OLG Köln, Beschluss vom 29.04.1980, Aktenzeichen: 1 Ss 1037 B 7/79
Tatbestand
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 1, 37, 49 StVO, § 24 StVG zu einer Geldbuße von 125,– DM verurteilt.
Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene mit seinem PKW die Z.-Straße in K. in Richtung F.-Straße und hielt an der Kreuzung mit der M.-Straße vor der Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage (LZA) an. Nach etwa 3 Min „Dauerrot“ und dem Hinweis von Passanten bemerkte er, daß die Ampelanlage defekt war. Obwohl er nicht wußte, welches Lichtzeichen die Anlage in der M.-Straße abstrahlte, fuhr er bei nach rechts durch einen Kastenwagen stark eingeengter Sicht in den Kreuzungsbereich ein. Hier kam es zum Zusammenstoß mit der von rechts bei Grünlicht in die Kreuzung mit ihrem PKW einfahrenden Zeugin B., welche während der gesamten Annäherungsphase in der M.-Straße „Grün“ hatte.
Mit seiner Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, vertritt der Betroffene im wesentlichen die Auffassung, ein Verstoß gegen § 37 StVO liege nicht vor, da die defekte LZA kein gültiges Verkehrszeichen und er deshalb wegen der entsprechenden Beschilderung vorfahrtsberechtigt gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Mit der Sachrüge hat sie einen Teilerfolg.
1.)
Eine (nach den Urteilsgründen tateinheitlich angenommene) Verletzung von § 37 Abs 1, Abs 2 Nr 1 Satz 6 StVO (Rotlichtverstoß) kann dem Betroffenen nach den Feststellungen nicht zur Last gelegt werden, da das „Dauerrot“ infolge einer Funktionsstörung der LZA nicht verbindlich war. Dies folgt aus der Rechtsnatur der LZA und der von ihr gegebenen Lichtzeichen, die als Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen anzusehen sind (vgl BGHSt 20, 125, 128; BGH VRS 41, 173, 176; BVerfG NJW 1965, 2395; BayObLG St 67, 69f mwH; OLG Hamm VRS 50, 316; Cramer, Straßenverkehrsrecht, Bd I, 2. Aufl, § 37 StVO RdNr 41; Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl, § 37 StVO RdNr 40; § 41 StVO RdNr 247 mwH; Lütkes, Meyer, Wagner, § 37 StVO Anm 2; Füchsel, DAR 69, 197f). Die Dauer des ausgestrahlten Signals beruhte auf einer Funktionsstörung der LZA und nicht auf dem vom menschlichen Willen getragenen Schaltplan (der Programmierung durch die Verkehrsbehörde), der den eigentlichen Verwaltungsakt darstellt. Die Fehlerhaftigkeit einer solchen Ampelschaltung, die etwas Unsinniges gebietet, drängt sich ohne weiteres auf (vgl BayObLG aaO; OLG Hamm aaO; Jagusch zu § 41 StVO aaO; Cramer aaO und RdNr 18 zu § 36 StVO).
2.
Mit Recht hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen Verstoßes gegen § 1 StVO verurteilt. Nach den Feststellungen durfte der Betroffene nicht von der gleichen Situation ausgehen, wie wenn eine LZA überhaupt nicht in Betrieb ist. Schon eine Ampel ohne Lichtzeichen an einer vielbefahrenen Kreuzung rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme, die gesamte Anlage liege still; sie fordert deshalb vom Verkehr erhöhte Aufmerksamkeit und größte Vorsicht (vgl OLG Köln VM 1977, 52; Füchsel aaO S 202). Daher gelten die allgemeinen Vorfahrtsregeln – ggf entsprechend der Ausschilderung – uneingeschränkt nur dann, wenn die LZA willentlich, also von der Straßenverkehrsbehörde abgeschaltet ist. Hiervon kann der Verkehrsteilnehmer aber etwa nur dann mit Sicherheit ausgehen, wenn die LZA durch kreuzweises Überkleben der einzelnen Lampen oder ähnliche Vorrichtungen als außer Betrieb gekennzeichnet ist (Füchsel aaO). Selbst in jenem Falle bleibt jedoch der Vorfahrtsberechtigte an einer stark befahrenen Kreuzung, die überdies noch schlecht überschaubar ist, zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (vgl BGH VM 1974, 43).
Vermehrt gilt dies, wo der Betroffene „Dauerrot“ hatte und wußte, daß die LZA nicht abgeschaltet, sondern defekt war. Die allgemeinen Vorfahrtsregeln nach § 8 Abs 1 StVO können bei einer solchen Situation keine Anwendung finden. Der bei Dauer-Rot Wartende kann nicht wissen, welche Lichtzeichen dem Querverkehr gegeben werden. Die Möglichkeit drängt sich geradezu auf, daß die andere Richtung das entgegengesetzte Farbzeichen „Dauergrün“ (so OLG Köln VersR 1966, 1060), jedenfalls aber abwechselnd „Grün/Rot“ hat. Er muß deshalb damit rechnen, daß der Querverkehr bei „Dauergrün“ und ohne Kenntnis von der Ampelstörung darauf vertraut, daß er seinerseits von jedem Seitenverkehr abgeschirmt ist (BGH VersR 1967, 620; Jagusch § 37 StVO RdNr 44; Müller, Straßenverkehrsrecht, Bd II, 22. Aufl, § 37 StVO RdNr 7), und daher entsprechend unvorsichtig fließend durchfährt. Für den, der „Dauerrot“ passieren will, gilt der extreme Mißtrauensgrundsatz. Der Betroffene hatte danach alle Veranlassung, mit allergrößter Vorsicht an die M.-Straße heranzufahren, zumal seine Sicht in dieser Querstraße durch einen Kastenwagen stark eingeengt war. Die vom Betroffenen zu fordernde gesteigerte Sorgfaltspflicht entsprach bei der festgestellten besonderen Verkehrslage mindestens den bei einem „Stopschild“ zu beachtenden Grundsätzen. Er hätte sich angesichts der beengten Sichtverhältnisse notfalls von Passanten einweisen lassen und selbst dann noch allergrößte Vorsicht walten lassen müssen (vgl OLG Köln VersR 1966, 1060, 1061 zur Sorgfaltspflicht bei Dauerrotlicht trotz Weisung durch Polizei).
Diese Sorgfaltspflichten hat der Betroffene nach den Feststellungen nicht beachtet.
Nach § 79 Abs 6 OWiG konnte der Senat unter Teilaufhebung des angefochtenen Urteils selbst abschließend entscheiden. Eine Geldbuße von 60,– DM erschien unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles zur Ahndung der verbleibenden Ordnungswidrigkeit gemäß § 1 StVO angemessen, zumal nach den Feststellungen ein Mitverschulden der Zeugin ausscheidet.