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Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde – Bestimmung Wertgrenze bei mehreren Geldbußen

Verurteilung wegen unerlaubter Steuerhilfe aufgehoben

In einer jüngsten Entscheidung hat das Bayerische Oberlandesgericht (BayObLG) ein Urteil des Amtsgerichts Nürnberg aufgehoben, welches sich mit der unerlaubten Hilfeleistung in Steuersachen beschäftigt. Ein Individuum, in den Gerichtsdokumenten als „Betroffener“ bezeichnet, wurde wegen 2.653 Fällen der unbefugten Steuerhilfe zu einer erheblichen Geldbuße verurteilt. Doch das Urteil des Amtsgerichts war nicht ohne Kontroversen und wurde aufgrund von Bedenken bezüglich der Verletzung des materiellen Rechts angefochten. Der Kern des Problems scheint in der Interpretation und Anwendung des Kumulationsprinzips zu liegen, das im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) verankert ist.

Direkt zum Urteil Az: 202 ObOWi 1150/22 springen.

Unklarheit bei der Anwendung des Kumulationsprinzips

Die Vorgehensweise des Amtsgerichts bei der Anwendung des Kumulationsprinzips, das die Addition der verhängten Einzelgeldbußen vorsieht, wurde infrage gestellt. Der Einwand des Betroffenen argumentierte, dass das Gericht diese Prinzipien nicht korrekt angewendet hat. Das Amtsgericht wird auch beschuldigt, die Anforderungen des § 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG, die sich auf die Gründe für das Urteil beziehen, nicht erfüllt zu haben.

Mangel an präzisen Tathandlungen

Ein wesentlicher Punkt der Beanstandung betraf die Unklarheit der Tathandlungen. Das ursprüngliche Urteil enthielt keine ausreichend präzisierten Tathandlungen. Es wurde lediglich festgestellt, dass der Betroffene geschäftsmäßige Hilfeleistungen in Steuersachen erbracht hat. Es fehlte jedoch an einer klaren Differenzierung hinsichtlich Art und Anzahl der Tätigkeiten. Zudem blieb das spezifische Verhalten des Betroffenen in vielen Fällen unklar.

Unvollständige Informationen über Auftraggeber und Zeiten

Ein weiterer Grund für die Aufhebung des Urteils war die Unvollständigkeit der Informationen. Das Amtsgericht stellte weder die Auftraggeber noch die Zeiten der Auftragserteilungen oder die Zeitpunkte der Ausführung der Arbeiten fest. Dies ließ den Umfang und die genaue Natur der behaupteten Ordnungswidrigkeiten unklar.

Aufgrund dieser Bedenken hat das BayObLG das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Nürnberg zurückverwiesen. Es bleibt abzuwarten, wie das Amtsgericht diese Fragen bei der erneuten Verhandlung des Falls behandeln wird.


Das vorliegende Urteil

BayObLG – Az.: 202 ObOWi 1150/22 – Beschluss vom 24.10.2022

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 05.04.2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Nürnberg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 05.04.2022 wegen unbefugter Hilfeleistung in Steuersachen in 2653 Fällen zu einer Geldbuße von 142.435 Euro. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffenen die Verletzung materiellen Rechts.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft.

a) Allerdings folgt die Statthaftigkeit noch nicht daraus, dass das Amtsgericht in Verkennung des aus § 20 OWiG resultierenden Kumulationsprinzips im Entscheidungstenor eine Addition der verhängten Einzelgeldbußen vorgenommen hat. Für die Frage, ob die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG oder ein Zulassungsantrag § 80 Abs. 1 OWiG statthaft ist, kommt es nicht auf die (fehlerhafte) Urteilsformel der angefochtenen Entscheidung, sondern – wie sich aus § 79 Abs. 2 OWiG ergibt – darauf an, ob mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 264 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) Gegenstand des Urteils sind und ob für einzelne Taten Bußgelder jeweils über der Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG verhängt wurden. Die Beurteilung, ob eine oder mehrere Taten im prozessualen Sinne vorliegen, hat das Rechtsbeschwerdegericht anhand der tatrichterlichen Feststellungen in eigener Zuständigkeit zu treffen (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 14.05.2004 – 1 ObOWi 185/04 = BayObLGSt 2004, 62 = VerkMitt 2004, Nr 57 = ZfSch 2004, 384 = VRS 107, 59 [2004] = NZV 2004, 480 = DAR 2004, 532 = VD 2005, 77; 21.10.1993 – 3 ObOWi 95/93 = BayObLGSt 1993, 183 = ZfSch 1994, 32 = wistra 1994, 80 = VRS 86, 304 [1994] = NStE Nr 8 zu § 79 OWiG).

b) Die Frage, wie viele prozessuale Taten der Verurteilung zugrunde liegen, kann indes aufgrund der Urteilsgründe, die den Anforderungen des § 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG nicht gerecht werden, nicht beantwortet werden.

aa) Nach Tatzeit, Auftraggeber und Auftragsdaten hinreichend präzisierte Tathandlungen werden in den Urteilsgründen nicht geschildert. Vielmehr beschränken sich diese darauf, dass der Betroffene im Zeitraum vom 05.04.2018 bis 19.03.2020 geschäftsmäßig in Steuersachen Hilfeleistungen erbrachte. Eine Differenzierung erfolgt lediglich nach Art und Anzahl der geleisteten Tätigkeiten in stichpunktartiger Aufzählung, wobei zudem teilweise völlig unklar bleibt, welches konkrete Verhalten des Betroffenen überhaupt zugrunde gelegt wird.

bb) Nachdem das Amtsgericht weder die Auftraggeber noch die Zeiten der jeweiligen Auftragserteilungen noch die Zeitpunkte der Ausführung der Arbeiten feststellt, bleibt gänzlich offen, ob gegebenenfalls bei mehreren Hilfeleistungen nur eine Tat im prozessualen Sinne anzunehmen ist.

(1) Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte bzw. Betroffene einen Straftatbestand bzw. eine Ordnungswidrigkeit verwirklicht haben soll. Erfasst wird das gesamte Verhalten des Täters, das nach natürlicher Auffassung ein mit diesem geschichtlichen Vorgang einheitliches Geschehen bildet (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2021 – 1 StR 46/21 bei juris; 14.04.2021 – 5 StR 143/20 bei juris; 17.03.2021 – 5 StR 273/20 = wistra 2021, 369 = NStZ 2022, 420; 30.09.2020 – 5 StR 99/20 = NStZ-RR 2020, 377 = wistra 2021, 35; Beschl. v. 24.05.2022 – 2 StR 394/21 = NStZ-RR 2022, 280; 08.02.2022 – 3 StR 440/21 bei juris; 04.03.2021 – 2 StR 423/20 bei juris; 19.01.2021 – 2 StR 458/20 = JR 2021, 598; 14.01.2021 – 4 StR 418/20 bei juris; 17.12.2020 – 3 StR 391/20 bei juris; 23.09.2020 – 2 StR 606/19 bei juris; 09.09.2020 – 2 StR 261/20 = StV 2021, 795; 05.06.2019 – 3 StR 337/18 = K&R 2019, 654; 23.01.2018 – 2 StR 196/17 bei juris; 29.03.2017 – 4 StR 516/16 bei juris).

(2) Im Verhältnis zum materiellen Recht ist der prozessuale Tatbegriff grundsätzlich selbstständig. Dieser und der materiell-rechtliche Tatbegriff stehen indes nicht völlig beziehungslos nebeneinander. Vielmehr stellt ein durch den Rechtsbegriff der Tateinheit (§ 19 OWiG) zusammengefasster Sachverhalt in der Regel auch verfahrensrechtlich eine einheitliche Tat dar; umgekehrt bilden mehrere im Sinne von § 20 OWiG sachlich-rechtlich selbstständige Handlungen – von engen Ausnahmen abgesehen – auch mehrere Taten im prozessualen Sinne (vgl. nur BGH, Urt. v. 26.08.2020 – 6 StR 115/20 = NStZ 2020, 691 = JR 2021, 227; Beschl. v. 24.05.2022 – 2 StR 394/21 = NStZ-RR 2022, 280; 09.09.2020 – 2 StR 261/20 = StV 2021; 23.09.2020 – 2 StR 606/19 bei juris; 09.09.2020 – 2 StR 261/20 = StV 2021, 795; 23.01.2018 – 2 StR 196/17 bei juris, jew. m.w.N.). In diesen Fällen liegt nur dann eine Tat im prozessualen Sinne vor, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer rechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden werden (vgl. BGH a.a.O).

(3) Ob und gegebenenfalls in welchen Fällen einzelne Handlungen des Betroffenen zu einer prozessualen Tat im genannten Sinne zusammenzufassen sind, kann den insgesamt unzulänglichen Urteilsfeststellungen nicht entnommen werden. Keinesfalls kann jede einzelne Hilfeleistung per se als gesonderte Tat im prozessualen Sinne eingestuft werden. So wäre etwa bei gleichzeitiger Einreichung mehrerer Steuererklärungen für ein und denselben Steuerpflichtigen zweifelsfrei Tateinheit im Sinne des § 19 OWiG anzunehmen, sodass insoweit auch von einer Tat im prozessualen Sinne ausgegangen werden müsste. Aber auch in Fällen, in denen etwa ein Steuerpflichtiger dem Betroffenen mit einem Auftrag mehrere Hilfeleistungen übertragen hätte, müsste von einer prozessualen Tat im Sinne eines einheitlichen geschichtlichen Vorgangs selbst dann ausgegangen werden, wenn die Arbeiten zur Ausführung des Auftrags zeitlich abgesetzt erledigt würden.

(4) Da wegen der unzureichenden tatrichterlichen Feststellungen offenbleibt, wie viele Taten im prozessualen Sinne die abgeurteilten Ordnungswidrigkeiten tatsächlich bilden, sind für die Prüfung der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde die Geldbußen zusammenzurechnen (BayObLG, Beschl. v. 09.06.1999 – 3 ObOWi 47/99 = BayObLGSt 1999, 107 = wistra 1999, 436 m.w.N.).

2. Aufgrund der aufgezeigten Feststellungsmängel hat die Rechtsbeschwerde auch in der Sache aufgrund der erhobenen Sachrüge Erfolg.

III.

Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel ist auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 353 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Nürnberg zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80a Abs. 1 OWiG) durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG. Zwar übersteigt keine der von dem Amtsgericht verhängten Einzelgeldbußen den Betrag von 5.000 Euro. Der Senat entscheidet jedoch auch dann in der Besetzung mit drei Richtern, wenn infolge unzulänglicher Feststellungen im angefochtenen Urteil unklar bleib, ob mehrere in ihrer Summe die Grenze von 5.000 Euro übersteigende Geldbußen wegen einer oder mehrerer Taten im prozessualen Sinn verhängt worden sind (BayObLGSt 1999, 107).

IV.

Für das weitere Verfahren bemerkt der Senat:

1. Das Amtsgericht hat konkrete Feststellungen zu jedem Einzelfall nach Auftraggeber, Zeitpunkt der Auftragserteilung und Zeitpunkt der Auftragsausführung durch den Betroffenen zu treffen, wobei sich eine tabellarische Darstellung anbieten dürfte. Dabei werden unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats die Konkurrenzverhältnisse zu klären sein.

2. Im Falle einer Verurteilung wegen tatmehrheitlicher Taten (§ 20 OWiG) sind jeweils gesonderte Geldbußen zu verhängen, die im Urteilstenor auszuwerfen sind, wobei auch darzutun ist, für welche konkrete Tat welche Bußgeldhöhe verhängt wird.

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