KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 271/14 – 162 Ss 74/14 – Beschluss vom 20.05.2014
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird abgelehnt.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen die §§ 23 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO nach § 24 StVG eine Geldbuße von 300,00 Euro festgesetzt. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Rechtsfolgenbemessung ist rechtsfehlerhaft, weil für den bußgelderhöhend gewichteten Bußgeldbescheid vom 28. Juli 2008 (rechtskräftig seit 5. März 2009) im Zeitpunkt des amtsgerichtlichen Urteils am 20. März 2014 bereits die absolute Tilgungsfrist von fünf Jahren nach § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG erreicht war, was nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG seine Unverwertbarkeit zur Folge hat. Auch der Bußgeldbescheid vom 1. November 2011 (rechtskräftig seit 24. November 2011) durfte nach dieser Vorschrift nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden. Seine Tilgungsfrist betrug nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 StVG zwei Jahre.
2. Der Senat hat erwogen, unter Außerachtlassung der bußgeldrechtlichen Vorbelastungen nach § 79 Abs. 6 Alt. 1 OWiG in der Sache selbst zu entscheiden, sieht sich daran aber gehindert, weil das Amtsgericht auch verkannt hat, dass § 23 Abs. 1 StVO als Auffangbestimmung nur anwendbar ist, wenn die Sondervorschriften der §§ 30, 32 ff StVZO nicht eingreifen (vgl. Senat VRS 82, 149 und Beschlüsse vom 8. Januar 1997 – 3 Ws (B) 626/96 -, 17. Februar 1997 – 3 Ws (B) 30/97 -, 6. März 1997 – 3 Ws (B) 55/97 – [alle bei juris] und vom 11. Januar 2010 – 3 Ws (B) 730/09; OLG Düsseldorf VRS 74, 294; Krenberger in NK-GVR, § 23 StVO Rn. 1; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 42. Aufl., § 23 StVO Rn. 9). Die Bußgeldrichterin hat daher keine Zuordnung der von ihr festgestellten Mängel zu den einzelnen Bestimmungen der StVZO vorgenommen. Der Senat kann diese Säumnis auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch nicht nachholen. Diese weisen zunächst pauschal aus, der Betroffene habe ein Fahrzeug geführt, das so erhebliche Mängel gehabt habe, dass es verkehrsunsicher gewesen sei (UA S. 2). Erst im Rahmen der Beweiswürdigung werden einzelne Mängel konkretisiert. Auch wenn die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGH AfP 78, 103; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 267 Rn 3), führt die Vermengung von Feststellungen (UA S. 2) und Beweiswürdigung (UA S. 2 bis 4) hier doch zu Unklarheiten, welchen Bekundungen und Wertungen des Zeugen und des Sachverständigen das Amtsgericht gefolgt ist und welche Mängel es in welchem Umfang für erwiesen erachtet hat. Derartigen Schwierigkeiten könnte mit einer klaren Trennung zwischen Urteilsfeststellungen und Beweiswürdigung begegnet werden.
3. Für die neue Entscheidung weist der Senat noch auf Folgendes hin:
a) Misst das Tatgericht einem Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es in jedem Fall – gleichgültig, ob es ihm folgt oder nicht – die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. Senat, VRS 111, 449 m. w. N. und NZV 2008, 51 sowie Beschlüsse vom 8. Mai 2009 – 3 Ws (B) 259/09 – und 11. Januar 2010 – 3 Ws (B) 730/09 –).
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass auch ein mit rotem Kennzeichen versehenes Fahrzeug den technischen und ordnungsrechtlichen Straßenverkehrsvorschriften entsprechen muss. Dass es nach §§ 16 Abs. 6 FZV, 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVZO von der Verpflichtung zur Hauptuntersuchung befreit ist, hat – selbstverständlich – nicht zur Folge, dass es, wenn es im öffentlichen Verkehrsraum betrieben wird, von den sonstigen der Verkehrssicherheit dienenden Vorschriften befreit ist.
4. Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers war abzulehnen. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt nicht vor. Die Rechtslage ist nicht schwierig im Sinne von §§ 46 Abs. 1 OWiG, 140 Abs. 2 StPO.
5. Der Senat hebt das angefochtene Urteil und verweist die Sache nach § 79 Abs. 6 Alt. 2 OWiG an das Amtsgericht zurück.