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Fahrerlaubnisentziehung wegen Lorazepam

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 18.1575 – Beschluss vom 24.08.2018

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27. Juni 2018 wird in Nr. 1 und 2 aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 1 und 2 des Bescheids des Landratsamts Kulmbach vom 7. Mai 2018 wird wiederhergestellt.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1992 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A (79.03, 79.04), A1 (79.03, 79.04) und B einschließlich Unterklassen.

Mit Urteil vom 24. Juli 2012 verurteilte das Amtsgericht Bayreuth ihn nach dem Jugendgerichtsgesetz, 200 Stunden gemeinnützige, unentgeltliche Arbeit zu erbringen.

Am 28. August 2012 verzichtete der Antragsteller auf seine Fahrerlaubnis, da er im April 2012 einen epileptischen Anfall erlitten hatte.

Mit Urteil vom 31. Januar 2013 verurteile ihn das Amtsgericht Hof wegen Unerlaubten Entfernens vom Unfallort und verhängte ein Fahrverbot von zwei Monaten. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller am 10. August 2012 einen Unfall verursacht und nicht gewartet hatte, um Feststellungen zu ermöglichen.

Fahrerlaubnisentziehung wegen Lorazepam
(Symbolfoto: Sonis Photography/Shutterstock.com)

Im Juni 2013 erteilte ihm das Landratsamt Kulmbach (im Folgenden: Landratsamt) erneut eine Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L. Das dafür am 25. März 2013 vom Bundesamt für Justiz ausgestellte Führungszeugnis nach § 30 Abs. 5 BZRG enthielt keine Eintragungen. Wegen der epileptischen Anfälle reichte der Antragsteller in der Folgezeit alle drei Monate ein fachärztliches neurologisches Attest beim Landratsamt ein.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 22. November 2016 verurteilte ihn das Amtsgericht Bayreuth wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe. Dem lag zu Grunde, dass der Antragsteller im September 2015 fünf Gramm Haschisch oder Marihuana zum Eigenverbrauch erworben hatte. Der Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei vom 2. Mai 2016 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller vor ca. fünf Jahren erstmals Cannabis konsumiert habe. Er habe auch zwei Wochen Crystal Meth konsumiert. Er habe mal konsumiert und dann auch längere Zeiten nicht. Härtere Drogen habe er bis auf diese zwei Wochen nie genommen.

Mit Schreiben vom 11. November 2016 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis 11. Dezember 2017 ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Fahreignung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV beizubringen. Es sei zu klären, ob er trotz der Hinweise auf (frühere) Drogeneinnahme/Drogenabhängigkeit ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen könne und ob insbesondere eine stabile Abstinenz vorliege und deshalb nicht zu erwarten sei, dass er weiterhin Betäubungsmittel einnehme oder andere psychoaktiv wirkende Arzneimittel oder Stoffe missbräuchlich konsumiere. In der Gutachtensanordnung wird alleine die Beschuldigtenvernehmung vom 2. Mai 2016 erwähnt.

Nach Absolvierung eines einjährigen Drogenabstinenzprogramms legte der Antragsteller dem Landratsamt ein medizinisch-psychologisches Gutachten der TÜV SÜD Life Service GmbH vom 24. Januar 2018 vor. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, der Antragsteller sei trotz der Hinweise auf (frühere) Drogenabhängigkeit in der Lage, ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher zu führen. Es liege jedoch keine stabile Abstinenz vor und es sei zu erwarten, dass er weiterhin Betäubungsmittel einnehme oder andere psychoaktiv wirkende Arzneimittel missbräuchlich konsumiere. Der Antragsteller habe zwar Abstinenzbelege für ein Jahr vorgelegt, es sei aber am Tag der Untersuchung ein Nachweis von Lorazepam im Urin erbracht worden und er habe den Drogenkonsum mit Alkohol kombiniert. Die fortgeschrittene Substanzmissbrauchsproblematik werde durch den aktuellen Nachweis von Benzodiazepinen bestätigt. Ab Ende 2015 habe er ca. eineinhalb Wochen insgesamt ein Gramm MDMA zu sich genommen. Die Befunde wiesen darauf hin, dass der Antragsteller das anlassgebende Verhalten in weitgehend unveränderter Form fortsetze.

Der Antragsteller legte ein Zertifikat der TÜV SÜD Pluspunkt GmbH über die erfolgreiche Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Maßnahme „Mobil PLUS“ vom 12. Juli bis 11. Oktober 2017 vor. Damit wird bestätigt, dass er sich motiviert gezeigt habe, die Themen aufzugreifen und zu bearbeiten. Darüber hinaus machte er geltend, er wolle das Gutachten nachbessern lassen. Er habe vor der Untersuchung wegen seiner Epilepsie das Präparat Tavor eingenommen, da er sehr nervös und ängstlich gewesen sei. Die TÜV SÜD Life Service GmbH lehnte eine Nachbesserung ab, da er die Einnahme von Tavor weder bei der ärztlichen Untersuchung noch im Fragebogen angegeben habe.

Daraufhin entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 7. Mai 2018 die Fahrerlaubnis, verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, den Führerschein innerhalb von sieben Tagen abzugeben und ordnete die sofortige Vollziehung an. Das Gutachten habe die Eignungszweifel nicht entkräften können. Bei der ärztlichen Untersuchung hätten sich Hinweise auf Drogenkonsum ergeben, denn in der Urinprobe sei Lorazepam aus der Gruppe der Benzodiazepine festgestellt worden. Der Antragsteller hat seinen Führerschein abgegeben.

Über die gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018 erhobene Klage (Az. B 1 K 18.553) hat das Verwaltungsgericht Bayreuth nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Klage werde voraussichtlich nicht erfolgreich sein. Der Antragsteller habe durch den früheren Konsum von harten Drogen seine Fahreignung verloren. Er habe seine Fahreignung auch nicht wiedererlangt, da er zwar ein Drogenabstinenzprogramm ohne Auffälligkeiten durchlaufen habe, aber am Begutachtungstermin Lorazepam in seinem Urin gefunden worden sei. Er habe bei der Begutachtungsstelle trotz Nachfrage nicht angegeben, dass er ein entsprechendes Medikament eingenommen habe. Zwar diene das Medikament Tavor durchaus als Notfallmedikament bei epileptischen Anfällen. Der Antragsteller habe aber nicht dargelegt, dass ihm das Medikament verschrieben worden sei. Ein Notfall habe ebenfalls nicht vorgelegen. Es liege zwar keine missbräuchliche Einnahme i.S.d. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV vor, da es sich nur um eine einmalige Einnahme handele. Falls das Medikament nicht verschrieben wurde, handele es sich aber um einen Betäubungsmittelkonsum.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, das Gutachten lege nicht schlüssig und nachvollziehbar dar, weshalb kein stabiler Einstellungswandel gegeben sei. Bei ihm liege ein Ausnahmefall vor. Er leide unstreitig an einer Epilepsieerkrankung und sei im Januar 2017 zur Behandlung im Epilepsiezentrum in K… gewesen. Für die Heimfahrt habe er eine einzige Tablette Tavor als Notfallmedikament erhalten. Da er diese damals nicht benötigt habe, habe er sie aufgehoben und vor dem MPU-Termin eingenommen, um einem Epilepsieanfall, der durch die prüfungsbedingte Stresssituation jederzeit hätte eintreten können, vorzubeugen. Er habe nicht gewusst, dass es sich dabei um ein Benzodiazepin handele. Er habe davon auch zu keiner Zeit größere Mengen zur Verfügung gehabt und habe dieses Medikament nie verschrieben bekommen. Er konsumiere keinerlei Drogen mehr, es habe nie eine Medikamentenabhängigkeit bestanden und ein Alkoholproblem habe er ebenfalls nicht. Das Klinikum K… habe am 1. Februar 2018 bestätigt, dass es sich bei Tavor um ein Medikament handele, dass zur Therapie von Angst- und Erregungszuständen und auch als Notfallmedikament im Status epilepticus bei einer bekannten Epilepsie diene. Der im Umgang mit dem Medikament Tavor sei ihm hinreichend vertraut. Hinweise für Medikamentenmissbrauch oder -abhängigkeit würden nicht vorliegen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, ist zulässig und hat Erfolg. Die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018 sind offen, da das Gutachten vom 24. Januar 2018 nach summarischer Prüfung nicht schlüssig und nachvollziehbar ist und auch ein Fall des § 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Januar 2018 (BGBl I S. 2), wohl nicht mehr angenommen werden kann.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde.

Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer Betäubungsmittel i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt. Nach Nr. 9.2.2 liegt Kraftfahreignung bei gelegentlichem Cannabiskonsum vor, wenn die Trennung von Konsum und Fahren und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen sowie keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet, wer missbräuchlich (regelmäßig und übermäßig) psychoaktiv wirkende Arzneimittel und andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt. Das Gutachten vom 24. Januar 2018 hat nicht nachvollziehbar festgestellt, dass beim Antragsteller Ungeeignetheit nach einer dieser Nummern vorliegt.

Wie der Antragsteller zutreffend rügt, sind die Ausführungen hinsichtlich des Alkoholkonsums im vorgelegten Gutachten vom 24. Januar 2018 nicht nachvollziehbar, da die Gutachtensaufforderung zum einen keine Fragestellung hinsichtlich Alkohol enthielt und sich das Gutachten damit nicht nach Nr. 1 Buchst. a der Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV an die Fragestellung hält und zum anderen auch nicht ersichtlich ist, weshalb der Antragsteller keinen Alkohol trinken dürfte. Der Schluss des Gutachtens, der Antragsteller habe den Drogenkonsum mit Alkoholkonsum kombiniert und es bestehe keine Trinkkontrolle und er sei auch deshalb ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wird nicht nachvollziehbar begründet. Weder den Angaben des Antragstellers zum Drogen- und Alkoholkonsum noch dem psychologischen Untersuchungsgespräch kann entnommen werden, dass der Antragsteller durch den Drogen- und Alkoholkonsum eine kombinierte Rauschwirkung erzielt hat und damit ein fahrerlaubnisrelevanter Mischkonsum angenommen werden könnte (vgl. BVerwG, U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – ZfSch 2014, 175).

Darüber hinaus ist mit dem Gutachten nicht berücksichtigt worden, wodurch die Konzentration von Lorazepam im Urin des Antragstellers hervorgerufen worden ist. Dies wäre hier aber erforderlich gewesen, da der Antragsteller einen nachvollziehbaren Sachverhalt geschildert hat, wie er an das Medikament Tavor, das nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, gelangt ist und aus welchen Gründen er dieses eingenommen hat. Der Wirkstoff Lorazepam ist zwar grundsätzlich ein Betäubungsmittel, das in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtmG gelistet ist. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass Zubereitungen, die ohne einen weiteren Stoff der Anlage I bis III je abgeteilte Form bis zu 2,5 mg Lorazepam enthalten, ausgenommen sind. Bei dem Arzneimittel Tavor, das der Antragsteller nach seinen Angaben eingenommen hat, handelt es sich um eine solche Ausnahme, da nach der Fachinformation nur die Darreichungsformen 0,5 mg, 1,0 mg, 2,0 mg oder 2,5 mg existieren, die eine entsprechende Menge Lorazepam enthalten. Deshalb kann aus der Einnahme einer solchen Tablette wohl nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass der Antragsteller weiterhin Drogen konsumiert. Nachdem ihm das Medikament nach seinen Angaben von einem Arzt im Epilepsiezentrum K… als Notfallmedikament gegeben worden ist, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass er die Tablette regelwidrig erlangt hat. Bei Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Angaben des Antragstellers wäre ggf. noch aufzuklären, ob er tatsächlich vom Epilepsiezentrum K… eine Tablette Tavor erhalten hat.

Dass er die Einnahme des Medikaments vor der Begutachtung nicht angegeben hat, entspricht zwar nicht den Vorgaben, führt aber nicht zwangsläufig dazu, dass eine Fortsetzung des Drogenkonsums angenommen werden kann. Die Verordnung von Benzodiazepinen als Beruhigungs- und Schlafmittel ist weit verbreitet und Lorazepam wird auch als Arzneimittel zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt (vgl. S. 18 der Broschüre „Behandlung“ der Diakonie K… – Epilepsiezentrum, abrufbar unter www.diakonie-k….de). Tavor wird dabei auch als Notfallmedikament zur Vorbeugung von epileptischen Anfällen eingesetzt (vgl. S. 11 der Broschüre „Leben mit Epilepsie“ der Diakonie K…). Die Schlussfolgerung im Gutachten, dass die erhobenen Befunde darauf verwiesen, dass der Antragsteller das anlassgebende Verhalten in weitgehend unveränderter Form fortsetzt, wird im Gutachten nicht nachvollziehbar begründet, denn der Antragsteller hat mit dem Drogenabstinenzprogramm ein Jahr Drogenfreiheit nachgewiesen und die Einnahme von Crystal Meth, die Anlass für die Gutachtensanordnung war, nicht fortgesetzt.

Das Gutachten weist zudem noch andere Unstimmigkeiten auf, die in der Summe voraussichtlich seine Unverwertbarkeit zur Folge haben. Zum einen wird die in der Gutachtensanordnung vom 11. November 2016 formulierte Frage nicht korrekt wiedergegeben. Zwar ist diese Frage nicht ganz stimmig, da gefragt wird, ob trotz der Hinweise auf (frühere) Drogeneinnahme/Drogenabhängigkeit ein Kraftfahrzeug sicher geführt werden könne. Damit ist nicht nachvollziehbar, ob das Landratsamt von früherer Drogenabhängigkeit nach Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV oder von Drogeneinnahme nach Nr. 9.1 der Anlage 4 ausgegangen ist. Die Gutachtensstelle hat diese Unklarheit aber nicht aufgeklärt, sondern hat ohne weiteres die Frage zugrunde gelegt, ob der Antragsteller trotz der Hinweise auf (frühere) Drogenabhängigkeit ein Kraftfahrzeug sicher führen könne. Anhaltspunkte für eine Drogenabhängigkeit lassen sich den Behördenakten aber nicht entnehmen.

Des Weiteren wird in dem Gutachten auf eine richterliche Vernehmung aus dem Oktober 2011 Bezug genommen, die zu einer Verurteilung im Jahr 2012 nach Jugendstrafrecht geführt hat. Diese Verurteilung ist nach § 32 Abs. 2 BZRG nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen. Es stellt sich daher die Frage, ob die diesbezüglichen Unterlagen nach § 2 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. Abs. 9 StVG schon vor Ablauf von zehn Jahren aus den Behördenakten zu entfernen gewesen wären und das Gutachten sich darauf überhaupt stützen darf.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln, wozu das Medikament Tavor aufgrund seines Gehalts an Lorazepam zu zählen ist, i.S.d. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV nicht vorliegt, da keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Antragsteller dieses Medikament ohne Verordnung durch einen Arzt regelmäßig und übermäßig einnimmt. Während des Drogenabstinenzprogramms ist bei keiner Haarkontrolle Lorazepam festgestellt worden.

Der Antragsteller ist wohl auch zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht weiterhin nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV wegen des Konsums von Betäubungsmitteln als ungeeignet anzusehen. Es trifft zwar zu, dass hier eine Situation gegeben ist, nach der der Antragsteller durch den von ihm eingestandenen Konsum von Crystal Meth seine Fahreignung nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV verloren hat und damit geprüft werden muss, ob er diese wiedergewonnen hat. Allerdings ist nicht ganz klar, wann er zuletzt Crystal Meth konsumiert hat. Die Beschuldigtenvernehmung vom 2. Mai 2016 vermittelt den Eindruck, der Antragsteller habe ca. 2011 oder 2012 kurzzeitig Crystal Meth eingenommen. Darauf stützte sich wohl auch das Landratsamt mit der Gutachtensanordnung vom 11. November 2016, bei der es offensichtlich davon ausging, dass schon mindestens ein Jahr Abstinenz vorlag und deshalb ein Drogenabstinenzprogramm angeordnet hat. Mit dem Gutachten wird demgegenüber auf Seite 7 festgestellt, er habe Ende 2015 ca. eineinhalb Wochen MDMA zu sich genommen. Unabhängig davon muss aber wohl berücksichtigt werden, dass der Antragsteller bei Bescheiderlass ein einjähriges Drogenabstinenzprogramm ohne Auffälligkeiten absolviert und zusätzlich noch erfolgreich an einer verkehrspsychologischen Maßnahme teilgenommen hat. Es ist wegen der Mängel des Gutachtens vom 24. Januar 2018 nur noch nicht abschließend geklärt, ob die Abstinenz auch stabil ist.

Die Interessenabwägung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO ergibt hier, dass dem Antragsteller angesichts der offenen Erfolgsaussichten seiner Klage und der weiteren Umstände die Fahrerlaubnis vorläufig belassen werden kann. Insbesondere ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er das Drogenabstinenzprogramm und die verkehrspsychologische Maßnahme erfolgreich absolviert hat. Die Einnahme des Medikaments Tavor war zur Vorbeugung eines epileptischen Anfalls vielleicht indiziert und das Medikament hat er nach seinen Angaben nicht regelwidrig erlangt. Nach der Stellungnahme des Klinikum K… vom 1. Februar 2018 ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für Medikamentenmissbrauch oder Medikamentenabhängigkeit. Zu seinen Lasten ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass er die Einnahme des Medikaments vor der Begutachtung nicht angegeben hat, obwohl er nach Angabe der Begutachtungsstelle einen diesbezüglichen Fragebogen ausfüllen musste, und dass der Drogenkonsum, sollte er tatsächlich erst Ende 2015 erfolgt sein, noch nicht sehr lange zurückliegt. Weiterhin ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Gutachtensanordnung § 11 Abs. 6 FeV nicht entspricht, da Anhaltspunkte für eine Drogenabhängigkeit und den Missbrauch von psychoaktiven Stoffen oder Arzneimitteln dem in der Anordnung geschilderten Sachverhalt sowie den Behördenakten nicht entnommen werden können. Unter Abwägung aller für und gegen den Antragsteller sprechenden Umstände kann ihm die Fahrerlaubnis vorläufig belassen werden, da er an den angeordneten Aufklärungsmaßnahmen mitgewirkt hat und nach dem Drogenabstinenzprogramm schon längere Zeit keine illegalen Drogen mehr einnimmt und auch keine häufigere Einnahme des Medikaments Tavor ersichtlich ist.

Der Antragsteller wird jedoch darauf hingewiesen, dass das Landratsamt zum Erlass einer Gutachtensanordnung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV verpflichtet ist, wenn der Konsum harter Drogen zum Verlust der Fahreignung geführt hat. Sollte der Drogenkonsum tatsächlich erst Ende 2015 erfolgt sein, wofür die Angaben des Antragstellers bei der Begutachtungsstelle sprechen, ist auf jeden Fall weiterhin zu klären, ob nunmehr eine stabile Abstinenz vorliegt.

Der Senat weist des Weiteren darauf hin, dass das Gericht der Hauptsache diesen Beschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO jederzeit ändern oder aufheben kann, wenn der Antragsteller an den ggf. weiterhin erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen nicht hinreichend mitwirkt oder sich Anhaltspunkte für einen Drogen- oder missbräuchlichen Medikamentenkonsum ergeben.

Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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