sondern ob er (objektiv) genügend entschuldigt ist (Senat, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 3 Ws (B) 124/15-122 Ss 37/15 – BeckRS 2015, 16923; NZV 2002, 421).

Zutreffend führt die Rechtsbeschwerde zwar aus, dass der Betroffene gemäß § 46 OWiG, § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht hat, einen Verteidiger seines Vertrauens hinzuzuziehen. Aus diesem Recht folgt aber nicht – wie bereits die Regelung des § 46 OWiG, § 228 Abs. 2 StPO zeigt –, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden kann (BVerfG NJW 1984, 862; Seitz/Bauer in Göhler a.a.O.). Zwar kann es – auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen – die Fürsorgepflicht und das Gebot des fairen Verfahrens unter Abwägung der Interessen des Betroffenen und den rechtsstaatlichen Zielen der Durchführbarkeit des Verfahrens und der Beschleunigung gebieten, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, auszusetzen oder den Termin zu verlegen (OLG Zweibrücken NZV 1996, 162; BayObLG NZV 1989, 124; Göhler a.a.O.). Gleichwohl führt dieser Anspruch des Betroffenen auf pflichtgemäße Ausübung des richterlichen Ermessens (BVerfG a.a.O.) nicht zum Erlöschen seiner – passiven – Pflicht zur Anwesenheit während der gesamten Hauptverhandlung und erst recht nicht dazu, dass ihm ein Verbleiben unzumutbar ist. Denn nicht der Betroffene, sondern der Vorsitzende entscheidet im Rahmen seiner Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) – wenn auch ggf. mit Rechtsmitteln angreifbar – über den Beginn und die Beendigung der Hauptverhandlung. Es begegnet daher – entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft – auch keinen Bedenken, verwirft das Gericht den Einspruch in diesem Fall lediglich formularmäßig. Dieses hatte wegen des eigenmächtigen Entfernens des Betroffenen überhaupt keine Veranlassung, eine dem dargestellten Maßstab genügende Abwägung vorzunehmen.

Der Betroffene kann sich auch nicht darauf berufen, dass er in rechtsirriger und nicht vorwerfbarer Weise von einem Recht zum Entfernen ausging. Denn wie sich aus den – von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen – Urteilsgründen ergibt, ist der Betroffene auf seine Anwesenheitspflicht persönlich durch die Richterin hingewiesen worden. Entfernt er sich dennoch, muss er auch die rechtlichen Folgen in Kauf nehmen.

Schließlich war das Gericht – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde – nicht gehalten, Nachforschungen zum Verbleib des Verteidigers anzustellen. Hierdurch hätte zwar ggf. die Entschuldigung des Verteidigers festgestellt werden können, jedoch keine für den zur Anwesenheit verpflichteten Betroffenen (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Juli 1999 – 2 Ss (OWi) 213/99 – (OWi) 65/99 III –, [juris]).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

 

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