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Bußgeldverfahren – Erstattungsfähigkeit der Kosten eines eingeholten Privatgutachtens

LG Detmold – Az.: 23 Qs – 37 Js-OWi 1680/16 – 45/19 – Beschluss vom 14.05.2019

Der Beschluss des Amtsgericht vom 17. Januar 2019 wird aufgehoben und der Antrag des Beschwerdegegners vom 22. Januar 2018 bzw. 16. August 2018 zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse zur Last gelegt.

Gründe

I.

Durch Bußgeldbescheid des Kreises vom 17. August 2016 wurde gegen den Beschwerdegegner wegen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h, festgestellt bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsmesssystem PoliScan Speed, ein Bußgeld in Höhe von insgesamt 108,50 Euro festgesetzt. Der Bußgeldbescheid wurde dem Beschwerdegegner am 18. August 2016 zugestellt.

Mit Schreiben vom 22. August 2016 legte der Beschwerdegegner durch seinen damaligen Verteidiger Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Ein Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sei ihm nicht möglich gewesen, da ihm ein schwarzer Audi derart dicht aufgefahren sei, dass er zunächst auf 250 km/h beschleunigt habe, um die gefährliche Situation aufzulösen. Der Audi sei ihm jedoch weiterhin dicht gefolgt. Hätte er nun in dieser Situation so stark abgebremst, wie es nötig gewesen wäre, um nur noch mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu fahren, hätte er wegen des sehr dicht auffahrenden Audi sein Leben bzw. dasjenige des Audi-Fahrers oder sonstiger Verkehrsteilnehmer gefährdet. Nach Wechsel seines Verteidigers beantragte der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 06. Februar 2017, das Ordnungswidrigkeitsverfahren einzustellen. Unter Verweis auf verschiedene amtsgerichtliche Entscheidungen sei das Messverfahren nicht geeignet, den Tatnachweis hinreichend zu begründen. Im Vergleich zu anderen im Bundesgebiet angewandten Messverfahren sei unter Ausführung technischer Details die technische Nachprüfbarkeit nicht gegeben. Es ergäben sich Toleranzen von bis zu 20 km/h. Das könne nicht der Anspruch auf Nachprüfbarkeit sein.

Auf die Hauptverhandlung vom 18. Mai 2017 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 23. Mai 2017 ein Sachverständigengutachten eingeholt, um zu überprüfen, ob die Messung des Fahrzeugs des Betroffenen technisch einwandfrei erfolgt ist oder ob eine Fehlmessung vorliegt. Aufgrund der Hauptverhandlung vom 27. November 2017 hat das Amtsgericht mit Urteil vom selben Tage den Beschwerdegegner freigesprochen und die Kosten, auch die notwendigen Auslagen des Beschwerdegegners, der Staatskasse auferlegt.

Mit Schreiben vom 22. Januar 2018 hat der Beschwerdegegner über seinen Verteidiger beantragt, Kosten eines Privatgutachtens in Höhe von 618,80 Euro zu erstatten. Es sei zur Vorbereitung der Hauptverhandlung ein Gutachten in Auftrag gegeben worden, das die möglichen Mängel an der Messung aufgezeigt habe. Das habe letztlich dazu geführt, dass das Amtsgericht ein Hauptgutachten in Auftrag gegeben habe. Mit Schreiben vom 16. August 2018 hat der Beschwerdegegner durch seinen Verteidiger erneut die Kostenerstattung für das Privatgutachten beantragt. Die Kostenerstattung sei geboten, da der Beschwerdegegner freigesprochen worden sei und dieser Freispruch auf den vorherigen Erkenntnissen des eigenständig eingeholten Gutachtens beruhe.

Das Amtsgericht hat eine Stellungnahme des Bezirksrevisors bei dem Landgericht eingeholt. Er hält die Sachverständigenkosten als Kosten eigener Ermittlungen grundsätzlich nicht für notwendig. Die Beweiserhebung obliege grundsätzlich gemäß § 71 Abs. 2 OWiG dem erkennenden Gericht. Zunächst seien die prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen gewesen. Nur wenn der Beschwerdegegner ausnahmsweise nicht damit rechnen durfte, dass ein gerichtliches Sachverständigengutachten eingeholt werde, sei eine eigene Beweiserhebung veranlasst. Dafür habe vorliegend jedoch keine Veranlassung bestanden. Das Gutachten sei bereits im Januar 2017 eingeholt worden. Das Gericht sei von diesem Gutachten jedoch gar nicht in Kenntnis gesetzt worden.

Der dazu angehörte Beschwerdegegner hat mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2018 ausgeführt, die Einholung des privaten Gutachtens sei erforderlich gewesen, um auch den geeigneten Beweisantrag in der Hauptverhandlung zu stellen. Das verwendete Messgerät stelle grundsätzlich ein standardisiertes Messverfahren dar. Auf einen pauschalen Hinweis der Unrechtmäßigkeit sei das Gericht zu einer Überprüfung nicht verpflichtet gewesen.

In der darauf erfolgten Stellungnahme des Bezirksrevisors des Landgericht vom 27. Dezember 2018 hat der Bezirksrevisor im Wesentlichen auf seine Stellungnahme vom 04. Oktober 2017 verwiesen.

Das Amtsgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 17. Januar 2019 die Kosten des Privatgutachtens in Höhe von 618,80 Euro antragsgemäß als zu erstattende notwendige Auslagen festgesetzt. Das Amtsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Vortrag der Verteidigung, dass die Einholung eines unabhängigen Gutachtens erst aufgrund des privat erstellten und dem Gericht vorliegenden Gutachtens erfolgt sei und andere Hinweise oder Anträge keine Chance auf eine gerichtliche Gutachtenbestellung gehabt hätten, plausibel sei. Die Kosten eines Gutachtens stünden in keinem Verhältnis zur Höhe der Geldbuße. Insofern hätte angesichts erheblicher Kosten des gerichtlichen Gutachtens (4.126,33 Euro) und der vergleichsweise geringen Bußgeldhöhe (80,00 Euro) das Gericht ohne ausdrückliche wissenschaftliche Hinweise auf eine fehlerhafte Messung wohl kein gerichtliches Gutachten in Auftrag gegeben. Die Anforderungen an die Darlegung einer konkreten Fehlmessung seien bei standardisierten Messverfahren erhöht, deshalb seien von Seiten der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte für eine technische Fehlfunktion vorzubringen, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen.

Dagegen hat der Bezirksrevisor des Landgerichts mit Schreiben vom 25. Januar 2019 sofortige Beschwerde eingelegt und mit Schreiben vom 26. März 2019 zur Begründung darauf verwiesen, dass die prozessualen Möglichkeiten in der Regel erst einmal auszuschöpfen seien und eigenen privaten Ermittlungen vorgingen. Nur wenn der Beschwerdegegner ausnahmsweise habe nicht damit rechnen dürfen, dass ein erforderliches Gutachten durch das Gericht eingeholt werde, seien die Kosten der privaten Einholung eines Gutachtens erstattungsfähig. Diese Voraussetzungen seien vorliegend jedoch nicht gegeben. Es sei nicht ersichtlich, dass das Privatgutachten zur Beauftragung des Gutachtens durch das Gericht geführt habe. Der Verteidiger habe mit Schriftsatz vom 06. Februar 2017 vielmehr nur auf eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen verweisen, die das angewandte Messverfahren als nicht standardisiert und als ungeeignet angesehen haben. Dass dem ein Privatgutachten zugrunde gelegen habe, sei nicht nachvollziehbar. Konkrete Anhaltspunkte für eine technische Fehlfunktion hätten sich bereits aus den amtsgerichtlichen Entscheidungen ergeben. Es gelte der Grundsatz der Amtsermittlung und -aufklärung.

II.

Die gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 464b Satz 3 StPO i. V. m. §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO, 304 Abs. 3, 311 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1.

Die vom Rechtspfleger in dem angefochtenen Beschluss dem Beschwerdegegner aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen für ein Privatgutachten in Höhe von 618,80 Euro sind zu Unrecht als erstattungsfähig anerkannt worden.

Gemäß §§ 467, 464a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind.

Grundsätzlich sind Aufwendungen für eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen des Beschuldigten nicht notwendig, weil die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte von Amts wegen zur umfassenden Sachaufklärung sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Beteiligten verpflichtet sind und entsprechende Beweisanträge oder -anregungen des Beteiligten selbst nachgehen und die beantragten Beweis, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, selbst erheben müssen. Die Kosten eines Privatgutachtens sind daher grundsätzlich nicht erstattungsfähig (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.1989, Az. 2 Ws 394/89, juris, Rn. 3).

Etwas anderes gilt nur in ganz besonderen, sehr seltenen Ausnahmefällen. Dann können derartige Aufwendungen als notwendig erachtet und damit erstattungsfähig sein. Voraussetzung ist jedoch, dass die durchgeführten Ermittlungen erforderlich erscheinen, weil die Ermittlungsbehörden den Anregungen nicht folgen und die Ermittlungen ohne Nachteil für den Betroffenen nicht bis zur Hauptverhandlung aufgeschoben werden können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.1989, Az. 2 Ws 394/89, juris, Rn. 3).

Die Voraussetzungen für eine nur in engbegrenzten Ausnahmefällen anerkannte Erstattung von Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens sind vorliegend nicht gegeben. Die durchgeführten Ermittlungen durch Einholung eines Privatgutachtens waren nicht erforderlich.

Es ist bereits in keiner Weise ersichtlich, dass der Beschwerdegegner seine Verteidigung überhaupt auf dieses Privatgutachten gestützt hat. Weder ist das betreffende Privatgutachten zu den Akten gereicht worden noch wird dieses in den Schriftsätzen der Verteidigung auch nur angesprochen. Die Begründung des Einspruchs wird vielmehr im Schreiben vom 06. Februar 2017 ausschließlich auf gerichtliche Entscheidungen von verschiedenen Amtsgerichten gestützt, die dem Schreiben sogar als Anlagen beigefügt sind. Dass die in diesem Schreiben vom 06. Februar 2017 geäußerten Bedenken hinsichtlich der Nachprüfbarkeit des Messverfahrens sich nicht nur auf die amtsgerichtlichen Entscheidungen, die dieses ausdrücklich problematisieren, sondern auch auf ein eingeholtes Privatgutachten zurückgehen, ist nicht ersichtlich. Dieses Gutachten lag dem Verteidiger zu diesem Zeitpunkt auch bereits vor. Denn die Rechnung des Privatsachverständigen datiert vom 31. Januar 2017. Auch zu keinem späteren Zeitpunkt wurde das Privatgutachten ausdrücklich in Bezug genommen. Vielmehr ist das eingeholte Gutachten erstmals im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens erwähnt worden.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich der Inhalt des Gutachtens in sonstiger Weise auf die Veranlassung des Gerichts zur Beweiserhebung ausgewirkt hat. Die erheblichen Bedenken gegen die Nachprüfbarkeit des angewandten Messverfahrens ergaben sich bereits aus den amtsgerichtlichen Entscheidungen, die sich ebenfalls auf Einholung sachverständigen Rats stützen. Insofern stand für den Beschwerdegegner nicht zu besorgen, dass das Amtsgericht die Rechtsmäßigkeit des Messverfahrens nicht von Amts wegen überprüfen würde.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

 

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