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Fahrerlaubnisentziehung –  Verletzung des Trennungsgebots gelegentlicher Cannabiskonsum

Cannabiskonsum und Führerschein: Gericht kippt Entzug wegen fehlender Fahreignung

In einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen wurde entschieden, dass die Fahrerlaubnis eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten zu Unrecht entzogen wurde. Der Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde wurde aufgehoben, da keine hinreichenden Beweise für eine fehlende Trennung von Cannabiskonsum und Fahrzeugführung vorlagen. Der THC-Wert im Blut des Betroffenen lag unter dem Grenzwert, der eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit vermuten lässt. Demnach wurde die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Entzug der Fahrerlaubnis wiederhergestellt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 16 B 1590/21 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Oberverwaltungsgericht NRW hob den Führerscheinentzug eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten auf.
  • Der Entzug beruhte auf der Annahme, der Betroffene könne Konsum und Fahren nicht trennen, was sich als unbegründet erwies.
  • Ein THC-Wert unter 1,0 µg/l im Blut wurde festgestellt, was unter dem Grenzwert für eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit liegt.
  • Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens durch die Fahrerlaubnisbehörde war rechtswidrig, da die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt waren.
  • Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln wurde geändert und die Klage gegen den Entzug der Fahrerlaubnis ist zulässig und begründet.
  • Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
  • Die Entscheidung betont die Notwendigkeit einer klaren und rechtmäßigen Anordnung für Gutachten und die Einhaltung des Trennungsgebots.

Cannabiskonsumenten und Fahrerlaubnis – Ein gefährliches Spannungsfeld

Wer gelegentlich Cannabis konsumiert, steht vor einer besonderen Herausforderung, wenn es um das Thema Fahrerlaubnis geht. Das Führen von Fahrzeugen und der gleichzeitige Konsum von Cannabis können riskant sein und zu ernsten Verkehrsunfällen führen. Um die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten, ist es wichtig, dass Konsumenten Drogen und Fahrzeugführung strikt trennen. Für diese Trennung gibt es ein spezielles „Trennungsgebot“. Doch wann wird dieses Gebot verletzt, welche Konsequenzen drohen und wie hängen all diese Faktoren mit der Vergabe und dem Entzug einer Fahrerlaubnis zusammen?[6]

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Der Fall: Ein unerwartetes Urteil zum Cannabiskonsum

In einem bemerkenswerten Rechtsstreit vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen stand die Entziehung der Fahrerlaubnis eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten im Mittelpunkt. Der Antragsteller hatte gegen den Bescheid der Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt, in dem ihm aufgrund des gelegentlichen Konsums von Cannabis die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Das Verwaltungsgericht Köln hatte in erster Instanz gegen den Antragsteller entschieden, woraufhin dieser in Berufung ging.

Kern des Streits: Die rechtliche Bewertung des Cannabiskonsums

Zentraler Punkt der Auseinandersetzung war die Frage, ob der gelegentliche Konsum von Cannabis automatisch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließt. Die Fahrerlaubnisbehörde hatte argumentiert, dass der Antragsteller nicht in der Lage sei, seinen Cannabiskonsum und das Führen von Fahrzeugen zu trennen, und hatte auf dieser Grundlage seine Fahrerlaubnis entzogen. Der Antragsteller hingegen verwies darauf, dass sein THC-Wert im Blut zum Zeitpunkt der Kontrolle unter dem Grenzwert lag, der eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit vermuten lässt.

Juristische Feinheiten: Gutachtenanforderungen und Trennungsgebot

Das Gericht stellte fest, dass die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, welche die Grundlage für den Entzug der Fahrerlaubnis bildete, rechtswidrig war. Es wurde bemängelt, dass die Anordnung nicht hinreichend begründet wurde und somit die Voraussetzungen für eine solche Forderung nicht erfüllt waren. Insbesondere wurde kritisiert, dass keine ausreichenden Beweise dafür vorlagen, dass der Antragsteller nicht in der Lage sei, seinen Cannabiskonsum vom Führen eines Fahrzeugs zu trennen.

Die Entscheidung des Gerichts: Aufhebung des Führerscheinentzugs

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschied, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Entzug seiner Fahrerlaubnis wiederherzustellen. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis voraussichtlich rechtswidrig sei, da die Anforderungen an das Trennungsgebot und die Gutachtenanordnung nicht erfüllt waren. Die Antragsgegnerin wurde zudem verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

In diesem Rechtsstreit wurde deutlich, dass der Umgang mit gelegentlichem Cannabiskonsum im Verkehrsrecht komplex ist und eine differenzierte Betrachtung erfordert. Das Urteil hebt hervor, dass nicht automatisch von einer Fahruntauglichkeit ausgegangen werden kann, wenn der THC-Wert unter dem festgelegten Grenzwert liegt. Es betont die Notwendigkeit einer individuellen Prüfung und einer klaren rechtlichen Grundlage für die Anforderung von Gutachten und die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen markiert einen wichtigen Punkt in der rechtlichen Auseinandersetzung um den Cannabiskonsum von Fahrzeugführern und dessen Bewertung im Kontext der Verkehrssicherheit. Es unterstreicht die Bedeutung des Trennungsgebots und setzt klare Maßstäbe für die Anforderungen an Gutachtenanordnungen durch die Fahrerlaubnisbehörden.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird das Trennungsgebot im Zusammenhang mit Cannabiskonsum definiert?

Das Trennungsgebot im Zusammenhang mit Cannabiskonsum bezieht sich auf die rechtliche Anforderung, dass Personen, die gelegentlich Cannabis konsumieren, den Konsum strikt von der Teilnahme am Straßenverkehr trennen müssen. Dies bedeutet, dass sie nur dann als geeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs angesehen werden, wenn sie in der Lage sind, den Cannabiskonsum so zu gestalten, dass keine Beeinträchtigung ihrer Fahrtüchtigkeit eintritt. Ein Verstoß gegen dieses Gebot kann rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere im Hinblick auf die Fahrerlaubnis.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten, der erstmals unter einer möglicherweise seine Fahrsicherheit beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug führt, nicht automatisch von einer fehlenden Fahreignung ausgegangen werden kann. Stattdessen ist eine individuelle Prognose erforderlich, ob der Betroffene auch zukünftig nicht in der Lage sein wird, Konsum und Fahren zu trennen. Ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot führt daher nicht zwangsläufig zum Entzug der Fahrerlaubnis. Vielmehr muss die Fahrerlaubnisbehörde eine Ermessensentscheidung treffen und gegebenenfalls weitere Aufklärung, beispielsweise durch die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU), betreiben.

Ein Verstoß gegen das Trennungsgebot liegt vor, wenn ein gelegentlicher Cannabiskonsument ein Kraftfahrzeug führt, obwohl aufgrund des bei ihm festgestellten THC-Werts im Blut eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausgeschlossen ist. Dabei wird eine THC-Konzentration von 1 ng/ml Blutserum als Grenzwert herangezogen, ab dem eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit möglich ist.

Die Rechtsprechung betont, dass auch bei einem wiederholten Verstoß gegen das Trennungsgebot nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden kann. Es bedarf einer individuellen Prüfung der Umstände des Einzelfalls.

Zusammenfassend ist das Trennungsgebot eine rechtliche Anforderung, die sicherstellen soll, dass gelegentliche Cannabiskonsumenten den Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr in einer Weise trennen, dass keine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit eintritt. Verstöße gegen dieses Gebot können rechtliche Konsequenzen haben, erfordern jedoch eine individuelle Prüfung und Prognose hinsichtlich der Fahreignung des Betroffenen.

Welche Rolle spielt die THC-Konzentration im Blut bei der Beurteilung der Fahreignung?

Die THC-Konzentration im Blut spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Fahreignung, da sie als Indikator für den Konsum von Cannabis und die mögliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit herangezogen wird. In Deutschland gilt ein Grenzwert von 1 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) THC im Blutserum. Wird dieser Wert überschritten, besteht der Verdacht, dass die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sein könnte.

Bei einer Verkehrskontrolle oder nach einem Verkehrsunfall kann die Feststellung einer THC-Konzentration von 1 ng/ml oder mehr im Blut zu rechtlichen Konsequenzen führen, wie zum Beispiel einem Bußgeld, Punkten im Fahreignungsregister in Flensburg und einem möglichen Entzug der Fahrerlaubnis. Zudem kann die Fahrerlaubnisbehörde bei Überschreitung dieses Grenzwerts Zweifel an der Fahreignung haben und eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) anordnen.

Es ist jedoch zu beachten, dass die THC-Konzentration im Blut von verschiedenen Faktoren abhängt, wie dem individuellen Konsummuster und der Menge des konsumierten Cannabis. Die Nachweiszeit von THC im Blut kann bei gelegentlichem Konsum relativ kurz sein, während sie bei regelmäßigem Konsum deutlich länger sein kann.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat klargestellt, dass bei einer THC-Konzentration im Blut, die den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml erreicht, von einem objektiv und subjektiv sorgfaltswidrigen Verhalten ausgegangen werden kann, sofern keine gegenläufigen Beweisanzeichen vorliegen.

Zusammenfassend ist die THC-Konzentration im Blut ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung der Fahreignung, und das Überschreiten des Grenzwerts von 1 ng/ml kann zu ernsthaften rechtlichen Folgen führen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung): Bestimmt, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei Nichtvorlage eines geforderten Gutachtens auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen kann. Im vorliegenden Fall war strittig, ob die Anforderung des Gutachtens rechtmäßig war.
  • § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV: Regelt die Voraussetzungen, unter denen ein medizinisch-psychologisches Gutachten angefordert werden kann, insbesondere bei gelegentlichem Cannabiskonsum und weiteren Tatsachen, die Zweifel an der Fahreignung begründen. Dies spielt eine zentrale Rolle, da das Gericht hier prüfte, ob solche Zweifel rechtmäßig waren.
  • Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV: Definiert die Kriterien, unter denen ein gelegentlicher Konsument von Cannabis als zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet angesehen wird, insbesondere die Trennung des Konsums vom Führen von Fahrzeugen und das Fehlen weiterer Risikofaktoren. Dies war entscheidend für die Beurteilung des Falls.
  • § 43 Abs. 2 VwVfG NRW (Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen): Erläutert, dass sich eine Zwangsgeldandrohung erledigt, wenn der Betroffene der zugrunde liegenden Verpflichtung nachkommt. Im Kontext des Urteils relevant für die Erörterung der Rechtsfolgen der Führerscheinabgabe.
  • § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung): Diese Vorschriften regeln die Zulässigkeit und die Begründetheit einer Beschwerde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Sie waren maßgeblich für die Beurteilung der Beschwerde des Antragstellers.
  • § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO: Erlaubt das Gericht, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes eine Interessenabwägung vorzunehmen und ggf. die aufschiebende Wirkung einer Klage wiederherzustellen. Dies war hier der Fall, wo die aufschiebende Wirkung bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederhergestellt wurde.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 1590/21 – Beschluss vom 03.02.2023

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 23. September 2021 – mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung – geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 4272/21 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. August 2021 wiederhergestellt, soweit darin die Fahrerlaubnis des Antragstellers entzogen und ihm aufgegeben wurde, seinen Führerschein innerhalb von drei Tagen nach Erhalt des Bescheids bei der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin abzugeben.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und überwiegend begründet. Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO) ergibt sich, dass dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes überwiegend zu entsprechen ist.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg, soweit sich der Antragsteller mit seiner unbeschränkt eingelegten Beschwerde auch gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, Zweifel an der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung seien weder dargetan noch sonst ersichtlich. Denn diesbezüglich ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schon unzulässig. Es fehlt insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis, da sich die Zwangsgeldandrohung bereits mit der Abgabe des Führerscheins am 16. August 2021 erledigt hat (§ 43 Abs. 2 VwVfG NRW). Der Antragsteller ist der ihm insofern obliegenden Pflicht nachgekommen, deren Erfüllung durch die Zwangsgeldandrohung gesichert werden sollte.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Februar 2021 – 16 B 1496/20 -, juris, Rn. 20.

Im Übrigen ist der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechts-schutzes zulässig und begründet.

Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Bei summarischer Prüfung sprechen gewichtige Gründe dafür, dass seine Klage 6 K 4272/21 gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. August 2021 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis und die darin ausgesprochene Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins Erfolg haben wird.

Die zunächst in diesem Bescheid verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers erweist sich voraussichtlich als rechtswidrig, weil Überwiegendes dafür spricht, dass die Voraussetzungen für die Fahrerlaubnisentziehung nicht vorlagen. Bei summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte, nachdem dieser das mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 19. April 2021 geforderte Gutachten nicht beigebracht hat. Nach der genannten Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorlegt. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen, verhältnismäßig und hinreichend bestimmt ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04 -, juris, Rn. 19, und vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 -, juris, Rn. 19; zu § 15b Abs. 2 StVZO a. F. siehe BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13.01 -, juris, Rn. 20; Dauer, in: Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46 Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 55.

Da eine Gutachtenanordnung nicht selbständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Fahrerlaubnisentziehung oder sonstige in Rechte des Betroffenen eingreifende Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes, strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 -, juris, Rn. 8, und Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 -, juris, Rn. 17 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Februar 2013 – 16 E 1257/12 -, juris, Rn. 4 f. m. w. N., vom 10. September 2014 – 16 B 912/14 -, juris, Rn. 6 f. m. w. N., und vom 9. November 2020 – 16 B 1697/19 -, juris, Rn. 8.

Gemessen an diesen strengen Anforderungen erweist sich die mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 19. April 2021 gegenüber dem Antragsteller erfolgte Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin hat die Anordnung auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gestützt. Hiernach kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Derartige Tatsachen liegen indes nicht vor.

Der gelegentliche Konsument von Cannabis ist nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet, wenn er den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs trennt sowie kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust anzunehmen ist. Erst durch die in der Begutachtungsanordnung vom 19. April 2021 als zu klärend angeführte Fragestellung wird ersichtlich, dass die Antragsgegnerin vorliegend auf die Variante der fehlenden Fähigkeit bzw. Bereitschaft, den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, abstellte.

Der Betroffene muss für eine Bejahung seiner Fahreignung nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV Konsum und Fahren in einer Weise trennen, dass durch eine vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann. Im Hinblick auf die schwerwiegenden Gefahren, die von in ihrer Fahrsicherheit beeinträchtigten Kraftfahrzeugführern für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer ausgehen können, ist es auch vor dem Hintergrund der staatlichen Pflicht, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, geboten, solche Risiken soweit wie möglich auszuschließen. Dementsprechend wird das Trennungsgebot nicht erst dann verletzt, wenn mit Sicherheit eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit anzunehmen ist oder es zu einer signifikanten Erhöhung des Unfallrisikos kommt, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht oder – negativ formuliert – eine solche Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 17 m. w. N.

Abzustellen ist darauf, ab welcher Konzentration von THC im Blutserum eine verkehrssicherheitsrelevante Beeinträchtigung der Fahrsicherheit möglich oder nicht ausgeschlossen ist; insoweit handelt es sich um einen „Risikogrenzwert“.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 23 m. w. N.

Eine in diesem Sinne hinreichende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs im Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis, d. h. ein mangelndes Trennen zwischen dem (gelegentlichen) Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen, liegt bei einem THC-Wert ab 1,0 µg/l (= ng/ml) im Blutserum vor.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 30, 33; OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 – 16 A 551/16 -, juris, Rn. 47 ff. m. w. N.

Gemessen hieran liegt ein Verstoß gegen das Trennungsgebot nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, der eine Tatsache ist, die Bedenken gegen die Fahreignung begründet und nach § 46 Abs. 3 FeV zur Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV führt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 37,

vorliegend nicht vor, denn in den dem Antragsteller am 22. Oktober 2020 entnommenen Blutproben war THC lediglich in einer Konzentration von 0,7 µg/l nachweisbar.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin führt nicht jeder Cannabiskonsum im Zusammenhang mit dem Führen von Fahrzeugen,

unter Verweis auf Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 14 FeV Rn. 19 (gemeint dürfte Rn. 18 gewesen sein),

zum Vorliegen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigender Tatsachen i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV. Erst eine Verkehrsteilnahme mit einer THC-Konzentration von 1,0 µg/l oder mehr stellt eine Tatsache i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV dar, die Bedenken gegen die Fahreignung begründet und zur Überprüfung der Fähigkeit und Bereitschaft, den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, mittels medizinisch-psychologischer Untersuchung berechtigt. Die Bestimmung des Grenzwerts von 1,0 µg/l stellt nach dem zuvor Ausgeführten durch die Ausgestaltung als Risikogrenzwert sicher, dass eine Verkehrsteilnahme eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten gefahrenabwehrrechtliche Relevanz gewinnt, sobald durch sie eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit möglich bzw. nicht ausgeschlossen ist. Unterhalb des Grenzwertes ist eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit dagegen nicht anzunehmen.

Das Zurückbleiben der im Blut des Antragstellers nachgewiesenen Konzentration von THC hinter dem Grenzwert von 1,0 µg/l kann – worauf er zurecht in seiner Beschwerdebegründung hinweist – insbesondere auch nicht durch die Anführung von anlässlich der Polizeikontrolle festgestellten Ausfallerscheinungen ausgeglichen werden, um gleichwohl vom Vorliegen einer Eignungsbedenken begründenden Tatsache auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bezüglich des Trennungsgebots – wie bereits ausgeführt – auf die THC-Konzentration im Blut abzustellen. Da davon auszugehen ist, dass erst ab 1,0 µg/l eine verkehrssicherheitsrelevante Beeinträchtigung der Fahrsicherheit infolge des Cannabiskonsums möglich ist, ist kein Raum für die Annahme, festgestellte Ausfallerscheinungen bei einer THC-Konzentration unterhalb des genannten Grenzwerts begründeten einen Verstoß gegen das Trennungsgebot.

Soweit das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss die Entscheidung des Senats vom 9. Juli 2007,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2007 – 16 B 907/07 -, juris,

angeführt hat, in der der Senat im Hinblick auf das Merkmal des Trennens i. S. v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV auf Auffälligkeiten oder Ausfallerscheinungen beim Betroffenen abgestellt hatte, betraf dies den Einzelfall eines Verkehrsteilnehmers, der möglicherweise unter dem – seinerzeit vom Senat noch offen gelassenen – THC-Grenzwert gelegen, anderseits aber einen Unfall mitverursacht und deutliche Merkmale einer Drogenbeeinflussung aufgewiesen hatte.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 16 A 2475/13 -.

Angesichts der nachfolgend erfolgten Festlegung des Senats auf den Grenzwert von 1,0 µg/l,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. März 2013 – 16 A 2006/12 -, juris, Rn. 34 ff.,

sowie seiner Ausgestaltung als Risikogrenzwert ist die Senatsentscheidung vom 9. Juli 2007 nicht in der von dem Verwaltungsgericht angenommenen Art verallgemeinerungsfähig.

Die in der von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg,

vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2. Oktober 2014 – 10 S 1586/14 -, juris, Rn. 8 ff.; in der Vorauflage noch: Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 59,

vertretene Auffassung stellt eine nicht gerechtfertigte Aufweichung des Grenzwerts im Einzelfall dar. Zur Begründung hinreichender Anhaltspunkte für Eignungszweifel i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV stellt der Verwaltungsgerichtshof darauf ab, dass die in jenem Fall festgestellten Ausfallerscheinungen darauf hingedeutet hätten, dass der letzte Konsum des dortigen Antragstellers noch nicht so lange wie von ihm angegeben zurückgelegen habe, dass die psychoaktive Wirkung des THC ungeachtet der Unterschreitung des Grenzwerts von 1,0 µg/l im Zeitpunkt der Blutentnahme noch vorhanden gewesen und für den Zeitpunkt der Polizeikontrolle ein höherer THC-Wert als der später gemessene anzunehmen sei.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2. Oktober 2014 – 10 S 1586/14 -, juris, Rn. 11.

Dies vermag indes nicht zu überzeugen. Der dortige wie auch der hiesige Antragsteller haben nach dem Konsum von Cannabis mit einer Verkehrsteilnahme so lange gewartet, bis der Grenzwert von 1,0 µg/l – jedenfalls im Rahmen der zulässigen Nachweismöglichkeiten – unterschritten wurde. Der Vorwurf einer nicht zuverlässigen Einschätzung des Wirkungsverlaufs von Cannabis kann ihnen gerade nicht gemacht werden.

Vgl. aber: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2. Oktober 2014 – 10 S 1586/14 -, juris, Rn. 9.

Der Bescheid vom 5. August 2021 kann auch nicht alternativ auf eine Kraftfahrungeeignetheit des Antragstellers infolge regelmäßigen Cannabiskonsums i. S. d. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV gestützt werden. Anhaltspunkte für einen täglichen oder nahezu täglichen Konsum,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 – 16 A 432/16 -, juris, Rn. 25 f. m. w. N.,

liegen nicht vor.

Erweist sich die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. August 2021 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers daher als voraussichtlich rechtswidrig, gilt dies auch für die in diesem Bescheid erfolgte Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins. Insoweit war ebenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 sowie § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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