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Fahrerlaubnisneuerteilung: Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens

VG Würzburg, Az: W 6 K 11.134, Urteil vom 16.12.2011

I. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2011 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen A, B und E zu erteilen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.

Der am 19. Mai 1960 geborene Kläger begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse A und BE.

Fahrerlaubnisneuerteilung: Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
Symbolfoto: Pixabay

Der Kläger wurde am 26. Oktober 2009 gegen 07:28 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen. Die Blutentnahme wurde angeordnet. Das Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,11 Promille. Mit Strafbefehl vom 27. Februar 2010 entzog das Amtsgericht Würzburg dem Kläger die Fahrerlaubnis wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Weiter sprach es eine Sperre von acht Monaten für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis aus.

Am 27. Juli 2010 beantragte der Kläger bei der beklagten Stadt Würzburg die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse A und BE. Mit Schreiben vom 3. September 2010 verpflichtete die Beklagte den Kläger dazu, bis zum 11. November 2010 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen.

Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2010 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten vortragen, er lebe in geordneten Verhältnissen. Er sei Klinikarzt und gegenwärtig Stationsarzt in Bad Windsheim. Die Tätigkeit verbiete jegliche Aufnahme von Alkohol. Darüber hinaus sei der Kläger seit 31 Jahren im Besitz der Fahrerlaubnis und ohne jegliche Voreintragung im Verkehrszentralregister. Der Grund des Vorfalls am 26. Oktober 2009 sei eine Geburtstagsfeier in der Nachbarschaft gewesen. Am Morgen des nächsten Tages habe sich der Kläger gut gefühlt und aus diesem Grund die Fahrt zur Arbeit angetreten. Er habe jedoch den verbliebenen Restalkohol nicht berücksichtigt. Dies stelle ein einmaliges Versagen dar, aus dem nicht geschlossen werden könne, dass dem Kläger das Trennvermögen zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum fehle. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 13 FeV dürfe nur gefordert werden, wenn ein BAK-Wert von 1,6 Promille und mehr festgestellt worden sei. Die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei vorliegend nicht veranlasst.

Mit Schreiben vom 15. November 2010 erhielt der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Versagung des Antrags.

Mit Bescheid vom 7. Januar 2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klasse A und BE vom 3. September 2010 (richtig: 27.07.2010) ab (Nr. 1). Des Weiteren legte sie dem Kläger die Kosten des Verfahrens auf und setzte eine Gebühr von 75,00 EUR fest (Nr. 2). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Die Ablehnung des Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis beruhe auf § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 StVG, § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Satz 1 und 4 i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV. Danach dürfe eine Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung nur erteilt werden, wenn der Bewerber die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitze. Nach § 11 Abs. 8 FeV sei die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt, auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen, wenn ein Bewerber um eine Fahrerlaubnis ein gefordertes Fahreignungsgutachten nicht oder nicht fristgerecht beibringe. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens stütze sich auf § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Satz 1 und 4, § 13 Nr. 2e FeV. Danach habe die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären sei, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr bestehe. Dies sei beim Kläger der Fall.

Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbestätigung am 13. Januar 2011 zugestellt.

II.

1.

Am 14. Februar 2011 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Stadt Würzburg (Az.: ABD/FeA/Em) vom 7. Januar 2011, zugestellt am 13. Januar 2011, zu verpflichten, dem Kläger entsprechend seinem Antrag vom 3. September 2010 die Fahrerlaubnis der Klassen A und BE neu zu erteilen.

Zur Begründung ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 17. März 2011 im Wesentlichen vortragen, der Kläger sei wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden. Damit sei die tatbestandliche Voraussetzung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gegeben. Diese Vorschrift werde jedoch durch die spezielle Regelung in § 13 Nr. 2 FeV verdrängt. Die Gegebenheiten des § 13 Nr. 2a bis d FeV lägen unstreitig nicht vor. Die Beklagte habe ihre Anordnung auf § 13 Nr. 2e FeV gestützt, wonach „… sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht.“ Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass bei einem BAK-Wert von 1,6 Promille oder mehr ein Aufklärungsbedarf bezüglich einer etwaigen Alkoholabhängigkeit sowie bezüglich der Trennung zwischen Alkoholkonsum einerseits und Führen von Kraftfahrzeugen andererseits gegeben sei, und schreibe in diesem Fällen entsprechend § 13 Nr. 2d FeV zwingend vor, zur Klärung ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen. Bei einer unter dem Wert von 1,6 Promille liegenden Blutalkoholkonzentration gehe der Gesetzgeber jedoch nicht davon aus, dass im Fall einer Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ein derartiger Aufklärungsbedarf bestehe und räume der Verwaltungsbehörde in diesem Fall ein Ermessen ein. Dementsprechend sei die Vorschrift des § 11 Abs. 4 FeV als Kann-Vorschrift ausgestaltet. Es müsse nicht zwangsläufig zur Anordnung einer Begutachtung kommen. Es sei nicht zu erkennen, dass die Beklagte von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht habe. Die Beklagte habe sich vielmehr ausschließlich auf die begangene Trunkenheitstat beschränkt. Sie habe sich mit den Ausführungen des Klägers in keiner Weise auseinandergesetzt. Es lägen auch keine weiteren Gesichtspunkte vor, die für die Anordnung eines Gutachtens sprächen. Beim Kläger liege ein gesellschaftliches Normtrinkverhalten vor. Die Geburtstagsfeier habe bis in den neuen Tag hinein gedauert. Dementsprechend sei zum einen das Trinkende des Klägers entsprechend spät gewesen, zum anderen habe er nur eine sehr kurze Schlafdauer gehabt. Der Kläger habe am nächsten Morgen den vorhandenen Restalkohol nicht berücksichtigt. Es handele sich hierbei um ein Einmalversagen, aus dem nicht der Rückschluss gezogen werden könne, dass dem Kläger das Trennvermögen zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum fehle. Die Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig.

Mit Schriftsatz vom 18. August 2011 ließ der Kläger zur Klagebegründung weiter vortragen, die Versagung der Fahrerlaubnis sei nicht rechtmäßig, denn es fehle an einer Rechtsgrundlage für die von der Beklagten ausgesprochene Anordnung der medizinisch-psychologischen Begutachtung des Klägers. Vorliegend gehe es um ein Alkoholproblem und somit um Anhaltspunkte für einen Mangel im Sinne einer der Untergliederungen von Nr. 8 der Anlage 8 (richtig: Anlage 4) zur FeV; § 13 FeV sei die speziellere Vorschrift im System. Auf den Gesamtzusammenhang der Vorschrift des § 13 Nr. 2 FeV sei abzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ließen weder Systematik noch Sinn und Zweck der Bestimmung zu, dass § 13 Nr. 2a FeV die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens in allen Fallkonstellationen erlauben würde, die von den Buchstaben b bis e nicht erfasst würden. Aus den Regelungen der §§ 13 Nr. 2b und c FeV folge, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers ein einmaliges Fahren unter Alkoholeinfluss erst dann die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertige, wenn dabei eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille und mehr nachgewiesen würde. Dem Kläger könne wegen der Trunkenheitsfahrt mit 1,11 Promille behördlicherseits kein MPU-Gutachten auferlegt werden und aus der Nichtvorlage gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Fahrungeeignetheit geschlossen werden. Die gegenüber dem Kläger erlassene Anordnung, ein MPU-Gutachten beizubringen, sei auch nicht nach § 20 Abs. 5 FeV i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 FeV gerechtfertigt. Die Vorschrift stelle bei einer Neuerteilung die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung in das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde, wenn der Entzug der Fahrerlaubnis wegen erheblicher oder wiederholter Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr erfolgt sei. Die Anwendung scheide jedoch deshalb aus, weil nach dem Regelungssystem des Fahrerlaubnisrechts für Eignungsfragen im Zusammenhang mit Alkohol § 13 FeV nach dem ausdrücklichen Willen des Verordnungsgebers die speziellere Regelung darstelle. Der Regelung des § 13 Nr. 2b und c FeV hätte es nicht bedurft, wenn der Umweg des § 13 Nr. 2a FeV ein medizinisch-psychologisches Gutachten auch schon bei einmaligen Alkoholfahrten mit niedrigeren Blutalkoholkonzentrationen rechtfertigen würde. Der Zeitpunkt, an dem der Kläger alkoholisiert angetroffen worden sei (07:28 Uhr), begründe ebenso wenig die Annahme der fehlenden Trennung zwischen Trinken und Fahren und damit die Annahme des Alkoholmissbrauchs im straßenverkehrsrechtlichen Sinn wie der Umstand, dass der Kläger nach den ärztlichen Feststellungen bei der Blutentnahme nur leichte Anzeichen der Alkoholisierung aufgewiesen habe. Im Übrigen habe der Kläger eine plausible Erklärung (Geburtstagsfeier) dafür gegeben, warum er am späten Abend in der Nacht vor dem Vorfall eine so große Menge Alkohol zu sich genommen habe, dass dies zu dem vorgenannten Blutalkoholwert geführt habe. Es gebe keinerlei Indizien, die dafür sprächen, dass es dem bislang nicht vorgeahndeten Kläger über den streitgegenständlichen Vorfall hinaus am Trennungsvermögen fehlen würde.

2.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 28. April 2011, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verwies die Beklagte auf ihren Bescheid vom 7. Januar 2011 und führte im Übrigen im Wesentlichen aus, die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens stütze sich auf § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Satz 1 und 4, § 13 Nr. 2e FeV. Danach habe die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären sei, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr bestehe. Der aktenkundige Vorfall am 26. Oktober 2009 belege – insbesondere auch in fahrerlaubnisrechtlicher Sicht –, dass der Kläger in der Vergangenheit in missbräuchlicher Art und Weise Alkohol konsumiert habe. Aufgrund der Schilderung des Klägers, wie es zu der alkoholisierten Verkehrsteilnahme am Delikttag gekommen sei, bestünden erhebliche Zweifel, ob er zukünftig in der Lage sein werde, den Konsum von Alkohol und die Teilnahme am Straßenverkehr wirksam zu trennen. Wenn beim Kläger am Delikttag um 08:27 Uhr noch immer eine Blutalkoholkonzentration von 1,11 Promille festgestellt worden sei, er sich aber trotz dieser erheblichen Alkoholisierung subjektiv fahrtauglich gefühlt habe, so belege dies allein schon eine erhebliche Gifttoleranz in Bezug auf Alkohol. Gehe man davon aus, dass der Kläger, wie jeder „normale“ Mensch pro Stunde nur 0,15 Promille an Alkohol abgebaut habe, müsse davon ausgegangen werden, dass die bei ihm bei Trinkende vorhandene Blutalkoholkonzentration jenseits der vom Gesetzgeber ausweislich der einschlägigen Vorschriften als erheblich und somit als fahrerlaubnisrechtlich relevant eingestuften 1,6 Promille gelegen haben müsse. Das Erreichen eines solchen Wertes allein widerspreche dem sogenannten gesellschaftlichen Normtrinkverhalten. Die der Anordnung vom 3. September 2010 zugrunde gelegte Vorschrift des § 13 Nr. 2e FeV ermögliche es der Fahrerlaubnisbehörde, abweichend von den Regelfällen des § 13 Nr. 2a bis d FeV einen Antragsteller trotz fehlendem Vorliegen der dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere bei Nichterreichen einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille, einer Fahreignungsprüfung zu unterziehen, wenn durch ihn eine greifbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bestehe (vgl. Beschluss des VGH Baden-Württemberg v. 29.07.2002). Eine solche Gefährdung begründe sich neben der Alkoholgewöhnung aus der Tatsache, dass es dem Kläger trotz zu unterstellendem Willen am Delikttag nicht gelungen sei, den Konsum von Alkohol (am Vorabend) und das Führen eines Kraftfahrzeugs hinreichend sicher zu trennen. Es sei somit nicht auszuschließen, dass es ihm schlichtweg an einer ausreichenden Kompetenz hierzu mangele. Ob dies tatsächlich (noch) der Fall sei, könne nach dem Willen des Verordnungsgebers regelmäßig nur durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung geklärt werden. Die Beklagte habe nicht ermessensfehlerhaft gehandelt, da es sich bei der der Anordnung tatsächlich zugrunde gelegten Vorschrift des § 13 Nr. 2e FeV um eine gebundene Entscheidung handle und somit auch kein Ermessen auszuüben gewesen sei.

3.

In der mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2011 wiederholte der Klägerbevollmächtigte seinen Antrag aus der Klageschrift vom 14. Februar 2011.

Die Beklagtenvertreterin beantragte, die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 16. Dezember 2011 und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihm die begehrte Fahrerlaubnis der Klassen A, B und E zu erteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat einen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis gemäß § 20 Abs. 1 FeV i.V.m. § 2 Abs. 2 StVG. Der Kläger ist insbesondere zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet (§ 2 Abs. 2 Nr. 3, § 2 Abs. 4 StVG). Die Beklagte durfte nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aus der Weigerung des Klägers, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, auf dessen Nichteignung schließen. Denn die Aufforderung der Beklagten an den Kläger vom 3. September 2010, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, war rechtswidrig. Vorliegend fehlt die rechtliche Grundlage für eine Beibringungsaufforderung.

Die Berechtigung zur Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, ergibt sich im vorliegenden Fall nicht aus § 13 Satz 1 Nr. 2e FeV. Danach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht. Die Beklagte hat sich ausdrücklich auf diese Rechtsgrundlage für die Anforderung des Gutachtens gestützt. Alkoholmissbrauch liegt nach der Definition in Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden. Aufgrund des Strafbefehls des Amtsgerichts Würzburg vom 27. Februar 2010 steht fest, dass der Kläger in der Vergangenheit einmal Alkoholkonsum und Fahren nicht sicher getrennt hat. Gleichwohl wurde beim Kläger in der Vergangenheit niemals festgestellt, dass bei ihm Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit besteht. Allein aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille Blutalkoholkonzentration kann jedoch – ohne Hinzutreten erheblicher weiterer Umstände – nicht von einem früher festgestellten Alkoholmissbrauch ausgegangen werden, sonst hätte es der Regelungen in § 13 Satz 1 Nr. 2b und c FeV nicht bedurft. Vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis musste der Kläger kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegen, weil seine Blutalkoholkonzentration mit 1,11 Promille unter 1,6 Promille (vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV) lag. Voraussetzung für die Gutachtensaufforderung nach § 13 Satz 1 Nr. 2e FeV ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 12.04.2006, Az.: 11 ZB 05.3395), dass ein früherer Alkoholmissbrauch nachgewiesen sein muss und Tatsachen die Annahme seiner Fortdauer begründen. Für Letztere fehlen jegliche Anhaltspunkte, die über den einzeln gebliebenen Vorfall am 26. Oktober 2009 hinaus auf einen fortdauernden Alkoholmissbrauch hindeuten. Mit der Trunkenheitsfahrt vom 26. Oktober 2009 liegt nachweislich ein fahreignungsrelevanter Alkoholmissbrauch des Klägers in der Vergangenheit und damit eine Voraussetzung für die Anwendung des § 13 Nr. 2e FeV vor. Es fehlt aber an den für die Anwendung dieser Vorschrift weiter notwendigen Anhaltspunkten, dass beim Kläger auch gegenwärtig noch Alkoholmissbrauch in dem Sinn besteht. Der Kläger ist weder vorher noch seit dieser Trunkenheitsfahrt in einer Weise in Erscheinung getreten, die Zweifel an seiner Fähigkeit oder Bereitschaft, Alkoholkonsum und Fahren zu trennen, zu erwecken vermochte. Die Anwendung des § 13 Satz 1 Nr. 2e FeV lässt sich auch nicht mit der Überlegung rechtfertigen, dass allein die Trunkenheitsfahrt für sich gesehen den dieser Vorschrift vorausgesetzten Klärungsbedarf hinsichtlich eines andauernden Alkoholmissbrauchs begründet. Eine Auslegung des § 13 Satz 1 Nr. 2e FeV, dass ein einzelner früherer Alkoholmissbrauch schon für sich allein, also ohne Hinzutreten von auf seine Fortdauer hindeutenden konkreten Umständen die Behörde zur Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zwingt, stünde nämlich nach dem Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers mit der Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV in Widerspruch, nach der diese Folge nur bei einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr vorgesehen ist (BayVGH, B.v. 12.04.2006, Az.: 11 ZB 05.3395; VG Oldenburg, B.v. 07.07.2008, Az.: 7 B 1835/08, vgl. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 13 FeV, Rd.Nr. 27).

Unabhängig davon, dass ein Auswechseln der für eine Gutachtensanforderung genannten Gründe im Regelfall unzulässig ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.08.2010, Az.: 11 S 10.1139, SVR 2011, 275), ist des Weiteren auch sonst keine Rechtsgrundlage vorhanden, die die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtfertigt. Insbesondere kann die Beibringungsaufforderung auch nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV gestützt werden. Diese Vorschrift bestimmt, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Die Auslegung dieser Bestimmung hat sich (ebenso wie bei § 13 Satz 1 Nr. 2e FeV) am Gesetzeszusammenhang der Vorschrift des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV zu orientieren. Weder die Systematik noch der Sinn und Zweck dieser Bestimmung lässt den Schluss zu, dass § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens grundsätzlich in allen Fallkonstellationen erlauben würde, die von den Buchst. a bis e nicht erfasst werden. Vielmehr ist § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV so zu verstehen, dass er in seinen Buchst. a bis e voneinander unabhängige Fälle normiert, in denen wegen ähnlich gewichtiger Hinweise auf eine alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens als erforderlich anzusehen ist. Der Begriff „Alkoholmissbrauch“ ist im Rahmen von § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV fahrerlaubnisrechtlich unter Zuhilfenahme von Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV zu definieren. Alkoholmissbrauch setzt hiernach fehlendes Trennungsvermögen zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen voraus, wobei ein wenigstens mittelbarer Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr zu fordern ist. Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV gezeigt, dass der Alkoholgenuss – auch in schädlich großen Mengen – solange er nicht wenigstens mittelbaren Zusammenhang mit dem Straßenverkehr hat, die Fahreignung nicht ausschließt. Auch machen die Regelungen des § 13 Satz 1 Nr. 2b und c FeV deutlich, dass ein einmaliges Fahren unter Alkohol erst dann eine Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt, wenn dabei eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr nachgewiesen wird. Der Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2b und c FeV hätte es nicht bedurft, wenn über den Umweg des § 13 Abs. 1 Nr. 2a FeV die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch schon bei einmaligen Alkoholfahrten mit niedrigeren Blutalkoholkonzentrationen zu rechtfertigen wäre. Vor diesem Hintergrund ist § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV so zu verstehen, dass er in Fällen, in denen – wie hier – nur eine einmalige Alkoholfahrt mit einem Blutalkoholgehalt von unter 1,6 Promille (nämlich 1,11 Promille) inmitten steht, die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachten nur erlaubt, wenn zusätzlich konkrete Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch im straßenverkehrsrechtlichen Sinn vorliegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Betroffene jeden Abend große Mengen Alkohol trinkt und jeden Morgen zur Berufsausübung ein Kraftfahrzeug fahren muss (BayVGH, U.v. 02.12.2011, Az.: 11 B 11.246; B.v. 20.03.2009, Az.: 11 CE 08.3308, Blutalkohol 46, 299; B.v. 09.02.2009, Az.: 11 CE 087.3028, SVR 2009, 113; B.v. 11.06.2007, Az.: 11 CS 06.3023).

Nach diesen Vorgaben konnte die Gutachtensaufforderung vorliegend nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV gestützt werden. Eine einzig nachweisbare Fahrt reicht mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,11 Promille im Rahmen von § 13 Abs. 2 Nr. 2a FeV nicht aus. Auch die von der Beklagten ins Feld geführten Umstände des konkreten Vorfalls am 26. Oktober 2009 führen zu keinem anderen Ergebnis. Weder die Uhrzeit, zu der der Kläger alkoholisiert angetroffen wurde, noch die Tatsache, dass der Kläger nicht zwischen Trinken und Autofahren getrennt hat, noch der Umstand, dass der Kläger nach den ärztlichen Feststellungen bei der Blutentnahme nur leichte Anzeichen der Alkoholisierung aufgewiesen hat, rechtfertigen eine andere Beurteilung. Der Kläger hat im Übrigen eine plausible Erklärung dafür abgegeben, dass er am Vorabend anlässlich einer Geburtstagsfeier Alkohol in größeren Mengen zu sich genommen hat (vgl. BayVGH, B.v. 20.03.2009, Az.: 11 CE 08.3308, Blutalkohol 46, 299). Bei einer einzelnen Trunkenheitsfahrt mit 1,11 Promille kann ein medizinisch-psychologisches Gutachten von Gesetzes wegen nach § 13 Satz 1 Nr. 2a oder e FeV nur angeordnet werden, wenn erheblich weitere Umstände vorliegen. An solchen weiteren konkreten Anhaltspunkten von relevantem Gewicht fehlt es hier jedoch (vgl. auch VG Oldenburg, B.v. 07.07.2008, Az.: 7 B 1835/08). Beim Kläger mangelt es an zusätzlich konkreten Anzeichen, wie an deutlichen Indizien oder an sonst weiteren tatsächlichen Umständen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn begründen.

Die Gutachtensaufforderung und der daraus gezogene Schluss auf die Nichteignung des Klägers sind auch nicht aus sonstigen Gründen gerechtfertigt. Denn ist wie hier keiner der Tatbestände des § 13 FeV einschlägig, scheidet nach der gesetzlichen Regelung von Vornherein ein Rückgriff auf die Ermessenvorschrift des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 FeV auch im Rahmen des Verfahrens auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis aus, soweit es um die Abklärung von Eignungsfragen im Zusammenhang mit Alkohol geht (Janker in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl. 2010, § 3 StVG, Rd.Nr. 3 mit Bezug auf BayVGH, B.v. 09.02.2009, Az.: 11 C 08.3028, SVR 2009, 113).

Die übrigen Neuerteilungsvoraussetzungen des § 20 FeV liegen ebenfalls vor. Weder aus den von der Beklagten vorgelegten Akten noch sonst ergeben sich insoweit gegenteilige Anhaltspunkte, wie die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2011 selbst eingeräumt hat.

Nach alledem war die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Januar 2011 zu verpflichten, dem Kläger die begehrte Fahrerlaubnis der Klassen A, B und E zu erteilen.

Die Kostenentscheidung resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Beschluss: Der Streitwert wird auf 12.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe: Das Gericht hat sich wegen der Höhe des Streitwerts am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2004, 1327, 1331) orientiert. Für die Fahrerlaubnis der Klassen A und B sind nach Abschnitt II Nrn. 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs jeweils der Auffangwert von 5.000,00 EUR und für die Klasse E nach Abschnitt II Nr. 46.8 der halbe Auffangwert in Höhe von 2.500,00 EUR anzusetzen. Insgesamt ergibt sich somit ein Gesamtstreitwert von 12.500,00 EUR.

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