Skip to content
Menü

Gutachtensbeibringung über Verkehrstauglichkeit bei impulsiven und übergriffigen Verhalten

VG Gelsenkirchen – Az.: 7 L 981/18 – Beschluss vom 30.07.2018

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 2920/18 des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 26. April 2018 wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig, aber unbegründet.

Gutachtensbeibringung über Verkehrstauglichkeit bei impulsiven und übergriffigen Verhalten
(Symbolfoto: Olaf Speier/Shutterstock.com)

Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder zumindest eine Aufhebung der Vollziehungsanordnung wegen unzureichender Begründung des Vollziehungsinteresses (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) kommt nicht in Betracht. Formale Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung ist, dass für das besondere Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung eine schriftliche Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gegeben worden ist. Diesen Anforderungen wird die von dem Antragsgegner gegebene Begründung gerecht. Er hat deutlich gemacht, dass der Antragsteller ohne die Anordnung des Sofortvollzugs hochrangige Rechtsgüter anderer Menschen gefährden könnte. Es ist für das formelle Begründungserfordernis in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unerheblich, ob die angeführten Gründe schließlich inhaltlich zutreffen. Denn dieses verlangt nicht, dass die für das besondere Vollzugsinteresse angeführten Gründe auch materiell überzeugen und inhaltlich die getroffene Maßnahme rechtfertigen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. März 2016 – 1 B 1375/15 -, juris, Rn. 7, vom 30. September 2014 – 1 B 1001/14 -, ZBR 2015, 99 und vom 25. September 2013 – 1 B 571/13 -, juris, Rn. 5 f.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens seitens des Gerichts vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Zur Begründung verweist die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung, denen sie folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Klage- und Antragsvorbringen Folgendes auszuführen: Die Entziehungsverfügung findet ihre Grundlage in § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – und § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV -. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen, der sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Dem Antragsgegner war es, entgegen der Ansicht des Antragstellers, nicht verwehrt, nach Aufhebung einer zuvor erlassenen Entziehungsverfügung im vorherigen gerichtlichen Verfahren, was daraufhin eingestellt wurde, erneut die Fahrerlaubnis zu entziehen. Eine Verwirkung im Rechtssinne ist darin nicht zu sehen und der Antragsteller kann sich nicht auf schützenswertes Vertrauen, dass mit der Aufhebung der Entziehungsverfügung eine endgültige Erledigung eingetreten und nicht mehr mit Maßnahmen der Behörde zu rechnen war, berufen. Es fehlt sowohl an einer Rechtsmissbräuchlichkeit des behördlichen Verhaltens (Umstandsmoment), als auch am Verstreichen eines namhaften Zeitraums (Zeitelement).

Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 53 Rn. 45 ff.

So hat der Antragsgegner insbesondere zeitnah nach der Aufhebung der ursprünglichen Entziehungsverfügung am 22. Dezember 2017, nämlich bereits wenige Tage später am 2. Januar 2018 mitgeteilt, dass der Antragsteller über den weiteren Ablauf des Verfahrens mit gesonderter Post informiert werde und damit zu erkennen gegeben, dass das behördliche Verfahren, das zur Klärung von Zweifeln an der Kraftfahreignung eingeleitet wurde, fortgesetzt werden sollte. Schon wenige Wochen später hat der Antragsgegner die der hier streitgegenständlichen Verfügung zugrundeliegende Gutachtenaufforderung am 23. Januar 2018 erlassen.

Der Antragsgegner durfte die Annahme der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV stützen. Danach darf die Fahrerlaubnisbehörde im Falle einer rechtmäßigen Gutachtenaufforderung auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei demjenigen schließen, der sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder der das Gutachten nicht rechtzeitig beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sowie hinreichend bestimmt ist,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2013 – 16 B 1146/13 – m.w.N.,

oder nur Verfahrens- oder Formfehler, die nach § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen – VwVfG NW – für die Aufhebung folgenlos sind, aufweist.

Vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 46 Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG -: BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 -, juris, Rn. 29.

Die Gutachtenanordnung ist rechtmäßig.

Der Antragsgegner hat unter Beachtung der formellen Anforderungen den Antragsteller bei seiner Gutachtenaufforderung insbesondere auf die Folgen des § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV und gem. § 11 Abs. 6 Satz 2 2. Hs. FeV auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in die zu übersendenden Unterlagen hingewiesen.

Materiell beruht die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, 46 Abs. 3 FeV. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 1 und 2 der Vorschrift bei einer erheblichen Straftat angeordnet werden, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde.

Dies ist vorliegend der Fall. In der mit Strafbefehl vom 10. Oktober 2016 geahndeten Tat – eine Sachbeschädigung durch Tritt gegen die Fahrertür eines von einer anderen Person geführten Pkw – ist eine solche erhebliche Straftat zu erkennen, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung des Antragstellers steht, weil sich Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential zeigen.

Der Begriff „erheblich“ ist nach der Begründung der Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. Juli 2008,

vgl. BR-Drs. 302/08 S. 61, BGBl I S. 1338,

nicht ohne weiteres mit „schwerwiegend“ gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die Kraftfahreignung. Dabei ist anhand konkreter Umstände, die sich aus der Tat unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit ergeben, festzustellen, ob die Anlasstat tatsächlich Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zulässt.

Vgl. Bay VGH, Beschluss vom 5. Juli 2012 – 11 C 12.874 -, juris, Rn. 27.

Hingegen kommt es auf die Höhe des Schadens – hier geschätzter Sachschaden von 300,- Euro – für die Frage der Erheblichkeit vorliegend nicht entscheidungserheblich an. Die vom Antragsteller mittels eines Trittes gegen die Fahrertür eines von einer anderen Person geführten Pkw begangene Sachbeschädigung, die mit Strafbefehl des Amtsgerichts E. mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen geahndet wurde, ist danach durchaus als erheblich anzusehen. Nach den Vermerken des Polizeipräsidiums E. ist der Antragsteller bei der konkreten Tatbegehung, als er bei einer Panne auf der linken Spur des Königswalls in E. von einem anderen Verkehrsteilnehmer aufgefordert wurde, den Pkw mittels Warndreieck abzusichern, sofort sehr aggressiv geworden, hat sich bedrohlich neben der Fahrertür des Pkw aufgebaut, aus dem ihn die Person angesprochen hatte, schrie herum, spuckte und trat gegen die Fahrertür. Der ausreichende Bezug zur Kraftfahreignung besteht darin, dass der Antragsteller bei der Begehung der abgeurteilten Tat mit dem impulsiven und übergriffigen Verhalten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern ein erhöhtes Aggressionspotential bewiesen hat und dies zudem im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgte. Daraus folgen begründete Zweifel daran, dass er im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer respektieren wird. Dies hat der Antragsgegner erkannt, in der Begutachtungsanordnung zutreffend ausgeführt und in der zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt.

Es kommt zudem nicht darauf an, dass der Antragsteller, wie er angibt, bislang strafrechtlich nicht und seit Erwerb der Fahrerlaubnis im Jahr 1997 nicht nennenswert in Erscheinung getreten ist. Es genügt nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV die Begehung einer einmaligen erheblichen Straftat, die – wie hier – im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist die Tat mangels Ablaufs der Tilgungsfrist auch noch verwertbar.

Es kommt, anders als der Antragsteller meint, im Zusammenhang mit Gefahrenabwehrmaßnahmen nicht auf eine bisher fehlende akute Gefahr für anderer Verkehrsteilnehmer an, da die Teilnahme eines wegen hohen Aggressionspotentials erheblich strafrechtlich in Erscheinung getretenen Verkehrsteilnehmers am Straßenverkehr, der ein rechtmäßig angeordnetes medizinisch-psychologisches Gutachten nicht beibringt, für sich genommen schon eine konkrete Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts darstellt und ein Zusammentreffen mit anderen Verkehrsteilnehmern jederzeit und uneingeschränkt möglich ist, ohne dass es darüber hinaus einer akuten Gefährdung bedürfte. Ebenso unerheblich ist die Tatsache, dass der Antragsteller, wie er angibt, seit dem 14. Juni 2016 nicht mehr auffällig geworden ist.

Die Ermessensausübung dahin, vom Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Gutachten beibringen zu lassen, ist nicht zu beanstanden. Zur Klärung der Frage, ob die Zukunftsprognose für den Antragsteller, wie er meint, tatsächlich positiv aussieht, bedarf es gerade des gesetzlich vorgesehenen Mittels des behördlich angeordneten medizinisch-psychologischen Gutachtens.

Nachdem der Antragsteller das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist beigebracht hatte, durfte der Antragsgegner gem. § 11 Abs. 8 FeV auf dessen mangelnde Kraftfahreignung schließen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen.

Bei feststehender Ungeeignetheit steht dem Antragsgegner kein Ermessen zu und die Fahrerlaubnis ist zwingend zu entziehen.

Die in Ziffer 2 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene deklaratorische Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Angesichts der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung insoweit ist ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers nicht gegeben. Es ist darüber hinaus nicht festzustellen, dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu dürfen, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung genießt. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis eventuell verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten muss der Antragsteller als Betroffener jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

So auch OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2015 – 16 B 74/15 -, juris m. w. N.

Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene Zwangsgeldandrohung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Sie entspricht den Anforderungen von §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und ist rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 i.V.m. 2 GKG. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Entziehung einer Fahrerlaubnis betrifft, ist ungeachtet der im Streit stehenden Fahrerlaubnisklassen nach dem Auffangwert zu bemessen. Dieser ist im vorliegenden Eilverfahren zu halbieren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 – 16 E 550/09 – juris.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!