OLG Zweibrücken, Az.: 1 OWi 1 Ss Bs 35/16, Beschluss vom 31.08.2016
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern hinsichtlich der Festsetzung der Geldbuße aufgehoben und die Betroffene zu einer Geldbuße von 240 € verurteilt.
2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde verworfen.
3. Die Kosten des Verfahrens und die durch die Rechtsbeschwerde veranlassten notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Das Polizeipräsidium Rheinpfalz hat gegen die Betroffene mit Bußgeldbescheid vom 26. Februar 2016 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h eine Geldbuße von 160 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 1 Monat angeordnet. Auf ihren Einspruch, den sie in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Amtsgericht die Betroffene zu einer Geldbuße von 320 € verurteilt und von der Anordnung eines Fahrverbotes abgesehen, weil der Geschwindigkeitsverstoß keine grobe Pflichtverletzung darstelle. Gegen das Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Das zulässige Rechtsmittel hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlich Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
Das Amtsgericht ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
Am 6. Januar 2006 befuhr die Betroffene um 15.40 Uhr in der Gem. Schopp die B270 in Fahrtrichtung Kaiserslautern mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen … Im Bereich der Fußgängerunterführung wurde die Geschwindigkeit der Betroffenen mit dem Messgerät ES 3.0 der Firma ESO mit 115 km/h gemessen. Nach Abzug der Toleranz von 4 km/h hat die Betroffene an der genannten Stelle die auf 70 km/h beschränkte Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h überschritten. Im Streckenverlauf von dem oben genannten Streckenabschnitt ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch beidseits ca. 125 m vor der Messstelle aufgestellte Verkehrszeichen (Zeichen 274) auf 70 km/h beschränkt.
Ausgehend von diesem Sachverhalt war es dem Amtsgericht nicht von Rechts wegen verwehrt anzunehmen, die Betroffene habe ihre Pflichten als Kraftfahrzeugführerin zwar verletzt, es handele sich aber nicht um eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG.
Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass das Amtsgericht es nicht für ausgeschlossen hält, dass die Betroffene die Verkehrsschilder übersehen hat. Zwar ist der Bußgeldrichter von Rechts wegen nicht gehalten, sich mit dieser Möglichkeit zu beschäftigen, wenn der Betroffene sich nicht darauf beruft oder andere Umstände zu dieser Annahme drängen; der Bußgeldrichter ist aber auch ohne entsprechenden Anlass von Rechts wegen nicht daran gehindert, diese Möglichkeit zu erwägen. Im vorliegenden Fall ist die Annahme eines entsprechenden Augenblicksversagens auch nicht rechtsfehlerhaft. Zwar spricht es gegen ein Übersehen der Verkehrsschilder, wenn sie beidseits der Fahrbahn aufgestellt sind; dieser Umstand schließt ein Übersehen aber nicht zwingend aus. Dass die Betroffene ortskundig war und deshalb die Geschwindigkeitsbegrenzung kannte, mag zwar aufgrund ihres Wohnortes nicht ganz fern liegen; die Annahme ist aber ebenfalls nicht zwingend. Das Bestehen einer Geschwindigkeitsbegrenzung musste sich der Betroffenen aufgrund der – nicht offensichtlich lückenhaften – Feststellungen auch nicht aufdrängen. Dass sich nur wenige hundert Meter eine Ortseinfahrt befinden soll, ergibt sich nicht ausdrücklich aus den Urteilsgründen. Selbst wenn man aufgrund der Ortsangabe davon ausgeht, dass es allgemeinkundig ist, dass sich an der in der Rechtsbeschwerdebegründung bezeichneten Stelle die Ortseinfahrt von Schopp befindet, ist darauf hinzuweisen, dass die B270 nicht durch diesen Ort führt, sondern am Orteingang vorbei. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist mit dieser örtlichen Situation genauso wenig zwingend verbunden wie mit einer Fußgängerunterführung, die unter einer Bundesstraße hindurchführt. Die Überschreitung der allgemein zulässigen Geschwindigkeit begründet nicht immer ein grob pflichtwidriges Verhalten (OLG Koblenz NJW 2005, 1061, 1062). Die Betroffene hat die (auf Landstraßen) allgemein zulässige Geschwindigkeit lediglich um 11 km/h überschritten. Dass ein Übersehen der Verkehrsschilder auf die Überschreitung der allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung zurückzuführen ist, ist nicht zwingend. Zwar kann die Überschreitung der allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung ein Indiz dafür sein, dass das Übersehen von Verkehrsschildern auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, weil die Betroffene bereits im in den beiden Vorjahren mit Bußgeldern wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen belegt worden ist. Das Fehlen einer ausdrücklichen Erörterung dieses Gesichtspunkts in den Urteilsgründen kann im vorliegenden Fall gleichwohl hingenommen werden, weil sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass es sich bei der Betroffenen um eine Vielfahrerin handelt, die auch ohne grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber den Verkehrsregeln naturgemäß häufiger gegen Verkehrsregeln verstößt. Aus demselben Grund können die Vorbelastungen auch nicht den Vorwurf der beharrlichen Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeuges durch die Betroffene rechtfertigen.
Keinen Bestand kann allerdings die von dem Amtsgericht vorgenommene Erhöhung der Geldbuße auf 320 € haben. Die Verdoppelung der Regelgeldbuße hat das Amtsgericht nicht nur wegen der Vorbelastungen der Betroffenen vorgenommen, sondern sinngemäß auch auf § 4 Abs. 4 BKatV gestützt. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Vorschrift ist nur dann anwendbar, wenn die Voraussetzungen des § 25 StVG gegeben sind. Nur das Vorliegen eines Regelfalles i. S. d. BKatV reicht nicht aus (OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2006, 4 Ss OWi 161/06, Rn. 14, juris). Das Amtsgericht ist aber hier davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 25 StVG gerade nicht vorliegen.
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat die Wirkung, dass die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Betroffenen abgeändert werden kann (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 301 StPO).
Die Urteilsgründe versetzen den Senat in die Lage über die wegen der Vorbelastungen angemessene Erhöhung der Regelgeldbuße (§ 3 Abs. 1 BKatV) selbst zu entscheiden. Der Senat hält insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es dabei ebenfalls um Geschwindigkeitsüberschreitungen ging, eine Erhöhung der Regelgeldbuße auf 240 € für angemessen.