VG Karlsruhe – Az.: 12 K 1679/19 – Beschluss vom 13.06.2019
Die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 1678/19 des Antragstellers gegen die Verfügung des Landratsamts Neckar-Odenwald-Kreis vom 05.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 04.03.2019 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller beantragt bei sachdienlicher Auslegung,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage 12 K 1678/19 gegen die Verfügung des Landratsamts Neckar-Odenwald-Kreis vom 05.11.2018 in Gestalt des Wi-derspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 04.03.2019 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Der Antrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Das Landratsamt hat die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis (Ziffer 1 der Verfügung vom 05.11.2018) und der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (Ziffer 2) angeordnet. Die Androhung der Wegnahme des Führerscheins (Ziffer 4) ist von Gesetzes wegen sofort vollziehbar (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 VwGO i.V.m. § 12 LVwVG).
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann in Fällen der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 4 VwGO das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Maßgeblich ist, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Für das Interesse des Antragstellers, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren gebotene summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen voraussichtlich rechtmäßig, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. In den Fällen, in denen abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO) die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gesondert angeordnet wurde, ist zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts erforderlich, das über das allgemeine öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände, wie es jedem Verwaltungsakt innewohnt, hinausgeht (st. Rspr., vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.1997 – 13 S 1132/96 -, ESVGH 47, 177). Das Gericht nimmt in diesem Rahmen eine eigene Interessenabwägung vor (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.09.2012 – 10 S 731/12 -, DVBl 2012, 1506).
Nach diesen Maßstäben überwiegt vorliegend das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der angefochtenen Verfügung einstweilen verschont zu bleiben. Denn die Verfügung des Landratsamts Neckar-Odenwald-Kreis vom 05.11.2018 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidium Karlsruhe vom 04.03.2019 sind bei summarischer Prüfung voraussichtlich rechtswidrig.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Als ungeeignet erweist sich ein Fahrerlaubnisinhaber insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ist ein Kraftfahrer, der gelegentlich Cannabis einnimmt, zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Regel nur geeignet, wenn er zwischen Konsum und Fahren zu trennen vermag und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Steht die Nichteignung des Betroffenen hingegen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens (§ 11 Abs. 7 FeV).
Bei summarischer Prüfung bestehen vorliegend zwar erhebliche Bedenken gegen die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr; seine Ungeeignetheit dürfte aber noch nicht mit der für die Entziehung der Fahrerlaubnis erforderlichen Überzeugungsgewissheit feststehen. Die Fahrerlaubnisbehörde war daher gehalten, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers zunächst weiter aufzuklären (vgl. § 2 Abs. 7 Satz 1, Abs. 8 StVG i.V.m. §§ 11 ff. FeV).
Das Gericht geht bei summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert. Gelegentlicher Konsum von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung liegt dann vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, Urteil vom 23.10.2014 – 3 C 3.13 -, NJW 2015, 2439). Diese Voraussetzungen liegen hier unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls vor. Bei der toxikologischen Untersuchung des Blutserums des Antragstellers wurde ein THC-Wert von 4,3 ng/ml und ein THC-COOH- Wert von 70,1 ng/ml festgestellt. Infolge des raschen Abbaus von THC, des psychoaktiven Wirkstoffs von Cannabis, im Blut innerhalb weniger Stunden steht damit fest, dass der Antragsteller in zeitlicher Nähe zur Polizeikontrolle am 09.07.2018 Cannabis konsumiert hat (vgl. im Einzelnen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2014 – 10 S 1586/14 -, juris m.w.N.). Der Antragsteller hat im vorliegenden Verfahren auch eingeräumt, kurz vor der Polizeikontrolle am 09.07.2018 Cannabis konsumiert zu haben. Ferner hat er gegenüber der Polizei erklärt, auch am Wochenende, d.h. 1-2 Tage zuvor, einen Joint geraucht zu haben. Damit ist bereits nach den eigenen Angaben des Antragstellers von zwei Konsumvorgängen auszugehen. Hinzu kommt der verhältnismäßig hohe Wert des Abbauprodukts THC-COOH von 70,1 ng/ml. Dieser Wert dürfte zwar für sich genommen noch nicht zum Nachweis eines regelmäßigen Konsums ausreichen, deutet aber auf einen relativ häufigen oder sehr intensiven Konsum hin (vgl. im Einzelnen BayVGH, Beschluss vom 24.04.2019 – 11 CS 18.2605 -, juris). Ferner wurde bei der Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers am 14.08.2018 eine Blechdose mit Antragungen von Marihuana aufgefunden. Dieser Umstand spricht dafür, dass der Antragsteller Cannabis-Produkte besessen hatte, die – mangels Anhaltspunkten für ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – höchstwahrscheinlich dem Eigenkonsum gedient haben. Nicht zuletzt hat der Antragsteller einen gelegentlichen Cannabiskonsum zu keinem Zeitpunkt substantiiert bestritten.
Nicht abschließend geklärt ist hingegen, ob der Antragsteller zwischen Konsum und Fahren zu trennen vermag. Der Antragsteller hat sich dahingehend eingelassen, dass er zwar mit seinem Krad zu dem Imbiss gefahren sei, bei dem die Polizeikontrolle stattfand, aber erst nach der Aufgabe seiner Bestellung während der Wartezeit einen Joint geraucht habe. Diese Behauptung konnte im ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahren auch nach Einvernahme einer Zeugin nicht widerlegt werden; der Antragsteller wurde deshalb vom Amtsgericht Buchen von dem Vorwurf, unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug geführt zu haben, freigesprochen. Sollte die Einlassung des Antragsstellers zutreffen, würde dies auch erklären, weshalb die Betreiberin des Imbisses bei Aufgabe der Bestellung keine Drogenbeeinflussung wahrgenommen hat, wohingegen der Polizeivollzugsdienst bei der Kontrolle des Antragstellers deutliche drogentypische Symptome festgestellt hat. Zwar spricht einiges dafür, dass es sich insoweit um eine Schutzbehauptung handelt. Denn es fällt auf, dass der Antragsteller diese Version der Ereignisse erstmals im Widerspruchsverfahren vorgetragen hat. Weder gegenüber dem Polizeivollzugsdienst noch im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis hat er entsprechende Angaben gemacht. Dies ändert allerdings nichts daran, dass eine Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss derzeit noch nicht hinreichend belegt sein dürfte. Die Fahrerlaubnisbehörde durfte daher nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen. Bei einem gelegentlichen Cannabiskonsum und weiteren Tatsachen, die Zweifel an der Fahreignung begründen, sieht § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV vielmehr die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege vor.
Allerdings liegen entgegen der Auffassung des Antragstellers begründete und auf Tatsachen gestützte Zweifel an seiner Fahreignung vor. Denn der Konsum erfolgte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs. Der Antragsteller ist unstrittig mit seinem Krad zum Ort des Konsums gefahren. Es spricht danach sehr vieles dafür, dass der Antragsteller zumindest kurz davor stand, unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug zu führen. Denn mit dem Regierungspräsidium erscheint es auch der Kammer lebensfremd anzunehmen, dass der Antragsteller nach dem von ihm nunmehr eingeräumten Cannabiskonsum sein Kraftfahrzeug an dem Imbiss zurückgelassen oder dieses geschoben hätte. Hinzu kommt der nicht unerhebliche Wert von THC-COOH, des Abbauprodukts von THC, im Blutserum des Antragstellers. Damit lagen bei summarischer Prüfung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung vor. Die Fahrerlaubnisbehörde hätte daher zunächst darüber entscheiden müssen, ob sie nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu der Frage anordnet, ob der Antragsteller zwischen Konsum und Fahren zu trennen vermag. Auch die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV zur Klärung des Konsummusters (gelegentlich oder regelmäßig) oder eine entsprechende Fragestellung bei der Anordnung des medizinisch-psychologischen Gutachtens war in Betracht zu ziehen (zur Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV vgl. BayVGH, Beschluss vom 06.12.2018 – 11 CS 18.1777 – juris).
Da der Verstoß gegen das Trennungsgebot noch nicht hinreichend feststehen dürfte, kommt es im vorliegenden Fall nicht auf die von den Beteiligten aufgeworfene Frage an, ob die unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis bereits nach der erstmaligen erwiesenen Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss ohne vorherige Einholung eines Gutachtens nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unzulässig ist.
Nach alledem begegnen auch die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins und die Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen rechtlichen Bedenken. Auch insoweit ist daher die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen Nrn. 1.5, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der Antragsteller ist im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse B.