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Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichtbeibringung des angeordneten Gutachtens

Strafvermeidung bei Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens und Fahrerlaubnis

In der rechtlichen Kontroverse um die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlegung eines verlangten Gutachtens hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Az.: 16 B 672/20) einen bemerkenswerten Beschluss gefasst. Der Kern dieses Falls, der am 4. Juni 2020 entschieden wurde, liegt in der Auseinandersetzung über die Frage, ob die Strafe für das Versäumnis der Vorlage eines Gutachtens rechtens ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 16 B 672/20 >>>

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung

Das Gericht stellte in seinem Beschluss klar, dass die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Fahrerlaubnisentziehung wiederhergestellt wird. Dementsprechend wurde der betroffene Verkehrsteilnehmer dazu aufgefordert, seinem Führerschein unverzüglich zurückzugeben. Dieser Beschluss ändert die frühere Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen vom 20. April 2020.

Strenge Anforderungen für effektiven Rechtsschutz

Die Richter des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen betonten, dass strenge Anforderungen an die Anordnung zur Vorlegung eines Gutachtens zu stellen sind. Für den Betroffenen müsse klar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die genannten Gründe die Bedenken an seiner Eignung als Kraftfahrer rechtfertigen. Dies ermöglicht ihm eine angemessene Einschätzung, ob er sich der Begutachtung trotz der damit verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung unterziehen oder die mit der Verweigerung verbundenen Risiken eingehen möchte.

Frage der Verhältnismäßigkeit

In der Debatte ging es auch um die Frage, ob der Konsum eines Betäubungsmittels – soweit es sich nicht um Cannabis handelt – die Fahreignung entfallen lässt, ohne dass es auf ein fehlendes Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme ankommt. Dieser Aspekt wurde vom Gericht als unverhältnismäßig bezeichnet und somit als unzureichend für dieBeurteilung der Fahreignung betrachtet.

Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung

Das Gericht unterstrich, dass in Fällen, in denen es zu Unklarheiten in den behördlichen Anforderungen kommt, diese Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen. Es ist nicht zumutbar, dass der Adressat rechtliche Differenzierungen vornehmen muss und letztlich klüger und präziser sein muss als die Fachbehörde. Mit dieser Feststellung unterstreicht das Gericht die Notwendigkeit von Transparenz und Klarheit in den behördlichen Anforderungen und Anweisungen.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 672/20 – Beschluss vom 04.06.2020

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 20. April 2020 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung dahingehend geändert, dass die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 3314/19 bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 16. Oktober 2019 wiederhergestellt wird.

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, dem Antragsteller unverzüglich den Führerschein vorläufig zurückzugeben.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in der Ordnungsverfügung vom 16. Oktober 2019 erfolgten Entziehung der Fahrerlaubnis.

Bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sind die dem Rechtsbehelf bei summarischer Prüfung beizumessenden Erfolgsaussichten von erheblicher Bedeutung. Ergibt die Prüfung, dass die Klage Erfolg haben wird, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs in aller Regel wiederherzustellen.

So verhält es sich hier. Die Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) weist zu Recht darauf hin, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV wegen Nichtbeibringung des unter dem 25. Juni 2019 von dem Antragsgegner angeordneten Gutachtens über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erfolgen durfte.

Der Schluss auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist zulässig, wenn der Betroffene sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, und zudem die wirksame Begutachtungsanordnung formell und materiell rechtmäßig, namentlich anlassbezogen und verhältnismäßig, ist.

Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Gutachtenanordnung verstößt – wie der Antragsteller mit der Beschwerde darlegt – gegen § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV. Nach dieser Vorschrift legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 zur FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind.

Da eine Gutachtenanordnung nicht selbständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Fahrerlaubnisentziehung oder sonstige in Rechte des Betroffenen eingreifende Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes, strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 -, juris, Rn. 8; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Februar 2013 – 16 E 1257/12 -, juris, Rn. 4 f., und vom 10. September 2014 – 16 B 912/14 -, juris, Rn. 6 f., jeweils m. w. N.

Hinsichtlich des genauen Grades der Konkretisierung, die die mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss, kommt es auf die besonderen Umstände jedes Einzelfalls an. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV ordnet an, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Festlegung der zu klärenden Fragen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vorzunehmen hat. Der Beibringungsanordnung muss sich – mit anderen Worten – zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 -, juris, Rn. 9.

Der Beibringungsanordnung vom 25. Juni 2019 lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, welche Problematik geklärt werden soll. Zwar begegnet die erste Frage, ob der Antragsteller trotz der (auf der ersten Seite der Anordnung ausgeführten) Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der „bekannten“ Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug der „Gruppe 1/2“ sicher führen kann, keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere ist eine Differenzierung zwischen den Kraftfahrzeuggruppen 1 und 2 hier nicht geboten.

Die zweite Frage der Gutachtenanordnung ist jedoch zu weit gefasst, weil diese teilweise eine Fragestellung aufwirft, für die kein Anlass besteht. Sie lautet: „Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er/sie auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln, anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen oder deren Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme)?“

Diese Fragestellung betrifft nicht nur ein Führen eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss von Cannabis, für die hier aufgrund der Fahrt vom 17. April 2019 ein hinreichender tatsächlicher Anlass bestand, sondern auch ein Führen eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss eines anderen Betäubungsmittels oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen. Diese Fragestellung ist insoweit unverhältnismäßig, denn sie lässt sich weder auf einen hinreichenden tatsächlichen und in der Anordnung genannten Anlass zurückführen noch ist sie zur Beurteilung der Fahreignung erforderlich, weil bereits der Konsum eines Betäubungsmittels – soweit nicht Cannabis betroffen ist – die Fahreignung (im Regelfall) entfallen lässt (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV), ohne dass es auf ein fehlendes Trennen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ankäme.

Zwar lässt sich allgemein nicht ausschließen, dass sich die vom Gutachter zu klärende Frage, selbst wenn sie nicht konkret ausformuliert ist, dennoch mit hinreichender Deutlichkeit den Gründen entnehmen lassen kann, mit denen die Behörde ihre Eignungsbedenken dargelegt hat. Unter welchen Voraussetzungen das anzunehmen ist, bestimmt sich nach den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 -, juris, Rn. 9; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27. Juli 2016 – 10 S 77/15 – juris, Rn. 46 f.

Hier ist der Begründung der Fragestellung aber nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass sich die zweite Frage nur auf ein (fehlendes) künftiges Führen eines Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss von Cannabis (und dessen Nachwirkungen) bezieht, nicht aber auf sonstige Betäubungsmittel und psychoaktive Stoffe. Zwar thematisieren der zweite bis vierte Absatz der Gutachtenanordnung allein einen gelegentlichen Cannabiskonsum des Antragstellers und das diesbezügliche fehlende Trennen durch Führen eines Kraftfahrzeugs am 17. April 2019. Auch wird dort die Ermächtigungsgrundlage des § 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV genannt, welche die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ins behördliche Ermessen stellt, wenn gelegentliche Cannabiseinnahme vorliegt und (eine) weitere Tatsache(n) Zweifel an der Fahreignung begründet bzw. begründen.

Dies ändert aber nichts an dem eindeutigen Wortlaut der zweiten Frage, der durch die pauschale, nicht näher eingegrenzte Nennung von „Betäubungsmitteln“ und „anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen“ aus den erwähnten Gründen eine teilweise nicht erforderliche Fragestellung aufwirft. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass der Antragsgegner in der Gutachtenanordnung zunächst den Sachverhalt beschreibt und nachfolgend die Fragestellung formuliert. Durch diese Abfolge wird der Eindruck erweckt bzw. verstärkt, dass aus Sicht des Antragsgegners aus den von ihm genannten Tatsachen die anschließende Fragestellung folgt, also in Ansehung des aufgezeigten Cannabiskonsums und fehlenden Trennens zu prüfen ist, ob ein zukünftiges fehlendes Trennen allgemein in Bezug auf ein Betäubungsmittel oder einen anderen psychoaktiv wirkenden Stoff zu erwarten ist bzw. möglich erscheint.

Folglich ist der Beibringungsanordnung wegen der zu weitgefassten zweiten Frage nicht zweifelsfrei zu entnehmen, welche Problematik geklärt werden soll. Entgegen § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV ist die Festlegung der zu klärenden Fragen hier anscheinend nicht unter hinreichender Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls erfolgt.

Der Senat vermag – auch angesichts der aufgezeigten gebotenen strengen Maßstäbe bei der Würdigung einer Gutachtensanordnung – die Argumentation des Verwaltungsgerichts bzw. seine Interpretation der Gutachtenanordnung, wonach die zweite Frage lediglich eine Erläuterung der ersten Frage sei, nicht zu teilen. Auch wenn der Klammerzusatz am Ende des zweite Satzes verdeutlicht, dass die Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme geprüft werden soll, folgt daraus nicht, dass sich diese Prüfung – entgegen dem Wortlaut – nur auf Cannabis und nicht auch auf sonstige Betäubungsmittel und andere psychoaktiv wirkende Stoffe beziehen soll. Entsprechendes gilt für die vom Verwaltungsgericht als aufklärungsbedürftig genannten „psychologischen Zusammenhänge“ in Form von „Problembewusstsein“ und „Bewusstseinsänderung“.

Die zu weite zweite Fragestellung führt zur Rechtswidrigkeit der Gutachtenanordnung insgesamt. In einer solchen Konstellation kann dem Adressaten nicht angesonnen werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde. Ihm kann insbesondere nicht zugemutet werden, dem Gutachter verständlich zu machen, dass entgegen dem behördlichen Gutachtenauftrag nur bestimmte Teile der Fragestellungen zulässigerweise zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden dürften. Es gilt auch in diesem Zusammenhang der Grundsatz, dass Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2020 – 16 B 830/19 -; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 8. März 2013 – 10 S 54/13 -, juris, Rn. 14, und vom 27. Juli 2016 – 10 S 77/15 – juris, Rn. 46 f.; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßen-verkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 42.

Die Anordnung der vorläufigen Rückgabe des Führerscheins bzw. Aushändigung eines Ersatzführerscheins beruht auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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