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Einspruchsrücknahme durch unterbevollmächtigten Rechtsanwalt

Rücknahme eines Einspruchs durch unterbevollmächtigten Rechtsanwalt: Eine Analyse des OLG Brandenburg-Urteils

In einer interessanten Wende der Rechtsprechung im Verkehrsrecht hat das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG Brandenburg – Az.: 1 ORbs 166/23) einen wegweisenden Beschluss vom 8. Mai 2023 gefasst. In dem vorliegenden Fall ging es um eine Geldbuße und den angestrebten Verzicht auf ein Fahrverbot. Das Hauptproblem drehte sich um die Gültigkeit einer Einspruchsrücknahme durch einen unterbevollmächtigten Anwalt und die daraus resultierende Frage, inwiefern diese Rücknahme bindend ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 ORbs 166/23 >>>

Die Problematik der Untervollmacht

Gemäß den Akten hat die Verteidigerin des Betroffenen dem Rechtsanwalt („Name 01“) am 14. November 2022 eine „Terminvollmacht“ für die Hauptverhandlung am 16. November 2022 erteilt, jedoch ohne diese Vollmacht zu spezifizieren. Es entstand die Frage, ob eine solche Untervollmacht die Befugnisse zur Rücknahme eines Einspruchs und zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichts beinhaltet.

Entscheidung des Bußgeldgerichtes und Rechtsbeschwerde

Nachdem die Bußgeldrichterin die Akten der Staatsanwaltschaft Neuruppin am 16. November 2022 gemäß § 41 StPO übersandt hatte, legte der Betroffene gegen die Entscheidung des Bußgeldgerichtes vom 16. November 2022 Rechtsbeschwerde ein und beantragte Akteneinsicht. Eine Zustellung des (abgekürzten) Urteils an die Verteidigerin oder die Gewährung der beantragten Akteneinsicht hat jedoch bislang nicht stattgefunden.

Weiteres Prozedere und Reaktion der Verteidigerin

Am 5. Dezember 2022 wies die Bußgeldrichterin den Betroffenen und seine Verteidigerin darauf hin, dass in der Hauptverhandlung ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei. In Antwort darauf stellte die Verteidigerin klar, dass die erteilte Terminvollmacht an den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt weder eine Beschränkung des Einspruchs noch einen Rechtsmittelverzicht umfasste. Ziel des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid war die Vermeidung des Fahrverbots, nicht die Reduzierung der Geldbuße.

Entscheidung des OLG Brandenburg und Auswirkungen

Schließlich entschied das OLG Brandenburg, dass der unterbevollmächtigte Rechtsanwalt nicht das Recht hatte, auf die Einlegung eines Rechtsmittels zu verzichten, da diese Befugnis in der erteilten Untervollmacht nicht ausdrücklich enthalten war. Daher konnte der in der Hauptverhandlung durch den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt erklärte Rechtsmittelverzicht keine Wirksamkeit entfalten. Diese Entscheidung verdeutlicht die Bedeutung der Spezifikation von Vollmachten und Untervollmachten in rechtlichen Angelegenheiten und stellt eine wichtige Referenz für ähnliche Fälle in der Zukunft dar.


Das vorliegende Urteil

OLG Brandenburg – Az.: 1 ORbs 166/23 – Beschluss vom 08.05.2023

Der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022 wird aufgehoben.

Die Sache ist zum Bewirken einer wirksamen förmlichen Zustellung des Urteils vom 16. November 2022 an das Amtsgericht Neuruppin zurückgegeben.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Neuruppin hat in der Hauptverhandlung vom 16. November 2022 den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h zu einer Geldbuße von 200,00 € verurteilt sowie ein Fahrverbot von einem Monat Dauer unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Der Betroffene war von seiner Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung offensichtlich entbunden worden, wobei sich ein entsprechender Beschluss nicht bei den Akten befindet. Die Verteidigerin des Betroffenen hat mit Schriftsatz vom 14. November 2022 Rechtsanwalt („Name 01“), „zur Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins am 16.11.2022 Terminvollmacht“ erteilt, ohne diese weiter zu spezifizieren.

In dem Hauptverhandlungsprotokoll ist das Feld „Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt“ angekreuzt, daneben steht die handschriftliche Ergänzung „RM-Verzicht“.

Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde am 16. November 2022 fertiggestellt.

Ebenfalls am 16. November 2022 hat die Bußgeldrichterin der Staatsanwaltschaft Neuruppin die Akten der Staatsanwaltschaft Neuruppin gemäß § 41 StPO übersandt, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein schriftliches Urteil mit Gründen bei der Geschäftsstelle eingegangen war; bis heute befindet sich ein mit Gründen versehenes Urteil nicht bei den Akten.

Mit dem bei Gericht am 23. November 2022 eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat der Betroffene gegen die Entscheidung des Bußgeldgerichtes vom 16. November 2022 Rechtsbeschwerde eingelegt sowie Akteneinsicht beantragt.

Die Leseabschrift des Urteils ohne Gründe befindet sich bei den Akten, eine Zustellung des (abgekürzten) Urteils an die Verteidigerin ist bisher nicht erfolgt; auch wurde der Verteidigerin die beantragte Akteneinsicht bisher nicht gewährt.

Unter dem Datum des 5. Dezember 2022 weist die Bußgeldrichterin den Betroffenen und dessen Verteidigerin darauf hin, dass in der Hauptverhandlung ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei, worauf die Verteidigerin mit Anwaltsschriftsatz vom 14. Dezember 2022 erwidert, dass die erteilte Terminvollmacht an den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt weder eine Beschränkung des Einspruchs noch einen Rechtsmittelverzicht umfasste; Ziel des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 12. Januar 2022 sei die Vermeidung des Fahrverbotes, nicht die Reduzierung der Geldbuße.

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 hat das Amtsgericht Neuruppin die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil vom 16. November 2022 gemäß § 346 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG als unzulässig verworfen, da in der Hauptverhandlung vom 16. November 2022 durch den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei, was die Einlegung eines Rechtsmittels ausschließe. Der Verwerfungsbeschluss wurde der Verteidigerin des Betroffenen, deren Vollmachtsurkunde sich bei den Akten befindet, am 21. Dezember 2022 förmlich zugestellt. Mit dem am 23. Dezember 2022 bei Gericht angebrachten Anwaltsschriftsatz beantragt der Betroffene Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 346 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 6. April 2023 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022 aufzuheben.

II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 346 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG statthaft sowie form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. In der Sache ist der Antrag begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022.

a) Die Verwerfungsbefugnis des Tatrichters dient der Verfahrensbeschleunigung. Sie ist auf die in § 346 Abs. 1 StPO genannten Fälle beschränkt, also auf die verspätete Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 341 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG, auf die Versäumung der Frist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG sowie auf die Nichteinhaltung der Formvorschriften des § 345 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG. Jede weitere Zulässigkeitsprüfung ist dem Tatrichter untersagt (vgl. BGH NJW 2007, 165), was insbesondere auch für die Frage eines zuvor erklärten Rechtsmittelverzichtes gilt (vgl. BGH NJW 1984, 1974, 1975; BGH NStZ 1984, 181; BGH NStZ 1984, 329).

b) Des Weiteren erweist sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als zulässig. Denn während die der Verteidigerin erteilte Vollmacht vom 3. Dezember 2021 sich ausdrücklich auch auf die Rücknahme und den Verzicht eines Rechtsmittels erstreckt, war dies bei der für die Hauptverhandlung am 16. November 2022 erteilte Untervollmacht gerade nicht der Fall. Die Verteidigerin hatte dem für die Hauptverhandlung unterbevollmächtigen Rechtsanwalt („Name 01“) nicht die Befugnis zum Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels übertragen (vgl. Terminvollmacht vom 14. November 2022), so dass der in der Hauptverhandlung durch den unterbevollmächtigen Rechtsanwalt erklärte Rechtsmittelverzicht keine Wirksamkeit entfalten konnte.

Nach alledem unterliegt der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022 der Aufhebung.

3. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass das seitens des Betroffenen angefochtene Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 16. November 2022 der Verteidigerin noch nicht nach § 145a Abs. 1 StPO iVm. § 71 OWiG zugestellt, mithin die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG noch nicht in Gang gesetzt worden ist.

Die Sache ist daher zur Bewirkung einer wirksamen förmlichen Zustellung des Urteils des Amtsgerichts Neuruppin vom 16. November 2022 über die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht Neuruppin zurückgegeben. Erst durch die wirksame Zustellung des schriftlichen Urteils wird die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist in Gang gesetzt.

4. Hinsichtlich des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gem. § 346 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, da das Kostenverzeichnis dafür keine Gebühr vorsieht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 346 Rdnr. 12 m.w.N.; OLG Schleswig SchlHA 1990, 126).

 

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