VG Düsseldorf – Az.: 14 L 338/20 – Urteil vom 22.04.2020
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 1000/20 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 17. Februar 2020 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt wiederherstellen bzw. anordnen, wenn bei einer Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies kommt dann in Betracht, wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder aus anderen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Vorliegend überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
In formeller Hinsicht genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung dem in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO normierten Begründungserfordernis. Der Antragsgegner war sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst und hat dies in der angefochtenen Verfügung hinreichend zum Ausdruck gebracht. Dem stehen auch möglicherweise formelhaft klingende Wendungen angesichts der Vielzahl vergleichbarer Verfahren und der jeweils sehr ähnlich gelagerten widerstreitenden Interessen nicht entgegen.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 19. März 2012 – 16 B 237/12 -, Rn. 2, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2014 – 16 B 89/14 – juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2014 – 16 B 1195/14 – juris; VGH Bayern, Beschluss vom 15. Juni 2009 – 11 CS 09.373 -, Rn. 19, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Januar 2012 – 6 L 1971/11 -, Rn. 2, juris.
Das Erlassinteresse und das Interesse an der sofortigen Vollziehung können – gerade im Gefahrenabwehrrecht – durchaus zusammenfallen, wobei die Frage, ob die Abwägung inhaltlich tragfähig ist, keinen Aspekt des Formerfordernisses gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO darstellt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2012 – 16 B 237/12 -, Rn. 2, juris; OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2008 – 13 B 1122/08 -, Rn. 4, 6, juris.
Die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 17. Februar 2020 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung auch in materieller Hinsicht als offensichtlich rechtmäßig. Die in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblich, hier also der 17. Februar 2020.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2008 – 3 C 26.07 -, Rn. 16, juris; OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2012 – 16 B 356/12 -, Rn. 6, juris.
Die Verfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV -). Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis der Fall (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV). Darüber hinaus ist dies dann der Fall, wenn ein gelegentlicher Cannabiskonsument erstmalig gegen das Trennungsgebot verstößt und die Prognose besteht, dass er auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigendem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird,
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14/17 – juris.
Danach ist der Antragsgegner zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist. Denn zum einen steht fest, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert hat und am 7. Februar 2016 den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV nicht trennen konnte. Das fehlende Trennungsvermögen ergab sich aus dem festgestellten THC-Wert von 9,1 ng/ml im Blutserum. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf die Ausführungen des Beschlusses der erkennenden Kammer vom 13. April 2017 (14 L 1394/17) – bestätigt durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 11. August 2018 (16 B 531/17) und das Urteil der erkennenden Kammer vom 10. April 2018 (14 K 5085/17) verwiesen. Ausweislich des Beschlusses des OVG NRW vom 8. April 2020 (16 A 1926/18) ist auch das Verfahren zur Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil nach Erklärung der Erledigung beider Beteiligter beendet und durch Beschluss vom 23. September 2019 wirksam eingestellt worden.
Zum anderen ist durch das seitens des Antragstellers vorgelegte Gutachten der Q. N. vom 8. Januar 2020 die Prognose belegt, dass zu erwarten ist, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln führen wird. Auf der Grundlage des Gutachtens steht fest, dass bei dem Antragsteller eine die Fahreignung ausschließende Drogenproblematik vorliegt.
Das Gutachten, das von wissenschaftlichen Spezialisten stammt, begegnet keinen inhaltlichen Bedenken. Die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen wurden angegeben. Diese sind aus Sicht des Gerichts auch ausreichend, um das Ergebnis plausibel zu begründen, da sie belegen, dass sich die Gutachter sowohl eingehend mit den Ursachen der Eignungszweifel des Antragstellers beschäftigt haben als auch in einem eingehenden Gespräch sich einen eigenen Eindruck von dem Antragsteller verschafft haben. Das Ergebnis, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln führen wird, ist demnach schlüssig und nachvollziehbar.
Denn das Gutachten führt unter anderem aus, dass zwischen der Darstellung im Untersuchungsgespräch zum Ausmaß des Drogenkonsums und den aktenkundigen Informationen Widersprüche bestünden, die auf eine Verdeckung der tatsächlichen Konsumgewohnheiten und/oder auf eine bisher unzureichende Auseinandersetzung mit dieser Thematik verweisen. So hat der Antragsteller bei den beiden Verkehrskontrollen im Februar und im April 2016 gegenüber den Polizeibeamten angegeben, seit 20 Jahren, bzw. seit 30 Jahren in regelmäßigen Abständen Cannabis zu konsumieren, während er gegenüber den Gutachtern angegeben hat, im Februar 2016 erstmalig Cannabis konsumiert zu haben. Aufgrund widersprüchlicher Angaben sei auch keine abschießende Einschätzung der Problemtiefe möglich, müsse aber auf eine weiterhin akut bestehende bzw. ungeklärte Drogenproblematik verwiesen werden und sei eine weitergehende Auseinandersetzung erforderlich.
Dem Antragsgegner war in Folge der fehlenden Fahreignung des Antragstellers gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG kein Ermessen bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis eingeräumt.
Dabei kann es dahinstehen, ob die Gutachtenanordnung rechtmäßig war, insbesondere vor dem Hintergrund des Zeitablaufes seit der Verkehrsauffälligkeit. Denn nach dem Bekanntwerden des Gutachtens bei der Fahrerlaubnisbehörde stellt dieses eine neue Tatsache im Verfahren dar, der eine selbständige Bedeutung zukommt,
vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1982 – 7 C 69/81 – juris.
Das Gericht weist allerdings darauf hin, dass die Anordnung als verhältnismäßig erscheint, da nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Fahrungeeignetheit des Antragstellers aufgrund des gelegentlichen Cannabiskonsums und des einmaligen Verstoßes gegen das Trennungsgebot nicht feststand. Auch ist der Erlass der Gutachtenanordnung ohne Ermessensfehler erfolgt. Denn in der Regel ist die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich, wenn ein gelegentlicher Cannabiskonsum feststeht und einmalig gegen das Trennungsgebot verstoßen wurde.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14/17 – juris, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, § 11 FeV, Rdnr. 51 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Oktober 2019- 6 L 2406/19 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Dezember 2019 – 14 L 3150/19 – juris.
Danach hat der Antragsgegner das Ermessen, ob er die medizinisch-psychologische Untersuchung anordnet, fehlerfrei betätigt, indem er das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs mit der Belastung des Antragstellers mit der Gutachtenerstellung abgewogen hat und richtigerweise zu dem Ergebnis gelangt ist, dass nur durch die Vorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens festgestellt werden kann, ob der Antragsteller auch zukünftig ein Fahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis führen wird.
Auch ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Antragsgegner vor Erlass der Ordnungsverfügung hätte verpflichtet sein sollen, dem Antragsteller die Gelegenheit zum Erbringen von Abstinenznachweisen einzuräumen.
Denn die mit Verfügung vom 10. Oktober 2019 gesetzte Frist von 2 Monaten war nicht zu beanstanden. Dabei ist die Frist nach den Umständen des Einzelfalls festzulegen. Sie muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände eine fristgerechte Vorlage des geforderten Gutachtens möglich und zumutbar ist. Dabei muss eine Gutachterstelle zur Erstellung des Gutachtens über die aktuelle Fahreignung tatsächlich in der Lage sein. Dies ist auch bei einer Frist von 2 Monaten in der Regel der Fall,
vgl. : Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, § 11 FeV, Rdnr. 51 ff..
Die Fahrerlaubnisbehörde muss die Frist grundsätzlich nicht so bemessen, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, innerhalb der Frist ein Drogenabstinenzprogramm zu absolvieren, um seine Fahreignung wiederzuerlangen. Denn der Sinn der Gutachtensanordnung besteht in der Klärung, ob der Betroffene gegenwärtig geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist,
vgl. : Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, § 11 FeV, Rdnr. 51 ff.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. August 2018 – 11 CS 18.1398 – juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. September 2015 – 10 S 1667/15 – juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Dezember 2019 – 14 L 3150/19 – juris.
Dabei ist die Gutachtenfrage nur auf die Feststellung gerichtet, ob der Antragsteller künftig gegen das Trennungsgebot verstoßen wird. Der gelegentliche Cannabiskonsum ist fahrerlaubnisrechtlich unbedenklich, solange er vom Führen eines Kraftfahrzeuges getrennt wird, so dass die Cannabisabstinenz allein nicht zwingend nötig ist, um ein positives Gutachten erhalten zu können,
vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 6 L 2406/19 – juris.
Hat der Antragsteller indes ein negatives Gutachten vorgelegt, das – wie hier – schlüssig seine Fahrungeeignetheit belegt, so ist ein Zuwarten mit ordnungsbehördlichen Maßnahmen bis zum Abschluss eines Drogenabstinenzprogramms regelmäßig aus Gründen der Effektivität der Gefahrenabwehr untunlich, da ein derartiges Vorgehen regelmäßig nicht mit dem übergeordneten Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern zu vereinbaren ist,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 2012 – 16 A 1928/11 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Dezember 2019 – 14 L 3150/19 – juris.
Auch die Interessenabwägung im Übrigen geht zu Lasten des Antragstellers aus. Denn in aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 -, Rn. 50 ff., juris; BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 – 2 BvQ 30/00 -, Rn. 4, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2012 – 16 B 944/12 -, Rn. 11, juris; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012 – 16 B 1106/12 -, Rn. 7, juris.
Rechtliche Bedenken gegen die in der Ordnungsverfügung vom 17. Februar 2020 getroffenen sonstigen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.
Die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins folgt aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FeV. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene Zwangsgeldandrohung ist gemäß §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klassen wird in Klageverfahren nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012 – 16 B 1106/12 -, Rn. 9, juris,
der das Gericht folgt, mit dem Auffangwert des GKG angesetzt. Im Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich dieser Betrag um die Hälfte.