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Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. – standardisiertes Messverfahren?

Zuverlässige Geschwindigkeitsmessung: Kammergericht bestätigt Poliscan FM1-Verfahren

Die fehlende Erfassung des Messbereichs und die fehlende Speicherung der Rohmessdaten durch das Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. führen nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses, und das Gerät behält seine Standardisierung trotz Softwareänderungen, wodurch dem Beschwerdeführer kein Anspruch auf die Generierung oder Speicherung dieser Daten zusteht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 ORbs 229/23 – 122 Ss 109/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die fehlende Erfassung des Messbereichs und die Nichtspeicherung der Rohmessdaten beim Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 entziehen dem Messergebnis nicht seine Verwertbarkeit.
  • Softwareänderungen beeinflussen die Standardisierung des Messverfahrens grundsätzlich nicht.
  • Dem Betroffenen steht kein Anspruch auf die Generierung oder Speicherung bestimmter Messdaten zu.
  • Ein Beweisverwertungsverbot aufgrund der fehlenden Daten besteht nicht, es sei denn bei schwerwiegenden Rechtsverstößen.
  • Der Senat bestätigt, dass standardisierte Messverfahren und deren reduzierte Überprüfbarkeit verfassungsgemäß sind.
  • Die Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung und Beweiswürdigung bei standardisierten Messverfahren sind erfüllt.
  • Ein Anspruch auf Einsicht in bestimmte Messdaten zur nachträglichen Überprüfung besteht nicht.
  • Die Gerichtsentscheidung stützt sich auf umfassende Prüfungs- und Zulassungsverfahren der Messgeräte.

Geschwindigkeitsmessung im Wandel der Zeit

Die Überwachung von Geschwindigkeitsbegrenzungen ist in der heutigen Zeit unverzichtbar für die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit. Zur Messung werden zunehmend technisch ausgereifte Radarsysteme eingesetzt. Mit fortschreitender Entwicklung ergeben sich jedoch stets neue rechtliche Fragestellungen hinsichtlich der Zulässigkeit und Verwertbarkeit der ermittelten Messdaten.

Mit dem Messverfahren Poliscan FM1 wird ein Beispiel einer solchen rechtlichen Auseinandersetzung behandelt. Im Fokus steht die Frage, ob die Softwareversion 4.4.9. die Anforderungen an ein standardisiertes Messverfahren erfüllt und die Messergebnisse einer gerichtlichen Überprüfung standhalten.

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➜ Der Fall im Detail


Poliscan FM1 und die Frage der Standardisierung bei Geschwindigkeitsmessungen

In einem bemerkenswerten Fall vor dem Kammergericht Berlin stand die Zuverlässigkeit des Geschwindigkeitsmessverfahrens Poliscan FM1, ausgestattet mit der Softwareversion 4.4.9., im Zentrum der juristischen Auseinandersetzung. Der Fall betraf einen Betroffenen, der wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt wurde. Die Geschwindigkeit des Betroffenen wurde mit 64 km/h gemessen, was 31 km/h über dem erlaubten Limit lag. Im Kern der Debatte standen technische Fragen bezüglich der Erfassung und Speicherung von Messdaten durch das verwendete Messgerät.

Kernproblem und rechtliche Fragestellungen

Die juristische Kontroverse drehte sich insbesondere um die fehlende Erfassung des Messbereichs und die Nichtspeicherung von Rohmessdaten durch das Poliscan FM1-Gerät. Der Verteidigung zufolge erschwerte dies die Überprüfung der Messergebnisse, da fixe Werte statt dynamischer Messdaten gespeichert wurden. Dies wurde als potentielle „gezielte Datenvernichtung“ interpretiert, die eine nachträgliche Überprüfung der Messung erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht.

Das Urteil des Kammergerichts Berlin

Das Kammergericht Berlin wies die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zurück und bestätigte damit das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten. Die Richter argumentierten, dass die fehlende Erfassung bestimmter Hilfsgrößen und die Nichtspeicherung der Rohmessdaten die Standardisierung des Messverfahrens nicht beeinträchtigen. Demnach seien die Messergebnisse trotz der genannten Einschränkungen als verwertbar anzusehen.

Begründung und Rechtsauffassung des Gerichts

Das Gericht stützte sich auf mehrere Aspekte: Es betonte, dass das Messgerät nach der Bauartzulassung selbstständig die Qualität der Messungen prüfe und Messwerte, die außerhalb des eingestellten Messbereichs erfasst werden, verworfen würden. Darüber hinaus verwies das Gericht auf die technische Notwendigkeit und rechtliche Zulässigkeit der Softwareänderungen, die der Fehlerminimierung und dem Schutz vor Manipulation dienen.

Rechtliche Einordnung und Umgang mit Beweismitteln

Interessant ist die rechtliche Einordnung des Anspruchs auf Beweismittel. Das Gericht stellte klar, dass dem Beschwerdeführer kein Anspruch auf die Erfassung und Speicherung von Messgrößen zusteht, weder auf einfachgesetzlicher noch auf verfassungsrechtlicher Ebene. Diese Feststellung folgt der Linie, dass die Verwertbarkeit von Messergebnissen nicht von der Möglichkeit ihrer nachträglichen Überprüfbarkeit abhängt.

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidung unterstreicht die Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von Messergebnissen bei standardisierten Messverfahren, selbst wenn diese nicht nachträglich überprüfbar sind. Die Betonung liegt auf der Zuverlässigkeit und der Eigenprüfung der Messgeräte durch technische Vorkehrungen. Dieses Urteil bestätigt die grundsätzliche Linie der deutschen Rechtsprechung in Fragen der Verkehrsüberwachung und der Beweisführung in Ordnungswidrigkeitenverfahren.

Technische und rechtliche Aspekte der Geschwindigkeitsmessung

Die Diskussion um Poliscan FM1 beleuchtet die komplexen technischen und rechtlichen Fragen, die bei der Geschwindigkeitsüberwachung auftreten. Sie zeigt, dass neben den technischen Aspekten auch grundlegende rechtliche Prinzipien, wie das Recht auf ein faires Verfahren und der Anspruch auf effektive Beweismittel, berücksichtigt werden müssen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Kammergericht Berlin mit seinem Urteil die Linie stärkt, dass standardisierte Messverfahren grundsätzlich zuverlässig sind und die erzeugten Messergebnisse auch dann verwertet werden dürfen, wenn eine nachträgliche Überprüfung durch den Betroffenen erschwert ist. Diese Entscheidung hat wichtige Implikationen für die Praxis der Verkehrsüberwachung und die rechtliche Bewertung von Geschwindigkeitsmessungen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was versteht man unter einem standardisierten Messverfahren bei Geschwindigkeitskontrollen?

Ein standardisiertes Messverfahren bei Geschwindigkeitskontrollen ist ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.

Folgende Kriterien kennzeichnen ein standardisiertes Messverfahren:

  • Es hat eine allgemeine Anerkennung in Fachkreisen gefunden. Die Anerkennung erfolgt in Deutschland durch Institutionen wie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) oder das Bundesamt für Justiz in einem öffentlichen, transparenten und fachlich fundierten Prüfprozess.
  • Gütekriterien wie Eichfähigkeit, Messgenauigkeit, Wiederholbarkeit und Interpretierbarkeit der Messergebnisse werden überprüft. Die verwendeten Messgeräte müssen zum Zeitpunkt der Messung geeicht sein und einer Zulassung durch die PTB unterliegen.
  • Die Bedienungen und Messabläufe sind so festgesetzt, dass bei gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erzielt werden. Hierzu zählt auch, dass das Gerät von geschultem Personal gemäß der Bedienungsanleitung des Herstellers verwendet wird.
  • Menschliche Handhabungsfehler sind durch die Standardisierung weitgehend ausgeschlossen, auch wenn die Messung nicht vollautomatisiert erfolgen muss.

Wird ein standardisiertes Messverfahren korrekt angewandt, muss das Gericht die Messung nicht im Einzelfall überprüfen. Es genügt dann im Urteil die Angabe des Messverfahrens, des Messergebnisses und des Toleranzabzugs. Nur bei konkreten Anhaltspunkten für Messfehler muss sich das Gericht von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugen.

Zu den von der Rechtsprechung als standardisiert anerkannten Messverfahren zählen u.a. Radar- und Lasermessgeräte wie Multanova VR 6F, Traffipax, Riegl FG 21P, Leivtec XV3 und Poliscan Speed. Auch Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mittels Videosystemen wie Provida gelten als standardisiert.

Warum ist die Erfassung des Messbereichs bei Geschwindigkeitsmessungen relevant?

Die korrekte Erfassung des Messbereichs ist bei Geschwindigkeitsmessungen aus mehreren Gründen sehr relevant:

  1. Einhaltung der Bauartzulassung: Jedes standardisierte Messgerät hat eine Bauartzulassung, die u.a. den zulässigen Messbereich definiert, z.B. 20 bis 50 Meter beim Poliscan Speed. Nur innerhalb dieses Bereichs ist eine genaue Messung gewährleistet. Wird außerhalb gemessen, sind die Ergebnisse nicht zuverlässig.
  2. Sicherstellung der Messgenauigkeit: Die Genauigkeit der Messung hängt auch vom Abstand des Fahrzeugs zum Messgerät ab. Je weiter weg, desto größer können Messfehler sein. Daher muss der tatsächliche Messbereich dokumentiert werden, um die Plausibilität der Ergebnisse zu belegen.
  3. Vermeidung von Störfaktoren: Hindernisse im Messbereich wie andere Fahrzeuge können die Messung unterbrechen oder verfälschen. Durch Erfassung des konkreten Messbereichs lässt sich nachvollziehen, ob solche Störfaktoren ausgeschlossen werden können.
  4. Überprüfbarkeit der Messung: Nur wenn der genaue Ort und Zeitpunkt der Messung bekannt sind, lässt sich im Zweifelsfall rekonstruieren, ob die Rahmenbedingungen für eine standardisierte Messung eingehalten wurden. Dazu zählt auch der korrekte Messbereich.
  5. Beweiskraft vor Gericht: Werden Geschwindigkeitsüberschreitungen zur Anzeige gebracht, müssen die Messprotokolle einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Fehlen Angaben zum Messbereich, kann dies die Beweiskraft der Messung erschüttern.

Zusammengefasst ist die präzise Dokumentation des Messbereichs unerlässlich, um die Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Nachprüfbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen sicherzustellen. Nur so können die strengen Anforderungen an standardisierte Messverfahren erfüllt werden.

Was bedeutet die Nichtspeicherung von Rohmessdaten für ein Gerichtsverfahren?

Die Nichtspeicherung von Rohmessdaten bei Geschwindigkeitsmessungen kann in einem Gerichtsverfahren weitreichende Konsequenzen haben:

  1. Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten: Ohne Rohmessdaten ist es für den Betroffenen schwierig bis unmöglich, die Messung überprüfen zu lassen und substantiierte Einwände zu erheben. Die Verteidigung kann dann nur auf Basis der Ergebnisdaten erfolgen, was die Möglichkeiten stark einschränkt.
  2. Erschütterung der Beweiskraft: Fehlen die Rohdaten, kann dies die Beweiskraft der Messung erschüttern. Denn nur anhand der Ursprungsdaten lässt sich die Plausibilität der Messung und die Einhaltung der Eichvorschriften zweifelsfrei nachvollziehen. Ohne sie besteht die Gefahr von Messfehlern, die nicht aufgedeckt werden können.
  3. Verstoß gegen Verfahrensrechte: Nach Ansicht einiger Gerichte verstößt die Nichtspeicherung gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung. Dem Betroffenen würden so wichtige Rechte genommen, was die Verwertbarkeit der Messung insgesamt infrage stellen kann.
  4. Unvollständige Dokumentation: Zu einem standardisierten Messverfahren gehört auch die Speicherung und Dokumentation aller verfahrensrelevanten Daten. Fehlen die Rohmessdaten, ist die Dokumentation lückenhaft, was im Prozess zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Messung führen kann.
  5. Möglicher Beweisverwertungsverbot: Einzelne Gerichte haben aufgrund der fehlenden Rohdaten ein Beweisverwertungsverbot ausgesprochen und die Messung nicht verwertet. Die Rechtsprechung ist hier aber noch uneinheitlich. Teilweise wird die Messung trotz fehlender Rohdaten als verwertbar angesehen.

Insgesamt birgt die Nichtspeicherung von Rohmessdaten erhebliche rechtliche Risiken. Sie erschwert die effektive Verteidigung, kann die Beweiskraft erschüttern und sogar zur Unverwertbarkeit der Messung führen. Im Einzelfall hängt es aber von der Entscheidung des jeweiligen Gerichts ab, welche Konsequenzen daraus gezogen werden.

Inwieweit dürfen Softwareänderungen an Messgeräten vorgenommen werden?

Softwareänderungen an standardisierten Geschwindigkeitsmessgeräten sind nur in sehr engen Grenzen zulässig, da sie die Voraussetzungen für die Bauartzulassung und Eichung des Geräts beeinflussen können:

  1. Grundsätzliches Verbot: Jede Änderung an der vom Hersteller freigegebenen Original-Software ist laut Eichrecht grundsätzlich verboten. Dies soll sicherstellen, dass die Messgenauigkeit und Funktionsweise des Geräts unverändert bleibt.
  2. Ausnahme für Sicherheitsupdates: Einzige Ausnahme sind Sicherheitsupdates und Fehlerkorrekturen des Herstellers, die zwingend erforderlich sind. Diese müssen aber vom Hersteller dokumentiert und von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) genehmigt werden.
  3. Neue Bauartzulassung erforderlich: Werden darüber hinausgehende Änderungen an der Software vorgenommen, muss das Messgerät eine neue Bauartzulassung erhalten. Dafür sind umfangreiche Tests und Prüfungen durch die PTB notwendig.
  4. Auswirkungen auf Eichung: Selbst kleinste Softwareänderungen können dazu führen, dass die bisherige Eichung des Geräts ihre Gültigkeit verliert. Eine Neueichung wäre dann Voraussetzung für den Weiterbetrieb.
  5. Dokumentationspflicht: Alle Änderungen an der Software müssen lückenlos dokumentiert werden, um die Überprüfbarkeit und Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Andernfalls droht der Verlust der Bauartzulassung.

Zusammengefasst sind nicht genehmigte Softwareänderungen an standardisierten Messgeräten weitestgehend ausgeschlossen. Sie würden die Voraussetzungen für die Anerkennung als standardisiertes Verfahren untergraben. Nur durch strikte Einhaltung der Vorgaben kann die Zuverlässigkeit und gerichtliche Verwertbarkeit der Messungen gewährleistet werden.

Welche Rolle spielt die Bauartzulassung bei der Bewertung eines Messverfahrens?

Die Bauartzulassung spielt eine zentrale Rolle bei der Bewertung eines Messverfahrens zur Geschwindigkeitsüberwachung. Sie ist Voraussetzung dafür, dass ein Messgerät im öffentlichen Verkehrsraum eingesetzt werden darf und seine Ergebnisse vor Gericht Bestand haben.

Folgende Aspekte sind dabei besonders relevant:

  1. Nachweis der Messgenauigkeit: Im Rahmen des Zulassungsverfahrens wird durch umfangreiche Tests und Prüfungen nachgewiesen, dass das Messgerät die geforderte Messgenauigkeit dauerhaft einhält. Nur so kann sichergestellt werden, dass die ermittelten Geschwindigkeitswerte belastbar sind.
  2. Prüfung der Eichfähigkeit: Die Bauartzulassung bescheinigt auch, dass das Messgerät die Anforderungen an die Eichfähigkeit erfüllt. Das bedeutet, dass es in bestimmten Zeitabständen von einer staatlich anerkannten Prüfstelle geeicht werden kann, um die Messgenauigkeit zu überprüfen und zu bestätigen.
  3. Festlegung der Einsatzbedingungen: In der Zulassung werden die konkreten Einsatzbedingungen für das Messgerät verbindlich festgelegt, z.B. der zulässige Messbereich, Umgebungseinflüsse oder Anforderungen an die Bedienung. Nur wenn diese Vorgaben eingehalten werden, gilt die Messung als standardisiert.
  4. Anerkennung als standardisiertes Verfahren: Mit der Bauartzulassung erlangt das Messverfahren den Status eines standardisierten Verfahrens im Sinne der Rechtsprechung. Das Gericht muss dann die Messung nicht im Einzelfall überprüfen, sondern kann sich auf die generelle Zuverlässigkeit des Verfahrens verlassen.
  5. Gewährleistung der Rechtssicherheit: Durch das strenge Zulassungsverfahren wird ein hohes Maß an Rechtssicherheit gewährleistet. Betroffene können darauf vertrauen, dass nur solche Messgeräte zum Einsatz kommen, die den gesetzlichen Anforderungen genügen und nachweislich genaue Ergebnisse liefern.

Ohne gültige Bauartzulassung kann ein Messgerät nicht für standardisierte Geschwindigkeitsmessungen verwendet werden. Die Zulassung ist damit ein zentrales Element, um die Zuverlässigkeit, Nachprüfbarkeit und Fairness der Verkehrsüberwachung sicherzustellen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO: Diese Paragraphen regeln die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde als unbegründet im Ordnungswidrigkeitenrecht bzw. in der Strafprozessordnung. Sie sind zentral, da sie das Verfahren und die Voraussetzungen für die Anfechtung von Urteilen in Bußgeldsachen bestimmen.
  • § 25 Abs. 2a StVG: Bestimmt die Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrverbots bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung. Dieser Paragraph ist relevant, da er die möglichen Sanktionen bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit festlegt.
  • § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG: Erlaubt dem Gericht, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich erscheint. Dieser Paragraph ist wichtig, um zu verstehen, wie Gerichte über die Zulassung von Beweismitteln entscheiden.
  • Anlage 2 Ziff. 7.1. MessEV: Legt technische Anforderungen an Messgeräte fest, unter anderem, dass diese keine Merkmale aufweisen dürfen, die eine Benutzung in betrügerischer Absicht erleichtern. Diese Regelung ist entscheidend, um die Integrität und Verlässlichkeit von Geschwindigkeitsmessungen zu gewährleisten.
  • §§ 41 Abs. 1 Nr. 6 MessEG, 34 MessEV: Betreffen die Eichung und technische Überprüfung von Messgeräten. Diese Vorschriften sind relevant, weil sie sicherstellen, dass Messgeräte wie Poliscan FM1 regelmäßig auf ihre Genauigkeit und Zuverlässigkeit geprüft werden.
  • §§ 39 Abs. 1 MessEG, 39 MessEV: Regeln die Möglichkeit einer Befundprüfung bei Verdacht auf technische Defekte von Messgeräten. Sie sind von Bedeutung für Betroffene, die die Korrektheit einer Geschwindigkeitsmessung anzweifeln.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 3 ORbs 229/23 – 122 Ss 109/23 – Beschluss vom 08.12.2023

Leitsatz

1. Die fehlende Erfassung des Messbereichs bei der konkreten Messung mit der Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. – einer sog. Hilfsgröße – führt ebenso wie die fehlende Speicherung der Rohmessdaten nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 1 OWi 2 SsBs 100/21 –, juris).

2. Die Veränderung der Gerätesoftware lässt die Standardisierung in der Regel nicht entfallen.

3. Dem Beschwerdeführer steht weder ein einfachgesetzlicher noch gar ein verfassungsrechtlich verankerter Anspruch auf die Generierung von Beweismitteln – hier: die Erfassung von Messgrößen im Messbereich – zu.

4. Auch die mit der aktualisierten Gerätesoftware gewonnenen Messdaten unterliegen nicht einem (ungeschriebenen) Beweisverwertungsverbot. Ein solches käme ohnedies nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Rechtsverstößen in Betracht, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch unberücksichtigt geblieben sind.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. August 2023 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen in Abwesenheit wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 260,00 Euro verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat sowie eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

Laut der Urteilsfeststellungen hat der Betroffene einen PKW auf öffentlichem Straßenland geführt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 31 km/h nach Toleranzabzug überschritten. Die Geschwindigkeit von 64 km/h hat ein Geschwindigkeitsüberwachungsgerät vom Typ Poliscan FM 1 gemessen.

In der Hauptverhandlung hat die Verteidigerin einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt und ihn wie folgt begründet:

„Das Sachverständigengutachten wird ergeben,

– dass nicht festgestellt werden kann, dass zur Ermittlung der Geschwindigkeit nur Messwerte verwendet worden sind, die innerhalb des zugelassenen Bereiches (maximal 50 m, minimal 20 m) entstanden sind;

– dass anhand der gespeicherten Daten nicht bestätigt werden kann, dass die gemessene Geschwindigkeit 64 km/h (nach Abzug der Toleranz 3 km/h) betragen hat.

Es kann nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden. Es ist weder sichergestellt, noch nachgewiesen, dass die Bestimmung der Geschwindigkeit ausschließlich unter Verwendung von Messwerten im zugelassenen Bereich (max. 50 m. min. 20 m.) erfolgte.

In der XML-Datei sind bei „PositionFirstMeasurement“ und „PositionLastMeasurement“ bei der verwendeten Softwareversion 4.4.9. fixe Werte hinterlegt – nämlich als Uhrzeit jeweils der Beginn der Messreihe und als Entfernung die fixen Werte aus der Bauartzulassung. Es liegt eine gezielte Datenvernichtung vor. Es geht dabei nicht um die Frage der Speicherung aller Rohmessdaten, sondern um den Nachweis, dass das Messgerät im zugelassenen Messbereich gearbeitet hat“.

In diesem Zusammenhang verweist der Verteidigerin auf einen Beschluss des Senates vom 24. Januar 2020, welcher denktheoretisch die Möglichkeit einer staatlich veranlassten Vereitelung der Rekonstruktion in den Raum gestellt, sich aber mangels entsprechender Anhaltspunkte weder zum Vorliegen noch zu möglichen Konsequenzen einer solchen willkürlichen Vereitelung verhalten habe.

Das Gericht hat den Antrag abgelehnt, da die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Es stützt seine Verurteilung u.a. auf die Messung, die ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Es handle sich um ein standardisiertes Messverfahren.

Der Betroffene hat gegen das Urteil rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er erhebt eine Verfahrensrüge, weil der Beweisantrag rechtswidrig abgelehnt worden sei. Die Sachrüge erhebt er allgemein, führt sie ergänzend aus. Danach weist der Verteidiger darauf hin, dass die verfahrensgegenständliche Messung einem Verwertungsverbot unterliege. Denn die Software 4.4.9. speichere – anders als noch die Vorgängerversion – nicht mehr die Hilfsgrößen wie Werte von Weg-/Zeit-Daten von erster und letzter Erfassung, der ersten und der letzten Messung sowie des Fotopunktes, sondern sie würden durch fix vorgegebene Werte ohne Bezug zur konkreten Messung ersetzt. Damit werde gezielt und ganz bewusst eine Plausibilitätsprüfung im Nachhinein vereitelt. Einen objektiv begründbaren Grund gäbe es – so der Verteidiger – dafür nicht.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Tatgericht ist rechtsfehlerfrei von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen.

1. Die Verfahrensrüge, der Antrag auf Einholen eines Sachverständigengutachtens, sei fehlerhaft beschieden worden, ist – ihre Zulässigkeit unterstellt –, jedenfalls unbegründet. Die fehlende Speicherung der vom Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit und die fehlende Erfassung des Messbereiches nimmt dem Messverfahren Poliscan FM 1 nicht dessen Standardisierung. Der Messwert ist verwertbar.

a) Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann das Gericht einen Beweisantrag dann ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Die Regelung in § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gewährt dem Tatrichter einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung, ob eine beantragte Beweiserhebung zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Die Vorschrift setzt nicht voraus, dass deren Aussichtslosigkeit außer Zweifel steht, sondern rechtfertigt die Ablehnung eines Beweisantrags schon dann, wenn die Beweiserhebung nicht naheliegt oder sich dem Gericht nicht aufdrängt (vgl. Senat, Beschluss vom 12. April 2022 – 3 Ws (B) 61/22 – juris; Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG 5. Aufl., § 77 Rn. 16 m. w. N.; auch BT-Drs. 10/2652 S. 23). Die Begründung für die ablehnende Entscheidung kann in dem Gerichtsbeschluss in der Regel darauf beschränkt werden, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei, § 77 Abs. 3 OWiG.

Dies ist hier geschehen. Es gefährdet den Bestand des Urteils nicht, dass das Gericht den Antrag, dem die nach §§ 77 Abs. 2 OWiG, 244 Abs. 3 StPO bestimmt zu behauptende und konkrete Beweistatsache fehlt, als Beweisantrag behandelt hat. Denn diese Verfahrensrüge ist der Sache nach eine Aufklärungsrüge (vgl. Seitz/Bauer in Göhler Ordnungswidrigkeitengesetz 18. Aufl., § 77 Rn. 8). Demnach ist der Maßstab des Gerichts dessen Aufklärungspflicht und aufgrund dieser Pflicht musste sich das Gericht nicht zu der begehrten Beweiserhebung gedrängt sehen – auch unterstellt, das Sachverständigengutachten kommt zu dem im Antrag beschriebenen Ergebnis.

Denn die fehlende Erhebung des Messbereiches und die fehlende Überprüfung der Messung anhand der gespeicherten Daten führt nicht dazu, dass die Standardisierung des Messverfahrens Poliscan FM 1 entfällt und der Messwert unverwertbar ist. Das System prüft nach der Bauartzulassung selbstständig die Qualität der Messwertbildung mit der Folge, dass außerhalb des eingestellten Messbereichs erfasste Objektpunkte nicht berücksichtigt werden. Der Messwert wird verworfen.

Die Veränderung der Gerätesoftware ist vergleichbar mit der fehlenden Speicherung von (Roh-)messdaten; jedenfalls ist ein quantitativer Unterschied zwischen der fehlenden Erfassung des Messbereichs, einer sog. Hilfsgröße, und der fehlenden Speicherung von Rohmessdaten (zu den Begriffen Rohmessdaten und Hilfsgrößen vgl. Thiele DAR 2020, 614), die jeweils die nachträgliche Überprüfung der konkreten Messung erschweren, weder erkennbar noch näher dargelegt worden.

b) Die Änderung der Software war laut PTB technisch geboten und rechtlich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 1, Anlage 2 Ziff. 7.1. MessEV am 28. Februar 2020 in der neuen Baumusterprüfbescheinigung DE-17-M-PTB-0033, Revision 1 für die verfahrensgegenständliche Messanlage Poliscan FM 1 zulässig (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 1 OWi 2 Ss Bs 100/21 –, juris m.w.N.). Nach Ziff. 7.1. darf „ein Messgerät keine Merkmale aufweisen, die eine Benutzung in betrügerischer Absicht erleichtern. Die Möglichkeit der ungewollten Falschbedienung ist so gering wie möglich zu halten“. Die Änderung der Gerätesoftware dient dem Zweck, die Messung vor identifizierten Fehlerquellen zu schützen und minimiert die Gefahr eines möglichen menschlichen Versagens.

c) Die fehlende Erfassung des Messbereichs bei der konkreten Messung – einer sog. Hilfsgröße – führt ebenso wie die fehlende Speicherung der Rohmessdaten nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses (vgl. dazu ausführlich OLG Zweibrücken, a.a.O.).

aa) Der Senat hat ebenso wie andere Oberlandesgerichte und der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz bereits entschieden, dass die Verwertbarkeit der Messergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden (Roh-)Messdaten abhängig ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 2. Oktober 2019 – 3 Ws (B) 296/19 –, 5. April 2020 – 3 Ws (B) 64/20 –; Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22. Juni 2022 – VGH B 30/21 –; BayObLG DAR 20, 145; OLG Bremen, Beschlüsse vom 3. April 2020 – 1 SsRs 50/19 – und 6. April 2020, 1 SsRs 10/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2020 – IV-2 RBs 30/20 –; OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. März 2020 – (1 Z) 53 Ss-Owi 79/20 (48/20) –; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11. Februar 2020 – 1 Owi 2 SsBs 122/19 –; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 3 Rb 33 Ss 763/19 –; OLG Köln, Beschluss vom 27. September 2019 – III-1 RBs 339/19 –, alle juris; OLG Schleswig VRR 2/2020, 25; OLG Stuttgart ZfS 19, 713; juris).

bb) Dieser Rechtsprechung ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 –, juris) auch nicht entgegengetreten.

Mit der dem Verfahren zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Rechts auf ein faires Verfahren durch die Nichtspeicherung von Rohmessdaten des Geschwindigkeitsmessgerätes LEIVTEC XV 3 verletzt seien. Die nachträgliche Prüfung der Messung sei dadurch unmöglich. Er könne seine Verteidigerrechte nicht wahrnehmen und die Handhabung konterkariere den Grundsatz der Waffengleichheit.

Zwar ist die Verfassungsbeschwerde u.a. wegen nicht hinreichender Substantiierung nicht zur Entscheidung angenommen worden, aber den Beschlussgründen ist zu entnehmen, dass die Nichtspeicherung nur dann problematisch sei, wenn dem Beschwerdeführer ein Anspruch aufgrund eines verfassungsrechtlich verankerten Rechts auf Schaffen bzw. Vorhalten potentieller Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten zustünde. Das Gericht hebt erneut hervor, dass das standardisierte Messverfahren und die damit verbundenen reduzierten Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, Beweiswürdigung und Darlegungserfordernissen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sind. Es betont zugleich, dass der Beschwerdeführer nur aufgrund ordnungsgemäß zustande gekommener Messergebnisse verurteilt werden darf und ihm ein Einsichts- und Auskunftsanspruch gegen die Behörden hinsichtlich anlässlich der Messung entstandener, aber nicht zu den Akten gelangter Daten zusteht (vgl. grundlegend BVerfG NJW 2021, 455).

Dieser Anspruch des Betroffenen wird nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Durch das Stellen von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen und Beweisanregungen hat der Betroffene ausreichende prozessuale Möglichkeiten, weiterhin auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 a.a.O.; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 15. September 2023 – Vf. 20-VI-21 –, juris).

Der Anspruch umfasst aber nicht ein Recht auf Erfassen und Speicherung von bei der Messung entstandener Daten zwecks nachträglicher Überprüfung bzw. Plausibilisierung durch die Verteidigung.

cc) Übertragen auf das vorliegende Verfahren ist festzustellen, dass dem Beschwerdeführer erkennbar weder ein einfachgesetzlicher noch ein (verfassungs-)rechtlich verankerter Anspruch auf Schaffen von Beweismitteln – hier: die Erfassung von Messgrößen im Messbereich – oder ein solcher auf Vorhalten entsprechender Daten zusteht.

Die Normierung der vom Verteidiger eingeforderten Rechte des Betroffenen auf Überprüfung von automatisierten Messungen obliegt allein dem Gesetz- und Verordnungsgeber (so im Ergebnis auch Niehus StRR 2023, 34).

Unbenommen ist dem Betroffenen, die ihm nach der Strafprozessordnung eröffneten Möglichkeiten zu nutzen, um Einfluss auf die Beweisaufnahme zu nehmen.

d) Mit der rechtlich zulässigen wie technisch gebotenen Veränderung der Gerätesoftware hat der Gesetz- und Verordnungsgeber die Rechtsposition des Betroffenen aufgrund des Einsatzes von auf Algorithmen basierender Systeme wie dem standardisierte Messverfahren auch nicht übermäßig verkürzt. Wie für Nichtspeicherung der Rohmessdaten gilt auch für den vorliegenden Fall, dass das Messgerät vor Zulassung einem umfangreichen und mehrstufigen Konformitätsprüfungsverfahren unterzogen worden ist, nach Inbetriebnahme die Behörde die Eichfristen nach §§ 41 Abs. 1 Nr. 6 MessEG, 34 MessEV zu beachten hat, die eine regelmäßige und wiederkehrende Prüfung der Funktionstüchtigkeit des Gerätes beinhaltet. Sollten zwischen den Prüfintervallen Reparatur- oder Wartungsarbeiten durchgeführt worden sein, hat der Betroffene einen Anspruch auf Einsicht in diese Unterlagen. Bei Verdacht auf einen technischen Defekt kann der Betroffene eine Befundprüfung nach §§ 39 Abs. 1 MessEG, 39 MessEV beantragen. Unabhängig von tatsächlichen Messfehlern ist das Messgerät so programmiert, dass es stets einen Toleranzwert zu berücksichtigen hat, um Unsicherheiten zu neutralisieren. Wie vom Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 a.a.O.) hervorgehoben, ist der Anspruch des Betroffenen nur aufgrund ordnungsgemäß erhobener Daten verurteilt zu werden, weiterhin durch seine prozessualen Möglichkeiten gewahrt.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Verkehrsbußgeldverfahren nicht um die Ahndung von strafbarem Unrecht, sondern von Verwaltungsunrecht handelt. Im Verkehrsbereich dient das standardisierte Messverfahren der effizienten Bewältigung von massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten, deren Verfahren einer Vereinfachung zugänglich sein müssen (so auch BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 a.a.O.).

e) Soweit der Verteidiger meint, die Verwertung der mit der Gerätesoftware 4.4.9. gewonnenen Messdaten unterläge einem (ungeschriebenen) Beweisverwertungsverbot, kann dem nicht gefolgt werden. Ein solches Verwertungsverbot, welches verfassungsrechtlich aus dem Recht auf ein faires Verfahren abgeleitet wird, kommt nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Rechtsverstößen in Betracht, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch unberücksichtigt geblieben sind. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor.

f) Anhaltspunkte für die vom Verteidiger vorgebrachten Gedanken der Beweisvereitelung (i.S.v. gezielter Vernichtung von Betroffenenrechte unter dem bloßen Vorwand einer rechtlich zulässigen wie technisch gebotenen Änderung der Software) sind nach dem oben Ausgeführtem insbesondere unter II.1.b) nicht feststellbar.

2. Soweit der Verteidiger die allgemeine Sachrüge auch auf ein Verwertungsverbot des Messergebnisses stützt, rügt er einen weiteren Verstoß gegen Verfahrensvorschriften – das fehlerhafte Nichtbeachten eines ungeschriebenen Beweisverwertungsverbotes –. Der Senat wertet die Beanstandung im Wege der Auslegung (§ 300 StPO) als eine weitere Verfahrensrüge, weil der behauptete Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nur mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden kann. Ein Irrtum in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge ist unschädlich, vorausgesetzt, dass der Inhalt der Begründungsschrift – wie hier – deutlich erkennen lässt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist die wirkliche rechtliche Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn und Zweck des Revisionsvorbringens zu entnehmen ist (vgl. BGH NJW 2007, 92 – 96 und Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 1/23 –, juris; MüKoStPO/Knauer/Kudlich 1. Aufl., § 344 Rn. 67f).

Die Rüge ist unzulässig, weil sie nicht die Anforderungen nach §§ 79 Abs. 1 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllt. Ein Beweisverwertungsverbot setzt u.a. den Vortrag voraus, dass der auch in der Hauptverhandlung verteidigte Betroffene der Verwertung des Messergebnisses bis zu dem durch §§ 71 Abs. 1 OWiG, 257 Abs. 1 StPO bestimmten Zeitpunkt widersprochen hat (vgl. BGH NStZ 1997, 502; Senat, Beschluss vom 24. Januar 2020 a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. Januar 2020 – (2 Z) 53 Ss-OWi 644/19 (292/19) –, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2019 – IV-2 RBs 141/19 –, juris. Der anwaltlichen Begründung ist der zur Vermeidung der Rügepräklusion erforderliche Widerspruch nicht zu entnehmen.

3. Die Sachrüge bleibt der Erfolg versagt.

Das Gericht hat die Geschwindigkeitsmessung fehlerfrei der Verurteilung zugrunde gelegt. Das Tatgericht hat, was bei einem standardisierten Messverfahren ausreichend ist, das eingesetzte Messverfahren, die ermittelte Geschwindigkeit nach Abzug der Toleranz und den berücksichtigten Toleranzwert in den Urteilsgründen mitgeteilt (vgl. BGHSt 39, 291; 43, 277). Die wegen der Softwareänderung eingetretene fehlende Überprüfungsmöglichkeit einer sog. Hilfsgröße steht der Annahme des Gerichts, bei der Messung mit Poliscan FM 1 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, nicht entgegen (s.o. II.1.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

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