Fahreignungsbewertungssystem: Fahrerlaubnisbehörde darf auch nach Maßnahmen Punkte heranziehen
Das deutsche Straßenverkehrsrecht sieht ein gestaffeltes System zur Regulierung der Fahrerlaubnis vor, das bei Verkehrsverstößen greift. Kern dieses Systems ist das Fahreignungs-Bewertungssystem, das auf dem Prinzip der Punktevergabe basiert. Punkte werden für Verkehrsverstöße im Fahreignungsregister eingetragen und können letztlich zu Maßnahmen wie Ermahnungen, Verwarnungen und im Extremfall zur Fahrerlaubnisentziehung führen. Eine zentrale Fragestellung, die in der Rechtsprechung immer wieder auftritt, ist, wie mit Punkten umgegangen wird, die nach bereits ergriffenen Maßnahmen bekannt werden.
Relevant ist hierbei, welche Punkte im Rahmen der Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 5 StVG berücksichtigt werden dürfen und welchen Einfluss der Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde dabei spielt. Dies umfasst die Klärung, ob und inwieweit Punkte, die der Behörde nach einer Ermahnung oder Verwarnung bekannt werden, für die Entscheidung über eine Fahrerlaubnisentziehung relevant sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche rechtlichen Implikationen sich aus dem Punktestand und den Zeitpunkten der Kenntniserlangung der Fahrerlaubnisbehörde ergeben.
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Bs 94/17 >>>
✔ Das Wichtigste in Kürze
Das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts befasst sich mit der Rechtsmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung bei Erreichen einer bestimmten Punktzahl im Fahreignungsregister, wobei der Fokus auf der Berücksichtigung von Punkten liegt, die der Fahrerlaubnisbehörde nach bereits erfolgten Ermahnungen oder Verwarnungen bekannt wurden.
Zentrale Punkte aus dem Urteil:
- Fahrerlaubnisentziehung: Der Antragsteller wurde seiner Fahrerlaubnis entbunden, da er die kritische Grenze von acht Punkten im Fahreignungsregister erreichte.
- Ermahnung und Verwarnung: Vor der Entziehung wurden Ermahnungen und Verwarnungen entsprechend dem Punktestand ausgesprochen.
- Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde: Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen ist der Punktestand, der der Fahrerlaubnisbehörde zum Zeitpunkt der Maßnahme bekannt war.
- Bedeutung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG: Das Gericht klärte, dass dieser Paragraph nicht impliziert, dass nur Punkte berücksichtigt werden dürfen, die nach einer Ermahnung oder Verwarnung bekannt wurden.
- Punktehinzurechnung: Auch Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor einer Ermahnung oder Verwarnung begangen wurden, können hinzugerechnet werden.
- Rechtsmissbrauch und analoge Anwendung: Es gab keine Anzeichen für rechtsmissbräuchliches Verhalten des Kraftfahrt-Bundesamtes oder der Fahrerlaubnisbehörde, die eine analoge Anwendung von § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG rechtfertigen würden.
- Verantwortung des Fahrerlaubnisinhabers: Der Fahrerlaubnisinhaber kann nicht davon ausgehen, dass sein Punktestand immer dem entspricht, was in der letzten Ermahnung oder Verwarnung mitgeteilt wurde.
- Streitwertfestsetzung: Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wurde aufgrund der beruflichen Notwendigkeit des Antragstellers, ein Fahrzeug zu führen, auf 5.000 Euro festgesetzt.
Übersicht
Beginn des Rechtsfalls: Entziehung der Fahrerlaubnis
Der zentrale Aspekt des Falles, der beim Hamburgischen Oberverwaltungsgericht unter dem Aktenzeichen 4 Bs 94/17 verhandelt wurde, betrifft die Entziehung der Fahrerlaubnis eines im Jahr 1985 geborenen Antragstellers. Diese rechtliche Auseinandersetzung nahm ihren Anfang mit der wiederholten Erteilung einer Fahrerlaubnis an den Antragsteller am 9. Oktober 2013, nachdem ihm diese zuvor entzogen worden war. Die Rechtsproblematik entwickelte sich schrittweise durch die Ansammlung von Punkten im Fahreignungsregister des Antragstellers, die aufgrund verschiedener Verkehrsverstöße verzeichnet wurden. Diese Verstöße umfassten Geschwindigkeitsüberschreitungen und das Nichteinhalten des Mindestabstandes.
Kernproblem: Interpretation des § 4 StVG
Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall ergab sich aus der Interpretation und Anwendung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Der Kern des Problems lag in der Frage, ob Punkte, die der Fahrerlaubnisbehörde nach dem Ergreifen von Maßnahmen wie Ermahnungen oder Verwarnungen bekannt wurden, noch für eine Fahrerlaubnisentziehung herangezogen werden können. Der Antragsteller argumentierte, dass er zum Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung lediglich sieben Punkte gehabt hätte, da ein Punkt für eine Zuwiderhandlung nicht hinzugerechnet werden dürfe. Diese Auffassung basierte auf seiner Interpretation des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG.
Gerichtsentscheidung: Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung
Das Gericht widersprach jedoch dieser Auslegung. Es stellte klar, dass für die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis entscheidend ist, ob der Fahrerlaubnisbehörde acht Punkte bekannt sind. Dabei ist unerheblich, ob diese Punkte der Behörde vor oder nach den Maßnahmen wie Ermahnung oder Verwarnung bekannt wurden. Diese Interpretation orientiert sich am Wortlaut des Gesetzes und an der Intention desGesetzgebers, die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems sicherzustellen und die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen.
Fazit: Bedeutung des Punktestandes im Fahreignungsregister
Das Gericht betonte, dass der Fahrerlaubnisinhaber sich nicht darauf verlassen kann, dass sein Punktestand nicht höher ist als in der Ermahnung oder Verwarnung mitgeteilt. Die Verwarnung schafft kein schutzwürdiges Vertrauen hinsichtlich des darin angegebenen Punktestandes. Somit war die Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG rechtens, da zum Zeitpunkt der Entziehung dem Antragsgegner acht Punkte bekannt waren.
Zusammenfassend zeigt dieser Fall deutlich die Komplexität der rechtlichen Bewertung von Fahrerlaubnisentzügen im Kontext des deutschen Verkehrsrechts. Er unterstreicht die Bedeutung des Punktestandes im Fahreignungsregister und dessen Einfluss auf die Rechtsprechung in Bezug auf die Fahrerlaubnisentziehung. Die Entscheidung des Gerichts reflektiert die strikte Anwendung des Gesetzes zur Wahrung der Verkehrssicherheit und den Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Inwiefern beeinflusst die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde über Verkehrsverstöße die rechtlichen Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG?
Die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde über Verkehrsverstöße spielt eine entscheidende Rolle bei der Anwendung von rechtlichen Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Deutschland. Dieser Paragraph regelt das Fahreignungs-Bewertungssystem, das auch als „Punktesystem“ bekannt ist.
Die Fahrerlaubnisbehörde ist an die Rechtskraft von Bußgeldbescheiden gebunden, die aufgrund von Verkehrsverstößen ausgestellt wurden. Das bedeutet, dass die Behörde Maßnahmen ergreifen kann, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber eine bestimmte Anzahl von Punkten im Fahreignungsregister erreicht hat. Diese Maßnahmen können von einer schriftlichen Verwarnung bis hin zur Entziehung der Fahrerlaubnis reichen.
Die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde über Verkehrsverstöße wird durch das Kraftfahrt-Bundesamt gewährleistet, das die vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister an die Behörde übermittelt. Dies geschieht, sobald ein Fahrerlaubnisinhaber die jeweiligen Punktestände nach § 4 Abs. 5 StVG erreicht hat.
Die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde über Verkehrsverstöße ist daher entscheidend für den Entzug der Fahrerlaubnis. Wenn die Behörde nicht über einen Verkehrsverstoß informiert ist, kann sie auch keine Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG ergreifen.
Es sollte auch beachtet werden, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nummer 3 keine aufschiebende Wirkung haben. Das bedeutet, dass die Fahrerlaubnis auch dann entzogen bleibt, wenn gegen die Entscheidung der Behörde rechtlich vorgegangen wird.
Die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde über Verkehrsverstöße ist daher ein entscheidender Faktor bei der Anwendung von rechtlichen Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG.
Das vorliegende Urteil
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht – Az.: 4 Bs 94/17 – Beschluss vom 08.01.2018
Leitsatz
1. § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG ist – ggf. als Ergebnis einer analogen Anwendung dieser Norm – keine allgemeine Aussage dahin zu entnehmen, dass für eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zu den für Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG (Ermahnung bzw. Verwarnung) berücksichtigten Punkten nur solche hinzugerechnet werden können, die der Fahrerlaubnisbehörde erst nach diesen Maßnahmen bekannt geworden sind.
2. Für das Ergreifen der Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 StVG kommt es auf die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde an.
3. Der Fahrerlaubnisinhaber kann sich nicht darauf verlassen, dass sein Punktestand tatsächlich nicht höher ist, als in der Ermahnung bzw. Verwarnung mitgeteilt.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 13. April 2017 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begeht vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Dem 1985 geborenen Antragsteller wurde am 9. Oktober 2013 (nach vorheriger Entziehung erneut) eine Fahrerlaubnis erteilt. Mit Schreiben vom 9.Oktober 2014 unterrichtete das Kraftfahrt-Bundesamt die Antragsgegnerin darüber, dass für den Antragsteller wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen am 29. April 2014 und am 21. Mai 2014 jeweils ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen worden sei. Mit Schreiben vom 16. August 2016 unterrichtete das Kraftfahrt-Bundesamt die Antragsgegnerin darüber, dass wegen am 17. März 2016 und am 9. April 2016 begangener weiterer zwei Verkehrsverstöße (Nichteinhaltung des Mindestabstandes bzw. Geschwindigkeitsüberschreitung), für die jeweils ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen worden sei, nunmehr insgesamt vier Punkte eingetragen seien. Mit Bescheid vom 26. August 2016 ermahnte die Antragsgegnerin den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 1 StVG unter Hinweis auf die Verkehrsverstöße, die zur Eintragung von vier Punkten im Fahreignungsregister geführt hätten. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2016 unterrichtete das Kraftfahrt-Bundesamt die Antragsgegnerin darüber, dass wegen am 4. Mai 2016 und am 10. Mai 2016 begangener Verkehrsverstöße (Benutzung des Seitenstreifens zum Zwecke des schnelleren Vorwärtskommens bzw. Geschwindigkeitsüberschreitung), für die wiederum jeweils ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen worden sei, nunmehr insgesamt sechs Punkte eingetragen seien. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 verwarnte die Antragsgegnerin den Antragsteller daraufhin gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG unter Hinweis auf die Verkehrsverstöße, die zur Eintragung von sechs Punkten im Fahreignungsregister geführt hätten. Weiter wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass die Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG zu entziehen sei. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2016 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Antragsgegnerin mit, dass für den Antragsteller im Fahreignungsregister insgesamt acht Punkte eingetragen seien und wies auf einen neuen Verkehrsverstoß vom 15. August 2016 sowie einen bereits am 16. März 2016 begangenen Verkehrsverstoß (in beiden Fällen Geschwindigkeitsüberschreitung) hin, für die jeweils ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen worden sei, sodass dort nunmehr insgesamt acht Punkte für den Antragsteller eingetragen seien.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis. Der Antragsteller gelte gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG wegen des Erreichens von acht Punkten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, die Fahrerlaubnis sei in einem solchen Fall mit sofortiger Wirkung zu entziehen.
Dagegen legte der Antragsteller am 7. März 2017 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist.
Am 16. März 2017 hat der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zu dessen Begründung hat er ausgeführt, er habe nicht acht, sondern lediglich sieben Punkte. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 sei er von der Antragsgegnerin auf einen Punktestand von sechs hingewiesen worden. Berücksichtigt werden könnten wegen § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG bei der Hinzurechnung von Punkten lediglich solche, die nach dem Ergreifen der Maßnahme bekannt geworden seien. Es sei wegen deren Speicherung im Fahreignungsregister am 6. September 2016 davon auszugehen, dass die Zuwiderhandlung vom 16. März 2016 der Antragsgegnerin bereits vor der Verwarnung vom 12. Dezember 2016 bekannt gewesen sei, sodass der Punkt für diese Zuwiderhandlung nicht hinzuzurechnen sei. Lediglich die der Antragsgegnerin am 30. Dezember 2016, mithin nach der Verwarnung vom 12. Dezember 2016 bekannt gewordene Zuwiderhandlung vom 15. August 2016 und der insoweit eingetragene Punkt dürften zu den von der Verwarnung vom 12. Dezember 2016 erfassten sechs Punkten hinzugerechnet werden, sodass sich ein Punktestand von sieben ergebe. Er sei als Kurierfahrer tätig und benötige seine Fahrerlaubnis dringend.
Mit Beschluss vom 13. April 2017 hat das Verwaltungsgericht Hamburg den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Die Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG sei voraussichtlich rechtmäßig. Zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis habe der Antragsteller acht Punkte erreicht gehabt. Eine Ermahnung und eine Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG) seien vor der Entziehung erfolgt. Der Antragsgegner habe gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG für das Eingreifen dieser Maßnahme auf den Punktestand abzustellen gehabt, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben habe. Die Vorschrift des § 4 Abs. 6 StVG mache deutlich, dass Zuwiderhandlungen auch dann mit Punkten zu bewerten und bei der Prüfung der Maßnahmenstufe zu berücksichtigen seien, wenn sie vor der Einleitung der vorherigen Maßnahme des Fahreignungsbewertungssystems begangen worden seien. Die Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde sei von deren Kenntnisstand bei der Bearbeitung aus zu beurteilen. Der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis stehe also nicht entgegen, dass sämtliche Verkehrsverstöße, die zum Erreichen des Standes von acht Punkten im Fahrerlaubnisregister geführt hätten, zeitlich vor der Ermahnung und der Verwarnung begangen worden seien. Der Antragsteller habe zum Zeitpunkt der Ermahnung tatsächlich bereits acht Punkte erlangt, die Verkehrsverstöße seien allerdings erst mit einiger zeitlicher Verzögerung rechtskräftig und im Register gespeichert sowie an die Antragsgegnerin übermittelt worden, sodass sie Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG schon deshalb nicht früher hätte ergreifen können. Die Annahme des Antragstellers, die Antragsgegnerin müsse bereits vor der Verwarnung vom 12. Dezember 2016 Kenntnis von dem am 16. März 2016 begangenen Verkehrsverstoß gehabt haben, finde in der Sachakte keine Stütze. Anhaltspunkte für eine willkürliche Verzögerung durch das Kraftfahrt-Bundesamt, die eine analoge Anwendung von § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG rechtfertigen könnten, gebe es vorliegend nicht.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
Auf die Beschwerdebegründung hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 23. Mai 2017 mitgeteilt, dass bei einer nochmaligen Recherche habe festgestellt werden können, dass sie über die Zuwiderhandlung vom 16. März 2013 durch eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 7. September 2016 informiert worden sei.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht nur zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO), ist die angefochtene Entscheidung weder zu ändern noch aufzuheben.
Zur Begründung macht der Antragsteller geltend, er habe lediglich sieben Punkte, weswegen die Fahrerlaubnisentziehung unzulässig sei. Er habe sämtliche zur Entziehung der Fahrerlaubnis führenden Ordnungswidrigkeiten vor der Verwarnung vom 12. Dezember 2016 begangen. Der Gesetzgeber stelle allein auf die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde ab. Bei der Ermittlung des Punktestandes seien gemäß § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG die nach dem Ergreifen einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StVG bekannt werdenden Punkte für Zuwiderhandlungen, welche zuvor begangen wurden, dem sich ergebenden Punktestand hinzuzurechnen. Bei Ausspruch der Verwarnung am 12. Dezember 2016 habe die Antragsgegnerin bereits Kenntnis von der nicht aufgeführten Ordnungswidrigkeit vom 16. März 2016 gehabt. Es verbiete sich deshalb die Hinzurechnung des einen Punktes für die Zuwiderhandlung am 16. März 2016. Folglich sei dem mit der Verwarnung vom 12. Dezember 2016 mitgeteilten Punktestand von sechs lediglich die tatsächlich später bekannt gewordene Zuwiderhandlung vom 15. August 2016 hinzuzurechnen, dies ergebe sieben Punkte.
Auch angesichts dieser Darlegungen hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Entziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG voraussichtlich vorliegen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller entsprechend dem in § 4 Abs. 6 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 StVG vorgegebenen gestuften Verfahren vor Erlass des Entziehungsbescheides vom 15. Februar 2017 unter dem 26. August 2016 unter Hinweis auf vier eingetragene Punkte ermahnt und unter dem 12. Dezember 2016 unter Hinweis auf sechs eingetragene Punkte verwarnt. Insofern dürfte das einzuhaltende Verfahren seitens der Antragstellerin grundsätzlich beachtet worden sein.
Allerdings war die Verwarnung vom 12. Dezember 2016 insofern unzutreffend, als der Antragsgegnerin zu diesem Zeitpunkt bereits sieben eingetragene Punkte bekannt waren. Der Antragsteller hat indes keinen Anspruch darauf, dass dieser im Fahrerlaubnisregister eingetragene und der Antragsgegnerin vom Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilte, in der Verwarnung jedoch nicht erwähnte siebte Punkt nicht berücksichtigt wird. Insbesondere dürfte sich ein solcher Anspruch nicht aus § 4 Abs. 6 Sätze 2 bis 4 StVG ergeben. Der Auffassung des Antragstellers, aus § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG ergebe sich, dass der Punkt für die Zuwiderhandlung am 16. März 2016 nur dann hätte hinzugerechnet werden dürfen, wenn die Antragsgegnerin von dieser Zuwiderhandlung erst nach der Verwarnung vom 12. Dezember 2016 Kenntnis erlangt hätte, kann nicht gefolgt werden. Ein Fall des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG liegt ersichtlich nicht vor. Nach dem eindeutigen Wortlaut knüpft diese Vorschrift an einen sich nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG ergebenden Punktestand an und betrifft ausdrücklich nur Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor einer Verringerung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG begangen worden sind. § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG wiederum regelt nur die Fälle, in denen im Rahmen des abgestuften Verfahrens nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 StVG eine Stufe versäumt wurde, und bestimmt, dass, wenn die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, diese zu ergreifen ist, wobei es in diesem Fall zu einer Verringerung des Punktestandes kommt. Eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG tritt mithin nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde am Tag des Ergreifens einer Maßnahme weitere Verkehrsverstöße bekannt sind, die zu einer Einstufung in eine höhere Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG führen (VGH München, Urt. v. 11.8.2015, 11 BV 15.909, VRS 129, 27, juris Rn. 24). Der der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Verwarnung wegen sechs Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG am 12. Dezember 2016 bekannte, aber nicht berücksichtigte Verkehrsverstoß vom 16. März 2016 führte noch nicht dazu, dass die Maßnahme nach der nächsthöheren Stufe – Entziehung gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG wegen acht Punkten – hätte getroffen werden müssen. Eine Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG kam also nicht in Betracht, sodass auch kein Fall des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG gegeben ist.
§ 4 Abs. 6 Satz 4 StVG dürfte, anders als der Antragsteller wohl meint, ggf. als Ergebnis einer analogen Anwendung dieser Norm auch keine allgemeine Aussage dahin zu entnehmen sein, dass für eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zu den für Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG berücksichtigten Punkten nur solche hinzugerechnet werden können, die der Fahrerlaubnisbehörde nach diesen Maßnahmen bekannt geworden sind. Ein solches Verständnis gibt – wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt – schon der Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG nicht her. Es ist auch vor dem Hintergrund der Systematik des § 4 StVG sowie des Gesetzeszwecks bzw. des gesetzgeberischen Willens nicht geboten.
Für die Rechtmäßigkeit der einzelnen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG auszusprechenden Maßnahmen sind die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG übermittelten Zuwiderhandlungen maßgeblich (BVerwG, Urt. v. 26.1.2017, 3 C 21.15, BVerwGE 157, 235, juris Rn. 22). Die Punkte ergeben sich gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG mit der rechtskräftigen Ahndung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Für die einzelnen Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG kommt es also auf den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde an. Für die Rechtmäßigkeit einer Entziehung gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG ist mithin (allein) entscheidend, dass der Behörde acht Punkte bekannt sind, wobei eine Verringerung des Punktestandes etwa gemäß § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG wegen zwischenzeitlicher Tilgung oder gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG wegen des Versäumens einer Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 2 oder 3 StVG zu berücksichtigen ist. Für die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheides dürfte es unerheblich sein, wenn die Fahrerlaubnisbehörde auf der vorangegangenen Stufe versehentlich nur sechs statt tatsächlich bekannter sieben Punkte mitgeteilt hat und ihr zwischen der Verwarnung und der Entziehung lediglich ein weiterer Punkt bekannt geworden ist. Die Verwarnung begründet beim Adressaten weder ein schutzwürdiges Vertrauen hinsichtlich des darin angegebenen Punktestandes (Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 4 StVG Rn. 72) noch bindet sie die Fahrerlaubnisbehörde beim Erlass des Fahrerlaubnisentziehungsbescheides (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.12.2006, 3 B 49.06, NZV 2007, 486, juris Rn. 5 zur Unterrichtung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F.). Der in der Verwarnung mitgeteilte Punktestand gibt auch nicht in jedem Fall den Punktestand wieder, der sich aus den zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Verwarnung begangenen Verkehrsverstößen tatsächlich ergibt. So können etwa Punkte, die sich zwar wegen der rechtskräftigen Ahndung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit bereits gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ergeben haben, aber mangels Mitteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt gemäß § 4 Abs. 8 StVG noch nicht zur Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde gelangt sind, für die Verwarnung nicht berücksichtigt werden. Gleichwohl werden diese Punkte nach Kenntniserlangung durch die Fahrerlaubnisbehörde Anlass für die Fahrerlaubnisentziehung. Dass der Fahrerlaubnisinhaber also trotz der in § 4 Abs. 5 StVG der Fahrerlaubnisentziehung zwingend vorgeschalteten Maßnahmen nicht zwangsläufig zuverlässig über seinen Punktestand informiert ist, ist nach der Systematik der Vorschrift hinzunehmen.
Der Gesetzgeber wollte sich mit der Rechtsänderung zum 1. Mai 2014 ausweislich der Gesetzesbegründung von den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zum ursprünglichen System in seinem Urteil vom 25. September 2008 (Az. 3 C 3.07, BVerwGE 132, 48, juris) für das neue System mit den Erwägungen zur Punkteentstehung und zum Tattagprinzip bewusst absetzen. Wie das Verwaltungsgericht bereits ausgeführt hat, soll es nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Vielmehr soll es unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten und für das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, auf die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems ankommen (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 8.10.2014, BT-Drs. 18/2775, S. 9 f.). Mit § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass Verkehrsverstöße auch dann mit Punkten zu bewerten sind, wenn sie vor der Einleitung einer Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind, bei dieser Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnten, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt hat oder sie erst später im Fahreignungsregister eingetragen wurden oder der Behörde zur Kenntnis gelangt sind (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 8.10.2014, BT-Drs. 18/2775, S. 10; VGH München, Beschl. v. 23.5.2016, NJW 2016, 3193, juris Rn. 16).
Insofern kommt es zwar einerseits für das Ergreifen der Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 StVG auf die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde – hier der Antragsgegnerin – an, der Fahrerlaubnisinhaber – hier der Antragsteller – kann sich jedoch nicht darauf verlassen, dass sein Punktestand tatsächlich nicht höher ist, als in der Ermahnung bzw. Verwarnung mitgeteilt. Im Streitfall dürfte daher unerheblich sein, ob dem Antragsteller unter dem 12. Dezember 2016 nicht nur sechs, sondern sieben Punkte hätten mitgeteilt werden müssen. Abgesehen davon hätte auch die Berücksichtigung des der Antragsgegnerin am 12. Dezember 2016 bereits bekannten Verstoßes vom 16. März 2016 wegen der insoweit erreichten sieben Punkte ebenfalls (nur) eine Verwarnung nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 StVG gerechtfertigt. Jedenfalls dürften sich für den Antragsteller zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 15. Februar 2017 die in § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG vorausgesetzten acht Punkte ergeben haben.
Schließlich ist keine entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG zur Beseitigung der Folgen (mit Blick auf die Verwarnung vom 12. Dezember 2016 etwaig) rechtswidrigen Verwaltungshandelns geboten. Eine analoge Anwendung der Punktereduzierungsvorschriften könnte allenfalls bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Kraftfahrt-Bundesamtes oder der Fahrerlaubnisbehörde in Betracht kommen (vgl. VGH München, Beschl. v. 28.4.2016, 11 CS 16.537, NJW 2016, 2283, juris Rn. 13 in Bezug auf die verzögerte Übermittlung des Punktestandes durch das Kraftfahrt-Bundesamt). Hierfür ist im Streitfall, in dem ein Versehen vorliegen dürfte, indes nichts ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Abweichend von seiner früheren Streitwertfestsetzungspraxis und abweichend von den Empfehlungen in den Nr. 46.1 bis 46.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) legt das Beschwerdegericht seit seinem Beschluss vom 15. November 2017 (4 Bs 180/17, juris Rn. 32) in Hauptsacheverfahren, die die Entziehung oder den Widerruf einer Fahrerlaubnis betreffen, den zweifachen Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG (also 10.000,– Euro), sofern es sich um eine von einem Kraftfahrer, dessen berufliche Tätigkeit maßgeblich durch die Nutzung eines Kraftfahrzeugs geprägt ist, ausgenutzte Fahrerlaubnis handelt, und in allen übrigen Fällen den einfachen Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG (also 5.000,– Euro) zugrunde. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes werden diese Beträge entsprechend der Empfehlung in der Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit halbiert. Damit trägt das Beschwerdegericht dem Umstand Rechnung, dass für einen Kraftfahrer, dessen berufliche Tätigkeit maßgeblich durch die Nutzung eines Kraftfahrzeugs geprägt ist, die Abwendung des Verlusts der Fahrerlaubnis regelmäßig von größerer wirtschaftlicher Bedeutung ist als für einen sonstigen Kraftfahrer, der sein Kraftfahrzeug nur privat oder für die Fahrten zur Arbeitsstätte nutzt. In Verfahren der vorliegenden Art geht es allein um die Berechtigung zur Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr. Das Maß der Betroffenheit hängt nicht von den einzelnen Fahrerlaubnisklassen ab, nach denen die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit differenzieren (so auch OVG Münster, Beschl. v. 4.5.2009, 16 E 550/09, juris Rn. 2).
Da der Antragsteller nach eigenen Angaben als Kurierfahrer für ein Transportunternehmen arbeitet, ist davon auszugehen, dass seine berufliche Tätigkeit maßgeblich durch die Nutzung eines Kraftfahrzeugs geprägt ist. Damit ist der Streitwert für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,– Euro festzusetzen.