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Leivtec XV3 Geschwindigkeitsmessung noch standardisiertes Messverfahren?

BayObLG – Az.: 202 ObOWi 880/21 – Beschluss vom 12.08.2021

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 01.04.2021 mit den Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 01.04.2021 wegen einer am 09.05.2020 als Führer eines Pkw fahrlässig begangenen Überschreitung der innerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 39 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen ihn wegen des groben Pflichtenverstoßes gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 26a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.6 der Tabelle 1c zum BKat in der für innerörtliche Verstöße durch die am 28.04.2020 in Kraft getretene Neufassung vom 20.04.2020 (BGBl. I, 814) unverändert gebliebenen Fassung entsprechend den bereits im Bußgeldbescheid vom 14.09.2020 festgesetzten Rechtsfolgen ein mit der vorläufigen Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG (sog. 4-Monats-Regel) verbundenes Regelfahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Nach den Feststellungen erfolgte die Geschwindigkeitsmessung mit einem bis Ende 2020 gültig geeichten, als ‚standardisiertes Messverfahren‘ anerkannten Geschwindigkeitsüberwachungsgerät des Typs ‚Leivtec XV3‘des Herstellers ‚Leivtec Verkehrstechnik GmbH‘/Wetzlar. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 04.07.2021 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Mit Beschluss vom 09.07.2021 hat der nach § 80a Abs. 1 OWiG zuständige Einzelrichter die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde gemäß § 80a Abs. 1, 2. Halbsatz i.V.m. § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

III.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache, weil das angefochtene Urteil deshalb an einem durchgreifenden sachlich-rechtlichen Feststellungs- und Darstellungsmangel im Sinne von § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO leidet, als das Amtsgericht mit Blick auf die für den Schuldspruch relevante tatrichterliche Überzeugung vom Vorliegen der für den Tatnachweis unabdingbaren messtechnischen Urteilsgrundlagen zu Unrecht hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät ‚Leivtec XV3‘ von einem ‚standardisierten Messverfahren‘ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgegangen ist (grundlegend BGH, Beschl. v. 19.08.1993 – 4 StR 627/92 = BGHSt 39, 291, 297 ff. = MDR 1993, 1107 = VM 1993, Nr 107 = NJW 1993, 3081 = ZfSch 1993, 390 = NStZ 1993, 592 = NZV 1993, 485 = DAR 1993, 474 = DRiZ 1994, 58 und Beschl. v. 30.10.1997 – 4 StR 24/97 = BGHSt 43, 277, 282 f. = NJW 1998, 321 = NZV 1998, 120 = DAR 1998, 110 = BGHR StPO § 267 Abs 1 S 1 Beweisergebnis 11 = VerkMitt 1998, Nr 40 = VRS 94 [1998], 341).

Der Senat schließt sich insoweit den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Stuttgart (OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.06.2021 – 6 Rb 26 Ss 133/21 = BeckRs 2021, 14050), Celle (OLG Celle, Beschl. v. 18.06.2021 – 2 Ss [OWi] 69/21 bei juris) und Oldenburg (OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.07.2021 – 2 Ss [OWi] 170/21 bei juris) an.

Jedenfalls gegenwärtig kann hinsichtlich des eingesetzten Messgeräts ‚Leivtec XV3‘ nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden.

Das Messgerät bietet nach den Erkenntnissen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (vgl. ‚Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3‘ [Stand: 09.06.2021/Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin – DOI: 10.7795/520.20210609]) nicht mehr die Gewähr dafür, dass es bei Beachtung der Vorgaben für seine Bedienung zu hinreichend zuverlässigen Messergebnissen kommt. Vielmehr haben die Überprüfungen durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) ergeben, dass es bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät zu unzulässigen Messwertabweichungen auch zu Ungunsten Betroffener u.a. wegen des Auftretens sog. ‚Stufeneffekte‘ bzw. Stufenprofil-Fehlmessungen (vgl. hierzu näher Kugele/Gut/Hähnle VKU 2021 [Heft 3], 88 ff.) kommen kann und deshalb nicht länger von einem vereinheitlichten technischen Verfahren auszugehen ist, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf derart festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.

IV.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Das Amtsgericht wird nunmehr mit sachverständiger Unterstützung insbesondere zu prüfen haben, ob es bei der vorliegenden Geschwindigkeitsmessung vom 09.05.2020 zu unzulässigen Messwertabweichungen zu Ungunsten des Betroffenen gekommen sein kann.

V.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

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