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Fahrerlaubnisentziehung nach früherem Alkoholmissbrauch und Pflicht zur Alkoholabstinenz

VG Gelsenkirchen – Az.: 7 L 3322/17 – Beschluss vom 24.01.2018

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

3. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO), wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt.

2. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 11669/17 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6. November 2017 wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, erweist sich bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig. Zur Begründung verweist die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Antrags- und Klagevorbringen Folgendes auszuführen:

Der Antragsgegner durfte gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entziehen, weil er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Ungeeignet ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ein Fahrerlaubnisinhaber insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Nach Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 zur FeV ist bei einem Alkoholmissbrauch eine Kraftfahreignung nicht und nach Beendigung des Alkoholmissbrauchs nur dann gegeben, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Vorliegend durfte der Antragsgegner davon ausgehen, dass der Antragsteller aufgrund seines früheren Alkoholmissbrauchs eine Alkoholabstinenz einzuhalten hat (a) und diese Abstinenz nunmehr aufgegeben hat (b).

Davon ausgehend war die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend geboten, ohne dass es der vorherigen Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bedurfte. § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV bestimmt ausdrücklich, dass die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtes unterbleibt, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht.

a) Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei dem Antragsteller, dem im Jahr 2008 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr die Fahrerlaubnis entzogen wurde (Amtsgericht E. , Strafbefehl vom 1. Oktober 2008 – 5 Cs – 44 Js 1437/08 – 157/08), eine Fahreignung nur bei einer dauerhaften und vollständigen Alkoholabstinenz gegeben ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die anlässlich des Wiedererteilungsverfahrens erstellten medizinisch-psychologischen Gutachten des TÜV Nord vom 2. Oktober 2009 bzw. der pima-mpu GmbH vom 10. November 2010 führen aus, dass der Antragsteller – neben Drogenkonsum (Cannabis und Amphetamine) – in der Vergangenheit einen die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauch betrieben habe, wie die Trunkenheitsfahrt im Jahr 2008 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,02 bzw. 1,94 Promille gezeigt habe. Ob es sich sogar um eine Abhängigkeit gehandelt hat, wie der Antragsteller im Explorationsgespräch am 3. November 2010 (Beiakte Heft 1 zu 7 K 11669/17, Bl. 161) ausgeführt hat, kann offen bleiben.

Fahrerlaubnisentziehung nach früherem Alkoholmissbrauch und Pflicht zur Alkoholabstinenz
(Symbolfoto: Andy Dean Photography/Shutterstock.com)

Das von dem Antragsteller im Wiedererteilungsverfahren vorgelegte Gutachten der pima-mpu GmbH vom 10. November 2010 ging zwar aufgrund der damalig eingehaltenen Abstinenz von einer wiedergewonnenen Kraftfahreignung des Antragstellers aus, hat aber eine künftige alkoholabstinente Lebensweise für eine günstige Eignungsprognose für unabdingbar gehalten. Im Einzelnen haben die Gutachter überzeugend ausgeführt, dass bei dem Antragsteller ein strikter und dauerhafter Alkoholverzicht zu fordern sei. Er sei nämlich dauerhaft nicht in der Lage, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren. Daher sei eine Veränderung in seiner Lebensgestaltung mit Blick auf eine Alkohol- und Drogenabstinenz zu fordern, welche einen erneuten Konsum dieser Mittel in der Zukunft nicht mehr erwarten lässt. Der Antragsteller trat dem im Explorationsgespräch am 3. November 2010 ausdrücklich bei, indem er ausführte, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, den Alkoholkonsum (nur) zu reduzieren, denn er „könne das nicht steuern, bei ihm sei sofort die Sucht nach mehr Alkohol da.“ Daher „müsse er sein Leben lang aufpassen“, weil er wisse, dass er immer gefährdet sei.

Diese Forderung nach einer strikten und dauerhaften Abstinenz steht auch im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben. Nach Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV setzt die Wiedererlangung der Fahreignung nach vorangegangenem Alkoholmissbrauch voraus, dass eine Beendigung des Missbrauchs stattgefunden hat und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Wenn – wie vorliegend für den Antragsteller durch das medizinisch-psychologische Gutachten der Q. -H. vom 10. November 2010 festgestellt – nach einem Alkoholmissbrauch eine gefestigte Änderung des Trinkverhaltens nur durch eine dauerhafte Abstinenz gewährleistet werden kann, ist es aus fahrerlaubnisrechtlicher Sicht geboten, die Forderung nach einem Alkoholverzicht für das Vorliegen der Kraftfahreignung zu erheben.

Vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 10 S 1491/15 -, juris.

Damit korrespondieren die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: 14. August 2017). Nach Nr. 3.13.1 der Leitlinien ist nach vorangegangenem Alkoholmissbrauch eine Kraftfahreignung erst dann gegeben, wenn das Trinkverhalten ausreichend geändert wurde. Dies ist nach den Leitlinien dann der Fall, wenn Alkohol nur noch kontrolliert getrunken wird, so dass Trinken und Fahren zuverlässig voneinander getrennt werden können, oder wenn Alkoholabstinenz eingehalten wird, falls aufgrund der Lerngeschichte anzunehmen ist, dass sich ein konsequenter kontrollierter Umgang mit alkoholischen Getränken nicht erreichen lässt. Letzteres ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, beim Antragsteller der Fall.

b) Der Antragsgegner durfte auch davon ausgehen, dass der Antragsteller diese Abstinenz zwischenzeitlich aufgegeben hat. Dies ergibt sich zum einen aus dem Urteil des Amtsgerichts N. vom 24. August 2015 (18 Ds – 12 Js 527/14 – 11/15), wonach der Antragsteller wegen Körperverletzung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt wurde. Nach den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil war der Antragsteller zum Tatzeitpunkt am 9. März 2014 „erheblich angetrunken“. Nach seinen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung trank er mit Bekannten in der Nacht vom 8. auf den 9. März 2014 in P. Alkohol; danach tranken er und eine Bekannte gegen 8.00 Uhr morgens in seiner Wohnung weiter, bis es zu den abgeurteilten Taten des Antragstellers kam. In der zugehörigen Dokumentation über den polizeilichen Einsatz bei häuslicher Gewalt des Polizeipräsidiums S. – Polizeiwache N. – vom 10. März 2014 führten die eingesetzten Polizeibeamten aus, dass der polizeibekannte Antragsteller großes Aggressionspotenzial zeige und häufig unter Alkoholeinfluss sowie nahezu täglich unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehe. Die Aufgabe des Abstinenzvorsatzes des Antragstellers ergibt sich ferner aus den zur Strafanzeige gebrachten Geschehnissen am 18. Januar 2017 (verbale und körperliche Auseinandersetzung mehrerer Personen). Nach seiner Stellungnahme zum Tatvorwurf war der Antragsteller – wie alle anderen Beteiligten auch – an diesem Tag alkoholisiert. Auch die Staatsanwaltschaft stellte in ihrer Einstellungsverfügung vom 6. April 2017 fest, dass sämtliche Beteiligte – und damit auch der Antragsteller – alkoholisiert waren.

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der Antragsteller auch wegen des Konsums von Betäubungsmitteln ungeeignet zum Fahren von Kraftfahrzeugen ist. Anhaltspunkte dafür könnten sich neben der o.g. polizeilichen Einsatzdokumentation über den häufigen Betäubungsmittelkonsum des Antragstellers vom 10. März 2014 und der Strafanzeige des Polizeipräsidiums S. (Polizeiwache E. ) vom 13. November 2014, wonach der Antragsteller regelmäßig Drogen und Testosteron konsumiere, aus einer Bürgerbeschwerde an die Fahrerlaubnisbehörde vom 6. Juli 2017 ergeben. Danach führe der Antragsteller seit mehreren Jahren unter Drogeneinfluss (Partydrogen und Cannabis) Kraftfahrzeuge und sei auf einem Parkplatz vor einem Fitnessstudio „bekifft“ vor einen Baum gefahren.

Die in Ziffer 2 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene deklaratorische Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Angesichts der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers nicht gegeben. Dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung genießt, ist nicht festzustellen.

Selbst wenn von offenen Erfolgsaussichten der Klage ausgegangen würde, hätte der Antrag des Antragstellers keinen Erfolg. Denn die vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung fiele auch mit Blick darauf, dass die Entziehungsverfügung nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, zu seinen Lasten aus. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis eventuell verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten für den Antragsteller muss er als Betroffener jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen. Dass ein solches Risiko besteht, ergibt sich – wie oben dargestellt – daraus, dass der Antragsteller entgegen der in dem medizinisch-psychologischen Gutachten vom 10. November 2010 erhobenen Forderung nach einer dauerhaften Alkoholabstinenz, die er sich seinerzeit auf der Grundlage einer Selbsteinschätzung zu eigen gemacht hat, nicht mehr festhält.

Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene Zwangsgeldandrohung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Sie entspricht den Anforderungen der §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW und ist rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 i.V.m. 2 GKG. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Entziehung einer Fahrerlaubnis betrifft, ist ungeachtet der im Streit stehenden Fahrerlaubnisklassen nach dem Auffangwert zu bemessen. Dieser ist im vorliegenden Eilverfahren zu halbieren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 – 16 E 550/09 – juris.

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