OLG Thüringen, Az: 1 Ss Bs 112/11, Beschluss vom 05.01.2012
Das Urteil des Amtsgerichts Suhl vom 29.9.2011 wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Prüfung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Suhl zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Suhl verurteilte den Betroffenen, einen Transportunternehmer, am 29.9.2011 wegen fahrlässigen Verstoßes gegen Sozialvorschriften im gewerblichen Güterverkehr, namentlich gegen die Pflicht, eine Bescheinigung für arbeitsfreie Tage den Fahrern auszuhändigen in acht Fällen zu einem Bußgeld von 500 EUR, gegen die Pflicht, für eine ordnungsgemäße Benutzung des Kontrollgerätes zu sorgen, in zwei Fällen zu einer Geldbuße von 400 EUR und gegen die Pflicht, für die Einhaltung der Vorschriften der EGVO 561/2006 zu sorgen, zu einer Geldbuße von 2.000 EUR.
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene am 6.10.2011 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese am 9.11.2011 mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 28.12.2011, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Suhl zurückzuverweisen.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat einen (vorläufigen) Erfolg. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben, weil die im Urteil dargestellte Beweiswürdigung die der Verurteilung zu Grunde liegenden Feststellungen nicht trägt.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 28.12.2011 dazu ausgeführt:
„Auch im Bußgeldverfahren muss die Beweiswürdigung so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung – insbesondere im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze – ermöglicht. Das Urteil muss deshalb in der Regel auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugungen gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob das Gericht dieser Einlassung des Betroffenen – und warum – folgt oder ob und inwieweit es seine Einlassung für widerlegt ansieht (Seitz in Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz-Kommentar, 15. Aufl., § 71 Rdnr. 43).
Dabei unterliegt die Beweiswürdigung des Tatrichters einer nur eingeschränkten Überprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Rechtsbeschwerdegericht darf die Beweiswürdigung nur auf rechtliche Fehler prüfen, sie aber nicht durch seine eigene ersetzen. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 337 Rdnr. 26, 27).
Gemessen an diesen Anforderungen sind die Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Suhl vom 29.09.2011 zur Beweiswürdigung lückenhaft. Hierzu im Einzelnen:
1.
Der Beschwerdeführer wurde zunächst wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1a FPersG i.V.m. §§ 21 Abs. 1 Nr. 10, 20 Abs. 2 FPersV verurteilt, weil in den im Urteil unter 1.1 bis 1.8 geschilderten Zeiträumen für die Fahrer M P, J M und U G keine ordnungsgemäß ausgefüllte Bescheinigung vorgelegt wurde über arbeitsfreie Tage bzw. andere Tätigkeiten am Arbeitsplatz oder Tage, an denen keine Fahrzeuge oder nur solche Fahrzeuge gelenkt wurden, für deren Führen eine Nachweispflicht nicht besteht.
Nach § 21 Abs. 1 Nr. 10 FPersV handelt ordnungswidrig i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1a FPersG, wer als Unternehmer vorsätzlich oder fahrlässig die dort genannte Bescheinigung nicht vorlegt.
Im Hinblick auf die Beweiswürdigung führt das Urteil aus, dass die festgestellten Verstöße zur Überzeugung des Gerichts hinsichtlich des Tatvorwurfs zu 1. aufgrund der glaubhaften Angaben der Behörde feststünden. Darüber hinaus habe auch der Betroffene sämtliche ihm vorgeworfenen Verstöße nicht in Abrede gestellt (S.4 UA).
Diesen Wendungen lässt sich nicht entnehmen, wie das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Betroffene in seiner Eigenschaft als Speditionsunternehmer die in § 20 Abs. 2 FPersV geforderte Bescheinigung zu den unter 1.1 bis 1.8 genannten Zeiträumen für die jeweiligen Fahrer nicht ausgestellt hat.
Eine „Behörde“ stellt als solche kein geeignetes Beweismittel i.S.d. Strafprozess- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts dar. Ob das Amtsgericht einen Vertreter des Landesbetriebs für Arbeitsschutz und technischen Verbraucherschutz in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen oder bestimmte von dieser Behörde während des Bußgeldverfahrens gefertigte Dokumente oder Aufzeichnungen im Wege des Urkunds- oder Augenscheinsbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Darüber hinaus geht aus den Urteilsgründen nicht hervor, welche behördlichen Angaben im Einzelnen das Amtsgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat. Derartige Angaben sind vorliegend auch nicht entbehrlich, da die Urteilsgründe weiter nicht erkennen lassen, ob der Betroffene die ihm zur Last gelegten Vorwürfe eingeräumt hat. Die Urteilsgründe führen insoweit aus, dass die Verstöße vom Betroffenen auch nicht Abrede gestellt werden. Ein glaubhaftes Geständnis des Betroffenen lässt sich dieser Wendung nicht entnehmen. Denn die Wendung, der Betroffene habe die Verstöße nicht in Abrede gestellt, lässt auch die Auslegung zu, dass sich der Betroffene zu diesen und auch den weiteren Tatvorwürfen nicht eingelassen hat.
Damit liegt eine nur lückenhafte Beweiswürdigung im Hinblick auf die unter Ziff. 1. (S.2 und 3 UA) genannten Verstöße vor.
2.
Auch zu dem unter Ziff. 2. (S.3 UA) festgestellten Tatvorwurf sind die Feststellungen zur Beweiswürdigung lückenhaft. Der Betroffene wurde insoweit wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1b FPersG i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 FPersV verurteilt, da er als Verantwortlicher nicht dafür gesorgt habe, dass das Kontrollgerät am kontrollpflichtigen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen: S ordnungsgemäß genutzt und betrieben worden sei. So sei das Fahrzeug zwischen 19.12., 20.35 Uhr, bis zum 20.12.2010, 0.05 Uhr, ohne Fahrerkarte gelenkt worden. Ebenso sei am 22.12.2010 von 0.10 Uhr bis 03.15 Uhr ohne Fahrerkarte gefahren worden (S.3 UA).
Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 FPersV handelt ordnungswidrig i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1b FPersG, wer als Unternehmer entgegen die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates vom 20.12.1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig entgegen Art.13 für das ordnungsgemäße Funktionieren des Kontrollgerätes oder die ordnungsgemäße Benutzung des Kontrollgerätes oder der Fahrerkarte nicht sorgt. Art.13 der in Bezug genommenen VO(EWG) Nr. 3821/85 schreibt vor, dass der Unternehmer und die Fahrer für das einwandfreie Funktionieren und die ordnungsgemäße Benutzung des Kontrollgerätes sowie der Fahrerkarte Sorge zu tragen haben.
Zur Beweiswürdigung führt das angefochtene Urteil insoweit aus, dass der unter Ziff.2 festgestellte Verstoß aufgrund der technischen Aufzeichnungen durch das zugelassene eingebaute EG-Kontrollgerät feststehe.
Auf die Aufzeichnungen aus dem Massespeicher Bl. 26-30 d.A. werde gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO Bezug genommen (S.4 UA).
Diesen Wendungen lässt sich nicht entnehmen, wie das Amtsgericht seine Überzeugung über den ausgeurteilten Verstoß gewonnen hat. Zwar kann der Tatrichter gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 in den Urteilsgründen auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, wegen der Einzelheiten verweisen. Jedoch kann eine derartige Verweisung auf Aktenbestandteile die Beweiswürdigung nicht ersetzen. Denn die Bezugnahme ist nur wegen der Einzelheiten erlaubt. Die Schilderung des „Aussageinhalts“ der Abbildung darf nicht ganz entfallen. Eine Beschreibung des Wesentlichsten in knapper Form ist erforderlich (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 267 Rdnr. 10).
Nach diesen Grundsätzen hätte sich das Amtsgericht nicht mit der Verweisung auf die Aufzeichnungen aus dem Massespeicher begnügen dürfen. Zwar lässt sich den Aufzeichnungen anhand auf der Bl. 26 d.A. befindlichen Legende entnehmen, dass das Fahrzeug mit dem Kennzeichen S in den genannten Zeiträumen nach dem Aufzeichnungsvorgang „ohne Karte“ gefahren wurde. Wie das Amtsgericht jedoch seine Überzeugung gewann, dass der Betroffene als Unternehmer für das ordnungsgemäße Funktionieren des Kontrollgerätes oder dessen ordnungsgemäße Nutzung nicht gesorgt hat, geht allein aus den in Bezug genommenen Aufzeichnungen nicht hervor. Der gesetzliche Wortlaut der Bußgeldvorschrift lässt die Auslegung zu, dass dem Unternehmer für das einwandfreie Funktionieren und die ordnungsgemäße Benutzung des Kontrollgeräts und der Fahrerkarte eine Aufsichts- und Überwachungspflicht obliegt (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.07.2010, Az.: 2 Ss-OWi 276/10, NStZ-RR 210, 357).
Feststellungen dazu, ob und ggf. welche Vorkehrungen der Betroffene in seiner Eigenschaft als Speditionsunternehmer getroffen bzw. nicht getroffen hat, um der ihm obliegenden Kontrollpflicht zu entsprechen, hat das Amtsgericht nicht getroffen. Allein aus den in Bezug genommenen Aufzeichnungen aus dem Massespeicher lassen sich keine zureichenden Hinweise für ein entsprechendes Tun oder Unterlassen des Betroffenen entnehmen.
Wie bereits ausgeführt kann auch der Wendung, dass der Betroffene die Verstöße nicht in Abrede stelle, kein glaubhaftes Geständnis des Betroffenen entnommen werden. Mithin sind auch die Feststellungen zur Beweiswürdigung bezüglich der unter Ziff.2 festgestellten Verstöße lückenhaft.
3.
Dasselbe gilt auch im Hinblick auf die unter Ziff.3 festgestellten Verstöße. In diesem Zusammenhang stellen die Urteilsgründe unter Bezugnahme auf die „Verstoßliste 3“ im Einzelnen genannte Lenkzeitverstöße der Fahrer U R G, J M und J S für den Zeitraum vom 04.11.2010 bis 10.12.2010 fest (S.4 – 6 UA).
Der Betroffene habe offensichtlich nicht dafür gesorgt, dass die insoweit maßgeblichen Bestimmungen der EGVO Nr. 561/2006 durch seine Fahrer eingehalten wurden (S.3 UA).
Nach § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG handelt ordnungswidrig, wer als Unternehmer gegen die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig nicht dafür sorgt, dass die in Art.6 – 8 der Verordnung genannten Ruhezeiten vom Fahrer eingehalten werden.
Zur Beweiswürdigung führen die Urteilsgründe insoweit aus, dass die aufgelisteten Verstöße zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der technischen Aufzeichnungen durch das EG-Kontrollgerät auf den Fahrerkarten feststehe. Auf die technischen Aufzeichnungen, Bl. 31 ff. d.A. sowie die digitalen Daten, Bl. 3 d.A., werde gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO Bezug genommen. Auch diese Verstöße würden vom Betroffenen nicht in Abrede gestellt (S.4 UA).
Auch insoweit lässt sich anhand der Feststellungen zur Beweiswürdigung nicht nachvollziehen, wie das Amtsgericht seine Überzeugung über die Täterschaft des Betroffenen gewonnen hat. Aus den in Bezug genommenen Aufzeichnungen Bl. 31-33 d.A. lassen sich die tabellarisch auf S.4 – 7 UA dargestellten Verstöße nicht nachvollziehen. Die genannten Aufzeichnungen enthalten Angaben zu den Lenkzeiten des Fahrers J M. Zu den weiteren Fahrern U G und J S verhalten sich die in Bezug genommenen Dokumente nicht. Auch insoweit ist auszuführen, dass allein die Bezugnahme auf Aufzeichnungen eine Beweiswürdigung, d.h. eine Schilderung des „Aussageinhalts“ der Aufzeichnungen und eine Beschreibung des Wesentlichsten in knapper Form, nicht entbehrlich macht. Soweit die Urteilsgründe darüber hinaus gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO auch auf die digitalen Daten Bl. 3 d.A. Bezug nehmen, ist diese Bezugnahme unzulässig. In der Verweisung auf ein elektronisches Speichermedium als solches liegt keine wirksame Bezugnahme i.S.v. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO vor. Denn bei einer in die Akte eingehefteten CD-ROM handelt es sich um keine Abbildungen, die unmittelbar durch den Gesichts- oder Tastsinn wahrgenommen werden können (BGH, Urteil vom 02.11.2011, 2 StR 332/11).
Da – wie bereits ausgeführt – den Urteilsgründen auch kein glaubhaftes Geständnis des Betroffenen zu entnehmen ist, ist die richterliche Überzeugung im Hinblick auf die unter Ziff. 3 aufgeführten Verstöße ebenfalls nicht für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar.
Auf den genannten Verstößen beruht das angefochtene Urteil (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 337 Abs. 1 StPO).“
Dem schließt sich der Senat an und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Die Möglichkeit der Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG betrifft nur Abbildungen, nicht schriftlich festgehaltene Gedankeninhalte, auch wenn sich diese auf einer Abbildung befinden. Die Aufzeichnungen des EG-Kontrollgerätes, die in den Urteilsgründen in Bezug genommen werden, beschränken sich nicht auf die bildliche Wiedergabe einer visuell wahrnehmbaren äußeren Tatsache, sondern ordnen Geschehensabläufe mit Hilfe grafischer Darstellungen, textlicher Erläuterungen sowie Ziffernfolgen zeitlich ein. Durch bloßes Betrachten lässt sich der Sinngehalt dieser Darstellungen nicht erfassen. Vielmehr ist die Lektüre der Schrift und der Ziffern unabdingbar. Deshalb handelt es sich nicht um reine Abbildungen im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, auf die in den Urteilsgründen Bezug genommen werden könnte. (vgl. Senatsbeschluss vom 6.1.2008, 1 Ss 284/07, VRs 114 (2008), 453ff.).