Skip to content
Menü

Bussgeldverfahren – Absehen von Fahrverbot zur Ermöglichung des Kindesumgangsrechts

Absehen von Fahrverbot: Kindesumgangsrecht als Ausnahme

Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels im Fall eines Bussgeldverfahrens aufgehoben. Der Fall dreht sich um das Absehen von einem Fahrverbot, um das Kindesumgangsrecht eines Verkehrssünders zu ermöglichen. Das Amtsgericht hatte zuvor auf das Fahrverbot verzichtet und die Geldbuße erhöht. Die Staatsanwaltschaft legte jedoch erfolgreich Rechtsbeschwerde ein, da das Absehen vom Fahrverbot rechtlich nicht haltbar war.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: ——   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Aufhebung des Urteils: Das Oberlandesgericht hebt das Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels auf.
  2. Fahrverbot notwendig: Das ursprüngliche Absehen vom Fahrverbot durch das Amtsgericht war rechtlich nicht haltbar.
  3. Geschwindigkeitsüberschreitung: Der Betroffene hatte die zulässige Höchstgeschwindigkeit deutlich überschritten.
  4. Erhöhung der Geldbuße: Das Amtsgericht hatte die Geldbuße verdoppelt, anstatt ein Fahrverbot zu verhängen.
  5. Kindesumgangsrecht: Der Betroffene argumentierte, dass ein Fahrverbot sein Umgangsrecht mit seinen Kindern beeinträchtigen würde.
  6. Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft: Die Staatsanwaltschaft legte erfolgreich Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ein.
  7. Keine außergewöhnliche Härte: Das Gericht befand, dass die Einschränkungen des Umgangsrechts keine außergewöhnliche Härte darstellen, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen würde.
  8. Rückverweisung zur Neuverhandlung: Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Sie stehen vor einer Herausforderung im Zusammenhang mit einem Bussgeldverfahren und dem Absehen von einem Fahrverbot, um Ihr Kindesumgangsrecht zu wahren? Unsere erfahrenen Rechtsanwälte stehen Ihnen zur Seite. Kontaktieren Sie uns noch heute, um eine individuelle Einschätzung Ihres Falls anzufordern und Ihre rechtlichen Interessen bestmöglich zu vertreten. → Jetzt Ersteinschätzung anfragen


Bussgeldverfahren und Fahrverbote – Die Bedeutung des Kindesumgangsrechts

Im Zentrum des juristischen Interesses stehen häufig Fälle, die sich mit Bussgeldverfahren und Fahrverboten beschäftigen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Kindesumgangsrecht, das im Rahmen von Bussgeldverfahren eine wichtige Rolle spielen kann.

Im Folgenden werden wir uns mit einem konkreten Urteil befassen, in dem es um das Absehen von einem Fahrverbot geht, um das Kindesumgangsrecht eines Verkehrssünders zu ermöglichen. Dabei wird deutlich, wie wichtig es ist, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen und die richtigen Schritte einzuleiten, um seine Interessen bestmöglich zu vertreten.

Lassen Sie sich von den Details des Urteils überraschen und erfahren Sie, wie die Gerichte in solchen Fällen entscheiden.

Bussgeldverfahren und Fahrverbote: Ein komplexes juristisches Geflecht

Im Mittelpunkt des aktuellen Falles steht ein Bussgeldverfahren, bei dem das Amtsgericht Lichtenfels entschieden hatte, von einem Fahrverbot abzusehen, um dem Betroffenen das Kindesumgangsrecht zu ermöglichen. Der Betroffene hatte eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen, woraufhin ihm eine Geldbuße von 600 Euro und ein zweimonatiges Fahrverbot auferlegt wurden. Nach Einspruch erhöhte das Amtsgericht die Geldbuße auf 1.200 Euro und sah vom Fahrverbot ab, was die Staatsanwaltschaft jedoch nicht akzeptierte und erfolgreich Rechtsbeschwerde einlegte.

Staatsanwaltschaft fordert Gleichbehandlung im Verkehrsrecht

Die Staatsanwaltschaft legte form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde ein, da sie der Meinung war, dass das Gericht unrechtmäßigerweise von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen hatte. Die Rechtsbeschwerde war auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, was bedeutet, dass der Schuldspruch des Betroffenen unangetastet blieb. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass das Gericht im Sinne des Verkehrsrechts hätte handeln und das Fahrverbot durchsetzen müssen, um die Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer sicherzustellen.

Die Rolle des Kindesumgangsrechts und finanzielle Erwägungen

Das Amtsgericht hatte seine Entscheidung, vom Fahrverbot abzusehen, insbesondere auf das Kindesumgangsrecht und die finanziellen Verhältnisse des Betroffenen gestützt. Der Betroffene ist Vater von zwei Kindern, die bei der Kindesmutter in einer beträchtlichen Entfernung wohnen. Das Gericht stellte fest, dass ein Fahrverbot die Umgangsmöglichkeiten mit seinen Kindern erheblich einschränken und eine erhebliche Belastung für diese darstellen würde. Zusätzlich wurde die schlechte finanzielle Lage des Betroffenen berücksichtigt, die es ihm nicht ermöglichen würde, alternative Transportmittel zu nutzen.

Gerichtliche Überprüfung und Urteilsaufhebung

Das Oberlandesgericht hob das Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels auf. Es stellte fest, dass die Erwägungen des Amtsgerichts bezüglich des Absehens von einem Fahrverbot nicht den rechtlichen Anforderungen entsprachen. Insbesondere wurde angeführt, dass die vom Amtsgericht dargelegten Umstände nicht den Grad einer außergewöhnlichen Härte erreichen, der notwendig wäre, um von einem Fahrverbot abzusehen. Das Gericht betonte die Notwendigkeit, die Gleichbehandlung im Verkehrsrecht zu wahren und die Regeln für Fahrverbote und Bußgeldbescheide konsequent anzuwenden.

Das Oberlandesgericht wies darauf hin, dass das Amtsgericht bei einer erneuten Verhandlung prüfen muss, ob eine Reduzierung der Dauer des Fahrverbots zur Abwendung einer außergewöhnlichen Härte ausreicht. Außerdem wurde betont, dass zulässiges Verteidigungsverhalten des Betroffenen nicht zu dessen Nachteil ausgelegt werden darf.

Fortsetzung der juristischen Auseinandersetzung

Das Gericht verwies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Lichtenfels zurück. Es bleibt abzuwarten, wie das Amtsgericht im Lichte der Anweisungen des Oberlandesgerichts entscheiden wird, insbesondere in Bezug auf das Fahrverbot und die Geldbuße. Es zeigt sich, dass die Gewährung des Kindesumgangsrechts in Verbindung mit Verkehrsdelikten eine sensible und komplexe Angelegenheit darstellt, die eine sorgfältige Abwägung aller Faktoren erfordert.

Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung einer ausgewogenen und gerechten Rechtsprechung im Bereich des Verkehrsrechts und die Notwendigkeit, die Interessen der Öffentlichkeit mit denen des Einzelnen in Einklang zu bringen.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Inwiefern kann das Kindesumgangsrecht als Grund für ein Absehen von einem Fahrverbot berücksichtigt werden?

Das Kindesumgangsrecht kann in bestimmten Fällen als Grund für ein Absehen von einem Fahrverbot berücksichtigt werden, allerdings sind die Maßstäbe hierfür sehr streng. Die Auswirkungen des Fahrverbots auf das Umgangsrecht mit den Kindern müssen einen Schweregrad erreichen, der ein ausnahmsweises Absehen von der Verhängung rechtfertigt. Das Umgangsrecht mit den Kindern genießt gemäß Art. 6 GG Verfassungsrang.

Es ist jedoch zu beachten, dass Ausnahmen vom Fahrverbot nur in Einzelfällen gewährt werden, um die erzieherische Funktion des Fahrverbots zu wahren. Eine Ausnahme kann beispielsweise in Betracht gezogen werden, wenn die Folgen des Fahrverbots eine unzumutbare Härte darstellen.

In der Regel ist es sehr schwer, ein Fahrverbot zu umgehen. In seltenen Fällen können Betroffene einen Härtefall geltend machen. Ob ausnahmsweise von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, muss im Einzelfall immer genau geprüft werden.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass die Gerichte als Ausgleich für das umgangene Fahrverbot stattdessen deutlich höhere Bußgelder verhängen können.

Es ist daher ratsam, sich in solchen Fällen an einen Rechtsanwalt zu wenden, um die individuellen Umstände und Möglichkeiten zu prüfen.

Was versteht man unter einer außergewöhnlichen Härte im Kontext der Verhängung von Fahrverboten?

Unter „außergewöhnlicher Härte“ im Kontext der Verhängung von Fahrverboten versteht man Umstände, die für den Betroffenen eine besonders schwere Belastung darstellen und die über das übliche Maß der mit einem Fahrverbot verbundenen Beeinträchtigungen hinausgehen. Ein solcher Härtefall kann beispielsweise dann vorliegen, wenn das Fahrverbot die berufliche oder wirtschaftliche Existenz des Betroffenen gefährdet oder wenn der Verlust des Arbeitsplatzes droht.

Die Gerichte prüfen in solchen Fällen, ob die Folgen des Fahrverbots für den Betroffenen im Vergleich zu anderen Personen erheblich stärker belastend sind und ob eine unzumutbare Härte vorliegt. Typische Folgen eines Fahrverbots, die jeder Betroffene zu tragen hat, werden dabei nicht berücksichtigt. Vielmehr muss eine konkrete Gefahr für die Existenz oder den Arbeitsplatz nachgewiesen werden, wobei bloße Vermutungen nicht ausreichen.

Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der die Gerichte eine sorgfältige Abwägung vornehmen müssen. Dabei wird auch geprüft, ob das Fahrverbot zur Einwirkung auf den Betroffenen erforderlich ist oder ob es sich um eine unverhältnismäßige Maßnahme handelt. In Fällen, in denen ein Härtefall angenommen wird, kann das Fahrverbot gegebenenfalls in ein höheres Bußgeld umgewandelt werden.


Das vorliegende Urteil

BayObLG – Az.: 201 ObOWi 1115/23 – Beschluss vom 07.11.2023

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels vom 09.08.2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Lichtenfels zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 26.08.2022 wurden gegen den Betroffenen wegen einer am 23.06.2022 begangenen fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 64 km/h eine Geldbuße in Höhe von 600 Euro sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten festgesetzt. Auf den gegen den vorgenannten Bußgeldbescheid form- und fristgerecht eingelegten Einspruch hin verurteilte das Amtsgericht Lichtenfels den Betroffenen am 09.08.2023 zu einer Geldbuße von 1.200 Euro. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbotes hat es demgegenüber abgesehen. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde ein. Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 23.08.2023 begründete die Staatsanwaltschaft ihre Rechtsbeschwerde unter dem 24.08.2023, eingegangen beim Amtsgericht am 29.08.2023. Sie ist der Auffassung, das Gericht habe zu Unrecht von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbotes abgesehen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige sowie konkludent auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich als begründet.

1. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, denn nach dem insoweit maßgeblichen Sinn ihrer Rechtsbeschwerdebegründung hat sie den Schuldspruch nicht angefochten. Eine Überprüfung des Urteils hinsichtlich der Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen und zur Schuldform ist dem Senat von daher verwehrt.

Die Staatsanwaltschaft hat keinen konkreten Rechtsbeschwerdeantrag gestellt und keine bestimmte Rüge erhoben, was aber der Auslegung ihres Vorbringens als Sachrüge nicht entgegensteht, solange sich aus ihrem Vorbringen eindeutig ergibt, dass und inwieweit sie die Nachprüfung des Urteils in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl. § 344 Rn. 13, 14 m.w.N.).

Hinsichtlich des Angriffsziels eines Rechtsmittels ist der Sinn der Rechtsmittelbegründung maßgeblich. Für Rechtsbeschwerden der Staatsanwaltschaft sind hierbei die Nrn. 156, 293 Abs. 1 RiStBV in den Blick zu nehmen. Hiernach ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel zu begründen. Darüber hinaus soll die Staatsanwaltschaft ihre Revision/Rechtsbeschwerde stets so rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe sie ihre Rechtsauffassung stützt (Nrn. 156 Abs. 2, 293 Abs. 1 RiStBV). Dies entspricht auch dem Zweck der Vorschrift des § 345 Abs. 2 StPO, die der sachkundigen Zusammenfassung der mit dem Rechtsmittel geführten rechtlichen Angriffe dient (so für das Revisionsverfahren BGH, Urt. v. 14.04.2022 – 5 StR 313/21 bei juris [Rn. 8] = NStZ-RR 2022, 201 = StV 2023, 522 = BeckRS 2022, 9852).

Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft beschränken sich vorliegend auf die Beanstandung, dass das Amtsgericht nicht von der Verhängung eines Fahrverbots hätte absehen dürfen. Hieraus ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft das Urteil in sachlich-rechtlicher Hinsicht und nur hinsichtlich des Absehens von einem Fahrverbot für rechtsfehlerhaft hält und es allein insoweit anfechten will. Wegen der Wechselwirkung von Geldbuße und Fahrverbot bezieht sich die Beschränkung allerdings nicht allein auf die Nichtverhängung eines Fahrverbots, sondern auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt.

2. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet, weil die Erwägungen des Amtsgerichts ein Absehen von dem nach §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV, Nr. 11.3.9 BKat regelmäßig zu verhängenden Fahrverbot von zwei Monaten nicht rechtfertigen.

Das Amtsgericht hat die Nichtanordnung eines Fahrverbots unter gleichzeitiger Verdopplung der Regelgeldbuße damit begründet, dass der Betroffene Vater zweier minderjähriger, bei der Kindesmutter in B. (je nach Fahrtstrecke) zwischen 103 und 128 km vom Wohnort des Betroffenen entfernt lebender Kinder ist. Nach einer gerichtlichen Umgangsregelung habe er das Recht und die Pflicht die Kinder jeden Donnerstag um 15:00 Uhr im Kindergarten abzuholen und sonntags um 18:00 Uhr zur Mutter zurückzubringen. Die Fahrzeit zwischen dem eigenen Wohnort und dem Wohnort der Kinder betrage mit dem Pkw einfach ca. eineinhalb Stunden; mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrage sie mehrere Stunden. Die Fahrt sei zudem nicht beliebig realisierbar, sondern von den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel abhängig. Fixe Übergabezeiten ließen sich dadurch nicht einhalten. Eine vorübergehende Abänderung der Umgangsregelung für die Kinder oder verlängerte Fahrzeiten stellten für diese eine erhebliche Belastung dar. Angesichts eines frei verfügbaren Einkommens von knapp über 1000 Euro monatlich sei die Inanspruchnahme eines Taxiunternehmens für die Fahrt dem Betroffenen finanziell nicht möglich. Die Inanspruchnahme eines Kredits erscheine angesichts der schlechten Bonität des Betroffenen aussichtslos. Zudem läge die Tat, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Verfahrensdauer „auch auf das Prozessverhalten des Betroffenen zurückzuführen sei“, bereits ca. 14 Monate zurück, ohne dass der Betroffene nochmals verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten sei.

Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme bedarf. Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Zu diesen Rechtsfolgen zählt nicht nur die Frage, ob gegen einen Betroffenen in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV), sondern auch, wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV ergibt, die in der Regel festzusetzende Dauer des aufgrund einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG verwirkten Fahrverbots. Ebenso wie von der Verhängung eines Regelfahrverbots nur dann gänzlich abgesehen werden kann, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen anzunehmen sind und deshalb der vom Bußgeldkatalog erfasste Normalfall nicht vorliegt, ist der Tatrichter vor einem Abweichen von der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise die Verkürzung oder ein Absehen rechtfertigen können und daneben eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. Hier wie dort können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine Ausnahme zu rechtfertigen (st.Rspr., vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23 bei juris m.w.N.; OLG Bamberg, Beschluss vom 18.03.2014 – 3 Ss OWi 274/14 = DAR 2014, 332). Dabei ist für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte kennzeichnend, dass sie einerseits nicht durch zumutbare Maßnahmen abgefedert werden kann (vgl. nur KG, Beschluss vom 27.02.2023 – 122 Ss 16/23 bei juris = BeckRS 2023, 5142) und andererseits die Folgen der Vollstreckung des Fahrverbots für den Betroffenen in zeitlicher und/oder persönlicher Hinsicht über die typischerweise mit einem Fahrverbot verbundenen Erschwernisse und Unannehmlichkeiten hinausgehen (Burhoff [Hrsg.]/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Rn. 1473).

Neben Fällen besonderer Härte kommt ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auch dann in Betracht, wenn sie ihren Sinn verloren hat, weil die Tat lange zurückliegt, die für eine lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und dieser sich in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat. Steht – wie hier – ein mehrmonatiges Fahrverbot im Raum, wird diesem Umstand selbst bei einer langen Verfahrensdauer im Regelfall nicht durch einen gänzlichen Wegfall des Fahrverbots, sondern nur durch eine angemessene Herabsetzung seiner Dauer Rechnung zu tragen sein. Maßgeblich ist insoweit der Zeitraum zwischen der Tat und der letzten tatrichterlichen Verhandlung (vgl. nur BayObLG a.a.O. m.w.N.).

b) Dies zugrunde gelegt begegnen die Erwägungen des Amtsgerichts rechtlichen Bedenken.

aa) Zum einen lag zwischen der Tatzeit und der Aburteilung durch das Amtsgericht ein Zeitraum von weniger als 1 Jahr 2 Monaten und damit deutlich weniger als der Zeitraum, ab welchem ein Absehen von der Verhängung bzw. eine Verkürzung des Fahrverbots überhaupt erst in Betracht zu ziehen sind. Erst eine Zeitdauer von etwa zwei Jahren ist in diesem Zusammenhang geeignet, den Sinn des Fahrverbots infrage zu stellen. Angesichts der exorbitanten Geschwindigkeitsüberschreitung wäre im Übrigen auch in diesem Fall eine Abwägung durch den Tatrichter erforderlich gewesen (BayObLG a.a.O.).

bb) Zum anderen vermag die Wertung des Amtsgerichts, die Einschränkung des Umgangsrechts des Betroffenen mit seinen Kindern im Falle der Verhängung eines Fahrverbots stelle eine außergewöhnliche Härte dar, nicht zu überzeugen.

(1) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung kann sich eine außergewöhnliche Härte für einen Betroffenen sowohl aus beruflichen als auch aus sozialen Gründen ergeben. Ersteres ist beispielsweise der Fall, wenn eine massive Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz, mithin die konkrete Gefahr einer Existenzvernichtung vorliegt (BayObLG, Beschluss vom 31.07.2019 – 202 ObOWi 1244/19 bei juris [Rn. 6] = BeckRS 2019, 17044 m.w.N.; OLG Bamberg NZV 2010, 46 m.w.N.). Dabei hat das Gericht die Gefahr positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen eingehend darzulegen (BayObLG a.a.O.). Für die Frage, ob die Auswirkungen des Fahrverbots auf nahestehende dritte Personen eine außergewöhnliche Härte darstellen, kann nichts anderes gelten.

Die Frage, ob eine Einschränkung des Umgangsrechts das Absehen von einem Fahrverbot rechtfertigt, war, soweit ersichtlich, erst ein einziges Mal Gegenstand der obergerichtlichen Rechtsprechung. Das OLG Zweibrücken hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz eines Betroffenen und bei gleichzeitiger Einschränkung des Umgangsrechts das Absehen von einem Fahrverbot im konkreten Fall nicht zu beanstanden war (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.12.2015 – 1 OWi 1 Ss Bs 57/15 = ZfSch 2016, 294). Dass ein solches Absehen auch ohne das Vorliegen einer konkreten Existenzgefährdung rechtlich nicht zu beanstanden gewesen wäre, ist der vorgenannten Entscheidung nicht zu entnehmen.

(2) Unter Berücksichtigung der vorgenannten strengen Maßstäbe erreichen die festgestellten Auswirkungen des Fahrverbots auf das Umgangsrecht mit seinen Kindern allein nicht den Schweregrad, der an das ausnahmsweise Absehen von der Verhängung zu stellen ist.

Dem Betroffenen ist zuzugestehen, dass sein Umgangsrecht mit seinen Kindern gemäß Art. 6 GG Verfassungsrang genießt und dass die vom Amtsgericht festgestellten schlechten öffentlichen Verkehrsverbindungen in Verbindung mit der beträchtlichen Entfernung zwischen dem Wohnort des Betroffenen und dem Wohnort der Mutter der Kinder sowie den eingeengten finanziellen Verhältnissen zu einer erheblichen Erschwerung der faktischen Umgangsmöglichkeiten mit den Kindern während der Dauer der Vollstreckung des Fahrverbots führen werden, sollte es dem Betroffenen nicht gelingen, einen Freund oder Bekannten als kostenlosen Fahrer zu gewinnen.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass selbst ein zweimonatiges Entfallen der persönlichen Umgangsmöglichkeit des Betroffenen mit seinen Kindern nicht den Schweregrad einer Existenzvernichtung erreicht, zum einen deshalb, weil ein bestimmtes Maß an Kontakt mit den Kindern auch über die Nutzung elektronischer Medien aufrechterhalten werden kann, vor allem aber, weil die Folgen, anders als bei der Existenzgefährdung, regelmäßig nicht über die Dauer des Fahrverbots hinausreichen. Konkrete Feststellungen dahingehend, dass die Einschränkung des persönlichen Umgangsrechts des Betroffenen mit seinen Kindern für die Dauer von zwei Monaten ausnahmsweise die konkrete Gefahr gravierender Folgen für deren seelische oder persönliche Entwicklung mit sich ziehen würde, dass sie über die Dauer der Verhängung eines Fahrverbots hinausreichen würden, hat das Amtsgericht nicht getroffen. Dieses beschäftigt sich lediglich mit der abstrakten Möglichkeit einer solchen Auswirkung, ohne hierzu jedoch konkrete Feststellungen zu treffen. Dies genügt jedoch ebenso wenig, wie die abstrakte Erwägung, dass ein Fahrverbot möglicherweise berufliche Folgen für den Betroffenen nach sich ziehen könnte. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Ausübung des Umgangsrechts des Betroffenen mit seinen Kindern in Anbetracht der schlechten Verkehrsverbindungen zwar deutlich erschwert, aber eben nicht schlechterdings unmöglich ist, zumal das Amtsgericht auch keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, warum es dem Betroffenen nicht möglich sein sollte, einen Freund oder Bekannten zumindest an einzelnen Tagen um die kostenlose Ausübung der Fahrdienste zu bitten. Soweit die Verteidigung des Betroffenen geltend macht, die Mutter der Kinder bestünde auf der strikten Einhaltung des vereinbarten Umgangsrechts, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts, denn im Falle des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände (beispielsweise einer schweren Erkrankung des Betroffenen), die einem Elternteil die Ausübung des Umgangsrechts mit seinen Kindern temporär unmöglich machen, ist es den Eltern zuzumuten, eine gemeinsame Regelung zur Wahrnehmung des Umgangsrechts während der Fortdauer der außergewöhnlichen Umstände zu treffen. Soweit die Verteidigung andeutet, dass sich die Mutter einer solchen Regelung verschließen könnte, sind seitens des Gerichts keine konkreten Tatsachen festgestellt.

III.

1. Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Rechtsfehlers ist auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Lichtenfels zurückzuverweisen.

2. Für die neuerliche Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Nachdem der Betroffene einen schweren Verkehrsverstoß begangen hat, für den ein mehrmonatiges Regelfahrverbot vorgesehen ist, hat der Tatrichter für den Fall, dass er erneut zum Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte gelangen sollte, zu prüfen und abzuwägen, ob zu deren Abwendung die Reduzierung der Dauer des Fahrverbots ausreicht (OLG Hamm, Beschluss vom 03.03.2022 – 5 RBs 48/22 bei juris [Rn. 51] = BeckRS 2022, 5633 m.w.N.).

b) Sofern das Amtsgericht Prozessverhalten des Betroffenen bei der Frage, ob ein langer Zeitablauf ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots rechtfertigt, heranziehen möchte, hat es zu berücksichtigen, dass zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zum Nachteil des Betroffenen gewertet werden darf. In diesem Zusammenhang hätte das Gericht zu erörtern, aufgrund welchen konkreten Verhaltens des Betroffenen es von einer Überschreitung des zulässigen Verteidigungsverhaltens ausgeht.

c) Sollte das Amtsgericht erneut von der Verhängung des Regelfahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße absehen, wird es zu beachten haben, dass gemäß § 24 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 5 StVG i.V.m. § 17 Abs. 2 OWiG der Bußgeldrahmen für den hier vorliegenden Vorwurf der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit maximal bis 1.000 Euro reicht.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!