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Feststellung des Zeitpunkts des letzten Cannabiskonsums eines Verkehrsteilnehmers

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 116/12 – 122 Ss 31/12 – Beschluss vom 21.03.2012

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. November 2011 mit den Feststellungen zum subjektiven Tatbestand aufgehoben. Die Feststellungen zum objektiven Tatbestand werden von der Aufhebung nicht erfasst und bleiben bestehen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässige Führens eines Kraftfahrzeugen unter Wirkung berauschender Mittel zu einer Geldbuße von 500,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat (vorläufigen) Erfolg.

Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, das der Betroffene am 8. Januar 2011 gegen 21.15 Uhr den PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … in der M.-Straße in … B. unter Einwirkung von Cannabis (10 ng/ml Tetra-hydrocannabiol zum Zeitpunkt der Blutentnahme) geführt hat.

Jedoch hält die der Annahme fahrlässigen Handelns zugrunde liegende Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sie lückenhaft ist und dadurch dem Senat die gebotene Prüfung nicht ermöglicht.

Feststellung des Zeitpunkts des letzten Cannabiskonsums eines Verkehrsteilnehmers
Symbolfoto: Von Parilov/Shutterstock.com

Zwar ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich Sache des Tatrichters, jedoch hat das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge zu prüfen, ob dem Tatrichter hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung unter anderem dann, wenn sie lückenhaft ist und deshalb nicht erkennen lässt, dass sie auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat DAR 2005, 634; KG, Beschluss vom 18. Dezember 1996 – (4) 1 Ss 199/96 (129/96) – m. w.N.; Senat, Beschlüsse vom 12. August 2010 – 3 Ws (B) 395/10- und vom 27. August 2010 – 3 Ws (B) 434/10 -).

Hat das Tatgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt und seine Überzeugungsbildung hierauf gestützt, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer – gegebenenfalls gestrafften – zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerung insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH; Urteil vom 27. Oktober 1999 -3 StR 241/99- juris, Rn. 2; Senat, Beschlüsse vom 8. Juni 2010 – 3 Ws (B) 124/10 – und vom 27. August 2010 – 3 Ws (B) 434/10 -). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106, 107).

Eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann nur in Ausnahmefällen ausreichen, wenn sich das Gutachten auf eine allgemein anerkannte und standardisierte Untersuchungsmethode gründet und von keiner Seite Einwände gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben werden (vgl. BGH NStZ 1991, 596; 1993, 95; 2006, 296; Senat, VRS 111, 449, 451). In anderen Fällen sind neben den wesentlichen tatsächlichen Grundlagen (Anknüpfungstatsachen) und den sich daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen (Befundtatsachen) vor allem auch die das Gutachten tragenden fachlichen Begründungen anzuführen (vgl. BGHSt 39, 291, 296; OLG Köln DAR 2005, 699; Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 71 Rn. 43 d m.w.N.).

Dies gilt in besonderem Maße, wenn die zur Ermittlung von Befundtatsachen zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden wissenschaftlich in Zweifel gezogen oder als wenig zuverlässig betrachtet werden. Will das Tatgericht – wie hier – seine Überzeugung vom Zeitpunkt des Cannabiskonsums eines Verkehrsteilnehmers auf ein Sachverständigengutachten stützen, so hat es zu berücksichtigen, dass beachtliche Zweifel angebracht sind, ob nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft überhaupt eine zuverlässige Methode der Rückrechnung existiert, die es erlaubt, den Konsumzeitpunkt oder eine bestimmte THC-Konzentration im Blutserum für einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zu bestimmen (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Januar 2010 – 3 Ws (B) 667/09 – unter Darstellung des aktuellen Standes der Wissenschaft; König, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 316 Rn. 152; Krause HRRS 2005, 138, 149 ff m.w.N.; Daldrup/Meininger, Begutachtung unter Cannabis im Strafverfahren, 202). Den Urteilsgründen muss in diesen Fällen nachvollziehbar zu entnehmen sein, welche konkrete Methode der Sachverständige zur Bestimmung des Konsumzeitpunktes angewandt hat und inwieweit gegen die Feststellungsmethode erhobene wissenschaftliche Einwände durch den Sachverständigen entkräftet wurden (vgl. Senat, Beschluss vom 27. August 2010 – 3 Ws (B) 434/10).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn es beschränkt sich darauf, mitzuteilen, der Sachverständige habe ausgeführt, aufgrund der hohen Konzentration von 10 ng/ml THC sei die Einlassung des Betroffenen, er habe vor mehreren Wochen bzw. vor einer Woche letztmalig Cannabis konsumiert, falsch. Bei dieser Konzentration handele es sich auf jeden Fall um einen Konsum fünf bis elf Stunden vor Fahrtantritt. Bei einem Konsum eine Woche vor der Tat sei das Cannabis auf jeden Fall auch bei Dauerkonsumenten unter die Grenze von 1 ng/ml THC abgebaut. Dem Urteil ist ferner zu entnehmen, dass der Sachverständige seitens der Verteidigung auf zwei in den Urteilsgründen nicht näher bezeichnete Studien amerikanischer Wissenschaftler hingewiesen worden ist, diese jedoch offenbar für im vorliegenden Fall nicht relevant gehalten hat, weil sie langjährige Dauerkonsumenten von Cannabis betreffen.

Anhand dieser Ausführungen vermag der Senat nicht zu prüfen, ob die Annahme fahrlässigen Handelns des Betroffenen rechtsfehlerfrei ist. Die Urteilsgründe beschränken sich im Wesentlichen darauf, das Ergebnis des Sachverständigengutachtens mitzuteilen. Offen bleibt jedoch, wie der Sachverständige zu den mitgeteilten Ergebnissen gelangt ist. Was Gegenstand der von dem Verteidiger erwähnten Studien amerikanischer Wissenschaftler gewesen ist und zu welchen Ergebnissen diese Studien gekommen sind, wird nicht mitgeteilt. Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen sind überdies widersprüchlich, da er offenbar einerseits die Relevanz der Studien für den vorliegenden Fall mit der Begründung verneint hat, sie beträfen langjährige Dauerkonsumenten von Cannabis, andererseits jedoch ausgeführt hat, dass der Abbauwert von 74 ng/ml THC-Carbonsäure für einen regelmäßigen Cannabiskonsum des Betroffenen spreche, was einen langjährigen Dauerkonsum mindestens nicht ausschließt.

Auf diesem Darstellungsmangel beruht die Annahme fahrlässiger Begehung durch das Amtsgericht auch. Denn es hat, in Ermangelung weiterer tragfähiger Indizien, die Annahme zeitnahen Drogenkonsums und damit die Vorwerfbarkeit fahrlässigen Handelns entscheidend auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt.

Da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass in einer erneuten Hauptverhandlung weitere Erkenntnisse erlangt werden können, hebt er das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück.

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