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Fahrerlaubnisentziehung nach Trunkenheitsfahrt mit Fahrrad mit mehr als 1,6 Promille

Im Bereich des Verkehrsrechts dreht sich eine der kritischsten Fragen um die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen, insbesondere nach Vorfällen, bei denen Alkohol konsumiert wurde. Diese rechtliche Herausforderung führt häufig zu einem komplexen Wechselspiel zwischen Verwaltungshandeln und gerichtlicher Überprüfung. Im Mittelpunkt solcher Fälle steht die Frage nach der Fahreignung eines Fahrers, insbesondere nach einer Fahrt unter Alkoholeinfluss. Der rechtliche Rahmen erfordert in der Regel eine gründliche Bewertung der Fähigkeit der Person, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen, was die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens beinhalten kann. Diese Beurteilung ist entscheidend für die Feststellung, ob die Person aufgrund ihres Alkoholkonsums ein Risiko für die Verkehrssicherheit darstellt.

An der Beurteilung solcher Fälle sind häufig Verwaltungsbehörden wie die örtlichen Straßenverkehrsbehörden beteiligt, und es kann zu einer Eskalation vor den Verwaltungsgerichten kommen. Die Entscheidungen hängen von komplexen rechtlichen Erwägungen ab, einschließlich der Auslegung von Verkehrssicherheitsgesetzen, der Bewertung des individuellen Verhaltens in Bezug auf den Alkoholkonsum und der weitergehenden Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit. Der Ausgang dieser Fälle wirkt sich nicht nur auf die Fahrberechtigung des Einzelnen aus, sondern schafft auch Präzedenzfälle für die Durchsetzung von Verkehrssicherheitsvorschriften.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 11 CS 23.125  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Urteil des VGH München (Az.: 11 CS 23.125) vom 25.07.2023 befasst sich mit der Fahrerlaubnisentziehung nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille. Es hebt hervor, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis auch bei Trunkenheitsfahrten mit nicht motorisierten Fahrzeugen gerechtfertigt sein kann, jedoch differenzierte Kriterien für die Beurteilung der Fahreignung bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen erforderlich sind.

Zentrale Punkte des Urteils:

  1. Trunkenheitsfahrt mit Fahrrad: Bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,68 Promille während einer Fahrradfahrt kann die Fahrerlaubnis entzogen werden.
  2. Rechtliche Grundlage: Die Entziehung basiert auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV, der nicht nur für Kraftfahrzeuge, sondern auch für nicht motorisierte Fahrzeuge gilt.
  3. Strafverfahrenseinstellung: Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO schließt die Verwertung der Tatsachen in einem Verfahren zur Fahrerlaubnisentziehung nicht aus.
  4. Gutachtensanordnung: Die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens zur Fahreignung ist zulässig, um zu klären, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat.
  5. Fristsetzung für Gutachten: Eine Frist von zwei Monaten für die Vorlage des Gutachtens ist angemessen.
  6. Fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge: Die Beurteilung der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge erfordert spezifische Kriterien und kann nicht identisch mit denen für Kraftfahrzeuge sein.
  7. Verhältnismäßigkeit: Die entsprechende Anwendung der Vorschriften für Kraftfahrzeuge auf fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge kann unverhältnismäßige Maßnahmen beinhalten.
  8. Rechtsprechung und Eignungsmängel: Es gibt kaum Rechtsprechung zu Eignungsmängeln bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen, was die Beurteilung erschwert.

Trunkenheitsfahrt im Fokus: Beginn des Verfahrens

Im August 2021 wurde der Antragsteller, geboren 1992, von der Polizei kontrolliert, als er ohne Licht und in Schlangenlinien mit dem Fahrrad fuhr. Eine Blutprobe ergab eine Alkoholkonzentration von 1,68 Promille. Daraufhin stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr ein, nachdem der Antragsteller eine Auflage von 1.000 Euro zahlte.

Die Rolle des Medizinisch-Psychologischen Gutachtens

Das Landratsamt forderte ihn später auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, um zu klären, ob er zukünftig fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge unter Alkoholeinfluss führen würde. Der Antragsteller stellte sich einer Begutachtung, überwarf sich jedoch mit dem Gutachter und bat um eine Fristverlängerung für ein weiteres Gutachten. Das erstellte Gutachten, das teilweise vorgelegt wurde,kam zu dem Schluss, dass der Antragsteller auch zukünftig ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde.

Fahrerlaubnisentziehung: Eine Konsequenz der Trunkenheitsfahrt

Das Landratsamt entzog daraufhin die Fahrerlaubnis und untersagte das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Der Antragsteller reichte Klage ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz, der vom Verwaltungsgericht abgelehnt wurde. Dagegen legte er Beschwerde ein.

Verwaltungsgerichtsbeschluss: Endgültige Entscheidung

Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg. Das Verwaltungsgerichtshof München stellte fest, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig war, da der Antragsteller mit einer hohen Blutalkoholkonzentration Fahrrad gefahren war. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war rechtmäßig, und die Nichtvorlage des Gutachtens führte zum Schluss der fehlenden Kraftfahreignung. Die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft hatte keinen Einfluss auf die Beurteilung der Fahreignung.

Das Urteil zeigt, dass Alkoholkonsum im Straßenverkehr, selbst bei der Nutzung fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge wie Fahrrädern, schwerwiegende rechtliche Konsequenzen haben kann. Es unterstreicht die Bedeutung der Trennung von Alkoholkonsum und Fahrzeugführung im Interesse der Verkehrssicherheit. Die Entscheidung des Gerichts dient als Präzedenzfall für ähnliche Fälle und betont die Notwendigkeit, die Fahreignung von Personen, die unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilnehmen, streng zu überprüfen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet die „sofortige Vollziehbarkeit“ einer Fahrerlaubnisentziehung?

Die „sofortige Vollziehbarkeit“ einer Fahrerlaubnisentziehung bedeutet, dass der Betroffene unmittelbar nach Erhalt der Entziehungsverfügung keine fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeuge mehr führen darf. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hat zur Folge, dass die Fahrerlaubnis sofort entzogen wird und nicht erst nach Ablauf einer eventuellen Widerspruchs- oder Klagefrist.

Gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anordnung der sofortigen Vollziehung besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Wenn Aussichten in der Hauptsache bestehen, kann es sinnvoll sein, die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit dem entsprechenden Rechtsmittel anzugreifen. In diesem Fall muss ein gesonderter Antrag gestellt werden, und das Gericht prüft dann summarisch, also überschlägig, ob in der Hauptsache mit einem Erfolg zu rechnen ist. Für diesen Fall wird in der Regel auch die sofortige Vollziehung aufgehoben.

VGH München – Az.: 11 CS 23.125 – Beschluss vom 25.07.2023

I. Die Ziffern I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. Januar 2023 werden aufgehoben, soweit der abgelehnte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge betrifft.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 2 des Bescheids des Landratsamts S. vom 3. November 2022 wird wiederhergestellt.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1992 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, A (jeweils versehen mit den Schlüsselzahlen 79.03, 79.04), AM, B und L sowie der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.

Im August 2021 erhielt das Landratsamt S.(Fahrerlaubnisbehörde) eine Mitteilung der Polizei, der zufolge der Antragsteller am 16. Juli 2021 gegen 00:02 Uhr anlässlich einer Fahrt mit dem Fahrrad auf einer öffentlichen Straße kontrolliert wurde. Der Mitteilung zufolge waren die Beamten auf den Antragsteller aufmerksam geworden, weil dieser ohne Licht und in leichten Schlangenlinien fuhr. Die um 00:26 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,68 Promille. Das Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) stellte die Staatsanwaltschaft S.mit Verfügung vom 20. Oktober 2021 gemäß § 153a StGB nach Zahlung einer Auflage von 1.000,- Euro ein.

Mit Schreiben vom 9. August 2022 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis zum 10. Oktober 2022 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Es sei zu klären, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führe werde. Weiter sei zu klären, ob er das Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum zuverlässig trennen könne.

Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2022 ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigten mitteilen, er habe sich einer Begutachtung gestellt, mittlerweile jedoch mit dem Gutachter überworfen. Er bitte daher um Verlängerung der Beibringungsfrist, um ein weiteres Gutachten einholen zu können. In der Folge ergänzte er, das erstellte Gutachten leide an näher bezeichneten gravierenden Mängeln. Auf die Bitte des Landratsamts hin, dieses im Original vorzulegen, damit dort über eine mögliche Anordnung zur Nachbesserung bzw. zur Durchführung einer erneuten Begutachtung entschieden werden könne, stellte der Antragsteller das Gutachten vom 29. September 2022 schließlich teilweise zur Verfügung. Aus den vorgelegten Auszügen ist ersichtlich, dass das Gutachten zu dem Ergebnis kommt, der Antragsteller werde auch zukünftig ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen. Im Übrigen wurde die Beantwortung der Frage unkenntlich gemacht. Ebenfalls unkenntlich gemacht wurden der Abschnitt des psychologischen Untersuchungsgesprächs, der das Alkoholtrinkverhalten des Antragstellers zum Gegenstand hat, sowie die Bewertung der Befunde der verkehrspsychologischen Untersuchung.

Mit Bescheid vom 3. November 2022 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 1), untersagte ihm, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen (Nr. 2), und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein spätestens sieben Tage nach Zustellung des Bescheids abzuliefern (Nr. 3). Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an (Nr. 4). Aus der Nichtbeibringung des Gutachtens sei auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen und fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zu schließen.

Am 5. Dezember 2022 ließ der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben, über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig stellte er einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Januar 2023 abgelehnt hat.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der der Antragsgegner entgegentritt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.

1. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre, soweit sie die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat. Diese erweist sich voraussichtlich als rechtmäßig.

a) Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – BVerwGE 175, 206 Rn. 13 m.w.N.). Abzustellen ist danach hier auf den Erlass des Bescheids vom 3. November 2022.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch das teilweise zum 1. November 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 7. Mai 2021 (BGBl I S. 850), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch teilweise zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, indem er das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennt (Anlage 4 Nr. 8.1 zur FeV). Die Wiedererlangung der Fahreignung nach Beendigung des Missbrauchs setzt voraus, dass die erforderliche Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Anlage 4 Nr. 8.2 zur FeV).

Hat ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern – wie im Fall des Antragstellers – auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – BVerwGE 171, 1 Rn. 19; B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 = juris Rn. 7; U.v. 21.5.2008 – 3 C 32.07 – BVerwGE 131, 163 = juris Rn. 10, 15 ff., BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – Blutalkohol 56, 418 = juris Rn. 11).

Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zum Schutz der Verkehrssicherheit zwingend vorgegeben, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde insoweit ein Ermessen zukäme. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf die Behörde bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19) bzw. kein ausreichender Grund für die Weigerung vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1985 – 7 C 26.83 – BVerwGE 71, 93 = juris Rn. 16; OVG NW, B.v. 17.3.2021 – 16 B 22.21 – DAR 2021, 409 = juris Rn. 5; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 11 FeV Rn. 51).

b) Daran gemessen begegnet die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken. Der Schluss aus der Nichtvorlage des angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die fehlende Kraftfahreignung erweist sich als rechtmäßig.

aa) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV erfüllt waren, weil der Antragsteller am 16. Juli 2021 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,68 Promille mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen hat.

(1) Ohne Erfolg führt die Beschwerde dagegen ins Feld, dass die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gemäß § 153a StPO eingestellt hat. Soweit sie meint, die Fahrerlaubnisbehörde stelle die Verfahrenseinstellung der Verurteilung gleich, trifft dies nicht zu. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO verbietet es, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, nicht, Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen, in Verfahren mit anderer Zielsetzung in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2020 – 11 CS 19.2237 – DAR 2020, 229 = juris Rn. 15; B.v. 2.9.2016 – 11 ZB 16.1359 – juris Rn. 19 f.). Zwar darf allein aus der Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO, die nur mit Zustimmung des Angeklagten möglich ist, nicht auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der angeklagten Straftaten geschlossen werden (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – NJW 1991, 1530 = juris Rn. 19 f.; BayVGH, B.v. 2.9.2016 a.a.O. Rn. 19). Die Verwaltungsbehörde darf den Sachverhalt jedoch eigenständig ermitteln und kann sich dabei auf dieselben Beweismittel stützen wie die Strafverfolgungsorgane, ohne an deren Bewertung gebunden zu sein (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2016 a.a.O.). So ist das Landratsamt hier vorgegangen und hat zu Recht angenommen, dass die Begehung der Tat auch unabhängig von einer strafrechtlichen Ahndung mit hinreichender Sicherheit feststeht. Im Übrigen stellt der Antragsteller die Tat als solche auch nicht in Frage. Sofern die Beschwerde auf die Beurteilung der Tat durch die Staatsanwaltschaft zielt, so beschränkt diese sich von vornherein auf die Frage, ob Auflagen und Weisungen geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und ob die Schwere der Schuld einem Absehen von der Verfolgung entgegensteht (§ 153a Satz 1 StPO). Auf die hier in Rede stehende Fahreignung erstreckt sie sich hingegen nicht. Im Übrigen vermögen nach § 3 Abs. 4 StVG allein ein Urteil, ein Strafbefehl oder eine gerichtliche Entscheidung, durch welche die Eröffnung des Hauptverfahrens oder der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt wird, Bindungswirkung hinsichtlich der Beurteilung der Fahreignung zu entfalten. Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 153a Abs. 1 StPO steht dem nicht gleich (BayVGH, B.v. 7.1.2020 a.a.O. Rn. 15).

(2) Soweit die Beschwerde den Zeitablauf zwischen der Tat und der Beibringungsanordnung rügt, legt sie bereits nicht näher dar, wieso die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Tat vom 16. Juli 2021 unterliege bei einer gebotenen hypothetischen, die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO ausblendenden Betrachtung einer fünfjährigen Tilgungsfrist, so dass kein Raum für eine Einzelprüfung unter Einbeziehung anderer Gesichtspunkte verbleibe, unzutreffend sein sollte. Vielmehr hebt sie auch insoweit allein auf die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft ab, die aus den vorgenannten Gründen ohne Bedeutung ist. Im Übrigen führt die Landesanwaltschaft Bayern für den Antragsgegner zutreffend aus, dass der Antragsteller unabhängig von der Frage, ob eine Verwirkung im Sicherheitsrecht überhaupt in Betracht kommt, hier in Ermangelung von weiteren, zum Verstreichen eines längeren Zeitraums hinzutretenden Umständen jedenfalls nicht darauf vertrauen durfte, dass die Fahrerlaubnisbehörde wegen dieses Vorfalls nicht tätig wird (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 5.1.2022 – 11 CS 21.2743 – juris Rn. 21 m.w.N.).

(3) Wenn die Beschwerde die Auskunft der Polizei an das Landratsamt anspricht, wonach gegen die Fahreignung keine „weiteren Bedenken“ bestünden, beinhaltet das allein die Information, dass dort keine weiteren Erkenntnisse zu Eignungsmängeln vorliegen. Abgesehen davon könnte eine etwaige Beurteilung der Fahreignung durch die Polizei die nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV zwingend vorgesehene medizinisch-psychologische Begutachtung aber auch nicht ersetzen.

(4) Sonstige Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung erhebt die Beschwerde nicht, sind aber auch nicht ersichtlich.

bb) Das Verwaltungsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller das demnach insoweit zu Recht angeordnete Gutachten ohne ausreichenden Grund nicht vollständig beigebracht hat.

Die in der Gutachtensanordnung gesetzte Frist von zwei Monaten war nicht zu beanstanden. Dient die Vorlage des Gutachtens – wie hier – der Klärung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat, ist die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. In diesem Fall ist den Eignungszweifeln so zeitnah wie möglich durch die gesetzlich vorgegebenen Aufklärungsmaßnahmen nachzugehen, da insofern die Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer in Frage steht (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 26 m.w.N.; B.v. 2.3.2021 – 11 CS 20.3056 – juris Rn. 23). Davon ausgehend erachtet der Senat eine Frist von zwei Monaten grundsätzlich für ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2020 – 11 CS 20.1418 – juris Rn. 21 m.w.N.). Dass hier eine davon abweichende Beurteilung geboten sein könnte, ist nicht ersichtlich.

Das Landratsamt war – abgesehen davon, dass es rein tatsächlich Gelegenheit zur Vorlage des Gutachtens bis Ende Oktober 2022 eingeräumt hat – auch nicht verpflichtet, die Frist zur Vorlage des Gutachtens zu verlängern. Die Verlängerung behördlicher Fristen steht im Ermessen, bei dessen Ausübung insbesondere zu berücksichtigen ist, ob es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretene Rechtsfolge bestehen zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2021 – 11 CS 20.3056 – juris Rn. 22 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.

Wenn der Antragsteller geltend macht, das erstellte Gutachten sei mangelhaft, rechtfertigt dies weder die Nichtvorlage des vollständigen Gutachtens noch das Verlangen nach einer Verlängerung der Beibringungsfrist, damit ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben werden könne. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zwar zu prüfen, ob ein Gutachten gemäß Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV erstellt worden und schlüssig sowie nachvollziehbar ist, wozu es dieses einer eigenen kritischen Würdigung zu unterziehen hat (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2021 a.a.O. Rn. 24; OVG NW, B.v. 10.10.2016 – 16 B 673/16 – NJW 2017, 283 Rn. 4 ff.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 11 FeV Rn. 41; Geiger, NZV 2002, 20). Macht der Betroffene zu Recht geltend, dass das Gutachten nicht den dort aufgestellten Grundsätzen entspricht, hat die Behörde diesem Gelegenheit zu geben, von dem Gutachter eine Nachbesserung zu verlangen, oder kann sie sich mit Einverständnis des Betroffenen direkt an den Gutachter wenden (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2021 a.a.O. Rn. 24; Geiger, a.a.O. S. 22; Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rn. 49b; VG Neustadt, B.v. 27.7.2005 – 3 L 1181/05.NW – SVR 2006, 27 = juris Rn. 15 f.). Lassen sich die Mängel des Gutachtens auf diesem Wege nicht beheben, kommt eine neue Beibringungsanordnung bzw. weitere Begutachtung in Betracht. Eine solche Überprüfung kann regelmäßig aber nur stattfinden, wenn der Betroffene das Gutachten vollständig vorlegt und der Fahrerlaubnisbehörde damit die Möglichkeit gibt, sich selbst ein Bild davon zu machen (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2021 a.a.O. Rn. 24 ff.; B.v. 21.10.2015 – 11 C 15.2036 – juris Rn. 19; B.v. 14.11.2011 – 11 CS 11.2349 – juris Rn. 51). So liegt es auch hier. Wenn die Beschwerde meint, die Fehlerhaftigkeit der Beurteilung ergebe sich bereits aus den zur Verfügung gestellten Auszügen, hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass sich die einzelnen Bestandteile des Gutachtens aufeinander beziehen und aufeinander aufbauen, so dass die Nachvollziehbarkeit nur anhand des vollständigen Gutachtens beurteilt werden kann. Im Übrigen lässt sich ohne die fehlenden Teile des Gutachtens nicht überprüfen, ob der geltend gemachte Fehler überhaupt entscheidungserheblich ist oder sich das Gutachten auf mehrere voneinander unabhängige Begründungsstränge stützt. So kann hier insbesondere dem Einwand der Beschwerde, sämtliche Wertungen des Gutachtens beruhten auf der fehlerhaften Annahme, die in der Blutprobe festgestellte Alkoholisierung könne nicht mit der angegebenen Trinkmenge erklärt werden, ohne die vollständigen Ausführungen des Gutachtens zum Trinkverhalten sowie die Bewertung der verkehrspsychologischen Untersuchung nicht nachgegangen werden.

cc) Schließlich führt die – sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergebende – Rechtswidrigkeit der Beibringungsanordnung, soweit sie die Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zum Gegenstand hat, hier ausnahmsweise nicht zur Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung im Ganzen. Besteht diese – wie hier – aus mehreren Teilen, infiziert die Fehlerhaftigkeit eines Teils zwar regelmäßig auch den anderen Teil. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Betroffenen, insoweit zu differenzieren und den Gutachter zu einer entsprechend abschichtenden Untersuchung zu veranlassen (vgl. Dauer, a.a.O., § 11 Rn. 42c; VGH BW, B.v. 30.6.2011 – 10 S 2785/10 – NJW 2011, 3257 = juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 8.6.2022 – 16 B 1237/21 – NJW 2022, 2633 Rn. 12; OVG LSA, B.v. 14.9.2022 – 3 M 83/22 – juris Rn. 14). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Betroffene sich klar unterscheidbaren getrennten Fragestellungen gegenübersieht. In einer solchen Konstellation kann von diesem eine differenzierte Entschließung erwartet werden, ob und ggf. welchen Untersuchungen bzw. Fragestellungen er sich stellen oder im Verweigerungsfall die Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV riskieren will (vgl. VGH BW, B.v. 30.6.2011 a.a.O.; OVG LSA, B.v. 14.9.2022 – 3 M 83/22 – juris Rn. 14; s. auch BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22 – juris Rn. 19; OVG SH, B.v. 4.8.2021 – 5 MB 18/21 – Blutalkohol 58, 345 = juris Rn. 32). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor, da die Fragen nach der Eignung zum Führen zum Kraftfahrzeugen und der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge thematisch klar voneinander abgegrenzt sind und sich weder überschneiden noch aufeinander aufbauen. Zudem kann sich die Beibringungsanordnung hinsichtlich der Kraftfahreignung auf gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung stützen und liegt auf der Hand, dass dieser Teil rechtmäßig ist.

2. Soweit die Beschwerde die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zum Gegenstand hat, ist sie ungeachtet der im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO) begründet. Der Senat berücksichtigt von Amts wegen, dass der angefochtene Bescheid vom 3. November 2022 insoweit rechtswidrig ist, weil § 3 FeV als Rechtsgrundlage, auf die er gestützt ist, nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Damit wird die Klage in diesem Umfang voraussichtlich Erfolg haben.

a) Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – BVerwGE 171, 1 Rn. 10 ff.; BayVGH, U.v. 17.1.2020 – 11 B 19.1274 – DAR 2020, 159 = juris Rn. 17 ff.). Bei der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, da sich die Regelungswirkung nicht in einem einmaligen Verbot oder einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage in der Vergangenheit erschöpft, sondern sich das angeordnete Verbot fortlaufend verlängert und aktualisiert (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 a.a.O. Rn. 11).

Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren, hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV, zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2023 (BGBl I Nr. 56), das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen. Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden nach § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.

b) In seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 17. April 2023 (11 BV 22.1234 – juris Rn. 30 ff.) hat der Senat näher ausgeführt, dass und aus welchen Gründen § 3 FeV gegen die aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 bis 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) abgeleiteten Gebote der hinreichenden Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit rechtlicher Regelungen (vgl. Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand Januar 2023, Art. 20 VII Rn. 58 ff.; BVerfG, B.v. 17.7.2003 – 2 BvL 1/99 – BVerfGE 108, 186 = juris Rn. 172 m.w.N.) verstößt.

Dabei war einerseits maßgebend, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnisbehörde zu schwerwiegenden Eingriffen in die durch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützte Mobilität (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.1989 – 1 BvR 921/85 – BVerfGE 80, 137 = juris Rn. 62) des Betroffenen ermächtigt (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 32). Die Teilnahme am Straßenverkehr mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen, insbesondere mit dem Fahrrad, kann für die private Lebensgestaltung des Einzelnen, einschließlich der Ausbildung und Berufsausübung, von erheblicher Bedeutung sein (BVerwG, U.v. 4.12.2020 a.a.O. Rn. 39).

Demgegenüber sind die materiellen Voraussetzungen, unter denen ein Eingriff nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV erfolgen darf, nur sehr lückenhaft geregelt. Insbesondere ist nicht ausreichend klar geregelt, in welchen Fällen sich der Führer fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge als ungeeignet bzw. nur noch bedingt geeignet erweist und wann Eignungszweifel im Sinne von § 3 Abs. 2 FeV gerechtfertigt sind. Soweit die amtliche Begründung zu § 3 FeV (BR-Drs. 443/98, S. 237) hierzu auf § 2 Abs. 4 StVG („wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat“) verweist, bezieht sich diese Begriffsdefinition ausdrücklich nur auf die Kraftfahreignung. Ein den Anlagen 4 bis 6 zur FeV vergleichbares Regelwerk, das zur Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe der körperlichen und geistigen Anforderungen diejenigen Erkrankungen und Mängel aufführt, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Regelfall längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können, fehlt für Fahrzeuge, die keine Kraftfahrzeuge sind (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 33 m.w.N.). Auch aus § 3 Abs. 2 FeV, wonach die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung finden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, lässt sich kein hinreichend bestimmter Anhalt für spezifische Eignungszweifel gewinnen (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 34 m.w.N.). Wegen der Unterschiede zwischen Kraftfahrzeugen und sonstigen Fahrzeugen in Größe und Gewicht, den Fahreigenschaften, der erreichbaren Fahrgeschwindigkeit, in Bedienung und Art der Benutzung und in ihrem Gefahrenpotential wäre es jedenfalls rechtlich unzulässig, identische physische und psychische Anforderungen an das Führen von fahrerlaubnispflichtigen und -freien Fahrzeugen zu stellen (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 35). Soweit §§ 11 bis 14 FeV nur dann entsprechend angewendet werden sollen, als nach ihrem Inhalt nicht das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge vorausgesetzt ist, werden damit die Fragen, welche – vor allem auf physiologische bzw. pathologische und psychologische Eigenschaften des Fahrers zurückzuführenden – Mängel im Einzelfall relevant sind und unter welchen konkreten Voraussetzungen die in den §§ 11 bis 14 FeV vorgesehenen Gefahrerforschungsmaßnahmen getroffen werden dürfen, nicht geklärt (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 36 m.w.N.). Den Fahrerlaubnisbehörden stehen auch keine den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (vom 27.1.2014 [VkBl S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [VkBl S. 198]) vergleichbaren verkehrsmedizinischen antizipierten Sachverständigengutachten zur Verfügung, die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu Eignungsmängeln beim Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge wiedergeben würden, oder entsprechend entwickelte Beurteilungskriterien der Deutschen Gesellschaften für Verkehrspsychologie und Verkehrsmedizin, aus denen sich die in Nr. 1 Buchst. c der Anlage 4a zur FeV der Fahreignungsbegutachtung zugrunde zu legenden anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze ergeben (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 37 m.w.N.). Rechtsprechung liegt fast ausschließlich zu Trunkenheitsfahrten, kaum zu Fahrten unter Drogeneinfluss vor. Entscheidungen zu Eignungsmängeln aufgrund pathologischer Zustände oder charakterlicher Mängel sind nicht ersichtlich (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 38 m.w.N.). In Anbetracht dessen, dass die Beurteilung von Eignungsmängeln häufig medizinisch-psychologischen Sachverstand erfordert, bestehen daher erhebliche Zweifel daran, dass die Fahrerlaubnisbehörden in der Lage sind, ihr Auswahlermessen auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung auszuüben. Das wird allenfalls bei schweren Erkrankungen oder Behinderungen möglich sein (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 39 m.w.N.).

Wegen des nicht hinreichend bestimmbaren Inhalts des Eignungsbegriffs und der nicht näher eingrenzbaren entsprechenden Anwendung der §§ 11 ff. FeV i.V.m. Anlage 4 bis 6 zur FeV auf die Beurteilung, ob Eignungszweifel hinsichtlich des Führens (bestimmter) fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge vorliegen und welche Erforschungsmaßnahmen diese rechtfertigen, ist weiter davon auszugehen, dass die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auch nicht erforderliche sowie unangemessene Maßnahmen beinhaltet und damit nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Es wäre geboten, an die Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge weniger hohe Anforderungen zu stellen als an die Eignung zum Führen fahrerlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge und ggf. zwischen fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen und sonstigen Fahrzeugen, darunter insbesondere dem Fahrrad, zu differenzieren (BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 41; vgl. zu alldem auch B.v. 12.7.2023 – 11 CS 23.551 – juris Rn. 10 ff.).

c) Diese Erwägungen greifen ebenfalls, sofern Eignungsbedenken – wie hier – aus einer Fahrt mit dem Fahrrad mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr herrühren. Die insoweit in Bezug genommene Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gilt zwar, wie bereits erwähnt, ausdrücklich für sämtliche Fahrzeuge, nimmt also keine Differenzierung zwischen fahrerlaubnispflichtigen und -freien Fahrzeugen vor. Daher geht die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass eine Fahrt mit einem Fahrrad mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr Eignungsbedenken auch hinsichtlich des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge begründet (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 = juris Rn. 5 f.; BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – Blutalkohol 56, 418 = juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 28.10.2014 – 3 B 203/14 – Blutalkohol 52, 58 = juris Rn. 5; B.v. 13.11.2020 – 6 B 248/20 – Blutalkohol 58, 116 = juris Rn. 5; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – DAR 2012, 164 = juris Rn. 12; OVG RhPf, B.v. 17.8.2012 – 10 A 10284/12 – DAR 2012, 601 = juris Rn. 23; ThürOVG, B.v. 9.5.2012 – 2 SO 596/11 – DAR 2012, 721 = juris Rn. 7; OVG Berlin-Bbg, B.v. 28.2.2011 – OVG 1 S 19.11, OVG 1 M 6.11 – Blutalkohol 48, 184 = juris Rn. 5 f.).

Unklar und nicht hinreichend bestimmt geregelt ist jedoch, ob auch eine Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr Zweifel hinsichtlich der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge rechtfertigt (vgl. BayVGH, U.v. 17.4.2023 a.a.O. Rn. 38). Der offene Wortlaut der Norm würde dies zwar grundsätzlich umfassen. Soweit dem Senat ersichtlich, wird das in der Verwaltungspraxis jedoch nicht so gehandhabt. Es erscheint auch fraglich, ob es vom Willen des Normgebers gedeckt wäre, bei einer solchen Fahrt die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung und die ggf. folgende fahrerlaubnisrechtliche Maßnahme auf fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge auszudehnen. Dies führt zur Nichtanwendbarkeit der Regelung insgesamt, auch wenn hier im konkreten Fall eine Fahrradfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille zugrunde lag (vgl. dazu auch Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 47 Rn. 82; BVerfG, U.v. 28.5.1993 – 2 BvF 2/90 u.a. – BVerfGE 88, 203 = juris Rn. 375; BVerwG, B.v. 28.8.2008 – 9 B 40.08 – NVwZ 2009, 255 = juris Rn. 13).

3. Der Beschwerde war somit im tenorierten Umfang stattzugeben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154, § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt den Umfang des jeweiligen Obsiegens sowie das Verhältnis der Streitwerte zueinander.

5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.14 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Danach ergibt sich im Eilverfahren ein Gesamtstreitwert von 5.000,- Euro, von dem je 2.500,- Euro auf die Entziehung der Fahrerlaubnis und auf die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrtzeuge entfallen. Die mit den Schlüsselzahlen 79.03, 79.04 versehenen Klassen A und A1 wirken sich nicht streitwerterhöhend aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – BayVBl 2014, 273 = juris Rn. 22).

6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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