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Anordnung eines Aufbauseminars für Fahranfänger

Bindung an rechtskräftige Entscheidungen

VG Würzburg – Az.: W 6 S 20.510 – Beschluss vom 28.04.2020

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger.

1. Die Antragstellerin (geb. …1998) ist Inhaberin einer Fahrerlaubnis auf Probe der Klassen AM, B und L (Ablauf der Probezeit: 6.9.2019). Nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts verursachte die Antragstellerin am 11. Juni 2019 um 7:25 Uhr einen Verkehrsunfall. Aus dem Polizeibericht vom 16. Juli 2019 ergibt sich, dass die Antragstellerin auf der St 2268 (Abschnitt 140, km 3,440) von Gaukönigshofen in Fahrtrichtung Ochsenfurt aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit, bei regennasser Fahrbahn, die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlor und nach rechts von der Fahrbahn abkam. Der PKW der Antragstellerin sei auf der Fahrertüre in Endstellung vorgefunden worden, die Antragstellerin habe sich selbstständig aus dem Fahrzeug befreien können. An ihrem PKW sei ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden, zudem sei ein Feld der dort befindlichen Leitplanke beschädigt worden.

Gegen die Antragstellerin wurde aufgrund dieses Sachverhalts zunächst mit Bußgeldbescheid vom 19. September 2019 (wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit) eine Geldbuße in Höhe von 145,00 EUR festgesetzt, zzgl. 28,50 EUR Auslagen. Als Tatfolgen sind festgehalten: 600,00 EUR Sachschaden (Beschädigung der Leitplanke), Eigenschaden ca. 5.000,00 EUR. Nachdem die Antragstellerin mit E-Mail vom 25. September 2019 darauf hingewiesen hatte, dass sie als Auszubildende nicht so viel verdiene, wurde der ursprüngliche Bußgeldbescheid zurückgenommen und mit Bußgeldbescheid vom 28. Oktober 2019 eine Geldbuße in Höhe von 75,00 EUR festgesetzt (zzgl. 28,50 EUR Auslagen). Der Bußgeldbescheid erwuchs am 14. November 2019 in Rechtskraft.

2. Mit Schreiben vom 23. Januar 2020 hörte das Landratsamt Würzburg (nachfolgend: Landratsamt) die Antragstellerin unter Hinweis auf die begangene Ordnungswidrigkeit zur beabsichtigten Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 5. Februar 2020. Daraufhin zeigten die Bevollmächtigten der Antragstellerin ihre Vertretung an und baten um Akteneinsicht sowie Fristverlängerung.

Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2020 führten die Bevollmächtigten der Antragstellerin aus, dass die im Bußgeldbescheid festgehaltene Bemerkung zum Tatvorwurf nicht zutreffend sei, insbesondere sei eine Verletzung der Sorgfaltspflicht der Antragstellerin nicht erkennbar. Zudem sei die Antragstellerin wegen der Reduzierung des Bußgeldes nicht weiter gegen den Bescheid vorgegangen, da sie gedacht habe, dass sich damit die Angelegenheit erledigt habe.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2020 ordnete das Landratsamt wegen der o.g. Verkehrszuwiderhandlung die Teilnahme der Antragstellerin an einem Aufbauseminar für Fahranfänger gemäß § 2b StVG an und gab ihr auf, die Bescheinigung über die Teilnahme gemäß § 37 FeV dem Landratsamt bis zum 20. April 2020 vorzulegen (Nr. 1). Die Anordnung ist gemäß § 34 Abs. 2 FeV bei der Anmeldung zum Aufbauseminar dem Kursleiter vorzulegen (Nr. 2). Die Anordnung unter Nr. 1 ist nach § 2a Abs. 6 StVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbar (Nr. 3). Der Antragstellerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 4 und 5). Auf die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:als Bestandteil des Bescheides wurde hingewiesen (Nr. 6). Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass die Probezeit sich gemäß § 2a Abs. 2a StVG um zwei Jahre verlängere und somit am 6. September 2021 ende. Die Fahrerlaubnis sei zu entziehen, wenn am angeordneten Seminar nicht innerhalb der gesetzten Frist teilgenommen werde, § 2a Abs. 3 StVG. Auf ein beigefügtes Merkblatt über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe nach § 2a StVG wurde hingewiesen. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten der Antragstellerin am 21. Februar 2020 zugestellt.

Am 5. März 2020 ließ die Antragstellerin hiergegen Klage erheben (Az.: W 6 K 20.390), über die noch nicht entschieden ist.

Am 7. April 2020 ließ die Antragstellerin im vorliegenden Eilverfahren beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Landratsamts Würzburg wird bezüglich der Ziffer 1 angeordnet bzw. die Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wird aufgehoben.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 19. Februar 2020 rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze, da kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 und § 3 StVO vorliege. Zwar habe der Bußgeldbescheid eine Indizwirkung, jedoch sei auch im Verwaltungsverfahren eine vollständige Beweisaufnahme notwendig. Die Antragstellerin kenne die Kurve sehr gut, da sie diese nahezu jeden Tag befahre; die Sichtverhältnisse seien am Vorfallstag ebenfalls gut gewesen. Insbesondere habe kein umfassendes Aquaplaning bestanden, es habe nur leicht geregnet. Vor der Kurve befinde sich das Verkehrszeichen Geschwindigkeitsbegrenzung auf 60 km/h, die Antragstellerin sei mit maximal 45 – 50 km/h in die Kurve gefahren, da sie diese kenne und dort immer besonders langsam fahre. Es sei im vorliegenden Fall äußerst wahrscheinlich, dass sie ohne Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung von der Fahrbahn abgekommen worden sei. Die Antragstellerin sei aufgrund des Zusammenspiels einer Vielzahl von Faktoren von der Straße abgekommen, die jeweils für sich noch nicht die Schwelle zu einer Verkehrssorgfaltspflichtverletzung überschreiten würden, da das Abkommen weder im Einzelnen noch in der Gesamtheit vorhersehbar gewesen sei. Vorliegend habe ein unvorhersehbares Zusammenwirken von Fahrbahnbelagszusammensetzung und Unebenheiten, Reifenzusammensetzung und Profil, Lenkeinschlag und -konstruktion, geringe Feuchtigkeit und sonstige Ablagerungen auf der Fahrbahn, nicht vollständig genaue Geschwindigkeitsanzeige, Schwerpunkt des Fahrzeugs, Gewicht und gefahrene Geschwindigkeit dazu geführt. Insbesondere seien nicht wie fehlerhaft im Bußgeldbescheid angegeben eine überhöhte Geschwindigkeit, schlechte Lichtverhältnisse oder schlechte Wetterverhältnisse einzig maßgeblich gewesen, es habe sich daher nicht um eine Verkehrssorgfaltspflichtverletzung gehandelt. Überdies hätte im Hinblick auf die von der Antragstellerin angegebenen Geldprobleme zwingend ein Hinweis ergehen müssen, dass ab einem Bußgeld von 60,00 EUR nachträglich an einem Aufbauseminar mit Kosten in Höhe von ca. 400,00 – 500,00 EUR teilzunehmen sei und dass bei einem anschließenden Rechtsbehelf eine Bindungswirkung an die Tatsachen im Bußgeldbescheid bestehe. Dies gelte auch aufgrund der vorgesehenen Verknüpfung zwischen Bußgeld- und Strafverfahren, § 3 Abs. 3 und § 3 Abs. 4 StVG. Die eigentlich den Verkehrsteilnehmer schützende Bindung führe vorliegend dazu, dass keine informierte Entscheidung über das Einlegen eines Rechtsbehelfs mehr getroffen werden könne, was einen effektiven Rechtsschutz gegen die Anordnung des Aufbauseminars unmöglich mache. Im Übrigen überwiege das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage, da weder die Behörde noch die Sicherheit des Straßenverkehrs einen Nachteil dadurch erlitten, wenn der Ausgang des Klageverfahrens abgewartet werde; das Aufbauseminar habe keinen Prüfungscharakter, sondern den Sinn, dass sich die Teilnehmer mit ihren Fahrfehlern auseinandersetzten. Ein Fahrfehler liege vorliegend jedoch nicht vor. Außerdem handele sich um einen einmaligen Vorfall, das Fahrverhalten der Antragstellerin sei davon abgesehen beanstandungsfrei gewesen.

Das Landratsamt W. beantragte für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger gemäß § 2b StVG sei eine Maßnahme gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Anordnung des Aufbauseminars hätten kraft Gesetzes gemäß § 2a Abs. 6 StVG keine aufschiebende Wirkung. Der Bescheid vom 19. Februar 2020 sei rechtmäßig, da die Voraussetzungen für die Anordnung vorgelegen hätten, ein Ermessensspielraum sei nicht gegeben. Die Fristsetzung zur Vorlage der Bescheinigung gemäß § 37 FeV über die Teilnahme am Aufbauseminar sei mit zwei Monaten – zunächst bis 20. April 2020 – grundsätzlich angemessen. Aufgrund der aktuellen Situation, in der ein Fahrschulbetrieb bis zum 19. April 2020 nicht möglich gewesen sei, sei Fristverlängerung bis zum 29. Mai 2020 gewährt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 K 20.390, und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet und daher ohne Erfolg.

1. Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten an-geordnet hat. Die aufschiebende Wirkung entfällt aber auch dann, wenn dies gesetzlich angeordnet ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO). Da im vorliegenden Fall eine Anfechtungsklage gegen die mit Bescheid vom 19. Februar 2020 aufgrund von § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG angeordnete Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 6 StVG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), ist der vorliegende Antrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft und zulässig.

2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.

Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, weil sich die mit Bescheid vom 19. Februar 2020 angeordnete Teilnahme an einem Aufbauseminar nach der hier gebotenen, aber ausreichenden summarischen Prüfung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt als rechtmäßig darstellt und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

2.1 Rechtsgrundlage für die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar ist § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde für den Inhaber einer Fahrerlaubnis, gegen den wegen einer innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 – 3 Buchstabe a oder c StVG in das Fahreignungsregister einzutragen ist, die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn er eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Die Fahrerlaubnisbehörde ist bei dieser Maßnahme an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 2a Abs. 2 Satz 2 StVG). Die Probezeit verlängert sich um zwei Jahre (§ 2 Abs. 2a StVG). Nach § 34 Abs. 2 FeV erfolgt die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 2 StVG (§ 35 FeV) schriftlich unter Angabe der Verkehrszuwiderhandlungen, die zu der Anordnung geführt haben; dabei ist eine angemessene Frist zu setzen. Die schriftliche Anordnung ist bei der Anmeldung zu einem Aufbauseminar dem Kursleiter vorzulegen. Nach § 37 FeV ist über die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 35 FeV vom Seminarleiter eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Fahrerlaubnisbehörde auszustellen.

2.2 Diese Voraussetzungen liegen vor. Nach dem vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Auszug aus dem Fahreignungsregister hat die Antragstellerin während der Probezeit eine schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen, die rechtskräftig geahndet wurde. Der Vorfall vom 11. Juni 2019 ereignete sich innerhalb der ursprünglich bis zum 6. September 2019 laufenden Probezeit. Die Zuwiderhandlung ist auch eine schwerwiegende. Nach § 34 Abs. 1 FeV erfolgt die Bewertung der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe nach Anlage 12 zur FeV. Nach Abschnitt A Nr. 2.1 der Anlage 12 zur FeV handelt es sich bei Ordnungswidrigkeiten (§§ 24, 24a, 24c StVG) im Falle von Verstößen gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung über die Geschwindigkeit (vorliegend Unfall aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit bei schlechten Sicht- oder Wetterverhältnissen gemäß § 3 Abs. 1, § 1 Abs. 2 i.V.m. § 49 StVO, § 24 StVG; 8.1 BKat) um schwerwiegende Zuwiderhandlungen. Die Einstufung hat der Verordnungsgeber selbst vorgenommen und wird von der Antragstellerin auch nicht in Frage gestellt. Die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit ist auch nach § 28 Abs. 3 Nr. 3a bb StVG (Geldbuße von mindestens 60,00 EUR) in das Fahreignungsregister einzutragen.

2.2.1 Mit der Einwendung, die Antragstellerin habe mangels Sorgfaltspflichtverletzung keine Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 StVO begangen, kann sie nicht durchdringen.

Nach § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde bei Maßnahmen nach den Nrn. 1 bis 3 des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden. Der Fahrerlaubnisbehörde ist ebenso wie dem Gericht die Nachprüfung untersagt, ob der Inhaber der Fahrerlaubnis auf Probe die Straftat oder Ordnungswidrigkeit auch tatsächlich begangen hat. Eine nochmalige Prüfung der eingetragenen Ordnungswidrigkeit erfolgt weder im behördlichen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Die Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 StVG sind ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände der jeweiligen Zuwiderhandlung zwingend anzuordnen, diese Bindung gilt ausnahmslos. Nur diese Auslegung der Regelung wird dem Zweck des Gesetzes gerecht, die Fahrerlaubnisbehörde und die Gerichte von der Nachprüfung ordnungswidrigkeitenrechtlicher Entscheidungen zu befreien. Auch für Gerichte, die die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde beurteilen, besteht damit die Bindung an die straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Entscheidungen. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 20.4.1994 – 11 C 44/92 – NJW 1995, 70 f.), wonach Verkehrsbehörden bei Anordnungen nach § 2a Abs. 2 StVG (a.F.) nicht an die darin enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen gebunden sind, wenn gewichtige Anhaltspunkte gegen deren Richtigkeit sprechen, ist durch die Neufassung des Gesetzes überholt (VG Würzburg, U.v. 23.5.2018 – W 6 K 17.1335 und U.v. 1.8.2018 – W 6 K 18.386).

Selbst bei Anwendung der Rechtsprechung des BVerwG zur alten Rechtslage (vgl. U.v. 20.4.1994 – 11 C 44/92 – NJW 1995, 70 f.) bestünde im vorliegenden Falle keine Veranlassung für eine vom zugrundeliegenden Bußgeldbescheid abweichende Beurteilung des Vorfalls am 11. Juni 2019. Nach dieser Rechtsprechung musste der Betroffene die rechtskräftige Entscheidung insoweit gegen sich gelten lassen, als sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit, insbesondere Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO, ergeben. Dies ist jedoch hier nicht der Fall, denn die Antragstellerin gibt selbst an, dass sie den Unfall verursacht hat, die Sicht- und Wetterverhältnisse gut gewesen seien und trotz regennasser Fahrbahn kein Aquaplaning geherrscht habe. Im Unfallbericht der Polizei vom 16. Juli 2019 ist festgehalten, dass die Antragstellerin aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit bei regennasser Fahrbahn die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren hatte, von der Fahrbahn abkam und der Pkw auf der Fahrertüre in Endstellung vorgefunden wurde; ihr Pkw erlitt hierbei einen wirtschaftlichen Totalschaden und wurde abgeschleppt. Allein aufgrund physikalischer Naturgesetze spricht dies bereits für eine überhöhte Geschwindigkeit. Zudem kennt die Antragstellerin die Kurve – in welcher eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h gilt – nach eigenen Angaben gut, da sie dort nahezu täglich mit dem Pkw unterwegs ist. Es ist es weder plausibel noch irgendwie glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin tatsächlich wie behauptet mit höchstens 45 – 50 km/h in die Kurve eingefahren wäre und damit keine Sorgfaltspflichtverletzung begangen haben könnte. Neue Tatsachen oder Beweismittel, die dies in Frage stellen, wurden nicht vorgelegt.

2.2.2 Entscheidet sich der Betroffene, kein Rechtsmittel gegen den Bußgeldbescheid einzulegen, sondern ihn zu bezahlen und damit im Ergebnis die zugrunde liegende Ordnungswidrigkeit anzuerkennen, muss er sämtliche sich daraus ergebenden Folgen gegen sich gelten lassen. Ausweislich der eindeutigen Vorgaben des Gesetzgebers ist die Frage, ob die Antragstellerin den geahndeten Verstoß am 11. Juni 2019 in vorwerfbarer Weise begangen hat, vorliegend nicht mehr zu klären.

Das Vorbringen des Bevollmächtigten, die Antragstellerin hätte von der Bußgeldbehörde darüber unterrichtet werden müssen, dass aufgrund der festgesetzten Höhe des Bußgelds (mehr als 60,00 EUR) sie von Gesetzes wegen an einem Aufbauseminar teilnehmen müsse, dessen Kosten sie zu tragen habe, greift ebenfalls nicht. So handelt es sich um zwei verschiedene Verfahren: das Bußgeldverfahren einerseits, das einen zurückliegenden Vorschriftsverstoß ahndet, sowie Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde andererseits, die eine Verhütung von zukünftigen, vom Fahrerlaubnisinhaber ausgehenden Gefahren zum Ziel haben. Zudem obliegt die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 StVG vorliegen, ausschließlich der Fahrerlaubnisbehörde und hat im Rahmen des Bußgeldverfahrens keinen Raum. Trotz der Verknüpfung eines Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahrens mit fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen in § 3 Abs. 4 StVG, braucht eine Behörde nicht über Sachverhalte und Folgen zu belehren, die über ihren Zuständigkeitsbereich hinausgehen. Soweit kritisiert wird, die Antragstellerin sei dadurch ihres effektiven Rechtsschutzes beraubt, weil sie keine informierte Entscheidung treffen könne, geht dies fehl. Im Rahmen der Fahrschulausbildung wird im theoretischen Unterrichtsteil umfassend auf die gesetzlichen Rechte und Pflichten eines Fahrerlaubnisinhabers eingegangen, wozu auch die besonderen bzw. strengeren Anforderungen an einen Fahrerlaubnisinhaber auf Probe zählen. Die Antragstellerin hätte daher wissen müssen, dass sie während ihrer Probezeit besonderen Anforderungen unterliegt und sich nach Erhalt des Bußgeldbescheids über mögliche Folgen informieren bzw. Rechtsberatung einholen können.

Demnach erweist sich die Verpflichtung der Antragstellerin zur Teilnahme an dem angeordneten Aufbauseminar als rechtmäßig.

2.3 Die nachträglich verlängerte Frist zur Vorlage der Bescheinigung der Teilnahme an einem Aufbauseminar bis zum 29. Mai 2020 begegnet keinen Bedenken.

Nach § 34 Abs. 2 FeV erfolgt die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 2 StVG (§ 35 FeV) schriftlich unter Angabe der Verkehrszuwiderhandlungen, die zu der Anordnung geführt haben; dabei ist eine angemessene Frist zu setzen. Nach Art. 31 i.V.m. Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) sind behördliche Fristen nach pflichtgemäßem Ermessen zu setzen. Nach Art. 31 Abs. 7 BayVwVfG können Fristen, die von einer Behörde gesetzt werden verlängert werden. Sind solche Fristen bereits abgelaufen, so können sie rückwirkend verlängert werden, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen. Die Behörde kann die Verlängerung der Frist nach Art. 36 BayVwVfG mit einer Nebenbestimmung verbinden. Die Ermessensbetätigung der Behörde ist gemäß § 114 VwGO seitens des Gerichts nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar.

Die vom Landratsamt gesetzte Frist zur Beibringung der Bescheinigung über die Teilnahme an dem angeordneten Aufbauseminar für Fahranfänger von zwei Monaten ist als grundsätzlich angemessen zu betrachten und nicht zu beanstanden. Zwar hatten die Fahrschulen bis zum 19. April 2020 keinen Betrieb, daher wurde die Frist zur Vorlage auf den 29. Mai 2020 verlängert. Es ist aus Sicht des Gerichts möglich, dass die Termine für die Teilnahme an einem Aufbauseminar (4 Sitzungen innerhalb von 2 – 4 Wochen gemäß § 35 Abs. 1 FeV) bis zum Fristablauf durchgeführt werden. Die Teilnahme an einem Aufbauseminar und die Vorlage der Teilnahmebescheinigung sind in diesem Zeitraum in der Regel möglich, wie dies dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt ist.

Die Antragstellerin hat im Übrigen nicht auf Umstände hingewiesen, die möglicherweise eine längere Fristsetzung hätten erfordern können.

3. Auch bei einer Gesamtabwägung der gegenseitigen Interessen kann der Antrag keinen Erfolg haben. Bei Berücksichtigung der gesetzgeberischen Entscheidung, im Interesse der Verkehrssicherheit die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger gesetzlich anzuordnen (§ 2a Abs. 6 StVG), kann vorliegend kein überwiegendes Interesse der Antragstellerin gesehen werden, die Teilnahme an dem Aufbauseminar noch bis zum Ausgang des Klageverfahrens hinauszuschieben. Auch kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin ansonsten beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat. Ausweislich der gesetzlichen Vorgaben reicht bereits ein schwerwiegender Verstoß, um die Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger zu begründen. Die Antragstellerin kann durch die Teilnahme an einem Aufbauseminar die für sie nachteiligen Folgen (Entzug der Fahrerlaubnis) abwenden. Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die erforderlichen finanziellen Aufwendungen und die Verlängerung der Probezeit im Fall eines Erfolgs im Hauptsacheverfahren wieder rückgängig zu machen wären.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach Abschnitt II Nr. 46.12 ist bei der Anordnung eines Aufbauseminars vom halben Auffangwert, also von 2.500,00 EUR auszugehen, der nach der Empfehlung in Abschnitt II Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für das Sofortverfahren zu halbieren ist, so dass ein Streitwert von 1.250,00 EUR festzusetzen war.

 

 

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