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Fahrerlaubnisentziehung – akute polymorphe psychotische Störung

Psychische Erkrankung führt zu Fahrerlaubnisentzug

Eine akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie begründet auch lange nach dem letzten Auftreten bei unklarer Drogenabstinenz Zweifel an der Fahreignung, was zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen kann. Der Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde nicht stattgegeben, da nicht hinreichend dargelegt werden konnte, dass die Störung überwunden sei und keine weiteren psychotischen Episoden zu erwarten sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 12 PA 65/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen hat entschieden, dass langfristige Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund einer psychotischen Störung mit Schizophrenie-Symptomen gerechtfertigt sind, besonders bei unklarer Drogenabstinenz.
  • Die Beschwerde gegen die Fahrerlaubnisentziehung wurde abgelehnt, da der Kläger weder eine überwundene Störung noch eine dauerhafte Drogenabstinenz glaubhaft machen konnte.
  • Ein ärztliches Gutachten zur Fahreignung wurde angefordert, weil frühere Diagnosen und unklare Drogenabstinenz ausreichend Zweifel an der Eignung zum Führen eines Fahrzeugs begründeten.
  • Die Weigerung, das angeforderte Gutachten vorzulegen, kann zur Annahme der Nichteignung führen, wenn die Anordnung zur Begutachtung rechtlich einwandfrei ist.
  • Die Verfahrenskosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
  • Das Gericht sieht von einer weiteren Begründung seiner Entscheidung ab und bezieht sich auf die zutreffenden Gründe der Vorinstanz.
  • Die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung wurde verneint, weshalb die Prozesskostenhilfe versagt wurde.
  • Die Frage der Zustellung und formelle Aspekte der Zustellungsurkunden beeinflussen nicht die materielle Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung.

Psychische Erkrankungen und Fahreignung

Eine psychische Störung kann weitreichende Auswirkungen auf die Fahreignung haben. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine vorübergehende oder dauerhafte Erkrankung handelt. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Symptome und deren mögliche Auswirkungen auf das Fahrverhalten.

Bestehen Zweifel an der Kraftfahreignung, kann die Fahrerlaubnis entzogen werden. Dies dient dem Schutz des Betroffenen selbst sowie der Verkehrssicherheit insgesamt. Eine wichtige Rolle spielen hierbei ärztliche Gutachten, die die psychische Verfassung und Fahrtüchtigkeit eingehend untersuchen.

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➜ Der Fall im Detail


Fahrerlaubnisentziehung bei psychotischer Störung

In einem bemerkenswerten Fall vor dem Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Aktenzeichen 12 PA 65/23, stand die Fahrerlaubnisentziehung eines jungen Mannes aufgrund einer akuten polymorphen psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie im Mittelpunkt. Der Kläger, geboren im Jahr 2002, wandte sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig, welche ihm Prozesskostenhilfe verweigerte und damit indirekt seine Chancen auf Erfolg in einem Verfahren zur Wiedererlangung seiner Fahrerlaubnis minimierte. Die Kernfrage des Verfahrens drehte sich um die Bewertung der Fahreignung bei bestehenden psychischen Erkrankungen und fraglicher Drogenabstinenz.

Der Weg zur Fahrerlaubnisentziehung

Der Fall begann, als der Kläger im Februar 2020 eine Fahrerlaubnis der Klasse B beantragte. Aufgrund seiner medizinischen Vorgeschichte und des Verdachts auf Drogenkonsum forderte die zuständige Behörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Überprüfung seiner Fahreignung. Trotz erfolgter Klage gegen frühere Entscheidungen der Behörde und der Rücknahme einer Kostenfestsetzung blieb die Anforderung des Gutachtens bestehen. Als der Kläger das geforderte Gutachten nicht vorlegte, wurde sein Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis im Februar 2023 abgelehnt.

Die gerichtliche Entscheidung

Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen bestätigte in seinem Beschluss die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung. Die Richter stellten fest, dass die akute polymorphe psychotische Störung des Klägers, selbst mehr als zwei Jahre nach deren nachweislichem Auftreten, berechtigte Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aufwarf. Besonders problematisch erschien die unklare Drogenabstinenz des Klägers, die im Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung als Risikofaktor bewertet wurde.

Rechtliche Erwägungen und Begründungen

Das Gericht legte dar, dass nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG und § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV die Fahreignung eines Bewerbers unter anderem von seiner geistigen und körperlichen Eignung abhängt. Die Weigerung des Klägers, das angeforderte Gutachten vorzulegen, ermöglichte der Behörde, auf seine Nichteignung zu schließen. Die Richter betonten, dass die Diagnose einer akuten polymorphen psychotischen Störung mit schizophrenen Symptomen nach Nr. 7 der Anlage 4 der FeV signifikante Bedenken hinsichtlich der Fahreignung begründet.

Folgen der Entscheidung

Der Kläger muss die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen, und es wurden ihm keine außergerichtlichen Kosten erstattet. Diese Entscheidung unterstreicht die strenge Haltung der deutschen Rechtsprechung hinsichtlich der Fahreignung bei psychischen Erkrankungen und Drogenmissbrauch. Sie verdeutlicht, dass die Sicherheit im Straßenverkehr und der Schutz der Allgemeinheit oberste Priorität haben, selbst wenn dies strenge Anforderungen an die Fahreignung von Einzelpersonen stellt.

Zusammenfassend zeigt der Fall 12 PA 65/23 des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen die Komplexität und Sensibilität bei der Beurteilung der Fahreignung von Personen mit psychischen Erkrankungen und/oder Drogenproblematik. Die Entscheidung macht deutlich, dass die Anforderungen an die Fahreignung nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit und das Verhalten in Bezug auf den Konsum von Betäubungsmitteln umfassen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was bedeutet Fahrerlaubnisentziehung aufgrund einer psychotischen Störung?

Die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund einer psychotischen Störung basiert auf der Annahme, dass bestimmte psychische Erkrankungen die Fahrtüchtigkeit einer Person erheblich beeinträchtigen können. Dies betrifft insbesondere die Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen. Die rechtlichen und medizinischen Grundlagen für diese Praxis sind in verschiedenen Quellen dokumentiert und basieren auf der Einschätzung, dass Personen mit akuten oder chronischen psychotischen Störungen unter Umständen nicht in der Lage sind, die Realität angemessen wahrzunehmen, was eine realistische Einschätzung der Verkehrssituation verhindert.

Rechtliche Grundlagen

Die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) und die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung legen fest, dass Personen, die an bestimmten psychischen Störungen leiden, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden können. Insbesondere wird auf die Ungeeignetheit bei affektiven Psychosen, wie manisch-depressiven Störungen, und bei akuten Phasen von Psychosen hingewiesen, da diese Zustände die für das Kraftfahren notwendigen psychischen Fähigkeiten erheblich herabsetzen können.

Medizinische Bewertung

Die medizinische Bewertung der Fahreignung bei Personen mit psychotischen Störungen erfolgt in der Regel durch Fachärzte für Psychiatrie, die über verkehrsmedizinische Qualifikationen verfügen. Diese Bewertung basiert auf einer umfassenden Untersuchung des psychischen Zustands der betroffenen Person, einschließlich der Beurteilung von Symptomen wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen, gestörtem Realitätsbezug und beeinträchtigtem Urteilsvermögen. Die Entscheidung über die Fahreignung berücksichtigt auch, ob die betroffene Person Medikamente einnimmt, die die Fahrtüchtigkeit beeinflussen können, und ob eine stabile medikamentöse Einstellung erreicht wurde.

Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis

Das Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis beginnt in der Regel mit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) durch die Fahrerlaubnisbehörde, wenn Zweifel an der Fahreignung bestehen. Die Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis basiert auf dem Ergebnis dieser Untersuchung. In Fällen, in denen eine psychotische Störung diagnostiziert wird und die Fahreignung als nicht gegeben angesehen wird, kann die Fahrerlaubnis entzogen werden. Dies dient dem Schutz der Allgemeinheit vor Gefährdungen im Straßenverkehr.

Zusammenfassend bedeutet die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund einer psychotischen Störung, dass eine Person aufgrund ihrer psychischen Erkrankung und der damit verbundenen Beeinträchtigungen als nicht fähig angesehen wird, ein Fahrzeug sicher zu führen. Die Entscheidung basiert auf einer sorgfältigen medizinischen und rechtlichen Bewertung, die das Ziel hat, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten.

Wie wird die Fahreignung bei psychischen Erkrankungen bewertet?

Die Bewertung der Fahreignung bei psychischen Erkrankungen ist ein komplexer Prozess, der sowohl medizinische als auch psychologische Aspekte berücksichtigt. Dieser Prozess ist darauf ausgerichtet, sicherzustellen, dass Personen mit psychischen Erkrankungen nur dann am Straßenverkehr teilnehmen, wenn ihre Erkrankung sie nicht daran hindert, ein Fahrzeug sicher zu führen. Die Bewertung erfolgt in der Regel durch eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU), die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung durchgeführt wird.

Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU)

Die MPU ist ein standardisiertes Verfahren, das dazu dient, die Fahreignung einer Person zu überprüfen, wenn Zweifel an ihrer Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs bestehen. Diese Zweifel können aufgrund von Verkehrsverstößen, aber auch aufgrund von psychischen Erkrankungen aufkommen. Die MPU besteht aus mehreren Komponenten:

  • Medizinische Untersuchung: Hierbei wird der allgemeine Gesundheitszustand der Person, einschließlich der psychischen Gesundheit, bewertet. Es wird geprüft, ob eine psychische Erkrankung vorliegt und wie diese behandelt wird.
  • Psychologisches Gespräch: In diesem Teil der Untersuchung wird die Person von einem Psychologen zu ihrer Lebenssituation, ihrem Verkehrsverhalten und ihrer Einstellung zum Fahren befragt. Besonderes Augenmerk liegt auf der psychischen Erkrankung, deren Behandlung und dem Umgang mit der Erkrankung im Alltag.
  • Leistungstests: Diese Tests überprüfen die kognitiven und motorischen Fähigkeiten der Person, die für das sichere Führen eines Fahrzeugs notwendig sind. Dazu gehören Tests zur Reaktionsfähigkeit, Konzentration und Belastbarkeit.

Bewertungskriterien

Bei der Bewertung der Fahreignung bei psychischen Erkrankungen werden verschiedene Kriterien herangezogen:

  • Stabilität der psychischen Erkrankung: Eine stabile psychische Verfassung über einen längeren Zeitraum ist ein wichtiges Kriterium. Bei Erkrankungen wie Schizophrenie oder affektiven Störungen wird geprüft, ob die Erkrankung gut eingestellt ist und keine akuten Phasen vorliegen.
  • Medikamenteneinnahme und Nebenwirkungen: Die Einnahme von Psychopharmaka und deren mögliche Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit werden berücksichtigt. Es wird geprüft, ob die Medikamente die Fahreignung beeinträchtigen.
  • Einsicht und Verantwortungsbewusstsein: Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, ob die Person ein Verständnis für ihre Erkrankung hat und verantwortungsvoll mit ihr umgeht. Dazu gehört auch die Bereitschaft, notwendige Behandlungen fortzuführen und Risiken für die Fahrsicherheit zu minimieren.

Die Bewertung der Fahreignung bei psychischen Erkrankungen ist ein individueller Prozess, der darauf abzielt, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten, ohne Personen ungerechtfertigt von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen. Die MPU bietet ein umfassendes Verfahren, um die Fahreignung unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände jeder Person zu bewerten.

Welche Rolle spielt die Drogenabstinenz bei der Bewertung der Fahreignung?

Die Drogenabstinenz spielt eine zentrale Rolle bei der Bewertung der Fahreignung, da der Konsum von Drogen signifikante Auswirkungen auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten einer Person haben kann, die für das sichere Führen eines Fahrzeugs erforderlich sind. Dies gilt insbesondere bei Personen mit psychischen Erkrankungen, bei denen der Drogenkonsum zusätzliche Risiken für die Fahreignung darstellen kann.

Einfluss von Drogen auf die Fahreignung

Drogenkonsum kann zu einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen führen, die die Fahreignung einer Person erheblich einschränken. Dazu gehören unter anderem verminderte Reaktionsfähigkeit, eingeschränktes Urteilsvermögen, veränderte Wahrnehmung und Koordinationsstörungen. Diese Effekte können das Risiko von Verkehrsunfällen erhöhen.

Drogenabstinenz als Voraussetzung für die Wiedererlangung der Fahreignung

Nach dem Entzug einer Fahrerlaubnis aufgrund von Drogenkonsum ist der Nachweis einer Drogenabstinenz oft eine Voraussetzung für die Wiedererlangung der Fahreignung. Die Dauer des geforderten Abstinenzzeitraums kann variieren, wobei in vielen Fällen eine Abstinenz von sechs Monaten bis zu einem Jahr oder sogar länger gefordert wird. Die Abstinenz wird in der Regel durch regelmäßige Tests, wie Urin- oder Haaranalysen, nachgewiesen.

Besondere Bedeutung bei psychischen Erkrankungen

Bei Personen mit psychischen Erkrankungen kann der Drogenkonsum zusätzliche Komplikationen verursachen. Bestimmte psychotrope Substanzen können beispielsweise psychotische Reaktionen hervorrufen oder bestehende psychische Störungen verschlimmern. Daher ist die Bewertung der Fahreignung bei Personen mit psychischen Erkrankungen besonders sorgfältig und unter Berücksichtigung des Drogenkonsums bzw. der Drogenabstinenz vorzunehmen.

Die Drogenabstinenz ist ein wesentlicher Faktor bei der Bewertung der Fahreignung, insbesondere bei Personen mit psychischen Erkrankungen. Der Nachweis einer Drogenabstinenz dient als Indikator dafür, dass eine Person die notwendigen Schritte unternommen hat, um ihre Fahreignung wiederherzustellen und das Risiko für die Verkehrssicherheit zu minimieren. Die Anforderungen an den Abstinenznachweis und die Dauer der Abstinenz können je nach individuellem Fall und den spezifischen Richtlinien der zuständigen Behörden variieren.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG (Straßenverkehrsgesetz)
    • Regelung zur Eignung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen. Relevant für den Fall, da die Fahreignung bei psychischen Erkrankungen und Drogenmissbrauch bewertet werden muss.
  • § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung)
    • Ermächtigt die Fahrerlaubnisbehörde, ein ärztliches Gutachten anzufordern, wenn Zweifel an der geistigen oder körperlichen Eignung des Fahrerlaubnisinhabers bestehen. Dies ist zentral, da im besprochenen Fall eine psychotische Störung vorlag.
  • § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV
    • Legt fest, dass bei Nichtvorlage des geforderten Gutachtens von der Nichteignung des Betroffenen ausgegangen werden darf. Entscheidend für die Argumentation der Behörde, die Fahrerlaubnis zu entziehen.
  • Anlage 4 der FeV
    • Spezifiziert, welche Erkrankungen und Störungen die Kraftfahreignung beeinflussen können. Hier relevant wegen der Erwähnung psychotischer Störungen und deren Einfluss auf die Fahreignung.
  • § 180 Satz 3 ZPO (Zivilprozessordnung)
    • Regelt das Zustellungsverfahren von Schriftstücken. Im Kontext des Falles wichtig für die Frage der wirksamen Zustellung des Gutachtenanforderungsbescheids.
  • § 154 Abs. 2 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung)
    • Bestimmt die Kostenpflicht im Falle des Unterliegens im Verfahren. Erklärt, warum der Kläger die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen musste.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen – Az.: 12 PA 65/23 – Beschluss vom 09.02.2024

Amtlicher Leitsatz

Eine akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie kann bei fraglicher Drogenabstinenz auch mehr als zwei Jahre nach ihrem nachweislichen Auftreten berechtigte Zweifel an der Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen.

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig – 6. Kammer – vom 12. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der 2002 geborene Kläger dagegen, dass ihm das Verwaltungsgericht durch den angefochtenen, als sogenannter Sammelbeschluss gefassten PKH-Beschluss vom 12. Mai 2023 (Bl. 370 ff. der Gerichtsakte [GA] = Dok. 7 der elektr. EF-Hauptakte) die am 8. März 2023 (Bl. 322 ff. GA) beantragte Prozesskostenhilfe für eine als Untätigkeitsklage erhobene Klage versagt hat.

Im Februar 2020 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Mit Schreiben vom 19. Januar 2021 (Az.: 32/36 41 01, S. 122 ff. der Beiakte – BA – 1) ordnete dieser an, dass der Kläger zum Nachweis seiner Kraftfahreignung bis zum 25. April 2021 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen habe. Am 23. Februar 2021 [Bl. 1 GA] hat der Kläger Klage erhoben (Az.: ). Mit Schreiben vom 14. März 2021 (Bl. 30 GA) hat er mitgeteilt, dass diese Klage gegen die Kostenfestsetzung mit Schreiben vom 19. Januar 2021 gerichtet sein solle und im Übrigen gegen eine Untätigkeit des Beklagten in Bezug auf den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. In Reaktion auf ein gerichtliches Schreiben vom 22. Juli 2021 hat der Beklagte am 30. August 2021 den Bescheid vom 19. Januar 2021 (Kostenfestsetzung) vollständig rückwirkend zurückgenommen (vgl. Bl. 208 GA). Eine teilweise Erledigungserklärung hat der Kläger daraufhin jedoch nicht abgegeben (vgl. Bl. 215 f. GA).

Mit Bescheid vom 16. Februar 2023 (Az.: 36 41 03 – V-FE, Bl. 313 ff. GA) hat der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und L abgelehnt.

Das Verwaltungsgericht hat die Versagung der Prozesskostenhilfe mit der mangelnden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO) begründet. Die – unter dem Aktenzeichen geführte – Klage habe keine hinreichende Erfolgsaussicht, soweit der Antragsteller die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und L anstrebe.

(1) Der Kläger dringe nicht mit dem Einwand durch, der Bescheid vom 16. Februar 2023 [Az.: 36 41 03 – V-FE, Bl. 313 ff. GA] sei, weil der Zusteller (D.) auf dem Sendungsumschlag [Bl. 357 GA] keine Unterschrift, sondern nur eine Paraphe geleistet habe, rechtlich nicht existent geworden.

(a) Eine namentliche Signatur auf dem Sendungsumschlag sei nach den gesetzlichen Vorgaben bereits nicht erforderlich. § 180 Satz 3 ZPO sehe lediglich vor, dass der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung vermerke. Dieses Erfordernis sei ausweislich der vom Kläger zur Gerichtsakte gereichten Kopie des Sendungsumschlags (Bl. 357 GA) gewahrt.

(b) Unabhängig hiervon habe das beschließende Gericht auch im Abgleich mit der Unterschrift auf der Zustellurkunde keinen Zweifel daran, dass der Zusteller (D.) auf dem Sendungsumschlag eine Unterschrift – und nicht lediglich eine Paraphe – geleistet habe.

(c) Selbst wenn man aber davon ausginge, dass das Erfordernis gemäß § 180 Satz 3 ZPO nicht gewahrt wäre, wäre von einer wirksamen Zustellung und Bekanntgabe des Bescheids auszugehen. Denn dem Kläger sei das Schreiben erkennbar tatsächlich zugegangen, was sich schon daraus ergebe, dass er eine Fotokopie des Sendungsumschlags zur Gerichtsakte übersandt habe. Dass er den Umschlag nicht geöffnet habe und den Inhalt nicht unmittelbar – sondern nur mittelbar über die ihm vonseiten des Gerichts übersandte Kopie des Bescheids vom 16. Februar 2023 – zur Kenntnis genommen habe, sei für die wirksame Zustellung des Bescheids gemäß § 180 ZPO nicht erforderlich.

(2) Auch im Übrigen habe die Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht. Insbesondere sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger die Erteilung der Fahrerlaubnis der begehrten Klassen B und L beanspruchen könne; der Bescheid vom 16. Februar 2023 [Az.: 36 41 03 – V-FE, Bl. 313 ff. GA], mit dem der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung abgelehnt habe, sei vielmehr aller Voraussicht nach rechtmäßig.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG setze die Erteilung einer Fahrerlaubnis u. a. voraus, dass der Bewerber geeignet sei, was dieser gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StVG nachweisen müsse. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV könne die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt würden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhaber begründeten. Weigere sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringe er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, dürfe nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung sei allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sei. Hiervon sei vorliegend aus den Gründen des Beschlusses vom 11. Mai 2023, mit dem das Gericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A1 und AM abgelehnt habe (6 B 77/23), auszugehen. Die Gründe griffen in entsprechender Weise auch in Bezug auf die Fahreignung hinsichtlich der beantragten Klassen B und L.

Die Gutachtenanordnung begegne hiernach in formeller Hinsicht keinen durchgreifenden Bedenken.

Der Beklagte habe den Kläger [auch materiell-rechtlich] zu Recht mit dem Schreiben vom 5. Juli 2022 aufgefordert, ein verkehrsmedizinisches Gutachten beizubringen. Auf der Grundlage des Entlassungsbriefs der E. -Klinik Hildesheim vom 21. März 2019 sei davon auszugehen, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt scherwiegend psychisch mit den Hauptdiagnosen akute polymorphe, psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie (ICD-10: F23.1) sowie psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: Schädlicher Gebrauch (ICD-10: F12.19) erkrankt gewesen sei und dies seine stationäre jugendpsychiatrische Behandlung einschließlich einer Medikation mit Chlorprothixen und Risperidon erforderlich gemacht habe.

(a) Diese Erkrankung habe zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtenanordnung, aber auch weiterhin hinreichende Zweifel an der Kraftfahreignung des Klägers im Sinne von § 11 Abs. 2 FeV begründet. Die für den Kläger diagnostizierte Erkrankung weise nach Nr. 7 der Anlage 4 der FeV eine hinreichende, potenzielle Relevanz für die Kraftfahreignung auf. Denn bei Psychosen schizophrenen Ursprungs bestehe auch nach Ablauf akuter Phasen die Kraftfahreignung hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen B und L nur, wenn keine Störungen nachweisbar seien, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigten (Nr. 7.6.2 der Anlage 4 der FeV). Um dies hinsichtlich des Klägers abzuklären, sei die mit dem Schreiben vom 5. Juli 2022 getroffene Anordnung verhältnismäßig und geboten.

Dem stehe der Zeitablauf seit der stationären Behandlung im Februar und März 2019 nicht entgegen. Es sei vom Kläger weder substantiiert dargelegt, geschweige denn belegt, noch sonst verlässlich ersichtlich, dass seine Erkrankung vollständig und dauerhaft überwunden sei und erhebliche Störungen im Sinne von Nr. 7.6.2 der Anlage 4 der FeV mit hinreichender Sicherheit für die Zukunft ausgeschlossen seien.

Ohne Erfolg wende der Kläger ein, er sei „mit positiver Prognose“ aus der stationären Behandlung entlassen worden.

Der Entlassungsbericht vom 21. März 2019 betone die Wichtigkeit einer fortgesetzten jugendpsychiatrischen oder jugendpsychotherapeutischen Behandlung, die eine fortgesetzte und ggf. angepasste Medikation umfasse. Bereits eine solche fortgesetzte Behandlung sei nicht – mit hinreichender Verlässlichkeit – festzustellen. Soweit der Kläger darlege, er habe sich ungefähr eineinhalb Jahre lang einer allgemeinen Therapie unter der Leitung von F. unterzogen, sei dies weder belegt, noch ergäben sich [daraus] Inhalt und Ergebnis der [geltend gemachten] Therapie und die fachliche Qualifikation von F..

Es komme hinzu, dass der Abschlussbericht des E. -Klinikums vom 21. März 2019 eine Abstinenz des Klägers von psychotropen Substanzen als vorrangig wichtig betone. Es sei nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen, dass der Kläger dies umgesetzt habe. Zwar verweise er auf sieben negative Ergebnisse von Drogensuchtests (Bl. 21 bis 28 GA), die im Zeitraum vom 2. Oktober 2019 bis zum 16. Juni 2020 mit seinem Urin durchgeführt worden seien. Selbst an seiner Abstinenz in diesem Zeitraum ergäben sich aber begründete Zweifel. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig sei in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (Az.: 852 Js 33470/20 sowie 650 Js 31350/20) aufgrund der Untersuchung einer Blutprobe des Klägers davon ausgegangen, dass er – vor Fahrtantritt mit einem Pkw im März 2020 – Cannabis konsumiert habe (S. 114a f. und S. 118a BA 1). Außerdem habe das Amtsgericht Goslar in seinem rechtskräftigen Urteil vom 27. Januar 2020 (vgl. S. 95a ff. BA 1) unter anderem ausgeführt, dass er im Zeitraum vom 18. bis 20. April 2019 – mithin nach seiner Entlassung aus der E. -Klinik – einen schweren Diebstahl begangen habe, nachdem er zuvor Betäubungsmittel und Alkohol konsumiert habe und dadurch enthemmt gewesen sei.

(b) Zur Begründung fortbestehender Zweifeln an der Kraftfahreignung des Klägers komme es deshalb keiner entscheidungserheblichen Bedeutung zu, dass er am 29. April 2020 – nach dem Eindruck der eingesetzten Polizeibeamten – „wirre Angaben“ zu einer angeblichen lebensbedrohlichen Verfolgung durch zwei Männer gemacht habe und trotz Anwesenheit der Beamten nicht bereit gewesen sei, die Garage, in der er sich verbarrikadiert gehabt habe, zu verlassen. Auch unter Berücksichtigung der nachträglichen Einlassung des Klägers zu den näheren Umständen dieses Geschehens und unabhängig von deren Plausibilität und Glaubhaftigkeit vermöge es die fortbestehenden Zweifel an seiner Kraftfahreignung nicht zu entkräften.

(c) Dass der Kläger zwischenzeitlich einen Schulabschluss erreicht und eine Berufsausbildung begonnen habe, vermöge die durch die attestierte Erkrankung begründeten Zweifel ebenfalls nicht zu entkräften, auch wenn dies Umstände seien, die zur Stabilisierung der Persönlichkeit beitragen könnten.

Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13. Juni 2023 nicht abgeholfen. Wegen der Einzelheiten der dafür maßgeblichen Gründe wird auf den genannten Beschluss (Dok. 35 der elektr. EF-Hauptakte) Bezug genommen, der den Beteiligten zur Kenntnisnahme übersandt worden ist.

II.

Die fristgerechte Beschwerde des Klägers vom 1. Juni 2023 gegen den am 19. Mai 2023 (Bl. 21 PKH-Heft) zugestellten PKH-Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 12. Mai 2023 – – bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung des Klägers (§ 166 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO) zu Recht verneint. Der Senat weist die Beschwerde des Klägers daher aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück, soweit diese Gründe oben unter I. 1. a), c) und d) und unter I. 2. wiedergegeben werden. Er sieht insoweit von einer weiteren (eigenen) Begründung ab (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung, sondern lediglich die folgenden Ergänzungen der Erwägungen der Vorinstanz.

1. Wie dem Kläger bereits im Zuge der Eingangsbestätigung des Senatsvorsitzenden unter dem 8. Juni 2023 mitgeteilt worden ist, ordnet er unter I. seiner Beschwerdeschrift vom 1. Juni 2023 seine verschiedenen Begehren teilweise nicht richtig den Aktenzeichen zu, unter denen in erster Instanz Verfahren über sie geführt werden. Der Gegenstand der hier in Rede stehenden beabsichtigten Rechtsverfolgung sowie das erstinstanzliches Aktenzeichen des damit korrespondierenden erstinstanzlichen Klageverfahrens sind oben eingangs unter I. genannt.

2. Soweit sich die Klage weiter gegen die nach den glaubhaften Angaben des Beklagten bereits am 30. August 2021 aufgehobene Kostenfestsetzung durch den Bescheid vom 19. Januar 2021 richtet, bietet sie mangels Klagegegenstand und Rechtsschutzbedürfnis keine hinreichende Erfolgsaussicht.

3. Auch die mit seinem Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis verbundene Untätigkeitsklage des Klägers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der unter II. der Beschwerdeschrift vom 1. Juni 2023 geltend gemachte Beschwerdegrund, wonach entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 nicht wirksam zugestellt worden sei, weil die Zustellungsurkunde nicht mit einer Unterschrift der Zustellerin versehen sei, greift nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob die einschlägigen Zustellungsurkunde vom 6. Juni 2022 (Anlage 1 der Beschwerdeschrift des Klägers) von der Zustellerin auf eine im Rechtssinne als Unterschrift anzuerkennende Weise gezeichnet wurde oder auf nicht ordnungsgemäße andere Weise gezeichnet ist. Denn wie das Verwaltungsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 9. Juni 2023 zutreffend ausführt, ist das Erfordernis der Unterschriftsleistung gemäß § 182 Abs. 2 Nr. 8 ZPO (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwZG und § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG) keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung, sondern führt seine nicht ordnungsgemäße Erfüllung im Hinblick auf den Charakter der Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde im Sinne des (§§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO) lediglich dazu, dass § 419 ZPO (i. V. m. § 98 VwGO) zur Anwendung gelangen muss (vgl. BGH, Beschl. v. 20.1.2020 – AnwZ [Brfg] 54/19 -, juris, Rnrn. 10 ff.; Sächs. OVG, Urt. v. 10.11.2022 – 1 A 1081/17.A -, InfAuslR, 2023, 211 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 43). Der gegenteiligen Auffassung des Klägers, wonach der hier gerügte Mangel unleserlicher Unterzeichnung den in § 419 ZPO beispielhaft genannten äußeren Mängeln ungleichwertig sei, folgt der Senat nicht. Vielmehr zählen gerade unleserliche Stellen in einer Urkunde zu den anerkannten Anwendungsfällen der Norm (Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd. 5, 23. Aufl. 2015, § 419 Rn. 1). Damit tritt dann zwar an die Stelle der formellen Beweiskraft der öffentlichen Urkunde nur die freie Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ihres Originals im Hauptsacheverfahren, auf die hier perspektivisch zur der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs abzuheben ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 17.3.2023 – 12 ME 19/23 -, juris, Rnrn. 31 f.). Es ist aber nicht zu erkennen, dass diese Beweiswürdigung vorliegend voraussichtlich dazu führen würde, die Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 als nicht zugestellt zu betrachten. Da der Kläger nicht den tatsächlichen Zugang der Anordnung, sondern nur deren (formgerechte) Zustellung bestreitet, würde sich im Übrigen über § 8 VwZG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwZG) zum selben Ergebnis, also der Bejahung einer Zustellung, gelangen lassen.

4. Die vorstehenden Ausführungen unter II. 3. gelten entsprechend, soweit der Kläger unter II. seiner Beschwerdeschrift mit dem Argument nicht ordnungsgemäßer Unterzeichnung der Postzustellungsurkunde vom 21. Februar 2023 – Az.: 36 41 03 – V-FE 16.02.2023 – (Anlage 3 der Beschwerdeschrift) auch die formgerechte Zustellung des Versagungsbescheides vom 16. Februar 2023 in Abrede stellt.

5. Unter III. A. seiner Beschwerdeschrift wendet sich der Kläger gegen die Versagung der Fahrerlaubnis der Klassen B und L mit dem Argument, der Beklagte habe die Prüfungen des Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B einerseits und einer Notwendigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen AM und A 1 andererseits nicht in gesonderten Verwaltungsverfahren vorgenommen und damit gegen „grundsätzliche Strukturen des Verwaltungsrechts“ verstoßen. Es hätte ein eigenständiges Entziehungsverfahren eröffnet werden müssen, anstatt das durch seinen Antrag angestoßene Erteilungsverfahren zu „missbrauchen“ und in dieses „Leistungsverfahren“ auf die Entziehung der vorhandenen Fahrerlaubnis gerichtete behördliche Aktivitäten „einzuschleusen“.

Diese (vom Kläger weiter ausgeführten) Beschwerdegründe greifen nicht durch. Es kann insoweit dahinstehen, ob der Beklagte tatsächlich durchgängig nur ein einziges Verwaltungsverfahren im Sinne § 9 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) durchgeführt hat, in welchem er zugleich die Entscheidung über den Erteilungsantrag und die Entziehung der vorhandenen Fahrerlaubnis des Klägers vorbereitete, oder ob er, namentlich gegen Ende seiner Tätigkeiten, zwei getrennte Verwaltungsverfahren führte – wofür die in einem Buchstaben unterschiedlichen Aktenzeichen der beiden Bescheide vom 16. Februar 2023 sprechen könnten. Denn die Fahrerlaubnisbehörde entscheidet im Rahmen ihres Verfahrensermessens gemäß § 10 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG), ob sie wegen eines zusätzlichen Verfahrensgegenstandes (vgl. zum Begriff: Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs [Hrsg.], 10. Aufl. 2023, § 9 Rn. 108) ein laufendes Verwaltungsverfahren erweitert und als ein einheitliches Verwaltungsverfahren im Sinne der Verfahrenshäufung fortführt oder ob und wann sie ein gesondertes Verwaltungsverfahren über den neuen Verfahrensgegenstand einleitet bzw. abtrennt.

Eine Überschreitung oder ein Missbrauch dieses Ermessens sind nicht zu erkennen. Prüfstein für die Notwendigkeit getrennter Verwaltungsverfahren ist dabei die Überlegung, ob eine nachträgliche formlose Verbindung getrennt eingeleiteter Verfahren über die jeweiligen Verfahrensgegenstände zulässig wäre, insbesondere, wenn diese sich aus demselben Lebenssachverhalt ergeben und im zeitlichen Zusammenhang über sie entschieden werden soll (vgl. Schmitz, a. a. O., § 9 Rn. 110). Hiernach ist die Zulässigkeit eines einheitlichen Verwaltungsverfahrens über verschiedene Gegenstände weder davon abhängig, ob deren Regelung in einem oder mehreren formellen Verwaltungsakten erfolgen soll (vgl. Schmitz, a. a. O., § 9 Rn. 110), noch davon, dass alle Verfahrensgegenstände entweder einheitlich der Dispositionsmaxime unterliegen (also eines Antrags des Betroffenen bedürfen) oder aber der Offizialmaxime unterworfen sind (d. h. lediglich vom Regelungswillen der Behörde abhängen). Deshalb kann zum Beispiel bei angestrebter nachträglicher Legalisierung sogenannter „Schwarzbauten“ in demselben Verwaltungsverfahren – und wahlweise durch einen oder mehrere Bescheide – zugleich über die Ablehnung der beantragten Baugenehmigung entschieden und der Abriss des illegalen Gebäudes verfügt werden (vgl. Schmitz, a. a. O., § 9 Rn. 111).

Ähnlich liegt es auch im vorliegenden Fall, in welchem ebenfalls ein hinreichender Zusammenhang zwischen der begehrten Begünstigung und dem Eingriff besteht. Hier ist es nämlich nicht nur derselbe Lebenssachverhalt, aus dem sich gleichermaßen Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen sowohl der beantragten als auch der innegehabten Fahrerlaubnisklassen ergeben, sondern unter Berücksichtigung namentlich der Nr. 7.6 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV) stimmen auch die heranzuziehenden Beurteilungsmaßstäbe der Kraftfahreignung für alle in Rede stehenden Fahrerlaubnisklassen (der Gruppe 1) überein. Soweit der Beklagte in ein- und demselben Verwaltungsverfahren durch die – ausweislich ihres ersten Absatzes auf der Seite 2 (Bl. 307 GA) auch für den Kläger erkennbar – doppelt funktionale Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 zugleich die Voraussetzungen für einerseits die Erteilung der beantragten und andererseits die Entziehung der innegehabten Fahrerlaubnisklassen zu klären versucht hat, begegnet dies daher keinen rechtlichen Bedenken.

Dementsprechend liegt es auch neben der Sache, dass der Kläger dem Verwaltungsgericht gegen Ende seiner Ausführungen unter III. A. der Beschwerdeschrift vorwirft, es habe sich zum „Mitverantwortlichen“ bei einer unzulässigen „Einschleusung“ von Aktivitäten der Eingriffsverwaltung in die Leistungsverwaltung gemacht.

6. Unter III. B. seiner Beschwerdeschrift rügt der Kläger, die Vorinstanz habe unter Verstoß gegen § 300 ZPO (i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) versäumt, über seine Untätigkeitsklage unverzüglich nach Eintritt der Entscheidungsreife zu entscheiden. Wie schon in seiner Klageschrift vom 6. März 2023 (Bl. 322 ff. [324 f.] GA) meint er, deshalb sei über diese Untätigkeitsklage unter Zugrundelegung nur der Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt zu entscheiden, zu dem diese Klage erstmalig entscheidungsreif gewesen sei. Da dieser Zeitpunkt derjenige ihrer Erhebung gewesen sei, hätten in dem unter dem Aktenzeichen geführten Gerichtsverfahren alle seither unternommen behördlichen Aufklärungsversuche des Beklagten, insbesondere die Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022, außer Betracht zu bleiben.

Dieser „Beschwerdegrund“ kann nicht zum Erfolg führen. Wie der Kläger ausweislich seiner Schriftsätze vom 10. Juli 2021 (S. 1, letzter Absatz, = Bl. 139 GA), 14. September 2021 (S. 1, mittlerer Absatz, = Bl. 215 GA) und 27. Oktober 2021 (S. 1, erster Absatz = Bl. 229 GA) zutreffend selbst erkannt hat, stellt die Untätigkeitsklage lediglich eine Sonderform der Verpflichtungsklage dar. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Begehrens auf Verpflichtung des Beklagten zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (hier: der Klassen B und L) ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 – BVerwG 3 C 14.01 -, NVwZ-RR 2002, 93 f., hier zitiert nach juris, Rn. 8; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.9.2023 – 13 S 517/23 -, ZfSch 2024, 53 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 23). Ist zu diesem Zeitpunkt eine ablehnende behördliche Entscheidung über den Erteilungsantrag ergangen, und hat der Kläger deren Ergehen nicht zum Anlass einer Erledigungserklärung genommen, so wird der Rechtsstreit grundsätzlich unter Einbeziehung des Ablehnungsbescheides fortgeführt, und das Begehren nach Aufhebung dieses Bescheides ist als „Anfechtungsannex“ vom Streitgegenstand der Verpflichtungsklage mitumfasst (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 40). Das hatte der Kläger in seinem Schriftsatz vom 10. Juli 2021 (S. 1, letzter Absatz, = Bl. 139 GA) wohl auch selbst erkannt. Hieran ändert sich nichts, sollte das zur Entscheidung berufene Verwaltungsgericht zuvor nicht zügig verhandelt und dadurch – etwa – gegen § 300 Abs. 1 ZPO (i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) verstoßen haben. Für eine entgegenstehende Annahme bietet insbesondere das von dem Kläger angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 1988 – BVerwG 4 C 26.88 – (BVerwGE 80, 178 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 13) keinen Anhaltspunkt. Es ist auch kein Bedürfnis für das von dem Kläger offenbar angedachte „Einfrieren“ der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidungsreife des Prozesses zu erkennen, um damit der Regelung des § 300 ZPO Nachdruck zu verleihen. Vielmehr steht zur Geltendmachung des Anliegens, von einer überlangen Verfahrensdauer verschont zu bleiben, die Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG i. V. m. § 173 Satz 2 VwGO) zur Verfügung.

Da das Prozesskostenhilfegesuch – worauf die Vorinstanz in ihrer Nichtabhilfeentscheidung zutreffend hinweist – erst nach dem Ergehen des Versagungsbescheides vom 16. Februar 2023 angebracht wurde, ist auch unter dem Blickwinkel seiner Bewilligungsreife keine Rückverlagerung der Betrachtung auf einen vor der Bescheidung liegenden Zeitpunkt möglich.

7. In seiner ergänzenden Beschwerdebegründung vom 2. Juni 2023 beanstandet der Kläger die seines Erachtens nicht hinreichende Aktualität der Anknüpfungstatsachen, die den Beklagten zu seinen Eignungszweifeln und der nachfolgenden Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 veranlassten.

Er macht u. a. geltend, aus dem Gebrauch verschiedener Drogen sei (lediglich) eine a k u t e polymorphe psychotische Störung entstanden, bei der es sich nicht um eine „einmalige Episode“ und keine „Erkrankung“ im Sinne des Straßenverkehrsrechts gehandelt habe. An die Beendigung seines Klinikaufenthalts mit positiver Prognose habe sich eine ungefähr einjährige Weiterbehandlung in der E. -Klinik unter Leitung von F. angeschlossen. Vor diesem Hintergrund sei auch der von dem Beklagten des Weiteren angeführte Grund für Eignungszweifel, nämlich der (einmalige) Cannabiskonsum vom 28. März 2020, sowohl wegen seines geringen Gewichts als auch im Hinblick auf die bis zu der Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 verstrichene Zeitspanne von 27 Monaten unerheblich.

Auch dieser Argumentation ist nicht zu folgen.

Soweit sich der Kläger auf eine Rechtsprechung beruft, die speziell zu § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ergangen ist, übergeht er zu Unrecht, dass weder der Beklagte in seiner Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 noch die Vorinstanz in ihrem hier angefochtenen Beschluss diese Rechtsnorm herangezogen hat. Ausweislich ihrer amtlichen Überschrift bezieht sich die Vorschrift nämlich auf die „Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel“, also auf Eignungszweifel (allein) nach Nr. 9 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Im vorliegenden Falle stehen aber Eignungszweifel im Hinblick auf eine akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie im Zentrum, auch wenn diese im Zusammenhang mit psychischen und Verhaltungsstörungen durch Cannabinoide aufgetreten ist und nebenher (zumindest) vereinzelt ein Kokainkonsum erfolgte (vgl. Schreiben des Klägers vom 16.2.2021, S. 2 f. = Bl. 133 f. BA 1). Die Begutachtungsanordnung ist dementsprechend zu Recht auf die einschlägigen §§ 11 Abs. 2, 46 Abs. 3 FeV gestützt.

Des Weiteren ist Folgendes zu berücksichtigen: Psychosen lassen sich nach ihren Ursachen einteilen. Man unterscheidet unter anderem nichtorganisch bedingte (endogene) Psychosen mit und ohne Symptome der Schizophrenie sowie substanzinduzierte Psychosen. Mischformen von beiden sind allerdings möglich und psychotische Störungen durch Substanzgebrauch heilen durch Abstinenz nicht immer vollständig aus. Bereits abgeklungene substanzinduzierte Psychosen können vielmehr erneut ausbrechen. Hierfür reicht unter Umständen bereits ein einmaliger Drogenkonsum (vgl. zum Vorstehenden: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 268 Aufl. 2020, Schlagworte: „Psychose“ und „Psychose, substanzinduzierte“).

Im vorliegenden Fall ist bislang nicht einmal geklärt, ob die akute polymorphe psychotische Störung des Klägers, die – selbstverständlich – als eine (zumindest damals) die Kraftfahreignung ausschließende Erkrankung einzuordnen ist, allein substanzinduziert war oder auch eine Mischform von endogener und substanzinduzierter Psychose vorgelegen hat. Unklar ist deshalb zudem, mit welcher Wahrscheinlichkeit mit (weiteren?) psychotischen Episoden des schizophrenen Formenkreises (vgl. dazu Laux, in: Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 236 f., unter 4.3) vor dem Hintergrund der nachweislich nicht durchgängigen Drogenabstinenz des Klägers zu rechnen ist. Im Hinblick darauf, dass bei diesem (laut Abschlussbericht der E. -Klinik vom 21.3.2019 – S. 88a ff. [89] BA 1) zudem eine (sieben Jahre medikamentös behandelte) ADHS-Erkrankung festgestellt wurde und deren Symptome bei 60% der Betroffenen bis ins Erwachsenenalter fortbestehen (vgl. Dittmann/Strohbeck-Kühner, in: Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a. a. O., S. 410, unter B. I.), dürfte ferner eine Komorbidität zwischen der aufgetretenen (zumindest auch) substanzinduzierten psychotische Störung und dieser ADHS-Erkrankung in Betracht zu ziehen sein (vgl. Dittmann/Strohbeck-Kühner, a. a. O., S. 410, unter II.). Solche Komorbiditäten sind indessen von zentraler Bedeutung im Hinblick auf das Risiko der von ihnen Betroffenen, einen Verkehrsunfall zu verursachen oder Verkehrsverstöße zu begehen (vgl. Dittmann/Strohbeck-Kühner, a. a. O., S. 411, unter IV).

Aufgrund mehrerer sich möglicherweise verschränkender Besonderheiten des vorliegenden Falles ist es daher verfehlt, die aufgetretenen psychischen Auffälligkeiten des Klägers und den damit in Zusammenhang stehenden Drogenkonsum nur als Ausdruck einer offensichtlich durch Zeitablauf überholte Pubertätskrise zu betrachten. Die Art der in Betracht zu ziehenden Fahreignungsmängel lässt es vielmehr nicht zu, den zum Zeitpunkt der Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 bestehenden Anhaltspunkten schon damals keine verkehrsmedizinische und fahrerlaubnisrechtliche Relevanz mehr beizulegen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger beweiskräftige Unterlagen über einen etwaigen Behandlungserfolg der F. nicht beigebracht hatte.

Für die hier angegriffenen behördlichen Maßnahmen bedeutete das Folgendes: Die Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 ist bereits allein im Hinblick auf die Ansatzpunkte für Eignungszweifel gerechtfertigt und geboten, die sich aus dem Klinikaufenthalt des Klägers, dem Inhalt des Entlassungsberichts und daraus ergaben, dass er am 28. März 2020 erneut mit dem Konsum von Cannabis polizeilich aufgefallen war. Den oben unter I. 2. b) wiedergegebenen Gründen des Verwaltungsgerichts ist in dem Sinne zuzustimmen, dass das Geschehen vom 29. April 2020 im gerichtlichen Verfahren nicht entscheidungserheblich ist, weil das Ermessens des Beklagten, die Kraftfahreignung des Klägers durch ein ärztliches Gutachten aufzuklären, zum Zeitpunkt des Ergehens der Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 auf null reduziert war.

Jedenfalls im Zusammenhang mit dieser Ermessensreduktion kann dann auch dahinstehen, welchen Wahrheitsgehalt die eigenen Angaben des Klägers über die Ereignisse am 29. April 2020 haben. Denn der Kläger vermag sich auch nicht erfolgreich darauf zu berufen, er habe der Anordnung vom 5. Juli 2022 (schon) deshalb nicht folgen müssen, weil diese – sei es auch unnötigerweise – zusätzlich mit den (angeblich) missdeuteten Ereignissen vom 29. April 2020 begründet worden sei. Vielmehr hätte er ihr selbst dann nachkommen und diese Obliegenheit erkennen müssen, wenn sich das Geschehen vom 29. April 2020 genauso zugetragen hätte, wie er es unter dem 16. Februar 2021 (vgl. Bl. 135 f. BA 1) behauptet hat.

Das ergibt sich aus Folgendem: Die (im Kern unbestrittenen) polizeilich festgestellten (vgl. Bl. 25 BA 1) Tatsachen, dass er sich durch Dritte bedroht gefühlt, aber gleichwohl geweigert hatte, im Beisein der herbeigeeilten Polizei aus der Garage zu kommen, deuteten hinreichend auf ein mögliches Wiederaufleben seiner Wahnvorstellungen hin. Allenfalls die in seiner Einlassung vom 16. Februar 2021 (Bl. 135 f. BA 1) behaupteten Zusatztatsachen (namentlich die angebliche Einflussnahme eines Freundes darauf, das Garagentor nicht im Beisein der Polizei zu öffnen) könnten diese Bedeutung der amtlichen festgestellten Tatsachen relativieren. Bis zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der behördlichen Anordnung vom 5. Juli 2022 hatte der Kläger diese Zusatztatsachen aber nicht hinreichend substantiiert offenbart; geschweige denn glaubhaft gemacht. Seine Einlassung vom 16. Februar 2021 (Bl. 135 f. BA 1) enthielt nicht einmal den – doch offensichtlich wesentlichen – Namen seines angeblichen Freundes aus der Garage. Folglich durfte der Kläger auch nicht erwarten, sein Vorbringen werde vom Beklagten für etwas Anderes als eine Schutzbehauptung gehalten werden. Vielmehr hat er dieser Würdigung durch das Zurückhalten (wesentlicher) Informationen anlässlich seiner Einlassung vom 16. Februar 2021 selbst gefördert. Er kann sich dann aber im Ergebnis nicht sogar besser stehen, als wenn man ihm seine „Erzählung vom Freund in der Garage“ einfach geglaubt und daher die in der Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 genannten Eignungszweifel nur aus den oben als ausreichend genannten Geschehnissen hergeleitet hätte.

Davon abgesehen begegnet die Schilderung der Ereignisse des 29. April 2020 durch den Kläger (vgl. Bl. 135 f. BA 1) durchgreifenden Zweifeln an ihrer Glaubhaftigkeit. Es ist schon nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen mehrere Erwachsene einen Heranwachsenden und einen Jugendlichen von außen durch das Fenster einer verschlossenen Garage mit (vermeintlich) tödlichen Waffen bedrohen sollten. Die Annahme, ein (geistig völlig unbeeinträchtigter) Heranwachsender würde sich diese Frage nicht vorlegen und grobe Scherze Jugendlicher nicht als solche durchschauen, liegt daher eher fern. Auch erscheint es nicht als „normal“, zunächst um Hilfe zu rufen, dann aber beim Eintreffen der Polizei nicht zu öffnen, sondern (angeblich aus Freundschaft) ein Verhalten zu zeigen, das leicht ins Lächerliche hätte gezogen werden können. Im Allgemeinen haben Heranwachsende für derartige Situationen ein feines Gespür – und vermeiden sie nach Kräften. Die erst im Beschwerdeverfahren vorgelegte Versicherung an Eides Statt lässt nicht einmal erkennen, dass sich ihr Unterzeichner bewusst war, dass sie zur Abgabe bei einer dafür zuständigen Behörde bestimmt ist – was zu den Tatbestandsmerkmalen des § 156 StGB zählt, die der Vorsatz umfassen muss (vgl. Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 156 Rn. 6) – und dass ihre falsche Abgabe daher strafbar ist. Schon deshalb ist ihr Beweiswert gering.

8. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Gutachtenanordnung vom 5. Juli 2022 bestehen nicht. Die Erreichung eines Schulabschlusses und die Aufnahme einer Lehre lassen keine hinreichenden Schlüsse auf die Kraftfahreignung des Klägers zu.

9. Der Beklagte hatte seine Befugnis zur Aufklärung der Kraftfahreignung des Klägers am 5. Juli 2022 nicht verwirkt. Eine Verwirkung (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 24.10.2019 – 12 KS 118/17 -, juris, Rn. 88, m. w. N.) kann durch eine Reihe nicht rechtmäßiger oder anderweitig erfolgloser vorausgegangener Aufklärungsversuche nicht eintreten; es fehlt nämlich bereits am sogenannten Umstandsmoment, also der Untätigkeit des Berechtigten. Gerade aufgrund der fortgesetzten Aufklärungsversuche des Beklagten konnte sich kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darauf bilden, dass die Behörde künftig von ihrer Aufklärungsbefugnis keinen Gebrauch mehr machen würde (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 14.6.2023 – 11 CS 22.2675 -, juris, Rn. 29).

10. Der Kostenausspruch beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

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