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Abwesenheitsverhandlung – Rüge einer Verletzung von § 265 Abs. 1 stopp

Verurteilung wegen vorsätzlicher Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h

Das Amtsgericht verurteilte einen Betroffenen in Abwesenheit zu einer Geldbuße von 960 Euro und einer Fahrverbotsdauer von zwei Monaten wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 46 km/h. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wurde aufgrund einer Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO erfolgreich eingelegt.

Verfahrensrüge erfolgreich

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg, weil der Betroffene und seine Verteidigung nicht auf die Möglichkeit einer abweichenden Verurteilung wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes hingewiesen wurden. Das Gericht hatte hierbei gegen die Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO verstoßen.

Gerichtlicher Hinweis nicht ausreichend

Das Gericht hatte zwar in der Hauptverhandlung einen ausdrücklichen Hinweis auf eine abweichende Verurteilung wegen Vorsatzes gegeben, jedoch reichte dieser Hinweis in Abwesenheit des Betroffenen nicht aus. Hierbei ist ein schriftlicher Hinweis erforderlich, wozu eine Unterbrechung oder Vertagung der Hauptverhandlung geboten ist, um dem Betroffenen und der Verteidigung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Urteil wird aufgehoben

Da das Urteil auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruht, kann es keinen Bestand haben. Das angefochtene Urteil wird mitsamt den Feststellungen aufgehoben und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.


Das vorliegende Urteil

BayObLG – Az.: 202 ObOWi 1580/22 – Beschluss vom  01.02.2023

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Passau vom 23. September 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Passau zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den von der Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 2 OWiG antragsgemäß entbundenen und in dieser auch nicht durch Verteidiger vertretenen Betroffenen in dessen Abwesenheit mit dem angefochtenen Urteil wegen einer am 06.12.2021 als Führer eines Pkw auf einer Bundesstraße begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h (§ 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO) zu einer Geldbuße von 960 Euro verurteilt. Daneben hat es gemäß §§ 25 Abs. 1 Satz 1 [1. Alt.], 26a StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV abweichend vom dem im vorgenannten Bußgeldbescheid gemäß lfd.Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c zum BKat vorgesehenen einmonatigen (Regel-) Fahrverbot eine Fahrverbotsdauer von zwei Monaten angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel hat mit der nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge einer Verletzung der Hinweispflicht Erfolg, weil der Betroffene und seine Verteidigung während des gerichtlichen Verfahrens entgegen den §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO nicht auf die Möglichkeit einer von der rechtlichen Beurteilung des Bußgeldbescheids abweichenden Verurteilung wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes in der gebührenden Weise hingewiesen wurde. Auf die weiteren verfahrensrechtlichen und die sachlich-rechtlichen Beanstandungen der Rechtsbeschwerde kommt es nicht mehr an.

1. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer vorgenannten Antragsschrift vertretenen Auffassung ist die Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO zulässig ausgeführt.

a) Von der Rechtsbeschwerde werden gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO im Rahmen der Rechtsbeschwerdebegründung alle wesentlichen den Mangel enthaltenden Verfahrenstatsachen aus sich heraus verständlich und derart vollständig, genau und bestimmt mitgeteilt, dass der Senat in den Stand gesetzt ist, allein aufgrund des Rügevorbringens zu prüfen, ob der gerügte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden.

b) Die Zulässigkeit der Rüge setzt nicht voraus, dass der Beschwerdeführer vorträgt, wie er sich im Falle eines ordnungsgemäß erteilten Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO verteidigt hätte. Denn für die Beurteilung eines Verstoßes gegen diese Norm kommt es hierauf nicht an. Dem steht die von der Generalstaatsanwaltschaft zitierte Entscheidung des Senats vom 21.01.2022 (BayObLG, Beschl. v. 21.01.2022 – 202 ObOWi 2/22 = NZV 2022, 482 = BeckRS 2022, 3278) nicht entgegen. Denn dieser Entscheidung lag eine andere Verfahrenskonstellation zugrunde. Dort ging es um die Rügeanforderungen für die alleinige Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, den der Beschwerdeführer darin erblickt hatte, dass das Tatgericht gerichtsbekannte Tatsachen ohne ordnungsgemäßen Hinweis im Urteil verwertet hatte. Für diese Rüge hat der Senat (a.a.O.) entschieden, dass es einer Darlegung dazu bedarf, was der Betroffene im Falle der ordnungsgemäßen Anhörung geltend gemacht bzw. wie er seine Rechte wahrgenommen hätte. Denn die Beurteilung, ob der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt wurde, ist nur möglich, wenn klar ist, welcher Vortrag dem Betroffenen durch die Vorgehensweise des Gerichts abgeschnitten wurde. Im vorliegenden Verfahren macht die Rechtsbeschwerde aber keineswegs allein einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör geltend, sondern beanstandet mit der zusätzlichen Angriffsrichtung ausdrücklich zugleich einen „Verstoß gegen § 265 StPO“.

2. Die Rüge ist auch begründet, weil ein gerichtlicher Hinweis auf die Möglichkeit eines von der Schuldform des Bußgeldbescheids abweichenden Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes nach § 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO nicht wirksam erteilt worden ist.

a) Die Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf eine möglicherweise veränderte rechtliche Bewertung, zu der die Annahme einer vorsätzlichen statt fahrlässigen Schuldform zählt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 265 Rn. 11; KK/Bartel StPO 9. Aufl. § 265 Rn. 11; BeckOK/Eschelbach StPO [46. Edit. – Stand: 01.01.2023] § 265 Rn. 14; MüKo/Norouzi StPO § 265 Rn. 21; Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 71 Rn. 50, jeweils m.w.N.), dient der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und der Gewährleistung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren. Die oder der Betroffene soll ihre bzw. seine Verteidigung auf den veränderten Gesichtspunkt einrichten können. Der Hinweis muss deshalb geeignet sein, dem Betroffenen Klarheit über die tatsächliche Grundlage des abweichenden rechtlichen Gesichtspunktes zu verschaffen und ihn vor einer Überraschungsentscheidung zu bewahren (BGH, Beschl. v. 20.05.2021 – 3 StR 443/20 = StraFo 2021, 517 = StV 2022, 69 = BGHR StPO § 265 Abs 1 Hinweispflicht 24 = BeckRS 2021, 25475; treffend zuletzt OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.11.2022 – 1 Ss-OWi 1149/22 bei juris).

b) Zwar erfolgte ein entsprechender ausdrücklicher Hinweis in der Hauptverhandlung vom 23.09.2022. Wird die oder der Betroffene jedoch – wie hier – von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und nimmt weder der Betroffene noch sein Verteidiger an dieser tatsächlich teil, reicht ein Hinweis auf eine abweichend vom Bußgeldbescheid in Betracht kommende Verurteilung wegen Vorsatzes nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nicht aus. Vielmehr ist in diesen Fällen erforderlich, dass der Hinweis schriftlich erfolgt, wozu – falls der Hinweis nicht schon vor der Hauptverhandlung erteilt wird – eine Unterbrechung oder Vertagung der Hauptverhandlung geboten ist, um dem Betroffenen und der Verteidigung innerhalb angemessener Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (st.Rspr.; vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 02.05.2017 – 2 Ss OWi 293/17 = DAR 2017, 383 = BeckRS 2017, 116921).

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

III.

Aufgrund des aufgezeigten Verfahrensfehlers kann die Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben. Das angefochtene Urteil wird mitsamt den Feststellungen aufgehoben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 Abs. 1 StPO) und die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Passau zurückverwiesen.

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

V.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

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