VG Gelsenkirchen – Az.: 9 K 3178/16 – Urteil vom 14.11.2017
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Dem am 29. Juni 1943 geborenen Kläger wurde die Fahrerlaubnis der Klasse BE am 10. September 2010 neu erteilt. Zuvor war sie ihm durch Urteil des Amtsgerichts F. vom 25. August 2008 – mit dem er wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Fahren auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen entgegen der Fahrtrichtung in zwei selbstständigen Handlungen zu einer Geldstrafe verurteilt worden war – entzogen worden. Für die Neuerteilung legte er auf Anordnung der Beklagten ein medizinisch-psychologisches Gutachten vor. Aus dem Gutachten ergibt sich unter anderem, dass der Kläger an einer seit 1980 bekannten paranoid-halluzinatorischen Psychose leide, sein Zustand aber seit dem Jahr 2008 unter Medikation stabil sei. Die zur Begutachtung gestellte Frage „Ist zu erwarten, dass der Untersuchte auch zukünftig erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstößt?“ wurde verneint.
Mit Beschluss vom 3. November 2015 bestellte das Amtsgericht F. für den Kläger befristet bis zum 18. März 2016 einen Betreuer für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Organisation ambulanter Hilfen, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2015 wandte sich der Betreuer an die Beklagte und teilte mit, nach Einschätzung des behandelnden Nephrologen sei der Kläger nicht mehr fahrtauglich. Dazu übersandte er einen Entlassungsbrief des Universitätsklinikums F. vom 21. September 2015. Darin sind als Vorgeschichte unter anderem eine chronische, dialysepflichtige Nierenkrankheit und eine bekannte Schizophrenie vermerkt. Der Kläger sei teilweise desorientiert gewesen und habe Essen und Trinken verweigert. Suizidalität bestehe nicht.
Auf die Anregung der Beklagten, der Kläger möge auf die Fahrerlaubnis verzichten, teilte der Betreuer mit: Dem Kläger sei sein Auto sehr wichtig. Der Nephrologe und die Hausärztin hätten nur subjektive Einschätzungen abgegeben. Nach seiner Ansicht sei eine Überprüfung durch das Straßenverkehrsamt angezeigt.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 – dem Kläger persönlich zugestellt am 18. Dezember 2015 – forderte die Beklagte den Kläger auf, bis zum 26. Februar 2016 ein medizinisch-psychologisches Gutachten eines Arztes in einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu folgender Frage vorzulegen: „Kann der Untersuchte trotz der festgestellten Erkrankungen (chronische Nierenkrankheit mit Dialysepflicht und Schizophrenie) und der Medikation ein Kraftfahrzeug der Klassen B, BE sicher führen?“. Der Kläger möge die Begutachtungsstelle seiner Wahl in der beigefügten Einverständniserklärung ankreuzen und die Erklärung umgehend zurücksenden. Die dem Gutachter zu übersendenden Unterlagen könne er vorher einsehen.
Am 4. Januar 2016 übersandte die Beklagte die Unterlagen an die vom Kläger gewählte Begutachtungsstelle. Anfang Februar 2016 teilte die Begutachtungsstelle dem Kläger und der Beklagten schriftlich mit, sie habe den Untersuchungstermin aus organisatorischen Gründen auf den 8. März 2016 verschieben müssen. Mit Schreiben vom 5. April 2016 sandte sie die Unterlagen an die Beklagte zurück.
Mit Schreiben vom 20. April 2016 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an.
Am 28. April 2016 legte der Kläger das erstellte Gutachten vor. Darin wird insbesondere ausgeführt: Nach den vorgelegten Unterlagen und den nachgereichten Arztberichten leide der Kläger an einer chronischen Nierenkrankheit mit bereits mehrfachem Nierenversagen, an arterieller Hypertonie und einem schizophrenen Residuum. Die am Testtag durchgeführten Untersuchungen ließen außerdem auf eine leichte Demenz schließen. Der kognitive Abbau sei als Restzustand der schizophrenen Erkrankung anzunehmen. Insgesamt sei von einem krankheitsbedingten Abbau der Leistungsfähigkeit auszugehen, wobei mangelnde sensorische Leistungen und Reaktionsschwächen zu Situationsverkennen und Fehlleistungen führen könnten. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die vorhandenen Defizite in der Zusammenschau mit den Erkrankungen ausschlaggebend für eine negative Gesamtbeurteilung sein müssten. Dies gelte umso mehr, als auch bereits die mit dem Kläger vertrauten behandelnden Ärzte dessen Fahrtauglichkeit verneint hätten. Der Gutachter kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass der Kläger angesichts der festgestellten Erkrankungen (chronische Nierenkrankheit mit Dialysepflicht und Schizophrenie) und der Medikation ein Kraftfahrzeug der Klassen B, BE nicht sicher führen kann.
Mit Ordnungsverfügung vom 3. Mai 2016 – dem Kläger persönlich zugestellt am 4. Mai 2016 – entzog die Beklagte dem Kläger – unter Anordnung der sofortigen Vollziehung – die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 250,00 EUR auf, seinen Führerschein unverzüglich bei ihr abzuliefern. Sie erhob eine Gebühr in Höhe von 163,40 EUR für die Entziehung der Fahrerlaubnis, eine Gebühr von 1,00 EUR für die Meldung an das Zentrale Verkehrsregister und eine Auslagenpauschale für die Zustellung in Höhe von 3,45 EUR.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Aufgrund des vorgelegten Entlassungsbriefs des Universitätsklinikums F. seien Bedenken gegen die Fahreignung des Klägers entstanden. Diese Bedenken seien mit dem anordnungsgemäß vorgelegten Gutachten nicht ausgeräumt, sondern bestätigt worden. Aufgrund der (im einzelnen wiedergegebenen) Erkrankungen habe sich der Gutachter nicht in der Lage gesehen, ein positives Urteil über die Kraftfahreignung des Klägers abzugeben. Die Fahrerlaubnis sei deshalb wegen Nichteignung zu entziehen gewesen.
Am 11. Mai 2016 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten schriftlich an Eides statt, dass er seinen Führerschein „gestern“ verloren habe.
Am 13. Mai 2016 hat der Kläger Klage erhoben. Er legt eine vom 8. Mai 2016 datierende „Fachärztliche Stellungnahme zur Vorlage beim Straßenverkehrsamt“ des „T.S. , Psychiatrie und Psychotherapie-Facharzt“, F. , vor, der erklärt: Der Kläger habe ihm am 3. Mai 2016 mitgeteilt, dass die Führerscheinstelle Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen habe. Er behandle den Kläger seit Übernahme der Praxis vor zwei Jahren. Bereits aus den Unterlagen seines Vorgängers gehe hervor, dass der Kläger nicht krankheitsbedingt in seiner Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sei. Diesen Befund könne er bestätigen. Der Kläger erscheine regelmäßig zu den vereinbarten Behandlungsterminen, freue sich an seinen Urlauben und sei stabil in ein soziales Umfeld eingebunden. Gegenwärtig werde der Kläger mit einem Depotneuroleptikum behandelt, dass seines Erachtens kein Hindernis für das Führen eines Kraftfahrzeugs darstelle. Außerdem hat der Kläger eine vom 2. Mai 2016 datierende „Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse“ des Facharztes für Nephrologie Dr. med. , F. , zur Akte gereicht, in der es zusammenfassend heißt: Der Kläger sei chronisch niereninsuffizient. Aktuell liege eine Nierenfunktionsverbesserung vor. Seit dem 3. Februar 2016 sei seine Dialysetherapie nicht mehr notwendig gewesen. Die Nierenfunktion liege bei 20 bis 30 %. Es finde eine engmaschige Kontrolle statt. Ob und gegebenenfalls wann wieder eine Dialyse notwendig werden könne, sei derzeit nicht vorhersehbar. Zur Klagebegründung führt der Kläger außerdem aus: Es sei erstaunlich, dass ein gestandener Arzt diskriminiert und in seiner „Kompetenzfähigkeit“ in Frage gestellt werde. Er bitte um eine präzise Antwort, womit seine Fahruntüchtigkeit angesichts des Attestes des Dr. noch begründet werden könne. Dr. … sei in Verkehrssachen Experte. Er, der Kläger, sei längst wieder gesund, was die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen belegten.
Der Kläger beantragt sinngemäß (schriftsätzlich): die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 3. Mai 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt: die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen darauf, neue entscheidungserhebliche Tatsachen habe der Kläger nicht vorgebracht. Die Bescheinigung des Herrn L. sei nicht geeignet, die durch das medizinisch-psychologische Gutachten festgestellte Kraftfahrungeeignetheit des Klägers zu entkräften.
Mit Beschluss vom 6. Oktober 2017 hat die Kammer den Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berichterstatterin entscheidet als Einzelrichterin, nachdem ihr der Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -). Sie konnte trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil er mit einem entsprechenden Hinweis geladen worden ist.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtene Ordnungsverfügung der Beklagten vom 3. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber sich als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erweist.
Der Kläger hatte sich – im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung – aufgrund des vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachtens als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Denn dieses Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger angesichts der seinerzeit festgestellten Erkrankungen (chronische Nierenkrankheit miz Dialysepflicht und Schizophrenie) ein Kraftfahrzeug nicht sicher führen könne.
Darauf, ob das medizinisch-psychologische Gutachten zu Recht angeordnet worden ist, kommt es nicht an, weil der Kläger der Anordnung der Beklagten gefolgt ist. Die Berechtigung der Prüfungsanordnung ist nur rechtserheblich, wenn der Betroffene die Prüfung verweigert hat und gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Dezember 1960 – 7 C 43.59 -, BVerwGE 11, 274 (275) und vom 28. November 1969 – 7 C 18.69 -, BVerwGE 34, 248 (250),
die Bedeutung dieser Weigerung als Kennzeichen der Ungeeignetheit des Kraftfahrers zu beurteilen ist. Hat sich jedoch der Kraftfahrer der angeordneten Prüfung gestellt, so hat sich dadurch die Anordnung in einer Weise erledigt, dass von einer seitens der Behörde rechtswidrig erlangten Prüfungsleistung nicht mehr gesprochen werden kann. Zudem schafft das Ergebnis der durchgeführten Prüfung eine neue Tatsache, die selbstständige Bedeutung hat. Sie nicht zu verwerten widerspräche dem Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1982 – 7 C 69/81 -, BVerwGE 65, 157 = juris Rn. 20, und Beschluss vom 19. März 1996 – 11 B 14/96 -, juris Rn. 3.
Die Behörde – und in der Folge das Gericht – hatte auch keine Veranlassung, die Frage, ob der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung über die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen verfügte, weiter aufzuklären. Die Begutachtung stammt von einem wissenschaftlichen Spezialisten der eigens für solche Begutachtungen geschaffenen Begutachtungsstellen und beruht auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Untersuchungs- und Erkenntnismethoden. Die Feststellungen sind nach dem im Gutachten wiedergegebenen Untersuchungsgespräch nachvollziehbar, die abgegebene negative Prognose ist schlüssig und nachvollziehbar begründet.
Eine andere Bewertung ist auch nicht aufgrund der vom Kläger zur Gerichtsakte gereichten ärztlichen Bescheinigungen angezeigt. Diese stammen nicht von anerkannten Begutachtungsstellen. Zudem ist auf Folgendes hinzuweisen: Das Attest des behandelnden Nephrologen verhält sich zur Kraftfahreignung des Klägers nicht. Auch im Übrigen stellt es das medizinisch-psychologische Gutachten nicht in Frage. Die Mitteilung, der Kläger sei chronisch niereninsuffizient, zwar sei im Zeitraum vom 3. Februar bis zum 2. Mai 2016 keine Dialyse notwendig gewesen, es sei aber nicht vorhersehbar, ob und wann sie wieder erforderlich werden könne, zeigt zum einen, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Gutachtenanordnung am 18. Dezember 2015 zu Recht (noch) von einer Dialysepflicht des Klägers ausgegangen ist. Zum anderen wird im medizinisch-psychologischen Gutachten der anerkannten Begutachtungsstelle die vom Nephrologen dokumentierte Verbesserung der Nierenfunktion des Klägers berücksichtigt, indem ausgeführt wird, bei dem Kläger bestehe eine „chronische Nierenerkrankung, die bei akutem Nierenversagen im Dezember 2015 die Dialysebehandlung erforderlich machte“, auf die seit Februar 2016 indes verzichtet werden könne. Soweit der den Kläger behandelnde Psychiater in seiner Stellungnahme vom 8. Mai 2016 mitgeteilt hat, schon aus den Stellungnahmen seines Vorgängers ergebe sich, dass der Kläger in seiner Kraftfahreignung nicht eingeschränkt gewesen sei, führt dies schon deshalb nicht weiter, weil sich die angeführten (im Übrigen nicht konkretisierten) Erkenntnisse auf einen nicht näher bestimmten Zeitraum in der Vergangenheit beziehen. Soweit der Psychiater erklärt, seines Erachtens stehe die verordnete Behandlung mit einem Depotneuroleptikum der Kraftfahreignung des Klägers derzeit nicht entgegen, bleibt diese Einschätzung unsubstantiiert. Insbesondere bleibt offen, um welches Medikament in welcher Dosierung es sich handelt. Außerdem verhält es sich nicht zu der im medizinisch-psychologischen Gutachten schlüssig dargelegten Annahme einer krankheitsbedingt nachlassenden organisch-psychischen Leistungsfähigkeit des Klägers.
Die in dem Bescheid enthaltene Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG. Die zugehörige Zwangsgeldandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Die Festsetzung der Gebühren und Auslagen ist nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).