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Fahrerlaubnisentziehung wegen Depression

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 E 232/17 – Beschluss vom 25.03.2019

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2017 geändert. Dem Kläger wird zur Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens Prozesskostenhilfe – ohne Ratenzahlung – bewilligt und Rechtsanwalt L. aus F. beigeordnet.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Dem Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, ist für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, aber doch fernliegt. Dabei dürfen die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder -verteidigung wegen des aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit nicht überspannen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen.

St. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 – 1 BvR 274/12 -, NJW 2013, 1727 = juris, Rn. 11 ff., m. w. N.

Nach diesen Maßstäben beurteilt besteht eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2016.

Es ist offen, ob sich die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers als rechtmäßig erweist, weil dieser im Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Ordnungsverfügung infolge einer sehr schweren Depression nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gewesen ist (§ 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV, Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV). Die Frage, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses an einer solchen, die Fahreignung ausschließenden Depression litt, dürfte sich anhand des vorliegenden ärztlichen Gutachtens des E. e. V. vom 20. September 2016 und der weiteren Stellungnahmen nicht abschließend beantworten lassen. Im Gutachten des E. e. V. wird die dort angenommene fehlende Kraftfahreignung im Wesentlichen mit zwei vom Kläger unternommenen Selbstmordversuchen begründet. Dabei handelt es sich um einen Vorfall am 17. März 2016, als sich der Kläger einen etwa 10 cm langen Schnitt am rechten Handgelenk und mehrere Schnitte am linken Unterarm zufügte, sowie um einen beabsichtigten Selbstmord am 25. April 2016. Hinsichtlich des ersten Vorfalls bleibt im Gutachten aber unberücksichtigt, dass der Kläger selbst im Rahmen der Wundversorgung im Universitätsklinikum F. eine Suizidalität verneinte (Kurzarztbrief vom 17. März 2016) und im Rahmen einer psychiatrischen Vorstellung anlässlich einer Notfallbehandlung im L1. Klinikum P. am 25. März 2016 trotz dortiger Kenntnis vom Vorfall am 17. März 2016 keine Auffälligkeiten gefunden wurden. Soweit auf den beabsichtigten Selbstmord des Klägers am 25. April 2016 abgestellt wird, dürfte es an einer hinreichenden Begründung für die – im Wesentlichen wortgleich mit der im Gutachten wiedergegebenen Stellungnahme des St. N. -Hospitals in N1. an der S. übereinstimmende – Annahme des Gutachters fehlen, dass die Angabe des Klägers zum Grund seiner Suizidalität, nämlich sehr starke Schmerzen infolge einer Zahnbehandlung, eindimensional sei und bei Betrachtung seines Lebenslaufs und seiner aktuellen Situation Belastungs- und Persönlichkeitsfaktoren vorlägen, die eine psychologische Diagnostik und Therapie, ggf. auch medikamentös forderten. Der in diesem Zusammenhang aufgeführte Hinweis des Gutachters, dem Kläger sei die Lösung seiner Schmerzsituation bekannt gewesen (Erstellung eines Gutachtens für die Krankenkasse sowie Erstellung eines Heil- und Kostenplans) lässt offen, ob die vom Kläger geschilderten, mehrere Wochen andauernden Kopfschmerzen derart stark und belastend gewesen sein könnten, dass ihm ein weiteres Abwarten unzumutbar und seine Situation deshalb hoffnungslos erschien. Dazu verhält sich auch die Stellungnahme des St. N. -Hospitals in N1. an der S. nicht. Zudem wird nicht darauf eingegangen, dass eine frühere Suizidalität des Klägers nicht bekannt ist und die der Beurteilung im Gutachten zugrunde gelegten Handlungen jedenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit der Zahnbehandlung des Klägers stehen.

Fahrerlaubnisentziehung wegen Depression
(Symbolfoto: DimaBerlin/Shutterstock.com)

Ferner kann die Fahrungeeignetheit des Klägers aller Voraussicht nach nicht allein daraus geschlossen werden, dass er die psychophysischen Leistungsvoraussetzungen jedenfalls zum Führen von Kraftfahrzeugen, die von den der Gruppe 2 zugeordneten Fahrerlaubnisklassen erfasst sind, nicht erfüllte. Denn es wurde aufgrund des insgesamt negativen Ergebnisses des Gutachtens auf die psychologische Fahrverhaltensbeobachtung verzichtet (Seite 11 des Gutachtens).

Vgl. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (Stand: 24. Mai 2018), Mensch und Sicherheit, Heft M 115, S. 12.

Ist schon aus den o. g. Gründen offen, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt kraftfahrungeeignet war, kann dahinstehen, ob der Verwertbarkeit des E. -Gutachtens hier auch entgegensteht, dass es nicht – wie in den nach § 11 Abs. 5 FeV i. V. m. Anlage 4a zur FeV zugrunde zu legenden Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung für Begutachtungen im Zusammenhang mit affektiven Psychose vorgesehen – durch einen Facharzt für Psychiatrie,

vgl. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, a. a. O., S. 72 (mit Gültigkeit ab 1. Februar 2000),

sondern durch einen Facharzt für Chirurgie, der allerdings Arzt in einer Begutachtungsstelle ist, erstellt wurde.

Vor diesem Hintergrund hat auch die Klage gegen die im Bescheid enthaltene Kostenfestsetzung hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil jedenfalls offen ist, ob sich die Entziehungsverfügung als rechtswidrig erweisen wird.

Die Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO für die Beiordnung eines Rechtsanwalts sind erfüllt.

Das Beschwerdeverfahren ist nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz gebührenfrei. Die Kostenentscheidung im Übrigen folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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