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Bußgeldverfahren – Auslagenerstattung bei Fehlverhalten des Betroffenen

LG Ulm – Az.: 2 Qs 46/20 – Beschluss vom 06.11.2020

In dem Bußgeldverfahren wegen Ordnungswidrigkeit hier: Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ehingen vom 17.09.2020 (Az.: 1 OWi 16 Js 1728/20) hat das Landgericht Ulm – 2. Große Strafkammer – am 06. November 2020 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Ehingen vom 17.09.2020 insoweit aufgehoben, als darin angeordnet wurde, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Im Bußgeldbescheid der Stadt Ehingen vom 21.10.2019, dem Betroffenen zugestellt am 24.10.2019, wird diesem zur Last gelegt, am 12.09.2019 um 11:59 Uhr in 89584 Ehingen als Führer eines Kraftomnibusses mit Fahrgästen die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 12 km/h überschritten zu haben, indem er statt der zulässigen 50 Stundenkilometer 62 km/h schnell gefahren sei. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels einer stationären Geschwindigkeitsüberwachungsanlage „Traffistar S330″. Gegen den Betroffenen wurde eine Geldbuße in Höhe von 60 Euro festgesetzt.

Am 28.10.2019 ließ der Betroffene durch seinen Verteidiger Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegen. Mit Schreiben vom 07.11.2019 wies der Verteidiger des Betroffenen auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes hin und beantragte, dass für den Fall, dass bei der vorliegenden Messung durch das Geschwindigkeitsmessgerät Rohmessdaten nicht aufgezeichnet worden sein sollten, obwohl dies technisch möglich gewesen wäre, das Verfahren einzustellen sei.

Nach Eingang der Akten beim Amtsgericht Ehingen am 27.01.2020 bestimmte das Gericht mit Verfügung vom 28.01.2020 Termin zur Hauptverhandlung auf den 19.02.2020, wobei das Gericht darauf hinwies, dass es entgegen der Auffassung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs der Meinung sei, dass das Messverfahren den Betroffenen nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletze. Mit Schreiben vom 18.02.2020 ließ der Betroffene über seinen Verteidiger seine Fahrereigenschaft einräumen. Darüber hinaus ließ er sich dahingehend ein, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls noch keine Fahrgäste „an Bord“ gewesen seien. Die auf den Lichtbildern der Geschwindigkeitsmessanlage erkennbaren Personen „an Bord“ des Fahrzeugs hätten vielmehr zur Unterstützung des Fahrbetriebs gedient. Im Übrigen sei der Bus noch leer gewesen. Es werde daher beantragt, ein Bußgeld in Höhe von 20 Euro festzusetzen. Mit Verfügung vom gleichen Tage hob das Amtsgericht Ehingen den Hauptverhandlungstermin vom 19.02.2020 auf, da aufgrund der nunmehr gemachten Angaben des Betroffenen weitere Ermittlungen erforderlich seien. Ebenfalls noch am 18.02.2020 gab das Amtsgericht Ehingen Nachermittlungen in Auftrag, wobei durch die Verwaltungsbehörde sämtliche Firmeninhaber und Angestellte des Betriebs pp. ermittelt werden sollten, dies um festzustellen, ob sich Fahrgäste im Bus befanden. Nach Durchführung verschiedener Nachermittlungen wurden die Akten dem Amtsgericht Ehingen am 08.04.2020 erneut vorgelegt, wobei das Amtsgericht mit Verfügung vom 30.04.2020 die Durchführung weiterer Nachermittlungen beauftragte. Es sollte nunmehr die Ehefrau des Betroffenen zu der Frage vernommen werden, ob einer der Mitarbeiter am Tattag zur Unterstützung des Fahrbetriebs den Betroffenen begleitet habe und ob sie die im Bus auf den Lichtbildern erkennbaren Personen wiedererkenne.

Nach Durchführung der beauftragten Nachermittlungen wurden die Akten dem Amtsgericht Ehingen sodann erneut am 09.07.2020 vorgelegt. Mit Verfügung vom 31.07.2020 fragte das Amtsgericht Ehingen beim Betroffenen an, ob der Einspruch zurückgenommen werde und setzte Stellungnahmefrist bis zum 17.08.2020. Am 05.08.2020 erklärte der Verteidiger des Betroffenen, der Einspruch werde nicht zurückgenommen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Ehingen vom 17.09.2020 wurde das Verfahren gemäß §§ 46 OWiG, 206a StPO eingestellt, da die Tat zwischenzeitlich am 28.07.2020 verjährt war. Die Verfahrenskosten wurden der Staatskasse auferlegt, allerdings wurde bestimmt, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen habe. Zur Begründung der Kostenentscheidung wurde auf §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO verwiesen. Die Schuld des Betroffenen sei in hohem Maße wahrscheinlich. An einer Verurteilung des Betroffenen bestünden nach Aktenlage keine Zweifel. Es sei lediglich noch zu ermitteln gewesen, ob dem Betroffenen ein bußgelderhöhender Verstoß zur Last liege, weil er bei der Geschwindigkeitsüberschreitung Fahrgäste beförderte. Daher werde davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Gegen diesen Beschluss, der dem Verteidiger am 28.09.2020 zugestellt wurde, richtet sich die sofortige Beschwerde vom 30.09.2020. Eine Schuldfeststellung sei überhaupt nur in einer Hauptverhandlung möglich, die vom Gericht ohne erkennbaren Grund wieder abgesetzt worden sei. Gerade gegen den Bußgeldbescheid, der von einem erhöhten Bußgeld ausgehe, habe sich der Betroffene gewehrt. Das Verfahren sei bei Gericht verjährt. Bei einem durch einen Verfahrensfehler des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernis entspreche es der Billigkeit, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzubürden.

Am 02.10.2020 entschied das Amtsgericht Ehingen durch Beschluss, dass der sofortigen Beschwerde des Betroffenen nicht abgeholfen werde und es erfolgte Aktenvorlage an das Landgericht Ulm.

II.

1. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 30.09.2020 ist statthaft gemäß §§ 464 Abs. 3 S. 1 StPO, 46 OWiG. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Ehingen vom 17.09.2020 war auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen insoweit aufzuheben, als darin angeordnet wurde, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen im Bußgeldverfahren selbst zu tragen hat. Diese waren der Staatskasse aufzuerlegen.

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen grundsätzlich die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Über § 46 Abs. 1 OWiG gilt diese Vorschrift sinngemäß auch für das Bußgeldverfahren. Gemäß §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG kann das Gericht jedoch davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Hierauf stützt sich die Entscheidung des Amtsgerichts Ehingen.

Ein Fall der §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG ist indes in vorliegender Sache im Ergebnis nicht gegeben:

Soweit in dem Beschluss des Amtsgerichts Ehingen für eine Anwendung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO darauf abgestellt wird, dass nach Aktenlage eine Verurteilung des Betroffenen jedenfalls wegen einer ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße in hohem Maße wahrscheinlich und lediglich nicht abschließend geklärt sei, ob ihm ein bußgelderhöhender Verstoß anzulasten sei, kann letztlich dahinstehen, ob der Tatverdacht gegen den Betroffenen vorliegend das für eine Anwendbarkeit des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO erforderliche Maß erreicht hat. In Rechtsprechung und Literatur gehen hinsichtlich der insoweit zu fordernden Tatverdachtsstufe die Ansichten auseinander: § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO verlangt, dass der Angeschuldigte wegen einer Straftat „nur deshalb nicht verurteilt wird“ weil ein Verfahrenshindernis besteht. Teilweise wird insoweit verlangt, dass bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein müsse (vgl. etwa Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, StPO § 467, Rn. 10a). Dies erscheint vorliegend mangels bereits durchgeführten Hauptverhandlungstermins zumindest zweifelhaft. Nach anderer Ansicht und wohl herrschender Rechtsprechung genügt eine niedrigere Tatverdachtsstufe und insbesondere ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht (vgl. etwa OLG Bamberg, Beschluss vom 20.07.2010, Az.: 1 Ws 218/10).

Die Möglichkeit, nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, besteht allerdings nur dann, wenn zusätzlich zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es als billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.2017, Az.: BvR 1821/16). Die erforderlichen besonderen Umstände dürfen dabei aber gerade nicht in der voraussichtlichen Verurteilung und der zu Grunde liegenden Tat gefunden werden, denn das ist bereits Tatbestandsvoraussetzung für die Ermessensentscheidung des Gerichts (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.07.2010, Az.: 1 Ws 218/10). Grundlage für ein Absehen von der Erstattung notwendiger Auslagen muss vielmehr ein hinzutretendes vorwerfbar prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen sein. Bei einem in der Sphäre des Gerichtes eingetretenen Verfahrenshindernis hingegen, wird es regelmäßig der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzubürden (vgl. hierzu etwa Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O., Randnummer 10b; Bundesverfassungsgericht a.a.O.).

Im vorliegenden Fall ist ein prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen nicht zu erkennen. Der Grund für den Eintritt des Verfahrenshindernisses der Verjährung liegt vielmehr darin, dass seitens des Amtsgerichts versäumt wurde, innerhalb der kurzen sechsmonatigen Verjährungsfrist (erneut) einen Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen. Grundsätzlich wäre eine erneute Terminierung auch nach Rückkunft der Akten nach Durchführung des zweiten Nachermittlungsauftrags am 09.07.2020 noch verjährungsunterbrechend möglich gewesen, ist aber unterblieben.

Vor diesem Hintergrund erscheint es im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung nach §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG unbillig, den Betroffenen entgegen der gesetzlichen Regel nach §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 OWiG mit seinen notwendigen Auslagen zu belasten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 OWiG in entsprechender Anwendung.

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