Wirksamkeit von Verkehrszeichen – der Sichtbarkeitsgrundsatz
Es gilt als eine der beliebtesten „Ausreden“, die ein Verkehrssünder bei einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung als Entschuldigung für das Fehlverhalten anbringen kann. Der Verstoß an sich ist dem Verkehrssünder überhaupt nicht bewusst gewesen, da das entsprechende Verkehrsschild, welches auf die Besonderheiten in diesem Bereich des Straßenverkehrs hinweisen sollte, überhaupt nicht gesehen wurde. Dahinter steckt das Prinzip „was ich nicht gesehen habe kann ich entsprechend auch nicht gewusst haben, sodass der Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung auch nicht vorsätzlich erfolgen konnte!“. Ein Stück weit Hoffnung geht mit dieser Art der Argumentation einher, dass die Strafe für das Vergehen aufgrund der Unwissenheit nicht ganz so gravierend ausfallen wird. Zwar richtet sich der Straßenverkehr sowie die zugrundeliegende Straßenverkehrsordnung auch nach dem Prinzip „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ doch gibt es gerade im Hinblick auf die Wirksamkeit von Straßenverkehrsschildern ebenfalls gesetzliche Grundlagen. Ganz so abwegig ist dementsprechend die Argumentation, dass das Straßenverkehrsschild nicht gesehen wurde, überhaupt nicht.
In Deutschland gilt im Straßenverkehr im Zusammenhang mit Verkehrsschildern zunächst erst einmal der sogenannte Sichtbarkeitsgrundsatz. Dieser Grundsatz besagt, dass der Gesetzgeber die Verpflichtung dazu hat, die Verkehrsschilder in einer Art und Weise so zu platzieren, dass sie von einem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer auch tatsächlich in einem beiläufigen und raschen Blick zur Kenntnis genommen bzw. erfasst werden können. Selbstverständlich besteht für den Verkehrsteilnehmer dabei die erforderliche Sorgfalt gem. § 1 Straßenverkehrsordnung (StVO).
Der Sichtbarkeitsgrundsatz war bereits Gegenstand von mehreren gerichtlichen Verfahren und wurde von dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil auch entsprechend bestätigt (13.08.2008, Aktenzeichen 3 C 18/07). Problematisch ist in diesem Zusammenhang jedoch der Begriff des „Erfassens“, welcher immer wieder Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen wird. Das Bundesverwaltungsgericht selbst hat in dem besagten Urteil sich eher gleichgültig im Hinblick auf diesen Begriff gezeigt, sodass Streitpotenzial dahingehend, ob ein Verkehrsteilnehmer das entsprechende Verkehrsschild tatsächlich wahrnimmt oder auch nicht stets als gegeben angesehen werden muss. Die reine Begriffsdefinition des Wortes erfassen beschreibt nicht nur die reine optische Kenntnisnahme bzw. Wahrnehmung des Verkehrsschildes, sondern vielmehr auch das Verständnis im Zusammenhang mit der Bedeutung. Dies ist eine Frage der Verständlichkeit. Auf der Basis dieser Verständlichkeit besagt die StVO, dass ein Maximum von 3 Verkehrsschildern an ein und derselben Stelle angebracht sein dürfen.
Sind mehr als nur drei Verkehrsschilder an ein und derselben Stelle platziert, darf von einem Verkehrsteilnehmer nicht mehr erwartet werden, dass die Bedeutung aller Verkehrsschilder auch tatsächlich erfasst wird. In einem derartigen Fall würde ein Verstoß gegen den Sichtbarkeitsgrundsatz durchaus in Betracht kommen.
Kein uneingeschränkter Freibrief
Im Zusammenhang mit dem Sichtbarkeitsgrundsatz darf nicht unerwähnt bleiben, dass dieser Sichtbarkeitsgrundsatz nicht gänzlich ohne Einschränkungen gilt. Der Sichtbarkeitsgrundsatz muss sich unterschiedlichen Anforderungen stellen bzw. diese Anforderungen auch erfüllen können. Es richtet sich erster Linie nach der Art und Güte des Verkehrs in diesem Bereich. Hierbei wird in erster Linie zwischen einem fließenden und einem ruhenden Verkehr unterschieden.
Verkehrszeichen bei fließendem Verkehr
Verkehrszeichen, welche für den fließenden Verkehr aufgestellt werden, müssen von dem entsprechenden Verkehrsteilnehmer auch innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne sowohl wahrgenommen als auch inhaltlich verstanden werden können. Hierbei muss natürlich die Geschwindigkeit des Verkehrsteilnehmers in dem jeweiligen Bereich berücksichtigt werden. Das Verkehrszeichen muss somit die Anforderung erfüllen, dass ein Verkehrsteilnehmer im Bruchteil einiger Sekunden das Verkehrsschild wahrnehmen und die Information des Verkehrsschildes verarbeiten kann – ohne dass hierbei andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden.
Verkehrsschilder für den ruhenden Verkehr
Es dürfte nicht weiter verwundern, dass die Anforderungen bei einem Verkehrsschild für den ruhenden Verkehr weitaus niedriger angesetzt sind. Dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass an den Verkehrsteilnehmer selbst auch höhere Sorgfaltspflichten gestellt werden. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass in einem ruhenden Verkehrsbereich der Verkehrsteilnehmer erheblich mehr Zeit damit verbringen kann, das Verkehrsschild zur Kenntnis zu nehmen und den Inhalt der Informationen des Verkehrsschildes zu verarbeiten – ohne dass hierbei andere Verkehrsteilnehmer zwingend gefährdet werden müssen. Es gibt sogar Situationen, in denen ein Verkehrsteilnehmer in einem ruhenden Verkehrsbereich zu einer sogenannten Nachschau des jeweiligen Verkehrsschildes im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten verpflichtet ist. Ein wichtiges Anforderungskriterium eines Verkehrsschildes in einem derartigen Bereich ist jedoch das Kriterium, dass das Verkehrsschild von dem Straßenverkehrsteilnehmer ohne Aussteigen aus dem Fahrzeug erkennbar sein muss.
In diesem Zusammenhang handelt es sich jedoch stets um eine Einzelfallprüfung, bei welcher auch die Kriterien der Ortskundigkeit des jeweiligen Straßenverkehrsteilnehmers Berücksichtigung finden.
Unter welchen Umständen gilt ein Verkehrszeichen als unbeachtlich?
Sofern ein Verkehrsschild als unbeachtlich gilt, kann es auch als rechtlich unwirksam betrachtet werden. In erster Linie hängt dies mit dem Zustand des Schildes oder mit der Lage des Schildes zusammen, sodass dies als solches nicht mehr von dem Verkehrsteilnehmer erkannt werden kann. Rostige oder sonstig unkenntlich gewordene Verkehrsschilder sind hierfür ein sehr gutes Beispiel. Erfüllt das Verkehrsschild das Kriterium des Sichtbarkeitsgrundsatzes nicht mehr, so besteht eine gute Chance für eine derartige Argumentation bei einem Verkehrsverstoß. Es gibt durchaus Aufstellorte für Verkehrsschilder, an denen die Gefahr des Witterungseinflusses als besonders hoch eingestuft werden kann.
Es gibt durchaus auch Schilder, bei denen die Unbeachtlichkeit bzw. Unwirksamkeit nicht zur Geltung kommt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Stopp-Schild, welches sich allein schon von der Form her von den anderen Verkehrsschildern merklich unterscheidet. Auch das Vorfahrtschild hat eine andere Form, sodass der Gesetzgeber per se von einer guten Erkennbarkeit dieser Schilder ausgeht.
Gem. Urteil des Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) vom 30.09.2010 (Aktenzeichen III-3 RBs 336/09) wurde deutlich gemacht, dass auch Verkehrsschilder, welche durch einen Pflanzen- bzw. Baumbewuchs in objektiver Sichtweise eine Unkenntlichkeit erhalten, keinerlei rechtliche Wirkung mehr entfalten. Es ist die Aufgabe der zuständigen Stadt oder Kommune dafür Sorge zu tragen, dass die Verkehrsschilder in dem jeweiligen Verkehrsbereich auch tatsächlich das Anforderungsprofil der Sichtbarkeit bzw. Erkennbarkeit erfüllen können.
Anderweitige Gründe für die rechtliche Unwirksamkeit
Es gibt auch noch einen anderen Grund, weshalb ein Verkehrszeichen seine rechtliche Wirkung nicht mehr entfalten kann. Die Rede ist an dieser Stelle von der Art und Weise, wie das Verkehrsschild angebracht wurde. Es gibt diesbezüglich durchaus eindeutige rechtliche Rahmenbedingungen, die ein ordnungsgemäß angebrachtes Verkehrsschild erfüllen muss. Dies ergibt sich aus den Paragrafen 39 bis 43 StVO (Ziffer III Nr. 13 aVwV).
Die Rahmenbedingungen für ein ordnungsgemäß angebrachtes Verkehrsschild
- Mindesthöhe von 2 Metern (Unterkante des Schildes zu dem Straßenniveau)
- Mindesthöhe von 2,2 Metern (Unterkante des Schildes zu dem Straßenniveau bei Fahrradwegen)
- Mindesthöhe von 4,5 Metern (Unterkante des Schildes zu dem Straßenniveau bei Schilderbrücken)
- Mindestgrenze von 0,6 Metern (bei Verkehrsstellern oder auch Verkehrsinseln)
In Anbetracht des Umstandes, dass der Bußgeldkatalog noch einmal deutlich verschärft und nahezu alle Bußgelder verdoppelt wurden und dass ein Verkehrsverstoß sehr schnell begangen werden kann, sollte jeder Verkehrsteilnehmer bei einem Bußgeldbescheid zunächst erst einmal einen prüfenden Blick auf die Vorwürfe in dem Bußgeldbescheid werfen. Es kommt in der gängigen Praxis nicht selten vor, dass ein Bußgeldbescheid fehlerhaft ausgestaltet wurde und dementsprechend anfechtbar ist. Dies ist jedoch für einen juristischen Laien ein durchaus schwieriges Unterfangen. Es gibt durchaus Verkehrsvergehen, bei denen ein Fahrverbot drohen kann. Dies ist wiederum mit sehr starken Einschränkungen für den Verkehrsteilnehmer verbunden, sodass die rechtsanwaltliche Prüfung durchaus lohnenswert erscheint. Da es sich bei Verstößen im Zusammenhang mit dem Verkehrszeichen stets um eine Einzelfallprüfung handelt ist die Wahrscheinlichkeit, dass in einem etwaigen Verfahren ein gutes Ergebnis für den Verkehrssünder erzielt wird, durchaus hoch. Wenn Sie also von einer derartigen Situation betroffen sind, können Sie sehr gern mit uns als erfahrene Rechtsanwaltskanzlei Kontakt aufnehmen.