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Geschwindigkeitsüberschreitung – Anspruch auf Übersendung Falldatei

AG Buxtehude – Az.: 21 OWi 53/20 – Beschluss vom 11.05.2020

1. Dem Landkreis … – Bußgeldstelle – wird aufgegeben, dem Betroffenen durch seine Verteidigerin Akteneinsicht zu gewähren, durch Übersendung der Falldatei des Messgerätes im Originalformat zuzüglich eines etwaig notwendigen Tokens und Passwortes.

2. Der Betroffene bzw. seine Verteidigerin haben der Bußgeldbehörde hierfür ein geeignetes Speichermedium zur Verfügung zu stellen, die seitens des Landkreises entsprechend bespielt werden kann.

3. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

4. Die Kosten des Antrags auf gerichtliche Entscheidung trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die Bußgeldbehörde wirft dem Betroffenen vor, am … um … Uhr in H. die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h überschritten zu haben, weshalb sie am … einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen erließ.

Mit Schreiben vom … sowie … beantragte die Verteidigerin Akteneinsicht in die Verfahrensakte, eine ggf. vorhandene Videoaufzeichnung und sonstige Beweisstücke. Zudem bat sie um Übersendung der technischen Daten, konkret der Falldatei des Messgerätes im Originalformat sowie eines etwa erforderlichen Tokens und Passwortes. Diesem Antrag kam die Bußgeldbehörde insofern nach, als der Verteidigerin eine Kopie der Verfahrensakte überlassen wurde. Außerdem teilte die Bußgeldbehörde mit, dass eine Übersendung der Falldatei lediglich an Gutachter durchgeführt werde. Die Messdatei sei nicht Bestandteil der Verfahrensakte.

Mit Schreiben vom … stellte die Verteidigerin Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem die Verteidigerin Akteneinsicht in die Originalbeweisfotos, die gerätespezifische Bedienungsanleitung, eine Kopie der digitalen Falldatei im gerätespezifischen Format nebst dem dazugehörigen öffentlichen Schlüssel, das Auswertprogramm und die gesamten Messdaten der Messserie begehrt.

II.

Der Antrag ist zulässig und teilweise begründet.

1.

Der Verteidigerin ist die vollständige Falldatei des Messgerätes samt Token und Passwort zur Verfügung zu stellen. Andernfalls würde das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt werden. Denn bei der vorliegenden Messung handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, so dass der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorzubringen hat. Gerade im Falle eines sog. standardisierten Messverfahrens ergibt sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ein Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in vorhandene, sich nicht bei den Akten befindliche Messdaten, und zwar unabhängig davon, ob konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorliegen oder vorgetragen worden sind (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 1 Ss (Owi) 96/16, in juris; OLG Celle, Beschluss vom 21. März 2016 – 2 Ss (OWi) 77/16, juris m.w.N.) Dies ergibt sich aus der Obliegenheit des Betroffenen, im weiteren Verfahrensverlauf konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Geschwindigkeitsmessung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt. Hierfür benötigt der Betroffene zwangsläufig den Zugang zu den technischen Daten, da erst die Auswertung dieser Daten (ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen) den Betroffenen in die Lage zu einem konkreten, entsprechenden Sachvortrag versetzt.

Einer solchen Datenherausgabe stehen mit der Herausgabe an den Verteidiger auch eventuelle datenschutzrechtliche Bedenken nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, welche unzulässigen Informationen oder Schlussfolgerungen aus den obigen Daten gezogen werden sollten. Die Verteidigerin ist zudem selbst Organ der Rechtspflege und damit zu einem sachgemäßen Umgang standesrechtlich verpflichtet (vgl. AG Gießen, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 512 Owi 83/15, in juris; AG Esslingen, Beschluss vom 3. März 2017 – 4 OWi 22/17, BeckRS 2017, 106232).

Schließlich steht der Entscheidung auch die von der Bußgeldbehörde zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Buxtehude vom 10. Oktober 2018 nicht entgegen. Auch dort hat das Gericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus dem Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren für den Verteidiger ein berechtigtes Bedürfnis ergeben kann, die Messung zu prüfen. Lediglich ein Anspruch des Betroffenen auf Umwandlung der in bestimmten Formaten vorliegenden Messdateien in normal lesbare Formate hat das Amtsgericht in dem zitierten Verfahren – zu Recht – abgelehnt.

2.

Soweit die Verteidigung darüber hinaus die unterbliebene Übersendung der Gebrauchsanweisung rügt, fehlt es bereits an einem entsprechenden Antrag auf Einsichtnahme. Weder im Schreiben vom … noch im Schreiben vom … wird die Bedienungsanleitung erwähnt. Zudem wäre einem Antrag auf Einsichtnahme auch durch den Verweis auf die Homepage des Geräteherstellers genüge getan. Der Verteidigung wird damit eine kostenlose Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung und folglich Überprüfung der Messung ermöglicht, ohne dass es hierfür zusätzlich einer Vervielfältigung und Aktenübersendung bedarf (vgl. AG Westerstede, Beschluss vom 2. November 2012 – 48 Owi 350/12, in juris; AG Gießen, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 512 Owi 83/15, in juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 OWiG iVm § 467 StPO.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 62 Abs. 2 S. 3 OWiG).

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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