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Abstandsmessung mit VKS 3.2 3d – fragmentarische Kerndatenmitteilung

AG Mannheim, Az.: 21 OWi 509 Js 22701/15, Beschluss vom 15.12.2015

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Dem Betroffenen wird mit Bußgeldbescheid vom 27.05.2015 vorgeworfen, am 01.04.2015 um 09:58 Uhr in Schriesheim auf der BAB 5 bei km 566,4 Fahrtrichtung Frankfurt, mit dem Pkw …, bei einer Fahrtgeschwindigkeit von toleranzbereinigt 99 km/h den erforderlichen Abstand von 41,20 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten zu haben, sondern lediglich einen Abstand von 17,00 m und damit weniger als 4/10 des halben Tachowertes.

Dem Betroffenen liegt damit der Vorwurf einer fahrlässigen Abstandsverringerung nach §§ 4 Abs. 1, 49 StVO zur Last.

Die Abstandsunterschreitung wurde mittels VKS 3.2 3D Messung der Herstellerfirma V. System GmbH in B. ermittelt.

Diese Messung kann keine Grundlage für die Verhängung eines Bußgeldes sein.

I.

Das verwendete Messsystem gilt als standardisiertes Verfahren.

Jedoch hat der in einem anderen Bußgeldverfahren als Sachverständiger herangezogener Diplomingenieur R. F., Mannheim, plausibel dargetan, dass seine Berechnung die Richtigkeit der übermittelten Daten unterstelle. Er könne, da die Rohdaten nicht eingeblendet würden, lediglich eine Plausibilitätsprüfung vornehmen, eine Detailprüfung sei nur der Herstellerfirma möglich. Als Arbeitsgrundlage stehe ihm letztlich eine nachträgliche Kopie des ursprünglichen Datensatzes zur Verfügung. Entsprechende Äußerungen hat ein weiterer Sachverständiger in einem anderweitigen Bußgeldverfahren in gleicher Weise gemacht. Ein weiterer Sachverständiger (der Name ist dem Gericht nicht mehr erinnerlich) hat seine Berechnung mittels eigener Software vorgenommen, allerdings darauf hingewiesen, dass diese nicht geeicht sei.

Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens allein lässt noch nicht sicher auf das reibungslose Funktionieren des Messgeräts oder des Auswertevorgangs schließen. Denn ob ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, das dem Gericht eine tragfähige Beweisführung erlaubt, vorliegt, ist angesichts der letztlich fehlenden Überprüfungsmöglichkeit gerade fraglich. Gerade wenn die Kerndaten nur fragmentarisch mitgeteilt werden und nicht durch Sachverständige verifizierbar sind, sind Zweifel angebracht. So äußerte der Sachverständige R. F. für das Gericht nachvollziehbar, dass mit der Messmethode beliebig viele Messdaten generiert werden könnten. Dies steht nicht im Einklang mit der tatsächlichen Anwendung, die überdies damit einhergeht, dass die wenigen überhaupt erfassten Messwerte erst auf gerichtliche Nachfrage zur Akte gelangen.

Auf Nachfrage erhält zumindest der durch das Gericht beauftragte Sachverständige auch erst die Geschwindigkeitswerte des dem Betroffenen vorausfahrenden Autofahrers. Dies, obwohl die Begriffe „halber Tachoabstand“ und x<- Wert des halben Tachoabstands, so wie sie der Bußgeldbescheid wiedergibt, gleiche Fahrgeschwindigkeit voraussetzt. Tatsächlich differiert der Abstand der beiden Fahrgeschwindigkeiten oft um mehr als drei km / h, manchmal sogar im doppelstelligen Bereich. Dies wirkt sich rechnerisch auf den xy – Wert des halben Tachoabstand aus. Der Sachverständige Dr. L., Freiburg, wies in einem (in dem zu entscheidenden Fall die Messung bestätigenden Gutachten) darauf hin, dass im Falle einer um mehr als 3 km / h höheren Fahrgeschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs das VKS 3.0 Verfahren entweder gar nicht oder nur unter weitergehenden Miteinbeziehung des Fernbereichs (der hier nicht überwacht wird) angewendet werden sollte. Das bedeutet aber für den Bußgeldrichter, er benötigt in jedem Fall ein Sachverständigengutachten oder aber er geht unbesehen, das heißt aber auch unkritisch von der Standardisierung der Methode aus.

Soweit darauf abgestellt wird, dass bei Verwendung eines standardisierten Verfahrens, bei Fehlen von Messfehlern und der Angabe der Toleranzwerte eine hinreichende Grundlage zur tatrichterlichen Beurteilung und der revisionsrechtlichen Überprüfung gegeben sei (OLG Bamberg, Beschluss vom 22.02.2012, Az. 3 Ss OWi 100 /12), bestehen Zweifel an dieser Auffassung. Zweifel hieran äußert der Sachverständige Dr. L., Freiburg, mit Blick auf die Notwendigkeit der Auswertung durch Polizeibeamte. Diese müssen dabei die Aufstandspunkte der linken Vorderräder auf der Fahrbahn anklicken, wodurch menschliche Unsicherheitsfaktoren zum Tragen kommen können, die das System nicht intern kontrollieren und abgleichen kann. Es seien ihm hierbei bereits größere Abweichungen im Bereich von mehr als maximal + _ 1,0 Meter aufgefallen, was belegt, dass eben abhängig vom jeweiligen Auswerter nicht immer das gleiche Ergebnis unter gleichen Ausgangsbedingungen zustande kommt, wobei sich diese von ihm als „menschliche Auswertetoleranzen“ bezeichnete Effekte zu Gunsten, aber auch zu Lasten des Betroffenen auswirken können. Die Zweifel gehen auch auf Erfahrungen hinsichtlich eines anderen standardisierten Verfahrens, nämlich der Geschwindigkeitsmessung mit PoliScan Speed der Herstellerin V. zurück. Bei dieser Messmethode ergäben sich Anhaltspunkte für Fehlmessungen jedenfalls dann nicht, wenn die Diskrepanz zwischen dem Messergebnis und dem Wert, der sich aus der, Berechnung der Zusatzdaten ergibt, innerhalb der Eichfehlergrenze liegt (so OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.10.2014, Az. 2 (7) SsBs 454 / 14). Nachdem in einem Bußgeldverfahren der beauftragte Sachverständige B., Hohenahr, innerhalb der Messreihe wenige, aber außerhalb der Eichfehlergrenze liegende Diskrepanzen feststellte, wurde das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, nachdem die Beweisaufnahme mit der Physikalisch – Technischen Bundesanstalt nicht zur Klärung führte, worauf dies beruhe. Außerhalb der Hauptverhandlung äußerte ein Zeuge der Herstellerfirma V, das könne man nicht garantieren. Wollte man daher sicher sein, dass nicht gerade der zu entscheidende Fall nicht ein solcher „Ausreißer“ ist, müsste jedes Mal die gesamte Messreihe dahingehend untersucht werden, solange die Ursache für das das Auftreten dieser Differenzen unbekannt ist.

Angesichts dessen trägt auch die Zulassung durch die Physikalisch – Technische Bundesanstalt in Braunschweig nicht. Sie ist lediglich Indiz für die Wirksamkeit und Geeignetheit einer Messmethode und gibt die Gewähr, dass regelmäßige und zutreffende Messergebnisse erzielt werden. Es kam jedoch vor, dass eine derart als standardisiert anerkannte Methode mehrfach nachgebessert werden musste, um diesen Standard zu erhalten. Diese Änderungen waren oft durch kritische Stimmen von mit der Überprüfung der Messungen beauftragten Sachverständigen initiiert. Diese technischen Weiterführungen waren meist mit einer Zunahme von zuvor nicht erhältlichen Rohdaten verbunden, die eine bessere Überprüfbarkeit brachten und dem Gericht eine fundierte Beweisführung erlaubten.

Vorliegend muss es, sollte es verurteilen wollen, gutgläubig auf die Richtigkeit der Anknüpfungspunkte Geschwindigkeit und Abstand vertrauen. Es spricht für sich, wenn Sachverständige sich zur Plausibilisierung ihres Ergebnisses des Abstands der Mittelmarkierungen auf Autobahnen bedienen.

In einem Bußgeldverfahren errechnete der dort beauftragte Sachverständige im Übrigen eine tatsächliche Fahrgeschwindigkeit des Betroffenen von 114 km / h, während die mittels VKS ermittelte Fahrgeschwindigkeit mit toleranzbereinigt 117 km / h angegeben wurde. Die Differenz konnte der Sachverständige nicht plausibel erklären.

Dies bedeutet im Ergebnis, dass eine vollumfängliche und objektiv überprüfbare Messung nicht gegeben ist. Wenn ausschließlich die Herstellerfirma Zugriff auf die Rohdaten hat, besteht nicht nur die Gefahr von Missdeutungen, Fehlinterpretationen und Manipulationen. Denn diese wird bemüht sein, die Fehlerfreiheit der Messmethode herauszustellen. Es bedeutet weiter, dass weder die Bußgeldbehörde eine umfassende Grundlage für die Entscheidung, einen Bußgeldbescheid zu erlassen, hat noch das Gericht, selbst mit Hilfe sachverständiger Beratung, dessen Richtigkeit zu überprüfen.

II.

Es ist auch nicht zulässig, die genaue Abstandsverkürzung zu ersetzen durch die Inaugenscheinnahme des Videobands. Darauf ist in aller Regel zu sehen, dass hier über längere Strecken zu dicht aufgefahren wird. Dies ersetzt jedoch keine exakte und reproduzierbare Beweisführung, insbesondere wenn wie vorliegend die zu verhängende Regelbuße und ein etwaiges Fahrverbot von genauen Abstandswerten abhängt. So zeigte der in einem noch nicht entschiedenes Ordnungswidrigkeitenverfahren beauftragte Sachverständige auf, dass der Hintermann dem Betroffenen bis auf minimal vier und maximal neun Meter aufgefahren war. Dies lässt an eine Straftat denken. Laut polizeilicher Auskunft wurde der Nachfahrende wegen Unterschreitung des drei Zehntelwertes bei einem Abstand von fünfzehn Metern geahndet. Diese Diskrepanz betrifft zwei hintereinander herfahrende Fahrzeuge innerhalb der Beobachtungsstrecke und insbesondere im Nahbereich der Messung.

III.

Es ist auch umstritten, ob bei grundsätzlich standardisiertem Messverfahren die Angabe einzelner Messdaten ausreicht (beispielhaft OLG Hamm, Beschluss vom 22.12.2014, Az. 3 RBs 264 / 14), oder ob Abstandsverkürzungen nur dann geahndet werden können, wenn eine längere Wegstrecke über mindestens drei Sekunden festzustellen waren (so interpretierbar OLG Rostock, Beschluss vom 18.08.2014, Az.: 21 Ss OWi 144 / 14, ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 09.07.2013, Az.: 1 RBs 78/13).

Dieses Gericht folgt der Auffassung, dass eine nicht nur vorübergehende und ahndungswürdige, Abstandsverkürzung eine detaillierte und rekonstruierbare Feststellung von mindestens drei Sekunden erfordert, was laut Diplomingenieur F., Mannheim, technisch keine Problem darstellt.

Aber selbst wenn man wie offenbar die Bußgeldbehörde es handhabt, auf die gesamte einsehbare Beobachtungsstrecke abhebt und zwei Messungen innerhalb von weniger als drei Sekunden für ausreichend erachtet, wenn eine relevante Abstandsveränderung nicht zu erkennen ist, verbleiben Zweifel. Dies würde bedeuten, dass der Betroffene und der Vorausfahrende konstant die gleiche Geschwindigkeit eingehalten haben müssten, um einen gleichbleibenden Abstand zu halten.

Dass dies jedenfalls im Bereich der beiden Messungen nicht der Fall ist, zeigen verschiedentlich, auf Anfrage, vorgelegte als Referenzbildausdruck oder Zusatzdatenblatt bezeichnete Unterlagen, aus denen sich zwei Geschwindigkeitswerte des Betroffenen und des Vorausfahrenden ergeben, wobei sich Geschwindigkeitsdifferenzen bis zum zweistelligen Bereich gezeigt haben. Die Messgenauigkeit im Nahbereich, vorliegend eine Messstrecke von 54,6 Metern, die in 2 Sekunden durchfahren wurden, toleranzfrei auf den Fernbereich zu übertragen, erscheint fragwürdig. Dies wäre vergleichbar dem Vorwurf eines Rotlichtverstoßes, weil die eigene Lichtzeichenanlage grün anzeigte. Solange jedoch nicht nachgewiesen werden kann, dass ein Kraftfahrzeug die Haltelinie bei Rot überfuhr, steht nur eine begründete, aber nicht nachgewiesene Ordnungswidrigkeit im Raum, die mangels sicheren Nachweises nicht geahndet werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 467 Abs.1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.

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