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Wiedererlangung Fahrerlaubnis nach Kokainkonsum

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 19.1066 – Beschluss vom 09.07.2019

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.

Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt teilte dem Landratsamt Dachau (im Folgenden: Landratsamt) mit Schreiben vom 16. Januar 2019 mit, gegen den Antragsteller sei am 12. Juni 2018 ein Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG erlassen worden. Am 29. März 2018 um 10:30 Uhr seien bei ihm als Fahrer eines Kraftfahrzeugs (LKW) im Rahmen einer Verkehrskontrolle drogentypische Auffälligkeiten festgestellt worden. Die Blutuntersuchung habe laut Gutachten vom 15. Mai 2018 folgende Werte ergeben: 11 ng/ml Kokain, 430 ng/ml Benzoylecgonin (Kokain-Stoffwechsel- und Abbauprodukt), 3,2 ng/ml Tetrahydrocannabinol und 71 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-Abbauprodukt). Der Bußgeldbescheid sei seit dem 14. September 2018 rechtskräftig.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis gab der Antragsteller an, der Vorfall liege mittlerweile fast ein Jahr zurück und er lebe seitdem abstinent. Er sei Alleinverdiener und Vater eines schwerbehinderten Sohns. Mit einem Drogenkontrollprogramm und anschließender medizinisch-psychologischer Untersuchung sei er einverstanden.

Mit Bescheid vom 11. März 2019 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A1 und A (jeweils mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T. Aufgrund des Kokainkonsums stehe die Fahrungeeignetheit des Antragstellers fest. Die behauptete Abstinenz und grundlegende Verhaltensänderung habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht und keine Abstinenznachweise vorgelegt. Weitere Aufklärungsmaßnahmen, etwa die Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens, seien daher nicht veranlasst.

Den mit Schreiben vom 21. März 2019 eingelegten Widerspruch hat die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2019 zurückgewiesen. Über die mit Schreiben vom 13. Juni 2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München noch nicht entschieden.

Zur Begründung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat der Antragsteller unter Vorlage einer Bestätigung des Forensisch-Toxikologischen-Centrums vortragen lassen, er habe sich am 21. März 2019 zu einem Abstinenzkontrollprogramm mit sechs Urinabgaben innerhalb der nächsten zwölf Monate angemeldet. Die erste Urinprobe am 4. April 2019 sei negativ gewesen.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2019 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Die verfahrensrechtliche Einjahresfrist, nach deren Ablauf der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zufolge nicht mehr ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Fahrungeeignetheit ausgegangen werden könne, sei noch nicht verstrichen. Der Beginn dieser Frist setze eine durch entsprechende Nachweise belegte substantiierte Abstinenzbehauptung des Betroffenen voraus. Solche Nachweise habe der Antragsteller aber erst nach der Entziehung der Fahrerlaubnis vorgelegt.

Zur Begründung der gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller vortragen, der Ablauf der Einjahresfrist habe bei Erlass des Bescheids unmittelbar bevorgestanden. Der Antragsteller sei, wie bereits früher vorgetragen, seit dem Vorfall vom 29. März 2018 abstinent und habe sein Einverständnis mit der Anordnung eines Drogenkontrollprogramms und anschließender medizinisch-psychologischer Fahreignungsbegutachtung erklärt. Außerdem habe das Landratsamt bereits am 22. Juni 2018 Kenntnis von dem rechtsmedizinischen Gutachten vom 15. Mai 2018 gehabt und den Antragsteller gleichwohl erst am 22. Januar 2019 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört. Vom 18. bis 19. Mai 2019 habe der Antragsteller an einem psychologischen Workshop zur Vorbereitung auf eine medizinisch-psychologische Untersuchung teilgenommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der Senat legt den Antrag nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 3. Juni 2019 zu Gunsten des Antragstellers dahingehend aus, dass er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner mit Schreiben vom 13. Juni 2019 erhobenen Klage begehrt. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich jedoch nicht, dass der angefochtene Bescheid und der Widerspruchsbescheid rechtswidrig wären.

1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), vor Erlass des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. April 2019 (BGBl I S. 430), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. März 2019 (BGBl I S. 218), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 36).

Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber – wie hier – mindestens einmal sogenannte harte Drogen wie Kokain konsumiert hat (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – juris Rn. 10 m.w.N.).

2. Dass der Antragsteller Kokain und Cannabis konsumiert und – ohne dass es fahrerlaubnisrechtlich darauf ankäme – unter der Wirkung dieser Substanzen am 29. März 2018 ein Kraftfahrzeug (LKW) geführt hat, steht aufgrund der polizeilichen Ermittlungen, des eingeholten rechtsmedizinischen Gutachtens und des rechtskräftigen Bußgeldbescheids fest. Hierdurch hat er seine Fahreignung verloren.

Es bestehen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller die Fahreignung bis zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Erlass des Widerspruchsbescheids, wiedererlangt haben könnte und das Landratsamt bzw. die Widerspruchsbehörde deswegen gehalten gewesen wäre, dieser Frage durch weitere Aufklärungsmaßnahmen nachzugehen. Hierzu sind allein die seit dem letzten nachgewiesenen Konsum vergangene Zeit und die bloße Abstinenzbehauptung, die der Antragsteller bis zum 4. April 2019 durch keinerlei Belege untermauert hat, nicht ausreichend. Umstände, die diese Behauptung für einen ausreichend langen Zeitraum glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen ließen (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2018 – 11 CS 18.2351 – juris Rn. 12 m.w.N.), sind weder hinreichend dargelegt noch sonst ersichtlich.

Auch wenn der Antragsteller seit dem 21. März 2019 an einem Abstinenzkontrollprogramm teilnimmt und eine erste Urinprobe am 4. April 2019 negativ verlief, ändert dies nichts daran, dass ihn die Widerspruchsbehörde nach wie vor zu Recht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen hat. Sind die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen, so können sie nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Nachweis geführt wird, dass kein Drogenkonsum mehr besteht (Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 24.5.2018). Bei fortgeschrittener Drogenproblematik ist nach den für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP]/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Aufl. 2013, mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 27.1.2014 [VkBl 2014, 132] als aktueller Stand der Wissenschaft eingeführt) in der Regel erst nach einem Jahr nachgewiesener Drogenabstinenz und weiteren Voraussetzungen eine positive Begutachtung zu erwarten (Nr. 4 des Kriteriums D 2.4 N, S. 184). Von einer fortgeschrittenen Drogenproblematik ist u.a. bei einer polyvalenten Drogenproblematik auszugehen (Kriterium D 2.3 N). Der Antragsteller hatte dem rechtsmedizinischen Gutachten vom 15. Mai 2018 zufolge nicht nur Kokain, sondern auch Cannabis konsumiert. Aber selbst bei einer Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik, die zu einem ausreichend nachvollziehbaren Einsichtsprozess und zu einem dauerhaften Drogenverzicht geführt hat, kann die Fahreignung erst nach einem durch die Ergebnisse geeigneter polytoxikologischer Urin- oder Haaranalysen bestätigten Drogenverzicht von mindestens sechs Monaten und weiteren Voraussetzungen wiederhergestellt sein (Nr. 1 des Kriteriums D 3.4 N, S. 190 der Beurteilungskriterien; vgl. auch BayVGH, B.v. 3.4.2018 – 11 CS 18.460 – juris Rn. 16 m.w.N.). Auch für einen solchen Zeitraum hat der Antragsteller bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids keine Abstinenznachweise vorgelegt.

Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die ausnahmsweise Anlass für eine abweichende Betrachtung geben würden. Bei den in Anlage 4 zur FeV aufgeführten Regelfällen handelt es sich um verbindliche Wertungen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn 19), von denen nur in Ausnahmefällen abgewichen werden kann, nämlich wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft sind in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt, durch die z.B. drogenbedingte Einschränkungen kompensiert werden können. Es obliegt insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.2019 – 11 CS 19.669 – juris Rn. 13 m.w.N.). Hierfür sind jedoch weder die erklärte Bereitschaft des Antragstellers zur Teilnahme an einem Drogenkontrollprogramm noch der Hinweis auf die Folgen der Entziehung der Fahrerlaubnis für ihn und seine Familie ausreichend.

3. Auch die Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Konsum harter Drogen dient dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer. Angesichts des hohen Rangs dieser Schutzgüter und der Gefahr, die von Fahrzeugführern ausgeht, die unter der Wirkung berauschender Mittel am Straßenverkehr teilnehmen, können die Folgen, die der Verlust der Fahrerlaubnis für die Lebensführung des Antragstellers, insbesondere seine berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer, mit sich bringt, nicht dazu führen, ihn derzeit weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen.

4. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, Anh. § 164 Rn. 14).

5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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