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Bußgeldverfahren – Pflichten vor Erlass eines Verwerfungsurteils

Rechtsbeschwerde und Verwerfung: Ein Blick auf den Fall des Amtsgerichts Tiergarten

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin stand im Mittelpunkt eines Falles, bei dem ein Betroffener gegen ein Urteil Rechtsbeschwerde einlegte. Der Kern des Problems war, ob das Gericht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt hatte, indem es einen Antrag auf Terminsverlegung ignorierte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Ws (B) 50/20 – 162 Ss 16/20 >>>

Verfahrensrüge und ihre Bedeutung

Der Betroffene erhob eine Verfahrensrüge, in der er behauptete, das Amtsgericht habe seinen Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid unrechtmäßig verworfen. Er argumentierte, dass sein Antrag auf Terminsverlegung rechtzeitig eingereicht wurde, aber vom Gericht nicht berücksichtigt wurde. Dies, so der Betroffene, verletzte seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.

Wann darf ein Einspruch verworfen werden?

Ein Gericht kann einen Einspruch nur dann verwerfen, wenn der Betroffene ohne triftigen Grund nicht erscheint. Es ist nicht entscheidend, ob der Betroffene eine Entschuldigung vorlegt, sondern ob es einen validen Grund für sein Fehlen gibt. Wenn es Anzeichen für einen solchen Grund gibt, muss das Gericht diesen nachgehen. Wenn weder der Betroffene noch sein Verteidiger bei einem Termin erscheinen, muss das Gericht prüfen, ob es über die Abwesenheit informiert wurde.

Die Rolle der Geschäftsstelle

In diesem Fall wurde der Antrag auf Terminsverlegung am Tag der Sitzung elektronisch beim Amtsgericht Tiergarten eingereicht. Allerdings erreichte er die Geschäftsstelle des Gerichts erst drei Tage später. Es gab keine Hinweise darauf, dass der zuständige Richter vor seiner Entscheidung Kenntnis von diesem Antrag hatte. Daher konnte nicht davon ausgegangen werden, dass der Richter über den Antrag informiert war.

Verantwortung und Kommunikation

Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Fall war die Frage, ob der Richter das Wissen von anderen Gerichtsmitarbeitern, wie z.B. der Postannahmestelle, berücksichtigen muss. Das Gericht entschied, dass dies nicht der Fall ist. Der Richter muss nur prüfen, ob er selbst Kenntnis von einem Antrag hatte oder hätte haben können. Bei großen Gerichten, wie dem Amtsgericht Tiergarten, kann nicht erwartet werden, dass der Richter bei jeder möglichen Stelle nachfragt. Wenn ein Betroffener möchte, dass sein Antrag rechtzeitig den zuständigen Richter erreicht, sollte er sich direkt an die Geschäftsstelle des Gerichts wenden.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 50/20 – 162 Ss 16/20 – Beschluss vom 13.03.2020

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 13. Dezember 2019 wird, ohne dass der Beschluss einer Begründung bedürfte (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG), verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

Ergänzend merkt der Senat an:

Mit seiner zulässig erhobenen Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe mit der Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gegen § 74 Abs. 2 OWiG verstoßen, dringt der Betroffene in der Sache nicht durch. Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Unrecht, dass der Tatrichter einen rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Terminsverlegung unbeachtet gelassen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Das Amtsgericht hat den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG rechtsfehlerfrei verworfen.

Das Gericht darf den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Entscheidend ist nicht, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist. Daher muss der Tatrichter von Amts wegen prüfen, ob Umstände ersichtlich sind, die das Ausbleiben des Betroffenen genügend entschuldigen (vgl. zu § 329 StPO BGHSt 17, 391). Ergeben sich konkrete Hinweise auf einen Entschuldigungsgrund, so muss er ihnen nachgehen. Da erfahrungsgemäß die Geschäftsstelle eines Gerichts auch noch kurz vor einem Termin davon verständigt wird, dass der Betroffene verhindert sei, muss sich der Tatrichter, wenn überraschend weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Termin erschienen sind, aufgrund seiner Fürsorge- und Aufklärungspflicht vor Erlass eines Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle vergewissern, ob eine Mitteilung über die Verhinderung des Betroffenen vorliegt (vgl. BayObLG VRS 83, 56; OLG Köln VRS 102, 382; OLG Stuttgart Justiz 1981, 288). Das Rechtsbeschwerdegericht hat daher grundsätzlich zu prüfen, ob der Tatrichter dieser Aufklärungspflicht nachgekommen ist (vgl. BayObLG a.a.O.). War auf der Geschäftsstelle bereits ein Entschuldigungsschreiben oder eine entsprechende fernmündliche Nachricht über eine Verhinderung des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Verwerfung des Einspruchs bei Gericht eingegangen, ist die fehlende Kenntnis des Richters belanglos (vgl. Senat NZV 2009, 518; 2003, 586 und Beschluss vom 4. September 2000 – 3 Ws (B) 373/00 -, juris; OLG Köln VRS 102, 382; OLG Stuttgart aaO; OLG Brandenburg NStZ-RR 1997, 275; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 74 Rdn. 35).

Hier liegt der Fall jedoch anders. Der Verlegungsantrag der Verteidigerin ging zwar am Sitzungstag, dem 13. Dezember 2019, etwa 1 ¼ Stunden vor Sitzungsbeginn im elektronischen Postfach des Amtsgerichts Tiergarten ein, hat die Geschäftsstelle des Gerichts ausweislich eines entsprechenden richterlichen Vermerks jedoch erst am 16. Dezember 2019 erreicht. Dass der Amtsrichter vor seiner Verwerfungsentscheidung auf andere Weise vom Verlegungsantrag Kenntnis erlangt hat, ist der Akte nicht zu entnehmen und vom Betroffenen auch nicht vorgetragen worden, so dass eine positive Kenntnis des Richters ausscheidet.

Er muss sich auch nicht, wovon der Betroffene offenbar ausgeht, etwaiges Wissen von Mitarbeitern des Gerichts (hier der Postannahmestelle des Amtsgerichts, die die Eingänge von elektronischen Schriftsätzen nach § 32a StPO verwaltet) zurechnen lassen. Denn Anknüpfungspunkt ist § 77 Abs. 1 OWiG, wonach allein das erkennende Gericht die Pflicht zur Aufklärung und Nachforschung trifft. Abzustellen ist deswegen – wie dargelegt – allein darauf, ob der erkennende Richter bei Beschlussfassung Kenntnis vom Verlegungsantrag hat bzw. hätte haben können. Die ihn treffende Nachforschungspflicht vor Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es nicht, dass er bei allen möglichen und zugelassenen Einlaufstellen für digitale und physikalische Post ermittelt, ob Hinweise für eine Entschuldigung vorliegen (vgl. Senat NZV 2015, 253; OLG Bamberg NZV 2009, 355; OLG Köln VRS 93. 357; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rdn. 31; Senge a.a.O.). Erkundigungen, die über Nachforschungen auf der Geschäftsstelle hinausgehen, können insbesondere bei großen Gerichten, wie dem Amtsgericht Tiergarten als dem größten Amtsgericht Deutschlands, angesichts eines üblicherweise dynamisch und komplex verlaufenden Sitzungstages nicht verlangt werden (vgl. Senat a.a.O.). Will der Betroffene, dass Anträge oder eilbedürftige Nachrichten den erkennenden Richter rechtzeitig erreichen, bleibt es ihm unbenommen, sich an die Geschäftsstelle des Gerichts zu wenden.

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